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Zusammenfassung der Entscheidung Die niederländische Beklagte hatte in Deutschland Ware eingelagert. Sie beauftragte die deutsche Klägerin, die Zolldeklaration der Ware vorzunehmen. Diese beauftragte damit eine deutsche Firma. Die Ware wurde mit Hilfe gefälschter Papiere als verzollt in einem anderen Ort in Deutschland eingelagert und anschließend verkauft. Das Zollamt hat sowohl die Klägerin als auch die deutsche Firma für die hinterzogenen Abgaben haftbar gemacht. Letztere hat ihrerseits bei der Klägerin Regress genommen. Die Klägerin verlangte nunmehr von der Beklagten Freihaltung von den durch das Zollamt und die deutsche Firma gegen sie geltend gemachten Forderungen. Deshalb hat sie vor einem deutschen Gericht Klage gegen die Beklagte erhoben.
Der Bundesgerichtshof (DE) stellt fest, dass die deutschen Gerichte international zuständig sind. Zwar liege keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung i.S.v. Art. 17 EuGVÜ vor, da die in § 65 lit. b der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) enthaltene Gerichtsstandsklausel – auch bei unterstellter stillschweigender Unterwerfung der Beklagten unter dieses Regelwerk – dem Schriftformerfordernis dieser Vorschrift nicht genüge. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe sich jedoch aus Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Nach dem für die streitige Verpflichtung maßgeblichen deutschen Recht (§ 269 BGB) könne der Erfüllungsort i.S. dieser Vorschrift durch Vereinbarung der Parteien bestimmt werden. Eine derartige Vereinbarung, die einen deutschen Erfüllungsort festlege, liege hier vor. Sie sei durch stillschweigende Unterwerfung der Beklagten unter § 65 lit. b ADSp zustande gekommen. Die Tatsache, dass die in Art. 17 EuGVÜ niedergelegten Formerfordernisse nicht erfüllt seien, sei hier für die Gültigkeit dieser Erfüllungsortvereinbarung ohne Bedeutung. Denn die Form des Art. 17 EuGVÜ sei nur dann zu beachten, wenn die Erfüllungsortvereinbarung nur auf die Bestimmung eines Gerichtsstands ziele. Das sei hier jedoch nicht der Fall.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Klägerin ist ein inländisches Speditionsunternehmen, die Beklagte eine holländische Firma mit Sitz in R.
Die Beklagte hatte in einem H Kühlhaus zwei Partien argentinisches Rindfleisch unter Zollverschluß eingelagert. Im März 1976 beauftragte sie die Klägerin, die Zolldeklaration der Ware vorzunehmen und sie dem Fahrer eines holländischen Lastzuges zum Transport nach Italien zu übergeben. Die Klägerin ihrerseits beauftragte die Firma Peter M mit der Zollabfertigung. Diese ließ die Ware im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren abfertigen. Demgemäß übergab die Zollbehörde die Ware dem Frachtführer unverzollt, erteilte der Firma M aber die Auflage, sie bis zum 22. bzw. 30. April 1976 der Zollstelle C/Italien vorzuführen.
Dazu kam es nicht. Die Ware wurde mit Hilfe gefälschter Papiere als verzollt in einem M Kühlhaus eingelagert und anschließend im Inland verkauft. Die Zollbehörde hat daraufhin sowohl die Klägerin als auch die Firma M für die hinterzogenen Abgaben von 242.834,38 DM haftbar gemacht. Die Firma M ihrerseits hat deswegen bei der Klägerin Regreß genommen.
Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Freihaltung von den durch die Firma M und die Zollbehörde gegen sie geltend gemachten Forderungen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei als Auftraggeberin verpflichtet, sie von diesen Ansprüchen zu befreien; sie habe den Auftrag ordnungsgemäß ausgeführt. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus § 65 lit. a der zwischen ihr und der Beklagten vereinbarten ADSp.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat in erster Linie eingewendet, daß die deutschen Gerichte zu einer Entscheidung des Rechtsstreits international nicht zuständig seien. Im übrigen hat sie bestritten, daß die ADSp vereinbart worden seien.
Das Landgericht hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte ist in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
Entscheidungsgründe:
I. Die Revision ist zulässig; denn die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit unterliegt auch nach § 549 Abs. 2 ZPO nF der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juni 1978 – VI ZR 189/77, MDR 1978, 1015 = JZ 1979, 231 f).
Über die Revision der Klägerin war antragsgemäß – entsprechend den auch in der Revisionsinstanz geltenden Verfahrensgrundsätzen der §§ 331, 542 ZPO (vgl. § 557 ZPO) – sachlich durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Die Beklagte war im Termin zur mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz trotz rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten (vgl. BGHZ 37, 79, 81, 82, 83; BGH, Urt. v. 23. Januar 1981 – I ZR 30/79, GRUR 1981, 428 = WRP 1981, 317, 318 – Unternehmensberatung).
II. Die Revision hat mit ihrer Rüge Erfolg, das Berufungsgericht habe die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu Unrecht verneint. Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsverstoß und von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, daß die Frage der internationalen Zuständigkeit vorliegend nach dem Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – EuGÜbk – vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II 773 ff) zu beurteilen ist; das EuGÜbk ist im Verhältnis zu den Niederlanden seit dem 1. Februar 1973 in Kraft (BGBl. 1973 II 60).
