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Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin erwirkte am 30.4.2003 ein Versäumnisurteil eines belgischen Gerichts gegen die Antragsgegnerin. Die Ladung (Dagvaarding) wurde vom Gerichtsvollzieher (Übermittlungsstelle) am 3.3.2003 dem zuständigen Justizministerium (Zentralstelle) zur Zustellung übermittelt. Das zuständige Amtsgericht teilte der Übermittlungsstelle am 7.5.2003 mit, dass die Zustellung nicht binnen eines Monats vorgenommen werden konnte. Am 5.6.2003 übermittelte der Gerichtsvollzieher das am 30.4.2003 ergangene Versäumnisurteil zur Zustellung. Diese erfolgte durch öffentliche Zustellung am 10.3.2004. Mit der Antragsgegnerin am 17.7.2004 zugestelltem Beschluss wurde das Urteil für in Deutschland vollstreckbar erklärt. Mit der Beschwerde trug die Antragsgegnerin vor, sie habe weder den verfahrenseinleitenden Schriftsatz erhalten noch Kenntnis von dem Urteil gehabt.
Das OLG Zweibrücken (DE) entscheidet, dass der Vollstreckbarerklärung Art. 34 Nr. 2 Brüssel I-VO entgegenstehe. Die Ladung sei der Antragsgegnerin nicht zugestellt worden, sondern am 7.5.2003 an die Übermittlungsstelle zurückgeleitet worden. Da sei das Versäumnisurteil bereits ergangen gewesen. Die Antragsgegnerin habe auch keine Möglichkeit gehabt, gegen die Versäumnisentscheidung, wie von Art. 34 Nr. 2 gefordert, Rechtsmittel einzulegen. Sie habe erst mit Klauselzustellung am 17.7.2004 von dem Urteil erfahren. Zu diesem Zeitpunkt sei - die Wirksamkeit der öffentlichen Urteilszustellung unterstellt - die belgische Rechtsmittelfrist bereits verstrichen gewesen. Hätte jedoch erst die Zustellung am 17.7.2004 die Frist in Lauf gesetzt, so wäre zwar die Rechtsmitteleinlegung noch im Vollstreckbarerklärungsverfahren möglich gewesen, der Anerkennung des Urteils stünde dann aber Art. 34 Nr. 1 entgegen, da ein Verstoß gegen Art.103 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK anzunehmen wäre: Eine adäquate Verteidigung gegen den bereits mit der Vollstreckungsklausel versehenen Titel wäre in diesem Stadium nicht mehr möglich.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Antragstellerin will aus einem Versäumnisurteil des Handelsgerichts Mechelen (Rep. 2003/1647; Rollennr. A/03/976) vom 30. April 2003 vollstrecken. Darin wurde die Antragsgegnerin zur Zahlung von 66 514,86 EUR zuzüglich 6 651,49 EUR Konventionalstrafe, zuzüglich 10 % Verzugszinsen im Jahr aus den jeweiligen Rechnungsbeträgen ab den jeweiligen Rechnungsdaten bis zum Tage der Vorladung sowie gerichtliche Zinsen aus 66 514,86 EUR ab dem Datum des Antrages und Kosten in Höhe von 775,17 EUR verurteilt.
Die Antragsgegnerin hat sich auf das Verfahren vor dem belgischen Gericht nicht eingelassen. Die „Vorladung“ der Antragsgegnerin vor die Kammer des Handelsgerichts zur Verhandlung der Sache („Dagvaarding“) hat der Gerichtsvollzieher (Übermittlungsstelle) am 3. März 2003 dem Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz (Zentralstelle) zum Zweck der Zustellung übermittelt. Der Rechtspfleger beim Amtsgericht Kaiserslautern hat der Übermittlungsstelle gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (EG-ZustellVO) am 7. Mai 2003 mitgeteilt, dass die Zustellung der „Vorladung“ nicht binnen einem Monat nach Erhalt des Schriftstückes vorgenommen werden konnte, da Firma und Sitz der Antragsgegnerin noch ermittelt werden müssten. Das Versäumnisurteil des Handelsgerichts Mechelen gegen die Antragsgegnerin war bereits am 30. April 2003 ergangen. Am 5 Juni 2003 übermittelte der Gerichtsvollzieher das Versäumnisurteil zur Zustellung an das Ministerium der Justiz des Landes Rheinland – Pfalz. Die Zustellung erfolgte im Wege der öffentlichen Zustellung durch das Amtsgericht Kaiserslautern am 10. März 2004.
