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Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin erwirkte gegen den Antragsgegner ein Versäumnisurteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien (AT). Die Klageschrift wurde dem Antragsgegner am 19.4.1999 zugestellt, der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde jedoch bereits auf den 3.5.1999 bestimmt, so dass zwischen Klagezustellung und mündlicher Verhandlung lediglich 13 Tage lagen. Der Antragsgegner ließ sich auf das Verfahren nicht ein. Die Antragstellerin beantragte, das Urteil in Deutschland für vollstreckbar zu erklären.
Das OLG Hamburg (DE) führt aus, dass es an der Rechtzeitigkeit der Zustellung im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ fehle, wenn zum einen die Einlassungsfrist von zwei Wochen gemäß § 274 Abs. 3 S.1 ZPO nicht gewahrt worden sei und zum anderen objektiv die verbleibende Zeit nach den konkreten Umständen nicht ausreiche, für eine Verteidigung vor dem Gericht des Erststaates Sorge zu tragen. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Verteidigung möglich war, habe das Gericht des Vollstreckungsstaates lediglich denjenigen Zeitraum zu berücksichtigen, über den der Schuldner tatsächlich verfügte. Dies gelte auch dann, wenn der Beklagte von einem ihm gegen das Urteil möglichen Rechtsmittel keinen Gebrauch gemacht habe. Die Möglichkeit der Verteidigung vor Erlass einer Entscheidung und die Möglichkeit, später Rechtsmittel gegen eine bereits ergangene Entscheidung einzulegen, seien nicht gleichwertig, denn der Beklagte könne sich möglicherweise nur noch unter erschwerten Bedingungen gegen die bereits ergangene Entscheidung zur Wehr setzen. Eine solche Erschwerung laufe dem Schutzzweck des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ jedoch zuwider.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß § 16 AVAG zulässig, in der Sache aber unbegründet. Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen den Antrag auf Vollstreckbarerklärung und auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel für das Versäumnisurteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 3. Mai 1999 zurückgewiesen.
Dieses Urteil ist nicht anerkennungsfähig.
Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung österreichischer Urteile in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich nach dem Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz vom 30. Mai 1988 (AVAG) iVm dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ), das aufgrund des vierten Beitrittsübereinkommens vom 29. November 1996 im Verhältnis zu Österreich gilt.
Nach Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ iVm § 3 Abs. 1 AVAG werden in einem Vertragsstaat ergangene Entscheidungen durch Erteilung der Vollstreckungsklausel auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt. Der Antrag ist jedoch gemäß Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ abzulehnen, wenn eine ausländische Entscheidung aus den in Art. 27 EuGVÜ bezeichneten Gründen nicht anzuerkennen ist. Dies ist vorliegend, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, der Fall.
Nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.
Bei dem Erfordernis der Ordnungsmäßigkeit und der Rechtzeitigkeit der Zustellung handelt es sich um gesonderte und kumulative Garantien für den Beklagten. Bereits das Fehlen einer dieser beiden Voraussetzungen genügt für die Versagung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung (vgl. Urteil des EuGH vom 3. Juli 1990 – RS C-305/88, Lancray/Peters).
Das Versäumnisurteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 3. Mai 1999 kann hiernach bereits deshalb nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden, weil das jenes Verfahren einleitende Schriftstück, nämlich die dem österreichischen Verfahren zugrundeliegende Klagschrift, dem Antragsgegner nicht so rechtzeitig zugestellt wurde, dass er sich gegen die Klage verteidigen konnte.
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Verteidigung i.S. des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ möglich war, hat das Gericht des Vollstreckungsstaates lediglich denjenigen Zeitraum zu berücksichtigen, über den der Schuldner verfügte, um den Erlass einer vollstreckbaren Versäumnisentscheidung zu verhindern. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ soll nämlich sicherstellen, dass eine Entscheidung weder anerkannt noch vollstreckt wird, wenn dem Beklagten nicht genügend Zeit zur Verfügung stand, sich vor dem Gericht des Urteilsstaates zu verteidigen (vgl. dazu Urteil des EuGH vom 16. Juni 1981 – RS 166/80, Klomps/Michel). Die Rechtzeitigkeit einer Zustellung im Sinne der genannten Vorschrift ist jedenfalls dann nicht gewährleistet, wenn zum einen die Einlassungsfrist von zwei Wochen, die das deutsche Recht gemäß § 274 Abs. 3 S. 1 ZPO zwischen der Zustellung der Klagschrift und dem Termin zur mündlichen Verhandlung voraussetzt, nicht gewahrt wurde, und zum anderen auch objektiv die verbleibende Zeit nach den konkreten Umständen nicht ausreichte, für eine Verteidigung vor dem Gericht des Urteilsstaates Sorge zu tragen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des BGH vom 23. Januar 1986, IPRax, 1986, 366 f.).
Die dem Antragsgegner zwischen Zustellung der Klage und Termin zur mündlichen Verhandlung verbleibende Zeit genügte nicht, um eine ordnungsgemäße Verteidigung sicherzustellen, denn in dem Verfahren vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien wurde bereits die Einlassungsfrist gemäß § 274 Abs. 3 S. 1 ZPO nicht gewahrt. Die dem österreichischen Versäumnisverfahren zugrundeliegende Klageschrift wurde dem Antragsgegner ausweislich der Amtsbestätigung des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 17. Dezember 1999 am 19. April 1999 zugestellt, der Termin zur mündlichen Verhandlung jedoch bereits auf den 3. Mai 1999 bestimmt, so dass zwischen Klagzustellung und mündlicher Verhandlung lediglich 13 Tage lagen.
Der Versagung der Anerkennung nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ steht nicht entgegen, dass dem Antragsgegner das mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Versäumnisurteil am 19. Juli 1999 zugestellt wurde und dieser es trotz Kenntnis vom Urteilsinhalt unterließ, gegen das Versäumnisurteil ein Rechtsmittel einzulegen. Die Möglichkeit der Verteidigung vor Erlass einer Entscheidung und die Möglichkeit, später Rechtsmittel gegen eine bereits ergangene vorläufig vollstreckbare Entscheidung einzulegen, sind nicht gleichwertig, denn der Beklagte kann sich möglicherweise nur noch unter erschwerten Bedingungen gegen die bereits ergangene Entscheidung zur Wehr setzen. Eine solche Erschwerung läuft jedoch dem Schutzzweck des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zuwider. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs steht deshalb Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ der Anerkennung eines in einem Vertragsstaat ergangenen Versäumnisurteils auch dann entgegen, wenn das das Verfahren einleitende Schriftstück dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nicht ordnungsgemäß oder rechtzeitig zugestellt worden ist, selbst wenn er später von der ergangenen Entscheidung Kenntnis erhalten und dagegen keinen nach der Verfahrensordnung des Urteilsstaates zulässigen Rechtsbehelfs eingelegt hat (so Urteil des EuGH vom 12. November 1991 – RS C-123/91, Minalmet GmbH/Brandeis Ltd, bestätigt durch Urteil des EuGH vom 10. Oktober 1996 – RS C-78/95, Feyen/Magenta Druck & Verlag GmbH).