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Zusammenfassung der Entscheidung Die niederländische Antragstellerin erwirkte gegen den deutschen Antragsgegner ein Urteil eines niederländischen Gerichts, aus welchem sie die Vollstreckung betreiben möchte. Auf ihren Antrag hatte das zuständige Landgericht die Vollstreckungsklausel erteilt. Hiergegen legte der Antragsgegner gem. Art 36 EuGVÜ den Rechtsbehelf zum OLG Düsseldorf (DE) ein. Zur Begründung berief er sich darauf, dass ihm die das niederländische Verfahren einleitende Klageschrift nicht rechtzeitig zugestellt worden sei. Die Klageschrift ist dem Antragsgegner am 22.03.2000 zugestellt worden; in ihr war die mündliche Verhandlung auf den 31.03.2000 anberaumt worden.
Das OLG Düsseldorf (DE) hebt die erteilte Vollstreckungsklausel auf und versagt dem niederländischen Urteil gem. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ die Anerkennung. Nach seiner Auffassung ist ein Zeitraum von lediglich neun Tagen zwischen der Zustellung der Klageschrift und der Verhandlung vor dem Prozessgericht in einem anderen Vertragsstaat zu kurz bemessen, um der beklagten Partei die Möglichkeit zu ihrer angemessenen Verteidigung zu gewährleisten. Es orientiert sich hierbei an der für deutsche Inlandsprozesse maßgeblichen Einlassungsfrist von zwei Wochen. Die deutsche Zivilprozessordnung gehe davon aus, dass eine beklagte Partei bereits für die sachgerechte Verteidigung vor einem Gericht des Staates, in dem sie selbst ansässig ist, diesen Zeitraum benötige. Es könne deshalb nicht ausreichen, wenn einer vor einem ausländischen Gericht verklagten Partei eine sogar noch erheblich kürzere Frist für ihre Verteidigung zugestanden werde. Darüberhinaus sei erschwerend zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner zunächst das in niederländischer Sprache zugestellte Schriftstück übersetzen lassen und einen bei dem niederländischen Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt ausfindig machen müsse.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Antragstellerin beabsichtigt, aus einem Urteil des Amtsgerichts (Kantongerecht) Amsterdam/Niederlande vom 14. April 2000 gegen den in Mönchengladbach wohnenden Antragsgegner in der Bundesrepublik Deutschland zu vollstrecken. Der Antragsgegner hat sich vor dem niederländischen Gericht nicht eingelassen.
Die Antragstellerin hat beantragt, das (Versäumnis-) Urteil vom 14. April 2000 für vollstreckbar zu erklären und mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
Der Vorsitzende der 10. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach hat dementsprechend durch Beschluss vom 01. September 2000 angeordnet:
„Das Urteil des Kantongerechts in Amsterdam vom 14.04.2000, Az. – 350500/CV EXPL 00-4839 – ist mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
Zu verurteilen (richtig: vollstrecken) ist die Verurteilung des Antragsgegners S. an die Antragstellerin V., die Hauptsumme von 20.982,41 DM zuzüglich der gesetzlichen Zinsen aus 18.614,26 DM ab dem 1. Januar 2000 bis zur Begleichung zu zahlen.
Zu vollstrecken ist weiter die Verurteilung des Antragsgegners S., an die Antragstellerin V., Verfahrenskosten in Höhe von 1.120,53 Gulden, zu zahlen.
Die Zwangsvollstreckung darf über Maßnahmen der Sicherung nicht hinausgehen, bis die Antragstellerin ein Zeugnis vorlegt, dass die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf.
Solange die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen darf, kann der Antragsgegner die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 23.500,‑ DM abwenden.“
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er die Änderung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung des Gesuchs der Antragstellerin begehrt und das er im Wesentlichen wie folgt begründet:
Es liege ein Zustellungsmangel vor, weil ihm die Klageschrift nicht durch die deutschen Behörden zugestellt worden sei. Mangels ordnungsgemäßer Zustellung der Klageschrift habe das Versäumnisurteil des Amtsgerichts in Amsterdam vom 14. April 2000 nicht ergehen dürfen. Auch dieses Urteil sei ihm, dem Antragsgegner, nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Ferner sei nicht der Nachweis erbracht, dass die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaates vollstreckbar und zugestellt worden ist.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts eingegangene Beschwerde des Antragsgegners (Art. 36 EuGVÜ) ist zulässig.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die nach Art. 46 und 47 EuGVÜ für die Zulassung der Vollstreckung erforderlichen formellen Voraussetzungen sind erfüllt. Die Antragstellerin hat die Entscheidung im Original (Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ), eine Urkunde vom 19. Mai 2000, aus der sich ergibt, dass Widerspruch gegen das Versäumnisurteil nicht eingelegt worden ist (Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ) und die urkundliche Bestätigung über die Zustellung des Urteils an den Antragsgegner am 28. April 2000 vorgelegt.