Der Vorsitzende der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern hat auf Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 21. Mai 2004 angeordnet, dass das Urteil der 1. Kammer des Handelsgerichts Mechelen vom 30. April 2003 mit der Vollstreckungsklausel zu versehen sei. Dem hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle entsprochen. Die Ausfertigung des Beschlusses vom 21. Mai 2004 und der Vollstreckungsklausel vom 15. Juli 2004 einschließlich des Versäumnisurteils sind der Antragsgegnerin am 17. Juli 2004 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 3. August 2004 hat die Antragsgegnerin gegen den Beschluss vom 21. Mai 2004 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, sie habe weder den das Verfahren einleitenden Schriftsatz erhalten, noch habe sie Kenntnis von dem gegen sie ergangenen Versäumnisurteil gehabt.
II. 1. Das Rechtsmittel ist nach Art. 43 EuGVO iVm §§ 1 Abs. 1 Nr. 2 b, 11 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (AVAG) vom 19. Februar 2001 in der Fassung vom 30. Januar 2002 statthaft.
Der Einholung einer Abhilfeentscheidung des Landgerichts vor der Entscheidung durch den Senat bedarf es nicht, da eine Befugnis für das die Vollstreckung zulassende Gericht zur Abhilfe einer gegen seine Entscheidung gerichteten Beschwerde nach allgemeiner Ansicht nicht besteht (BtDrS 11/351, 22; Zöller/Geimer, ZPO, 24. Aufl., § 11 Rn. 4; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Art. 43 EuGVO Rn. 10; OLG München NJW 1975, 504; Senat in ständiger Rechtsprechung, beispielsweise OLGR 2004, 260; OLG Köln, NJOZ 2004, 3367, 3369).
Die Entscheidung des Senats ergeht in voller Besetzung des Spruchkörpers, weil der Vorsitzende der Zivilkammer den angefochtenen Beschluss gemäß § 3 Abs. 3 AVAG nicht als erstinstanzlicher „Einzelrichter“ im Sinne des § 568 ZPO erlassen hat, sondern kraft besonderer Zuständigkeitsverweisung auf der Grundlage innerstaatlich geltenden Abkommensrechts bzw. unmittelbar geltenden EG-Verordnungsrechts entscheidet (Senat in ständiger Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse vom 20. Februar 2004 – 3 W 157/03 – und 15. Dezember 2004 – 3 W 207/04 –; OLG Stuttgart, OLGR 2003, 102; OLG Köln IPrax 2003, 354).
2. In der Sache führt das Rechtsmittel zum Erfolg.
Der Vollstreckbarerklärung des Urteils der 1. Kammer des Handelsgerichts Mechelen vom 30. April 2003 (Rep. 2003/1647; Rollennr.: A/03/976) steht das Hindernis des Art. 34 Nr. 2 EuGVO entgegen (Art. 45 Abs. 1 EuGVO). Danach wird eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.
Diese Vorschrift will den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör im internationalen Rechtsverkehr gewährleisten und durchsetzen, soweit dies im Stadium der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung noch möglich ist. Wenn dem Beklagten das rechtliche Gehör im Erstprozess abgeschnitten wurde, soll die darauf beruhende Entscheidung in den übrigen Mitgliedstaaten keine Wirkung entfalten (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Auflage, Art. 34 Rn. 90).
Die Voraussetzungen dieses Versagungsgrundes liegen vor.
Die Vorladung („Dagvaarding“) als das das Verfahren einleitende Schriftstück wurde der Antragsgegnerin nicht zugestellt. Das im Wege der amtlichen Rechtshilfe um die Zustellung ersuchte Amtsgericht Kaiserslautern hat das Schriftstück vielmehr am 7. Mai 2003 gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 2 EG-ZustellVO an die Übermittlungsstelle mit dem Vermerk zurückgesandt, Firma und Sitz der Antragsgegnerin müssten noch ermittelt werden.
Zu diesem Zeitpunkt war das Versäumnisurteil des Handelsgerichts Mechelen – entgegen Art. 19 Abs. 2 b EG-ZustellVO – bereits ergangen,ohne dass die Antragsgegnerin die Möglichkeit hatte, sich gegen das Klagevorbringen zu verteidigen.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin die Zustellung vereitelt hätte, mit der Folge, dass sie sich nach Treu und Glauben nicht auf den Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVO berufen könnte (vgl. in diesem Zusammenhang BGH IPRax 1993, 324).