2. Nach Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens kann die Beklagte grundsätzlich nur an ihrem Sitz in den Niederlanden verklagt werden, es sei denn, daß nach den Vorschriften der Art. 5 Nr. 1 und Art. 17 EuGÜbk, auf die die Klägerin sich beruft, ein deutsches Gericht zuständig wäre. Dies läßt sich entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung bei dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht ausschließen.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht zwar eine ausschließliche Zuständigkeit inländischer Gerichte nach Art. 17 Abs. 1 EuGÜbk verneint, da weder eine schriftliche noch eine schriftlich bestätigte Zuständigkeitsvereinbarung im Sinne dieser Bestimmung vorliegt. Der Gerichtsstand nach § 65 lit. a ADSp aF (= § 65 lit. b ADSp in der ab 1. Oktober 1978 geltenden Fassung) kommt insoweit nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat zugunsten der Klägerin unterstellt, daß sich die Beklagte der Geltung der ADSp allenfalls stillschweigend unterworfen habe. Damit wird aber dem Schriftformerfordernis des Art. 17 Abs. 1 EuGÜbk nicht genügt.
b) Das Berufungsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, daß auch der besondere Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGÜbk ausscheidet.
Nach dieser Bestimmung ist die Zuständigkeit eines inländischen Gerichts auch dann gegeben, wenn der Erfüllungsort der eingeklagten Verbindlichkeit im Inland liegt.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Erfüllungsort für den eingeklagten Befreiungsanspruch liege nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in den Niederlanden, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
aa) Der Erfüllungsort im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGÜbk bestimmt sich nach dem Recht, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befaßten Gerichts für die streitige Verpflichtung maßgebend ist (EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1976 – Rs 12/76 – Industrie Tessili, NJW 1977, 491 f). Das ist vorliegend – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – das deutsche Recht. Denn nach den Normen des deutschen internationalen Privatrechts wird die für ein schuldrechtliches Vertragsverhältnis maßgebende Rechtsordnung in erster Linie durch den beiderseitigen Parteiwillen bestimmt. Ein solcher Parteiwille kommt in § 65 lit. b ADSp aF, deren Geltung aufgrund stillschweigender Unterwerfung das Berufungsgericht unterstellt hat, zum Ausdruck. Danach gilt für die Rechtsbeziehungen des Spediteurs zu seinem Auftraggeber das deutsche Recht als vereinbart.
bb) Nach deutschem Recht unterliegt die Frage, wo der Erfüllungsort ist, in erster Linie der Bestimmung der Parteien (vgl. § 269 Abs. 1 BGB).
Im Streitfall kommt die Vereinbarung eines inländischen Erfüllungsortes (H) nach § 65 lit. a ADSp aF in Betracht, von dessen Anwendung durch stillschweigende Unterwerfung für die Revisionsinstanz auszugehen ist. Das Berufungsgericht hat diese stillschweigende Unterwerfung jedoch nicht ausreichen lassen, um den Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGÜbk zu begründen, weil auch insoweit das Schriftformerfordernis des Art. 17 Abs. 1 EuGÜbk erfüllt sein müsse. Diese Auffassung ist rechtsfehlerhaft. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Januar 1980 – Rs 56/79 (WM 1980, 720 ff = IPRax 1981, 89 ff) begründet eine nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht gültige Vereinbarung des Erfüllungsortes (für eine vertragliche Verpflichtung) die Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 EuGÜbk unabhängig davon, ob die Formvorschrift des Art. 17 Abs. 1 EuGÜbk eingehalten ist. Dem folgend hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, auf dessen Vorlage die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ergangen ist, in seinem Urteil vom 7. Juli 1980 – III ZR 15/78 (IPRax 1981, 93 ff) eine mündliche Vereinbarung unter Kaufleuten über den Erfüllungsort einer vertraglichen Verpflichtung ausreichen lassen, um den Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 EuGÜbk zu begründen. Nichts anderes kann für eine Erfüllungsortvereinbarung durch stillschweigende Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten, wenn sie – wie hier – nach der maßgebenden Rechtsordnung als wirksam zu beurteilen ist.
Bedenken könnten sich lediglich dann ergeben, wenn die Erfüllungsortvereinbarung nur der Bestimmung des Gerichtsstandes dienen und damit auf eine Umgehung des Formerfordernisses des Art. 17 Abs. 1 EuGÜbk hinauslaufen würde. Dafür liegen hier aber keine Anhaltspunkte vor.
3. a) Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es mithin auf die vom Berufungsgericht offengelassene Frage an, ob die Parteien die ADSp durch stillschweigende Unterwerfung wirksam vereinbart haben (vgl. zu den Anforderungen bei Beteiligung eines ausländischen Vertragspartners BGH, Urt. v. 16. Januar 1981 – I ZR 84/78, NJW 1981, 1905 f; BGH, Urt. v. 12. Juli 1974 – I ZR 55/72, LM ADSp § 2 Nr. 4 = NJW 1974, 2177 ff). Dazu bedarf es weiterer tatrichterlicher Aufklärung.
b) Sollten die Feststellungen zu dem Ergebnis führen, daß eine Erfüllungsortvereinbarung nach § 65 lit. a ADSp ausscheidet, weil die ADSp nicht in das Vertragsverhältnis einbezogen worden sind, so wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß in diesem Falle noch nicht ohne weiteres – wie die Vorinstanzen anzunehmen scheinen – als Erfüllungsort der Sitz der Beklagten, mithin Rotterdam, anzusehen ist. Vielmehr ist gem. § 269 Abs. 1 BGB zunächst zu prüfen, ob der Erfüllungsort aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist.
III. Das Berufungsurteil war nach alledem aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen war, zurückzuverweisen.