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Zusammenfassung der Entscheidung Der in Deutschland wohnhafte Antragsgegner sollte für den Antragsteller in Frankreich ein privates Schwimmbad errichten. Im Vertrag war die Anwendung deutschen Rechts und die Zuständigkeit deutscher Gerichte vereinbart worden. Wegen Mängeln erwirkte der Antragsteller vor dem Tribunal de grande instance Mulhouse (FR) ein unter Anwendung französischen Rechts ergangenes Versäumnisurteil gegen den Antragsgegner. Das verfahrenseinleitende Schriftstück und das Versäumnisurteil waren dem Antragsgegner durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt worden. Das Urteil wurde vom zuständigen deutschen Landgericht für in Deutschland vollstreckbar erklärt. Der Antragsgegner erhob Beschwerde.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe (DE) entscheidet, dass die Erteilung der deutschen Vollstreckungsklausel zu Recht erfolgt sei. Es sei von einer rechtzeitigen Zustellung der Klageschrift auszugehen. Jedenfalls habe es der Antragsgegner versäumt, gegen das französische Urteil Rechtsmittel einzulegen, obwohl ihm dies - spätestens nach Zustellung des Urteils zusammen mit der deutschen Klausel - möglich gewesen sei (Art. 34 Nr. 2 Brüssel I-VO). Wenn sich der Schuldner jeder Gegenwehr in Frankreich enthalte, so gehe dies zu seinen Lasten, selbst wenn dies auf nicht optimaler rechtlicher Beratung beruhen sollte. Zwar habe das französische Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung missachtet, jedoch sei dieser Zuständigkeitsmangel nicht nachprüfbar (Art. 35 Abs. 1 und 3 Brüssel I-VO). Art. 34 Nr. 1 Brüssel I-VO stehe ebenfalls nicht entgegen. Die Nichtanwendung des vereinbarten deutschen Rechts begründe keinen ordre-public-Verstoß. Grundlegende rechtsstaatliche Mängel seien nicht feststellbar. Insbesondere sei nach Art. 3 Abs. 2 EVÜ die Möglichkeit der stillschweigenden nachträglichen Rechtswahl anerkannt. Hinzu komme, dass der Schuldner mögliche Rechtsbehelfe in Frankreich nicht eingelegt habe, obwohl sie geeignet gewesen wären, etwaige Rechtsanwendungsmängel zu beheben.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Der französische Gläubiger erstrebt die Anordnung, an das Urteil des Tribunal de Grande Instance de Mulhouse vom 25.11.2003 – RG no. 03/00834 – die deutsche Vollstreckungsklausel anzubringen. In diesem Urteil ist der deutsche Schuldner zur Zahlung von 26.952,08 EUR nebst Zinsen und Kosten verurteilt.
Nach den vom Gläubiger vorgelegten Urkunden ließ der Gläubiger dem Schuldner die Klage am 26.02.2003 in französischer und deutscher Sprache zustellen (S. 43 ff. der Akten), und zwar durch Vermittlung des AG Lörrach auf postalischem Wege in Gestalt einer Ersatzzustellung durch Einwurf in den Briefkasten der Wohnung. Auf mündliche Verhandlung am 04.11.2003 erließ das Tribunal de Grande Instance de Mulhouse am 25.11.2003 ein „jugement reputé contradictoire“, weil sich der Schuldner trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht habe anwaltlich vertreten lassen. Die Entscheidung erging im einseitigen Verfahren aufgrund des originalen Bauvertrags mit Übersetzung (S. 85 der Akten, Anlage K 2, Urteil S. 3), des klägerischen Vortrags und aufgrund von Sachverständigengutachten. Der Bauvertrag sieht deutsche gerichtliche Zuständigkeit und die Anwendbarkeit deutschen Rechts vor (No. 7 des Vertrags, Anlage B 1 der Akten). Nach den vom Gläubiger vorgelegten Urkunden ließ der Gläubiger dieses Urteil mit deutscher Übersetzung am 21.05.04 zustellen (Anlage K 3 der Akten), und zwar wiederum durch Vermittlung des AG Lörrach auf postalischem Wege in Gestalt einer Ersatzzustellung, dieses Mal durch Einwurf in den Briefkasten der Geschäftsräume.
Mit Beschluss vom 27.01.05 – 14 O 19/05 – hat der Vorsitzende Richter der 14. Zivilkammer des LG Freiburg die Erteilung einer deutschen Vollstreckungsklausel angeordnet. Gegen diesen Beschluss, der dem Schuldner am 03.02.05 auf dem Postwege durch Einwurf in den zu den Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten zugestellt worden ist (S. 22 der Akten), hat der Schuldner am 17.02.05 Beschwerde eingelegt.
