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Zusammenfassung der Entscheidung Der belgische Gläubiger erwirkte gegen den in Deutschland domizilierenden Schuldner ein Versäumnisurteil eines belgischen Gerichts. Das Verfahren einleitende Schriftstück wurde dem Schuldner erst einen Monat nach dem Termin tatsächlich übergeben. Für das belgische Gericht galt die Klageschrift als zugestellt, da es sich der Möglichkeit der "remise au parquet" bediente, wonach eine Auslandszustellung durch die Übergabe an eine inländische Institution, hier die Staatsanwaltschaft, fingiert wird. Der Gläubiger beantragte bei einem deutschen Landgericht, das Urteil für vollstreckbar zu erklären. Er erbrachte lediglich einen Nachweis dafür, dass das Säumnisurteil dem Schuldner zugestellt worden war. Hiergegen wandte sich der Schuldner.
Das OLG Köln (DE) führt aus, dass das Urteil bereits aus formellen Gründen nicht für vollstreckbar erklärt werden könne, da der Gläubiger keinen Nachweis über die ordnungsgemäße Zustellung der das Verfahren einleitenden Klageschrift erbracht habe nach Art. 33 Abs. 3, 46 Nr. 2 EuGVÜ. Das Urteil sei aber auch aus sachlichen Gründen nicht vollstreckungsfähig, da es unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen sei und somit den deutschen ordre public verletze (Art. 34 Abs. 2 i.V.m. Art. 27 Nr. 1, 2 EuGVÜ). Die Klageschrift sei dem Schuldner nachweislich erst nachträglich zugestellt worden; für eine fingierte Zustellung nach der belgischen "remise au parquet" sei dies zwar ausreichend, jedoch bekäme der Schuldner erst mit der tatsächlichen Zustellung eine Kenntnisnahmemöglichkeit. Nur diese wahre den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Gemäß Art. 27 Nr. 1, 2 EuGVÜ sei eine inländische Anerkennung und Vollstreckbarerklärung somit ausgeschlossen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Der Gläubiger hat gegen die Schuldnerin das im Tenor des angefochtenen Beschlusses genannte Versäumnisurteil des Handelsgerichts Tongeren/Belgien erwirkt und bei dem Landgericht Aachen beantragt, für dieses ausländische Urteil eine inländische Vollstreckungsklausel zu erteilen.
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Landgericht diesem Antrag stattgegeben. Gegen den der Schuldnerin am 02.11.1988 zugestellten Beschluß richtet sich die am 15.11.1988 bei dem Landgericht eingelegte Beschwerde.
Diese begründet die Schuldnerin u. a. mit dem Vortrag, ihr sei die Ladung zum Verhandlungstermin vom 27.01.1986 erst nachträglich, nämlich erst am 03.02.1986 zugestellt worden.
Diese Beschwerde wurde dem Gläubiger zugestellt (§ 12 III AusfG); er hat hierauf auch nach mehrmaliger Fristverlängerung in der Sache nicht erwidert.
II. Die Beschwerde ist nach Art. 36 I, 37 EuGÜbk, §§ 11, 12 AusfG vom 30.05.1988 (BGBl. I 662) statthaft und zulässig; die einmonatige Notfrist zur Beschwerdeeinlegung wurde durch den rechtzeitigen Eingang der Beschwerde beim Landgericht gewahrt (Art. 32 EuGÜbk iVm §§ 11 I, 12 II AusfG).
Die Beschwerde ist auch begründet. Sowohl aus formellen als auch aus sachlichen Gründen kann dem Antrag auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel nicht stattgegeben werden:
Die Vollstreckungsklausel ist schon nicht in der gesetzlichen Form beantragt. Da es sich bei dem Urteil des Handelsgericht Tongeren um eine im Versäumnisverfahren ergangene Entscheidung handelt, hätte gemäß Art. 33 III, 46 Nr. 2 EuGÜbk mit dem Antrag auch die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift einer Urkunde vorgelegt werden müssen, aus der sich ergibt, daß das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück der säumigen Partei zugestellt worden ist. Der Gläubiger hat nicht eine solche verfahrenseinleitende Urkunde, sondern nur eine Urkunde über die (verfahrensabschließende) Urteilszustellung vorgelegt.
Zwar können alle die in den Art. 46 und 47 EuGÜbk genannten Urkunden notfalls auch noch in der Rechtsmittelinstanz nachgereicht werden (OLG Köln, IPRspr. 1976 Nr. 164; Kropholler EuZivProzR, 2. Aufl. 1987, Rn. 8 und Fn. 12 zu Art. 33). Zum einen hat der Gläubiger die in Rede stehende Zustellungsurkunde auch in der Beschwerdeinstanz nicht vorgelegt; zum andern kann auch aus den nachfolgenden sachlichen Gründen eine Vollstreckungsklausel nicht erteilt werden.
