-
Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin ist Versicherungsnehmerin, die Antragsgegnerin Versicherer für den Transport einer Schiffsladung Sojamehl von Brasilien nach Venedig (IT). Die Antragstellerin klagte die Versicherungssumme vor einem italienischen Gericht ein und begehrte die Erteilung der deutschen Vollstreckungsklausel für das Urteil.
Der Bundesgerichtshof (DE) führt aus, dass dem Urteil die Anerkennung zu versagen sei. Die Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit habe die Unzuständigkeit des italienischen Gerichts gemäß Art. 8 Abs. 1 EuGVÜ ergeben. Zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit sei das nachprüfende Gericht des Anerkennungsstaates gemäß Art. 28 EuGVÜ nur an die tatsächlichen, nicht aber an die rechtlichen Schlussfolgerungen des Urteilsstaates gebunden.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Antragstellerin kaufte von der Firma T., H. (Deutschland), cif V. (Italien) 1.050 t Sojamehl mit Schiff „P.“ aus P. (Brasilien). Für diese Ladung wurde am 26. Juni 1973 eine Versicherungsbescheinigung mit der Versicherungssumme von 1.096.650 Dollar für die unterzeichneten Versicherer im Rahmen einer laufenden Police Nr. 6983 gegenüber „holder (Inhaber) oder deren Order für Rechnung, wen es angeht“ ausgestellt. Für die Versicherung sollten die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen (ADS) nebst Zusatzbestimmungen zu diesen für die Güterversicherung (1947) gelten. Als führender Versicherer war die A.-Versicherungs-AG angegeben. Gleichfalls hatte die Versicherungsbescheinigung die Antragsgegnerin mit dem Vermerk „Prämie bezahlt“ unterschrieben. Die Schiffsladung kam mit einem Brandschaden in V. an, der vom dortigen Havariekommissar mit 280.000 Dollar festgestellt wurde. Die Antragstellerin hat diesen Betrag zuzüglich 972.710 italienische Lire Gutachtenskosten gegen die Antragsgegnerin als Versicherer beim Landgericht V. (Italien) eingeklagt. Das Landgericht V. hat die Klage abgewiesen. Der Appellationsgerichtshof V. hat die Antragsgegnerin antragsgemäß verurteilt und ihr die Verfahrenskosten auferlegt.
Die Antragstellerin hat die Erteilung der Vollstreckungsklausel für das Urteil des Appellationsgerichtshofs V. vom 21. Juni 1977 in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen und Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl 1972 II 774) beantragt.
Der Vorsitzende der Kammer 4 für Handelssachen des Landgerichts H. hat mit Beschluß vom 31. Oktober 1978 ergänzt durch Beschluß vom 9. November 1978 diesem Antrag im wesentlichen entsprochen. Das Oberlandesgericht hat als Beschwerdegericht diese Entscheidung abgeändert und den Antrag zurückgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Antragstellerin die Wiederherstellung der Entscheidung des Landgerichts, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
II. 1. a) Nach Art. 28 Abs. 1 EGÜbk wird die Entscheidung eines Gerichts aus einem der Vertragsstaaten in einem anderen Vertragsstaat nicht anerkannt (Art. 26 EGÜbk), wenn (u.a.) die Vorschriften des 3. Abschnitts des Titels II („Zuständigkeit für Versicherungssachen“) des Europäischen Übereinkommens verletzt worden sind. In einem solchen Falle kann der Antrag, die Entscheidung für vollstreckbar zu erklären, abgelehnt werden (Art. 34 Abs. 2 EGÜbk). In diesem Zusammenhang darf – ausnahmsweise – die Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaates von den Gerichten des Vollstreckungsstaates nachgeprüft werden (Art. 28 Abs. 3 EGÜbk). Diese sind allerdings an die tatsächlichen Feststellungen, aufgrund derer die Gerichte des Urteilsstaates ihre Zuständigkeit angenommen haben, gebunden (Art. 28 Abs. 2 EGÜbk).
b) Da es sich hier um eine Klage gegen den Versicherer bei einer Transportversicherung beweglicher Güter handelt und ein Fall des Art. 12 EGÜbk oder Art. 8 Abs. 2 und 3 EGÜbk nicht vorliegt, muß die Zuständigkeit der Gerichte in V. nach Art. 8 Abs. 1 EGÜbk als Voraussetzung für die Anerkennung ihrer Entscheidung in der Bundesrepublik gegeben gewesen sein. Die vom Appellationsgerichtshof in V. als Versicherer angesehene Antragsgegnerin hat ihren Sitz in Deutschland. Also wären die italienischen Gerichte nur zuständig gewesen, wenn die in V. ansässige Antragstellerin Versicherungsnehmerin wäre. Auch das Europäische Übereinkommen unterscheidet ebenso wie das nationale deutsche Recht zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherten und dem aus der Versicherung Begünstigten (Art. 12 Nr. 2 EGÜbk).