Der Schuldner trägt u.a. vor, das französische Gericht habe nicht beachtet, dass für Rechtsstreitigkeiten deutsche Zuständigkeit und für die Rechtsbeziehung deutsches Recht vereinbart seien. Er habe am 16.05.01 eine französische Ladung erhalten und auf ihre Kurzfristigkeit und seine anwaltliche Vertretung verwiesen. Eine Ladung zum Termin nach Frankreich habe er nie erhalten. Die Unterlagen, deren Zustellung am 21.05.04 versucht worden sei, habe er krankheitsbedingt nicht entgegennehmen können. Im Übrigen sei die französische Entscheidung inhaltlich unrichtig, weil er das Scheitern des Bauvorhabens nicht zu vertreten habe.
Der Schuldner beantragt sinngemäß, den Antrag auf Klauselerteilung zurückzuweisen und den landgerichtlichen Beschluss abzuändern.
Der Gläubiger beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Gläubiger trägt u.a. vor, dem Schuldner sei die Klage zugestellt worden; er habe gegen die französische Entscheidung auch keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl sie ihm nach Deutschland zugestellt worden sei. Im Klauselerteilungsverfahren könne fehlende französische Zuständigkeit nicht mehr gerügt werden. Eine sachliche Nachprüfung der französischen Entscheidung sei den deutschen Gerichten verwehrt.
II. Die zulässige Beschwerde (§ 11 AVAG) ist nicht begründet. Denn der Vorsitzende Richter am Landgericht hat die Erteilung einer deutschen Klausel letztlich zu Recht angeordnet (Art. 38 EuGVVO).
1. Die Versagung der Anerkennung kann nicht darauf gestützt werden, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt sei (Art. 34 Nr. 2 EuGVVO). Einmal ist nach den vorliegenden Urkunden durchaus davon auszugehen, dass der Schuldner die Klagschrift in französischer und deutscher Fassung erhalten, aber vielleicht krankheitsbedingt nicht zur Kenntnis genommen hat. Die von ihm gerügte Ladung betraf eine vorprozessuale Beweisaufnahme, um die es hier nicht geht. Jedenfalls aber hat es der Schuldner versäumt, Rechtsbehelf in Frankreich einzulegen, entweder in Gestalt des „appel“ nach Zustellung des Urteils am 21.05.04, oder aber – falls diese urkundlich dokumentierte Zustellung krankheitsbedingt nicht zur Kenntnis genommen werden konnte, wie dies der Schuldner dartut – spätestens nach der unstreitigen Zustellung und Kenntnisnahme des Urteils zusammen mit dem deutschen Beschluss am 03.02.05 (Art. 19 IV ZustellungsVO). Wenn sich der Schuldner jeder Gegenwehr in Frankreich enthält, so geht dies zu seinen Lasten, selbst wenn dies auf nicht optimaler rechtlicher Beratung beruhen sollte.
2. Die französische Versäumnisentscheidung (Art. 38 I EuGVVO), die trotz fehlender persönlicher Zustellung wegen ihrer Berufungsfähigkeit als „jugement reputé contradictoire“ ergangen ist (Art. 473 II n.c.p.c.), ist auch nicht später wegen versäumter Zustellung fortgefallen (Art. 478 I n.c.p.c.), was der Schuldner im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens einwenden könnte (dazu Guinchard, Droit et Pratique de la Procédure Civile, 2004, No. 423.163, S. 855 mNw). Denn das am 25.11.03 ergangene Urteil ist am 21.05.04 zugestellt worden, also kurz vor Ablauf der sechsmonatigen Frist. Die Zustellung erfolgte – durch öffentliche Urkunden belegt – unter Vermittlung des AG Lörrach in gleicher Weise als Ersatzzustellung durch Einwerfen in den Geschäftsbriefkasten wie später die Zustellung des landgerichtlichen Beschlusses, die den Schuldner zur Beschwerde veranlasst hat. Es mag sein, dass der Schuldner – wie er vorträgt – an der Kenntnisnahme persönlich verhindert war. Jedoch ist nichts dargetan, was ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung als solcher begründen könnte. Es wäre Sache des Schuldners gewesen, bei zunächst unverschuldeter Unkenntnis trotz u.U. abgelaufener Frist sich in Frankreich um Wiedereinsetzung zur Einlegung des „appel“ zu bemühen. Wenn dies nicht geschehen ist, so kann dies nicht im Vollstreckbarerklärungsverfahren zu Lasten des Gläubigers gehen.
