-
Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin beabsichtigt, ein Versäumnisurteil eines niederländischen Gerichts gegen den in Deutschland wohnhaften Antragsgegner in Deutschland für vollstreckbar zu erklären. Die das Verfahren einleitende Klageschrift („Dagvaarding") wurde dem Antragsgegner am 21.4.1998 in niederländischer Sprache ohne Übersetzung zugestellt. Gleichzeitig wurde er auf einen Termin am 29.4.1998 geladen. Der Antragsgegner ließ sich auf das Verfahren nicht ein.
Das OLG Düsseldorf (DE) ist der Auffassung, dass der Zeitraum von acht Tagen nicht ausreichend im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ sei. Selbst in einem reinen Inlandsprozess hätten dem Antragsgegner volle zwei Wochen zugestanden. Im vorliegenden Fall hätte ihm Zeit eingeräumt werden müssen, das Schriftstück ins Deutsche übersetzen zu lassen, einen beim niederländischen Gericht zugelassenen Prozessanwalt zu finden und ihn mit seiner Vertretung zu beauftragen. Dafür reichen acht Tage nicht aus, so dass dem Versäumnisurteil die Anerkennung zu versagen sei.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Antragstellerin beabsichtigt, aus einem Urteil des Bezirksgerichts Middelburg/Niederlande vom 24. Juni 1998 gegen den in R. wohnenden Antragsgegner in der Bundesrepublik Deutschland zu vollstrecken. Der Antragsgegner hat sich vor dem niederländischen Gericht nicht eingelassen.
Die Antragstellerin hat beantragt, das Urteil vom 24. Juni 1998 für vollstreckbar zu erklären und mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
Der Vorsitzende der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach hat dementsprechend durch Beschluss vom 01. Juni 1999 angeordnet:
„Das Urteil des Bezirksgerichts (Arrondissementsrechtbank) in Middelburg/Niederlande vom 24.06.1998 (Rollen-Nr. 294/1998) ist gemäß dem Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil und Handelssachen, (EuGVÜ) in Verbindung mit dem dazu ergangenen Ausführungsgesetz (AVAG) mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
Zu vollstrecken ist die Verurteilung des Antragsgegners W., an die Antragstellerin gegen Quittung die Summe von 13.061,11 DM nebst 10 % Zinsen aus 11.493,26 DM seit dem 27.03.1998 bis zum Tage der Begleichung zu zahlen. Zu vollstrecken ist ferner die Verurteilung des Antragsgegners, an die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens in Höhe von FL. 555,56 zu zahlen.
Die Zwangsvollstreckung darf über Maßnahmen der Sicherung nicht hinausgehen, bis die Antragstellerin ein Zeugnis vorlegt, daß die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf.
Solange die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen darf, kann der Schuldner die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 14.000,‑ DM abwenden.“
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er die Änderung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung des Gesuchs der Antragstellerin begehrt und das er im Wesentlichen wie folgt begründet:
Er sei über das Verfahren in den Niederlanden nicht ordnungsgemäß informiert worden. Er habe lediglich einmal ein nicht als förmliche Ladung erkennbares Schreiben in niederländischer Sprache erhalten, welches er vernichtet habe. Er habe nicht davon ausgehen müssen, dass ihm durch das in niederländischer Sprache verfasste Schreiben eine Klageschrift wirksam zugestellt worden sei. Ihm seien also unter Verstoß gegen die Grundsätze des rechtsstaatlichen Verfahrens Verteidigungsmöglichkeiten abgeschnitten worden. Die ausgeurteilte Forderung bestehe nicht.
Die Antragstellerin tritt dem entgegen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts eingegangene Beschwerde des Antragsgegner (Art. 36 EuGVÜ) ist zulässig.