2. a) Das Beschwerdegericht meint, die Antragstellerin sei nicht Versicherungsnehmerin der Seeversicherung, für deren Übernahme die Bescheinigung vom 26. Juni 1973 ausgestellt wurde und auf die die Antragstellerin in dem italienischen Verfahren ihre Ansprüche gegen die Antragsgegnerin gestützt hat. Die Antragstellerin habe nach den Feststellungen des italienischen Urteils die Ware cif V. von der Firma T. in H. gekauft. Dementsprechend habe die Verkäuferin u.a. für die Ware auf ihre Kosten eine übertragbare Seeversicherungspolice gegen die Transportgefahren zu beschaffen gehabt (Incoterms 1953 Nr. 6 A 5. – abgedruckt in Baumbach/Duden, HGB, 23. Aufl. Anh I zu § 382). Daraus folge, daß die Antragstellerin anspruchsberechtigte Versicherte aufgrund der laufenden Police sein könne, keinesfalls aber Versicherungsnehmer des Rahmenvertrages, aufgrund dessen die in der Versicherungsbescheinigung vom 26. Juni 1973 enthaltene Deckungszusage gegeben worden sei (vgl Prölss/Martin, VVG, 21. Aufl. vor § 51 Anm. 4 und § 80 Anm. 2 und 3). Art. 8 Abs. 1 EGÜbk begründe nur eine Zuständigkeit am Wohnsitz des Versicherers oder des Versicherungsnehmers. Deshalb sei die Zuständigkeit eines Gerichts in V. nicht gegeben gewesen.
b) Die Rechtsbeschwerde rügt, das Beschwerdegericht habe entgegen Art. 29 EGÜbk die Gesetzmäßigkeit des italienischen Urteils nachgeprüft, indem es seine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen, aufgrund derer das italienische Gericht seine Zuständigkeit angenommen habe (Art. 28 Abs. 2 EGÜbk), nicht beachtet habe. Der Appellationsgerichtshof V. habe festgestellt, da aus der Versicherungsbescheinigung vom 26. Juni 1973 nicht zu ersehen sei, wer der Kontrahent des Versicherungsscheines sei, müsse man annehmen, daß Kontrahent und Versicherungsbegünstigter die gleiche Person seien, solange kein Gegenbeweis hierzu erbracht werde, weil die Person des Kontrahenten nicht unbestimmt oder unbestimmbar bleiben könne.
3. Der angefochtene Beschluß hält diesen Angriffen stand.
a) Der Appellationsgerichtshof V. hat in seiner Entscheidung die – im übrigen unstreitigen – Tatsachen festgestellt, daß die Antragstellerin von der Firma T., H., die Warenpartie cif nach V., also vom Verkäufer auf dessen Kosten versichert, gekauft hat und daß in der Versicherungsbescheinigung vom 26. Juni 1973 ein Versicherungsnehmer, der mit dem führenden Versicherer den Versicherungsvertrag abgeschlossen hat, nicht genannt ist. Aus der letztgenannten Feststellung hat das italienische Gericht die rechtliche Schlußfolgerung gezogen, der Versicherungsbegünstigte, der Inhaber („holder“) der Versicherungsbescheinigung also, sei auch Versicherungsnehmer, weil die Person des Versicherungsnehmers nicht unbestimmt und unbestimmbar sein könne.
An diese Schlußfolgerung, die keine Tatsachenfeststellung ist, sind die Gerichte des Vollstreckungsstaates nach Art. 28 Abs. 2 EGÜbk nicht gebunden (Bülow-Böckstiegel, Internationaler Rechtsverkehr in Zivilsachen und Handelssachen, Anm III zu Art. 28 EGÜbk). Sie widerspricht der tatsächlichen Feststellung des italienischen Gerichts, die Antragstellerin habe cif nach V., also vom Verkäufer auf dessen Kosten versichert, die Ware gekauft. Diese Feststellung läßt erkennen, daß jedenfalls die Antragstellerin nicht Versicherungsnehmerin sein kann. Dann war aber eine Zuständigkeit der italienischen Gerichte nicht gegeben; denn der Umstand, daß die Antragstellerin Versicherte oder Versicherungsbegünstigte ist, kann einen Gerichtsstand nach Art. 8 EGÜbk nicht begründen.
b) Selbst wenn man, abweichend von der Regel, die Versicherungsbescheinigung hier als Inhaberpapier im Sinne von §§ 793ff BGB ansehen könnte (vgl dazu BGH Urteil vom 24. Mai 1962 – II ZR 199/60 = NJW 1962, 1436, 1437), dann könnte gleichwohl nicht angenommen werden, daß der Inhaber der Versicherungsbescheinigung auch Versicherungsnehmer sein müßte; denn Versicherungsnehmer und damit Partner des Versicherungsvertrages wäre auch in einem solchen Falle derjenige, der den Versicherungsvertrag als Begebungsvertrag (vgl Steffen in BGB-RGRK § 793 RdNr 15ff mwN) abgeschlossen hat, aufgrund dessen die Versicherungsbescheinigung vom 26. Juni 1973 von den Versicherern als Inhaberpapier ausgestellt wurde.
III. Ist eine Zuständigkeit des Appellationsgerichtshofes V. nach Titel II, 3. Abschnitt des Europäischen Übereinkommens nicht feststellbar, weil V. weder Sitz des in Anspruch genommenen Versicherers noch Wohnsitz des Versicherungsnehmers ist, dann kann das italienische Urteil gemäß Art. 28 Abs. 1 EGÜbk nicht in der Bundesrepublik anerkannt werden. Die zulässige Rechtsbeschwerde (§§ 17ff AG EGÜbk) war daher kostenpflichtig (§ 97 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen.