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Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerinnen leiteten vor dem High Court of Justice in London (UK) ein Klageverfahren ein. Sie erwirkten eine Mareva-Injunction, mit welcher dem Antragsgegner unter anderem untersagt wurde, in irgendeiner Weise über irgendeines seiner Vermögensgüter in der BRD zu verfügen. Auf Antrag der Antragstellerinnen hat der Vorsitzende der Zivilkammer des LG Darmstadt (DE) die Mareva-Injunction in Deutschland für vollstreckbar erklärt. Hiergegen legte der Antragsgegner Beschwerde ein. Er machte geltend, die Anerkennung einer Mareva-Injunction widerspreche dem deutschen ordre public. Er beantragte daher vorab, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Landgerichts Darmstadt (DE) ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen.
Das OLG Frankfurt (DE) entscheidet, dass der Antrag unbegründet sei. Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wäre überhaupt nur dann in Betracht gekommen, wenn bei Abwägung der wirtschaftlichen Interessen den Belangen des Antragsgegners gegenüber den Gläubigerbelangen Vorrang einzuräumen gewesen wäre. Es ist ferner der Ansicht, dass die englische Mareva-Injunction eine Entscheidung im Sinne von Art. 25 EuGVÜ sei. Daher sei der Entscheidung nur in den Fällen der Art. 27, 28 EuGVÜ die Anerkennung zu verweigern. Einen Zustellungsmangel i.S.v. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ sehe das Gericht nicht, ebenso wenig liege auch ein Verstoß gegen den deutschen ordre public gemäß Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ vor. Ein untragbar erscheinender Verstoß gegen das inländische Recht sei in der Mareva-Injunction, die im Übrigen einem dinglichen Arrest vergleichbar sein dürfte, nicht zu sehen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Antragstellerinnen leiteten unter dem 01.08.1996 vor dem High Court auf Justice, Chancery Division, in ... ein Klageverfahren gegen den Antragsgegner und andere ein. Sie erwirkten am 26.02.1997 eine Mareva-Injunction ex parte. Am 11.03.1997 wurde dem Antragsgegner unter einer ... Anschrift die Klageschrift nebst Prozeßladung und die vorbezeichnete Mareva-Injunction zugestellt. Richter ... verhandelte vom 25. bis 26.03.1997 sowie am 06.05.1997 in Sachen der Antragstellerinnen gegen den Antragsgegner und andere. Am 08.05.1997 wurde der Antragsgegner unter zwei ... Anschriften zum Verhandlungstermin am 20.05.1997 geladen. Am 20.05.1997 erließ der High Court of Justice, Chancery Division, durch Richter ... eine neue Mareva-Injunction gegen den Antragsgegner und andere, mit welchem dem Antragsgegner unter Ziffer 1.2. unter anderem untersagt wurde, in irgendeiner Weise über irgend eines seiner Vermögensgüter in der Bundesrepublik Deutschland zu verfügen, mit ihnen zu handeln oder ihren Wert zu vermindern, ob sie in seinem Namen bestehen oder nicht und ob sie im alleinigen oder gemeinsamen Eigentum stehen, im eigenen Interesse, formell oder auch auf andere Weise, wobei er jedoch über die Vermögensgüter verfügen oder mit ihnen handeln kann, solange der unbelastete Gesamtwert aller seiner Vermögensgüter über der festgelegten Grenze von CAN $ 385 Mio. bleibt. Die Verfügung verbietet dem Antragsgegner nicht, GB 1.000 £ pro Woche für seinen normalen Lebensunterhalt zu verwenden und verbietet es auch nicht, einen angemessenen Betrag auf Rechtsberatung und Vertretung zu verwenden.
Auf Antrag der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 13. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt mit Beschluß vom 23.02.1998 die vorstehend näher in Bezug genommenen Mareva-Injunction zu Ziffer 1.2. für in Deutschland vollstreckbar erklärt. Die Vollstreckungsklausel ist unter dem 26.02.1998 erteilt worden.
Die Zustellung an den Antragsgegner ist unter seiner ... Anschrift am 05.03.1998 bewirkt worden. Mit beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 11.03.1998 eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsgegner gegen den vorbezeichneten Beschluß des Landgerichts Darmstadt, mit welchem die Mareva-Injunction in Teilen anerkannt und in Deutschland für vollstreckbar erklärt worden ist, Beschwerde eingelegt.
Der Antragsgegner, der sein Rechtsmittel noch näher zu begründen gedenkt, trägt einstweilen vor, über die Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit der Mareva-Injunction müsse im vorliegenden Anerkennungsverfahren gestritten werden. Er werde durch die Verfügung in seinen Rechten so erheblich eingeschränkt, daß eine Einstellung der Zwangsvollstreckung erforderlich sei. Die Anerkennung einer Mareva-Injunction widerspreche dem deutschen ordre publique.
Das das englische Verfahren einleitende Schriftstück sei ihm nicht wirksam zugestellt worden.