3. Die französische Entscheidung ist auch nicht wegen etwaiger Verstöße gegen gemeineuropäisches internationales Prozess- und Privatrecht als ordre public- widrig zu betrachten (Art. 34 Nr. 1, 35 II S. 2 EuGVVO).
a) Verstöße gegen Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO begründen im Regelfall keinen Anerkennungsverweigerungsgrund, selbst wenn es sich um eindeutige Verstöße handeln sollte (Art. 35 III S. 2 EuGVVO). Zwar hatte das französische Gericht die Regeln internationaler Zuständigkeit von Amts wegen zu berücksichtigen (Art. 26 EuGVVO). Auch wäre die Wirksamkeit vereinbarter deutscher Zuständigkeit zu prüfen gewesen (Art. 23 I EuGVVO iVm Zif. 7 des Bauvertrages), was für das französische Gericht auch ohne weiteres erkennbar war, weil ihm die Urkunde mit der Gerichtsstandsvereinbarung vorlag, die Grundlage des im einseitigen Verfahren (Art. 472 n.c.p.c.) ergangenen Urteils war. Indessen kann dahingestellt bleiben, ob die Gerichtsstandsvereinbarung im Streitfalle französische Zuständigkeit tatsächlich ausschloss oder ob nicht französische Zuständigkeit als Verbrauchergerichtsstand gegeben war, was wiederum vom zeitlichen Geltungsbereich der insoweit geänderten europäischen Gerichtsstandsvorschriften und von den genauen Umständen des Vertragsschlusses abhängen mag (Art. 66 I EuGVVO; Art. 15 ff., 17 EuGVVO; Art. 13 ff. EuGVÜ). Jedenfalls lässt der sehr klare Wortlaut der Art. 35 I EuGVVO und Art. 35 III EuGVVO keine Auslegung zu, die zur Nichtanerkennung führen kann, weil es nach der EuGVVO insoweit Sache der Gerichte des Urteilsstaates sein soll, auf Rechtsbehelf etwaige Fehler zu beheben.
b) Ein ordre public- Verstoß (Art. 34 Nr. 1 EuGVVO) lässt sich nicht auf einfache Fehlanwendung nationalen oder gemeineuropäischen Rechts stützen (EuGH NJW 2000, 1853 und 2185) und muss sich in grundlegenden rechtsstaatlichen Mängeln manifestieren. Zwar sind französische Gerichte grundsätzlich gehalten, völkervertragliches internationales Privatrecht von Amts wegen zu beachten und die Anwendbarkeit ausländischen Rechts ohne entsprechenden Parteivortrag zu prüfen (Cass. civ. 1er, 1er juill. 1997, arrêt Karl Ibold, Rev. crit. D.I.P. 1998, 60). Nachdem die Verbindlichkeit der freien Rechtswahl durch die Vertragsparteien der Grundregel des Art. 3 I des Römischen EWG-Übereinkommens 1980 entspricht, hätte das französische Gericht die Rechtswahl der Parteien nach Zif. 7 des dem Gericht vorliegenden Vertrags eigentlich berücksichtigen müssen, falls nicht die Voraussetzungen des Art. 5 EVÜ für eine Beschränkung der Rechtswahl vorlagen, wozu die Entscheidung nichts sagt. Allerdings können die Parteien noch nachträglich ausdrücklich oder stillschweigend eine andere Rechtswahl treffen (Art. 3 II Röm. Übereinkommen), und die französische Rechtsprechung betont die allgemeine Möglichkeit stillschweigender Rechtswahl im Prozess traditionell stark (Cass. civ. 1er, 1er juill. 1997, arrêt Karl Ibold). Letztlich entbehrt der Grundsatz amtswegiger Beachtung des IPR im französischen Prozess letzter Klarheit, soweit es um das Gewicht stillschweigenden Einverständnisses im Prozess geht (ausführlich Vincent/Guinchard, Procédure civile, 25. éd. 1999, No. 559-601), sodass vor allem bei einseitigen Verfahren nach Säumnis in der Passivität des Beklagten ein stillschweigendes Einverständnis des Beklagten mit der Rechtswahl des Klägers gesehen werden könnte. Vor diesem Hintergrund kann die vorbehaltlose Anwendung französischen Rechts im französischen Versäumnisurteil keinesfalls das Gewicht haben, das für einen ordre public-Vestroß reicht, selbst wenn man Fehlanwendung gemeineuropäischen IPRs unterstellt. Hinzu kommt, dass der Schuldner mögliche Rechtsbehelfe in Frankreich nicht eingelegt hat, obwohl sie durchaus geeignet gewesen wären, etwaige Rechtsanwendungsmängel zu beheben (dazu BGH NJW 1990, 2201, 2203 l.Sp.). Nachdem er in Frankreich geschäftlich tätig war, erscheint ihm ein solches Vorgehen unter Beauftragung eines französischen Anwalts auch dann zumutbar, wenn man die von ihm vorgetragene Erkrankung berücksichtigt.