2. Gemäß Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ kann der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel bloß aus einem der in Art. 27, 28 EuGVÜ angeführten Gründe abgelehnt werden. Vorliegend kommen nur die in Art. 27 EuGVÜ genannten Versagungsgründe in Betracht.
a) Ein solcher liegt in Bezug auf den Antragsgegner vor.
Nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.
Nach dem insoweit vorliegend maßgeblichen niederländischen Recht wird der Prozess durch Zustellung des „Dagvaarding“, nämlich der Ladung zum Termin mit Angabe der Klagegründe, eingeleitet (OLG Köln NJW-RR 1995, 446; OLG Hamm NJW-RR 1988, 446).
Es kann im Streitfall offen bleiben, ob dem Antragsgegner das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden ist.
b) Jedenfalls ist es ihm nicht so rechtzeitig zugestellt worden, dass er sich verteidigen konnte.
Maßgebend ist insoweit der Zeitraum zwischen der tatsächlichen Zustellung am 22. März 2000 und dem Tag des Termins am 31. März 2000. Der Richter des Vollstreckungsstaates muss die Rechtzeitigkeit der Zustellung in eigener Zuständigkeit und Verantwortlichkeit ohne Bindung an die Feststellungen des ausländischen Gerichts beurteilen (BGH NJW 1986, 2197; OLG Köln NJW-RR 1995, 446, 447). Hierbei hat das Gericht des Vollstreckungsstaates lediglich den Zeitraum zu berücksichtigen, über den der Schuldner verfügte, um den Erlass einer vollstreckbaren Versäumnisentscheidung zu verhindern (BGH 1991, 641; BGH aaO).
Der Senat hält den Zeitraum von 9 Tagen vorliegend nicht für ausreichend. Die für Inlandsprozesse maßgebliche Einlassungsfrist (§ 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO) geht davon aus, dass sich der inländische Beklagte innerhalb von zwei Wochen so verteidigen kann, dass ein Versäumnisurteil gegen ihn verhindert wird. Wenn auch vorliegend kein Anhalt dafür besteht, dass der Antragsgegner, der aus einem Agenturvertrag resultierenden Provisionsforderung umfangreiche oder komplexe Einwendungen entgegenzusetzen hatte, so bleibt doch festzuhalten, dass er – wäre er in Deutschland verklagt worden – selbst gegenüber einer einfach gelagerten Klage seine Einwendungen innerhalb von zwei Wochen hätte vorbringen können. Hier indes standen dem Antragsgegner gerade einmal neun Tage, also kaum zwei Drittel der ihm nach deutschem Zivilprozessrecht zugebilligten Zeitspanne, zur Verfügung, um das immerhin sechs Seiten umfassende – verfahrenseinleitende Schriftstück vom Niederländischen ins Deutsche übersetzen zu lassen, einen beim niederländischen Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt ausfindig zu machen und ihn mit seiner Vertretung zu beauftragen. Dies war für den Antragsgegner, selbst wenn er, was allerdings nicht vorgetragen ist, häufiger im grenzüberschreitenden Handel tätig wäre, innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu bewerkstelligen. Jedenfalls aber hätte es zur Abwendung des Versäumnisurteils wegen der Kürze der Einlassungsfrist ganz außergewöhnlicher – vom Antragsgegner nicht zu verlangender – Anstrengungen bedurft.
Die im angefochtenen Beschluss getroffene das Urteil des Kantongerechts in Amsterdam/Niederlande vom 14. April 2000 für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar erklärende Entscheidung des Landgericht ist daher aufzuheben und das Gesuch der Antragstellerin abzulehnen.