Der Antragsgegner beantragt vorab, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluß des Landgerichts Darmstadt vom 23.02.1998 ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen; hilfsweise, die Vollstreckung aus dem Beschluß vom 23.02.1998 nur gegen eine durch die Antragstellerinnen zu leistende Sicherheitsleistung anzuordnen.
Aller Einzelheiten im übrigen wegen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Es kann ausnahmsweise dahingestellt bleiben, ob der einstweilige Einstellungsantrag des Antragsgegners zulässig ist, denn er ist, wie noch im einzelnen darzulegen sein wird, jedenfalls unbegründet.
Soweit der Antragsgegner meint, die Zulässigkeit seines Begehrens folge aus § 29 Abs. 5 AVAG i.V.m. § 769 ZPO, so dürfte dem die systematische Stellung der vorzitierten Vorschrift als „Besonderes Verfahren“ entgegenstehen. Nach § 29 Abs. 1 AVAG werden von dieser Vorschrift nur Fälle erfaßt, in denen der Schuldtitel in dem Staat, in dem er errichtet worden ist, aufgehoben oder geändert wird und diese Tatsache im Verfahren über die Zulassung der Zwangsvollstreckung nicht geltend gemacht werden konnte.
Das vor dem Senat anhängige Beschwerdeverfahren richtet sich nach §§ 11, 12 AVAG. Diese Bestimmungen enthalten indessen keine Rechtsgrundlage für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Weil das AVAG keine generelle Verweisung auf die ZPO enthält, hat das Oberlandesgericht Saarbrücken in seinem Beschluß vom 05.01.1994 (abgedruckt in NJW-RR 1994, 638 ff.) hieraus die Schlußfolgerung gezogen, daß die §§ 567 ff. ZPO auf das Anerkennungs-Beschwerdeverfahren nicht anwendbar seien (in diesem Sinne wohl auch Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 56. Aufl. 1988, Rn. 1 zu § 11 AVAG).
Der Senat sieht keine Veranlassung in grundsätzlicher Form zu der Rechtsfrage Stellung zu nehmen, ob nicht im Hinblick auf den einstweiligen Rechtsschutz die ZPO-Vorschriften gleichwohl entsprechend anwendbar sind, oder ob § 29 Abs. 5 AVAG auch auf Fälle vorliegender Art entsprechend anwendbar ist; mit anderen Worten also, ob § 29 Abs. 5 AVAG nicht nur die von Art. 38 EuGVÜ (Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.09.1968 i.d.F. d. 3. Beitrittsübereinkommens vom 26.05.1989; auch international nur als Brüsseler Konvention bezeichnet) erfaßten Fälle meint, sondern eine generelle Ausführungsregel auch zu Art. 31 EuGVÜ darstellt (auch Peter Schlosser nimmt in seinem Kommentar zum EuGVÜ, München 1996, hierzu keine Stellung).
Die Entscheidung kann deshalb dahingestellt bleiben, weil jedenfalls der Antrag, wäre er zulässig, unbegründet ist, weshalb er in jedem Falle zurückzuweisen war.
Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wäre überhaupt nur dann in Betracht gekommen, wenn bei Abwägung der wirtschaftlichen Auswirkungen und der widerstreitenden Parteiinteressen den Belangen des Antragsgegners gegenüber den Gläubigerbelangen Vorrang einzuräumen gewesen wäre, weil bei summarischer Prüfung der Rechts- und Sachlage das Rechtsmittel sich höchstwahrscheinlich als begründet darstellt. Es ist gesicherter Erkenntnisstand in Rechtsprechung und Rechtslehre, daß die Aussicht auf Erfolg Einstellungsvoraussetzung ist, wobei im Bereich der ZPO sogar eine Beweisantizipation zulässig ist.
Soweit der Senat ersehen kann, ist er als zweites Obergericht in Deutschland mit der Frage befaßt, ob die Mareva-Injunction ein Titel im Sinne des Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ ist. In Übereinstimmung mit dem OLG Karlsruhe (vgl. dessen Beschluß vom 19.12.1994 zu Az.: 9 W 32/94, abgedruckt in ZZP Int. 1996 S. 91 ff.) bejaht er zunächst diese Frage, was in der noch ausstehenden Beschwerdeentscheidung im einzelnen zu begründen sein wird. Ist aber von einer grundsätzlich anzuerkennenden Entscheidung auszugehen, darf dem englischen Beschluß nur dann die Anerkennung versagt werden, wenn ein Ausschlußgrund im Sinne der Art. 27, 28 EuGVÜ vorliegt, wovon der Senat indessen nach derzeitigem Aktenstand nicht ausgeht.
Vorab ist im Hinblick auf den wohl antragsgegnerseits bestrittenen Wohnsitz in England auszuführen, daß nach Art. 28 Abs. 3 EuGVÜ das Anerkennungsgericht nicht die Frage nachprüfen darf, ob das Erstgericht zu Recht seine international-rechtliche Zuständigkeit angenommen hat, wobei diese Zuständigkeit nicht aus Art. 2 ff. EuGVÜ hergeleitet werden muß. Es reicht vielmehr aus, daß nach dem autonomen Prozeßrecht des Erststaates eine international-rechtliche Zuständigkeit begründet ist, im besonderen also auch eine „in personam“-Gerichtsbarkeit. Das englische Gericht hat seine internationale Zuständigkeit über den Antragsgegner bejaht. Diese Rechtsauffassung ist für das Anerkennungsgericht im Geltungsbereich der Brüsseler Konvention bindend, denn es liegt ersichtlich kein Ausnahmefall im Sinne des Abs. 2 des Art. 28 EuGVÜ vor.