Zwar hat die Antragsgegnerin etwa sechs Monate vor Einleitung des Erstverfahrens ihre Geschäftsräume innerhalb desselben Ortes verlegt. Nach ihrem von der Antragstellerin nicht bestrittenen Vortrag hat sie jedoch durch die Stellung eine Postnachsendeauftrages dafür Sorge getragen, dass sie die Post auch nach ihrem Umzug erreicht und auch im Schriftverkehr mit ihren Geschäftspartnern auf die Änderung der Adresse hingewiesen.
Mit dem Einwand des Vollstreckungshindernisses ist die Antragsgegnerin auch nicht im Hinblick auf eine versäumte Rechtsmitteleinlegung präkludiert.
Nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO kann sich der Beklagte dann nicht mehr auf die nicht rechtzeitige Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes berufen, wenn er gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl ihm die Möglichkeit hierzu offen gestanden hat.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Dass die Antragsgegnerin von dem gegen sie in Belgien ergangenen und in Deutschland öffentlich zugestellten Versäumnisurteil vor dessen nochmaliger Zustellung in dem vorliegenden Verfahren auf Vollstreckbarerklärung unter ihrer neuen Geschäftsadresse in einer Art und Weise Kenntnis erlangt hat, die ihr die Verteidigung gegen die Säumnisentscheidung durch Einlegung eines Rechtsmittels erlaubt hätte, trägt die Antragstellerin nicht vor und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Hat die Antragstellerin aber erst am 17. Juli 2004 mit der Zustellung der Klausel von dem Versäumnisurteil des Handelsgerichts Mechelen Kenntnis erlangt, waren die mit der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils – unterstellt man deren Wirksamkeit – in Lauf gesetzten Rechtsmittelfristen bereits verstrichen, sodass die Einlegung von Rechtsmitteln mangels Erfolgsaussicht nicht gefordert werden kann. Das Versäumnisurteil galt nach § 188 ZPO als am 10. April 2004 zugestellt, so dass sowohl die sechswöchige Frist zur Einlegung des Einspruches gegen das Versäumnisurteil gemäß Art. 1048 iVm Art. 55 (belg.) Rechtspflegegesetz abgelaufen war, als auch die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist, die in Belgien nur innerhalb eines Jahres nach Erlass der Entscheidung möglich ist (Rauscher/ Heiderhoff, Europäisches Zivilprozessrecht, 2004, § 19 EG-ZustellVO, Rn. 23, 24).
Geht man von der Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils aus, etwa weil ein vorheriger Zustellversuch an die sich aus dem Handelsregister ergebende Adresse des Geschäftsführers der Beklagten unterblieben ist (OLG Stuttgart MDR 2005, 472), ergibt sich nichts anderes.
Zwar hätte dann erst die Zustellung des Urteils am 17. Juli 2004 die Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt, so dass die Einlegung eines Rechtsmittels noch während des Verfahrens der Vollstreckbarerklärung möglich gewesen wäre.
Der Anerkennung des Urteils des Handelsgerichts Mechelen stünde dann aber das Hindernis des Art. 34 Nr. 1 EuGVO (Widerspruch gegen den deutschen und den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen ordre public) entgegen.
Die Anwendung der Ordre Public-Klausel kommt in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit gewahrt bleibt, muss es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (EuGH, Urteil vom 28. März 2000 – Rs. C-7/98 [Dieter Krombach/Andre Bamberski], NJW 2000, 1853).
Diese Voraussetzungen sieht der Senat vorliegend als erfüllt an.
Es wäre nicht mit Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK zu vereinbaren, einen Beklagten im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Versäumnisurteils auf die Ergreifung von Rechtsmitteln oder außerordentlichen Rechtsbehelfen gegen den Titel zu verweisen, von dessen Existenz er erst durch Zustellung der bereits erteilten Vollstreckungsklausel erfährt. Ein Rechtsmittel gegen den bereits – in vorliegendem Fall zudem unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 2 EG-ZustellVO – ergangenen und mit der Vollstreckungsklausel versehenen Titel in diesem Stadium würde eine adäquate und effektive Verteidigung nicht mehr gewährleisten und bedeutete einen Verstoß gegen den vom EuGH aus Art. 6 EMRK hergeleiteten allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz, dass jedermann Anspruch auf ein faires Verfahren hat (Rauscher/Leible, aaO, Art. 34 Brüssel I – VO, Randnrn. 7, 11).