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Zusammenfassung der Entscheidung Die Gläubigerin beantragte beim Rechtspfleger beim Amtsgericht Esslingen (DE) gem. Art. 39 EuGVÜ die „Pfändung" des Arbeitseinkommens des Schuldners. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen, weil bislang die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des nach § 8 AGGVÜ (deutsches Ausführungsgesetz zum EuGVÜ) mit der Vollstreckungsklausel versehenen Schuldtitels nicht belegt sei. Dagegen wandte sich die Gläubigerin.
Das Landgericht Stuttgart (DE) führt aus, dass die Pfändung aus einem ausländischen Titel auch ohne vorherige oder gleichzeitige Zustellung des nach Art 31 Abs. 1 EuGVÜ mit der Vollstreckungsklausel versehenen Titels des Urteilsstaates vorgenommen werden könne. Die Vorschriften der §§ 8, 9 AGGVÜ enthielten in erster Linie Vorschriften über das innerstaatliche Verfahren auf Erteilung der Vollstreckungsklausel und nicht ausdrücklich nähere Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung des mit der Vollstreckungsklausel versehenen ausländischen Titels. Zudem würde das Erfordernis einer vorherigen Zustellung des mit der deutschen Vollstreckungsklausel versehenen Schuldtitels an den Schuldner den durch Art. 34 und 35 EuGVÜ statuierten Überraschungseffekt unterlaufen. Nach Art. 39 Abs. 2 EuGVÜ gebe allein "die Entscheidung, durch welche die Zwangsvollstreckung zugelassen wird" dem Gläubiger die Befugnis, Maßregeln der Sicherung, wie die beantragte Pfändung, zu betreiben. Zudem werde der Schuldner durch eine Vollstreckung, der ein Verfahren nach Art. 31 ff. EuGVÜ vorangegangen sei, nicht gänzlich überrascht, da nach Art. 33 Abs. 3, 47 Nr. 1 EuGVÜ der Erteilung der Vollstreckungsklausel im Vollstreckungsstaat der Nachweis vorausgehen müsse, „dass die Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaates vollstreckbar ist und dass sie zugestellt worden ist".
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Durch den angefochtenen Beschluß hat der Rechtspfleger beim Amtsgericht Esslingen a.N. die von der Gläubigerin – gestützt auf Art. 39 EuGVÜ – beantragte „Pfändung“ des Arbeitseinkommens des Schuldners zurückgewiesen, weil bislang die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des nach § 8 AGGVÜ mit der Vollstreckungsklausel versehenen Schuldtitels nicht belegt sei (s. Bl. 9/10).
Gegen diese Entscheidung hat die Gläubigerin rechtzeitig Erinnerung eingelegt, die – nachdem der Amtsrichter nicht abgeholfen hat – als sofortige Beschwerde zu behandeln ist. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache und gleichzeitigen Anweisung an den Rechtspfleger, über die beantragte „Pfändung“ ohne vorgängige Zustellung der nach Art. 31 EuGVÜ erteilten Vollstreckungsklausel zu entscheiden.
Dem vom Amtsgericht zur Bedeutung der §§ 8 und 9 AGGVÜ eingenommenen generalisierenden Standpunkt vermag die Kammer nicht zu folgen. Abgesehen davon, daß die Vorschriften der §§ 3 bis 10 AGGVÜ in erster Linie Bestimmungen über das (innerstaatliche) Verfahren auf Erteilung der Vollstreckungsklausel für 'Schuld-Titel' eines anderen Vertragsstaats enthalten – mithin zumindest nicht ausdrücklich nähere Bestimmungen für die Zwangsvollstreckung des mit einer Vollstreckungsklausel versehenen Titels eines anderen Vertragsstaats aufstellen -, negiert die dem angefochtenen Beschluß zugrunde liegende Auffassung die das Übereinkommen vom 27.9.1968 (idF vom 9.10.1978) u. a. ausdrücklich beherrschende Maxime des 'Überraschungseffektes', wie sie durch Art. 34 und 35 EuGVÜ statuiert ist (vgl. Bülow-Böckstiegel, Internat. Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Band I, Nr. 601/zu Art. 34; Nr. 606, Art. 34 Anm. 2). Weiter hat das Amtsgericht nicht bedacht, daß nach Art. 39 Abs. 2 EuGVÜ allein „die Entscheidung, durch welche die Zwangsvollstreckung zugelassen wird“, dem Gläubiger 'die Befugnis gibt, Maßregeln zur Sicherung zu betreiben'. Von der Notwendigkeit einer vorgängigen oder gleichzeitigen Zustellung des nach Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ „mit der Vollstreckungsklausel“ versehenen Titels des Urteilsstaats ist nach den Bestimmungen des Übereinkommens keine Rede. Durch die Vorschriften des Ausführungsgesetzes zum Übereinkommen darf der durch das Übereinkommen gewährte Rechtsschutz aber nicht eingeschränkt werden. Dies trifft um so mehr zu, als die ZPO im Rahmen des Vollstreckungsinstituts des „Arrest“ auch eine Vollziehung „vor der Zustellung des Arrestbefehls an den Schuldner“ kennt, § 929 Abs. 3 ZPO.
In diesem Zusammenhang kann endlich nicht unberücksichtigt bleiben, daß
a) in Art. 26 Abs. 1 EuGVÜ (sogar) als Grundsatz aufgestellt worden ist, daß Entscheidungen (iSv on Art. 25 EuGVÜ) an sich 'ipso jure' anzuerkennen sind,
b) nach Art. 33 Abs. 3, 47 Nr. 1 EuGVÜ der Erteilung einer Vollstreckungsklausel im Vollstreckungsstaat, der nicht zugleich Urteilsstaat ist, der Nachweis durch den Gläubiger vorangehen muß, „daß die Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaats vollstreckbar ist und daß sie zugestellt worden ist“.
Der Schuldner wird so gesehen durch eine Vollstreckung, insbesondere wenn ihr ein Verfahren nach Art. 31 ff EuGVÜ vorgeschaltet war, nicht gänzlich überrascht.
Auf die Beschwerde der Gläubigerin ist die angefochtene Entscheidung sonach aufzuheben und ist die Sache an das Vollstreckungsgericht zurückzuverweisen.
Wenn der beantragten „Pfändung“ keine anderen Hindernisse entgegenstehen, wird der Rechtspfleger der Vollstreckung zu entsprechen haben. Mit der abschließenden Entscheidung ist auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.