Das Versäumnisurteil des Handelsgericht Tongeren vom 03.02.1986 ist in der Bundesrepublik nicht vollstreckungsfähig, da es unter Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs ergangen ist und somit den inländischen ordre public verletzt (Art. 34 II iVm Art. 27 Nrn. 1 und 2 EuGÜbk). Nach den von dem Senat durchgeführten Ermittlungen (zur Pflicht zur Amtsermittlung vgl. u.a. Kropholler, aaO, Rn. 6 f vor Art. 26; Rn. 36 zu Art. 27) steht fest, daß die Ladung der Schuldnerin zum Verhandlungstermin vom 21.01.1986, aufgrund der das Versäumnisurteil vom 03.02.1986 erging, ihr erst am 21. Februar 1986 und somit erst nachträglich zugestellt wurde. Dies ergibt sich aus der Zustellungsurkunde Bl. 9 der beigezogenen Akte des Rechtshilfeverfahrens (17 AR I 353/85 AG Aachen), das aufgrund des Zustellungsersuchens des Königlichen Staatsanwaltes des Gerichtsbezirks Tongeren vom 13.12.1985 durchgeführt worden war. Der Umstand, daß dieses belgische Zustellungsersuchen vom 13.12.1985 erst am 21.02.1986 ausgeführt wurde, war ausweislich der vorgenannten Akte darin begründet, daß eine unrichtige Anschrift der Schuldnerin angegeben worden war und daß insbesondere dem Ersuchen keine Übersetzungen der zuzustellenden Schriftstücke beilagen, sondern erst von dem Rechtshilfegericht veranlaßt werden mußten.
Diesem von dem Senat ermittelten Zeitpunkt der Ladungszustellung (21.02.1986) steht nicht entgegen, daß in dem Versäumnisurteil des Handelsgerichts Tongeren von einem früheren Zustellungsdatum ausgegangen wird, indem dort auf „die von dem Gerichtsvollzieher ... in ... gemäß Art. 751 des Gerichtsgesetzes zugestellte Ladungsurkunde vom 12.12.1985 mit Terminsbestimmung“ Bezug genommen wird (S. 2 d. UrtÜbersetzung).
Zum einen muß der inländische Vollstreckungsrichter die gesetzlichen Versagungsgründe der Art. 27 u. 28 EuGÜbk von Amts wegen und in eigener Zuständigkeit und Verantwortlichkeit prüfen (Kropholler, aaO, Rn. 36 zu Art. 27 mwN). Zum andern ergibt diese Überprüfung schon prima facie, daß es sich bei dem vom Handelsgericht Tongeren zugrunde gelegten Zustellungszeitpunkt um keine tatsächliche, sondern allenfalls um eine gesetzlich vermutete Zustellung handelt. Diese im ausländischen Urteil zitierte Ladungszustellung soll von dem belgischen Gerichtsvollzieher durchgeführt worden sein; die Schuldnerin war aber immer und somit auch im Zustellungszeitpunkt in der Bundesrepublik und mithin außerhalb des Geschäftsbereichs dieses Gerichtsvollziehers ansässig. Eine Zustellung im tatsächlichen Sinne ist also nicht erfolgt; nur durch eine tatsächliche Zustellung aber hätte die Schuldnerin eine den Grundsatz des rechtlichen Gehörs wahrende Kenntnisnahmemöglichkeit gehabt.
Das von dem Handelsgericht Tongeren zugrunde gelegte Zustellungsdatum folgt aus einer Besonderheit im belgischen Recht. Dort gilt das Zustellungsverfahren der „remise au parquet“. Nach diesem System, das Auslandszustellungen als im Inland erfolgt fingiert, beginnen Fristen schon dann zu laufen, wenn die für die Auslandszustellung erforderlichen Handlungen im Gerichtsstaat vorgenommen sind, so daß, wie gerade auch der vorliegende Fall zeigt, Versäumnisurteile ohne den Nachweis ergehen können, daß dem Beklagten die Mitteilung über das anhängige Verfahren bzw. den Verhandlungstermin zugegangen ist. Dieses Zustellungsverfahren der „remise au parquet“ unterscheidet sich wesentlich von dem inländischen Zustellungsrecht (vgl. § 199 ZPO iVm §§ 170, 202 II, 274 II, 335 I Nr. 2 ZPO). Im vorliegenden Fall stellt also das im belgischen Versäumnisurteil genannte Zustellungsdatum (12.12.1985) nur den Zeitpunkt dar, zu dem der belgische Gerichtsvollzieher die zuzustellende Ladungsurkunde dem Königlichen Staatsanwalt des Gerichtsbezirks Tongeren zum Zwecke der erst noch durchzuführenden Auslandszustellung übergeben hatte. Dessen Zustellungsersuchen vom 13.12.1985 führte dann – wie oben gezeigt – erst am 21.02.1986 zur inländischen Zustellung.
Im Ergebnis wurde dadurch der Schuldnerin jede Möglichkeit genommen, sich gegen die streitbefangenen Forderungen angemessen bzw. überhaupt zu verteidigen, da ihr die Mitteilung über den Verhandlungstermin erst nach diesem und sogar erst nach der Urteilsverkündung zuging. Damit liegt ein Fall der in Art. 27 Nrn. 1 und 2 EuGÜbk aufgeführten Versagungsgründe vor, so daß eine inländische Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausgeschlossen ist.
Die Schuldnerin verliert den Schutz des Art. 27 Nr. 2 EuGÜbk auch nicht dadurch, daß sie von der anhängigen Klage später durch Zustellung des Versäumnisurteils erfahren, dagegen jedoch kein Rechtsmittel eingelegt hat. Eine solche Einengung des Beklagtenschutzes ist abzulehnen (Kropholler, aaO, Art. 27 Rn. 38).