Vorbehaltlich einer weiteren Prüfung geht der Senat derzeit davon aus, daß kein Zustellungsmangel (vgl. Art. 27 Ziff. 2 EuGVÜ) vorliegt. Nach der Verfahrensregel 10, Vorschrift 1 des Supreme Court, auf die sich die Antragstellerinnen berufen, verhält es sich so, daß ein „writ“ dem Beklagten nicht persönlich zugestellt werden muß, sondern die Zustellung auch durch Einwurf in einen Briefkasten oder durch normale Briefpost an die zuletzt bekannte Anschrift bewirkt werden kann.
Die Antragstellerinnen haben dargelegt und durch ein Affidavit der Rechtsanwältin ... belegt, daß am 11.03.1997 dem Antragsgegner die Prozeßladung mit Klageschrift, die Antragsschrift vom 28.02.1997 und die einseitige Mareva-Verfügung vom 26.02.1997 zugestellt wurden. Die Ladung zum Verhandlungstermin am 06.05.1997 wurde dem Antragsgegner unter der Wohnanschrift in ... am 30.04.1997 zugestellt; die weitere Ladung zum Termin am 20.05.1997 am 08.05.1997, diesmal sowohl unter der Anschrift ... als auch unter der Anschrift ... (Sekretariatsservice).
Die Mareva-Injunction vom 20.05.1997, die das Landgericht (dessen sachliche und örtliche Zuständigkeit aus § 2 AVAG folgt und die funktionelle Zuständigkeit des Kammervorsitzenden sich aus § 5 AVAG ergibt) in Teilbereichen für in Deutschland als vollstreckbar erklärt hat, ist nicht mehr ex partes ergangen, weshalb von einer Versagung rechtlichen Gehörs bezüglich der vorbezeichneten Injunction nicht mehr ausgegangen werden kann (vgl. zu diesem Problemkreis auch grundsätzlich Urteil des EuGH vom 21.05.1980 in Rs 125/79, Denilauler vs S. N.C. Couchet Frères).
Der Senat geht derzeit auch von keinem Verstoß gegen den ordre publique aus. Wenn auch dem deutschen Verfahrensrecht eine Vermögensbeschlagnahme -- die in der Sache die Mareva-Injunction bewirkt, die im übrigen aber in Bezug auf ihren Zweck einem dinglichen Arrest vergleichbar sein dürfte -- außerhalb des Konkursrechtes fremd ist, ist nach Senatsansicht gleichwohl von keinem untragbar erscheinenden Verstoß gegen das inländische Recht auszugehen. Durch die Inbezugnahme auf die Anlagen ist die gerichtliche Verfügung auch ausreichend präzisiert und begründet. Auch eine einstweilige Verfügung im deutschen Recht, die im Beschlußwege erlassen wird, muß nicht begründet werden, weil es sich um eine stattgebende Entscheidung handelt und üblicherweise wird sie durch das Gericht selbst nicht im einzelnen begründet. Derzeit ist auch kein Verstoß gegen den materiellen ordre publique ersichtlich, denn die Antragstellerinnen behaupten, ihnen sei durch Handlungen, die dem Antragsgegner zuzurechnen seien, ein tatsächlicher Schaden von CAN $ 385 Mio. entstanden.
Letztlich steht die anerkannte englische Entscheidung auch in keinem Widerspruch zu einer Entscheidung aus dem Anerkennungsstaat. Ungeachtet der noch im einzelnen zu klärenden Frage, inwieweit dingliche Arreste und Mareva-Injunction deckungsgleich bzw. nicht deckungsgleich sind, steht jedenfalls das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 08.01.1998, mit welchem der dingliche Arrest des Landgerichts Hamburg vom 05.03.1997 aufgehoben wurde, dem Anerkennungsbegehren der Antragstellerinnen nicht entgegen. Dies deshalb nicht, weil das Landgericht weder einen Arrestgrund noch einen Arrestanspruch verneint hat, sondern den Arrest lediglich wegen Versäumung der Vollziehungsfrist aufgehoben hat, wobei die Antragstellerinnen meinen, sie hätten die vorstehend näher bezeichnete Frist nicht versäumt, weshalb sie gegen das den Arrest aufhebende Urteil des Landgerichts Darmstadt Berufung eingelegt haben, über die der Senat demnächst verhandeln wird.
Den Antragstellerinnen brauchte in Bezug auf den einstweiligen Einstellungsantrag des Antragsgegners kein rechtliches Gehör gewährt zu werden, weil sie durch die vorliegende Entscheidung nicht beschwert werden.