Die Beschwerde des Antragsgegners hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die nach Art. 46 und 47 EuGVÜ für die Zulassung der Vollstreckung erforderlichen formellen Voraussetzungen sind erfüllt. Die Antragstellerin hat eine beglaubigte Ausfertigung der Entscheidung (Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ) mit einer Vollstreckbarkeitserklärung (Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ) und urkundlicher Bestätigung über die Zustellung des Urteils an den Antragsgegner am 19. August 1998 vorgelegt.
2. Gemäß Art. 34 II EuGVÜ kann der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel nur aus einem der in Art. 27, 28 EuGVÜ angeführten Gründe abgelehnt werden. Vorliegend kommen lediglich die in Art. 27 EuGVÜ genannten Versagungsgründe in Betracht.
a) Ein solcher liegt in Bezug auf den Antragsgegner vor.
Nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.
Nach dem insoweit vorliegend maßgeblichen niederländischen Recht wird der Prozess durch Zustellung des „Dagvaarding“ nämlich der Ladung zum Termin mit Angabe der Klagegründe, eingeleitet (OLG Köln NJW-RR 1995, 446; OLG Hamm NJW-RR 1988, 446).
Es kann im Streitfall offen bleiben, ob dem Antragsgegner das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden ist.
b) Jedenfalls ist es ihm nicht so rechtzeitig zugestellt worden, dass er sich verteidigen konnte.
Maßgebend ist insoweit der Zeitraum zwischen der tatsächlichen Zustellung am 21. April 1998 und dem Tag des Termins am 29. April 1998. Der Richter des Vollstreckungsstaates muss die Rechtzeitigkeit der Zustellung in eigener Zuständigkeit und Verantwortlichkeit ohne Bindung an die Feststellungen des ausländischen Gerichts beurteilen (BGH NJW 1986, 2197; OLG Köln NJWRR 1995, 446, 447). Hierbei hat das Gericht des Vollstreckungsstaates lediglich den Zeitraum zu berücksichtigen, über den der Schuldner verfügte, um den Erlass einer vollstreckbaren Versäumnisentscheidung zu verhindern (BGHZ 1991, 641; BGH aaO).
Der Senat hält den Zeitraum von 8 Tagen vorliegend nicht für ausreichend. Die für Inlandsprozesse maßgebliche Einlassungsfrist (§ 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO) geht davon aus, dass sich der inländische Beklagte innerhalb von zwei Wochen so verteidigen kann, dass ein Versäumnisurteil gegen ihn verhindert wird. Wenn auch vorliegend kein Anhalt dafür besteht, dass der Schuldner der aus einem Kauf über in der Landwirtschaft einzusetzende Produkte resultierenden Klageforderung umfangreiche oder komplexe Einwendungen entgegenzusetzen hatte, so bleibt doch festzuhalten, dass er – wäre er in Deutschland verklagt worden – selbst gegenüber einer einfach gelagerten Klage seine Einwendungen innerhalb von zwei Wochen hätte vorbringen können. Hier indes standen dem Antragsgegner gerade einmal acht Tage, also nicht vielmehr als die Hälfte der ihm nach deutschem Zivilprozessrecht zugebilligten Zeitspanne, zur Verfügung, um das – wenn auch lediglich zweieinhalb Seiten umfassende – verfahrenseinleitende Schriftstück vom Niederländischen ins Deutsche übersetzen zu lassen, einen beim niederländischen Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt ausfindig zu machen und ihn mit seiner Vertretung zu beauftragen. Dies war für den Antragsgegner, selbst wenn er, wofür allerdings kein Anhalt besteht, häufiger im grenzüberschreitenden Handel tätig wäre, innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu bewerkstelligen. Jedenfalls aber hätte es zur Abwendung des Versäumnisurteils wegen der Kürze der Einlassungsfrist ganz außergewöhnlicher – vom Antragsgegner nicht zu verlangender – Anstrengungen bedurft.
Die im angefochtenen Beschluss getroffene das Urteil des Bezirksgerichts in Middelburg/ Niederlande vom 24. Juni 1998 für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar erklärende Entscheidung des Landgerichts ist daher aufzuheben und das Gesuch der Antragstellerin zurückzuweisen.