I. Die Parteien, italienische Staatsangehörige, haben 1960 in Italien die Ehe geschlossen, aus der zwei in den Jahren 1963 und 1965 geborene Kinder hervorgegangen sind. Der Ehemann (Schuldner) lebt seit 1968 in Deutschland. Die Ehefrau (Gläubigerin) beantragte mit Schriftsatz vom 28. April 1979 beim Tribunale di Ancona die Scheidung der Ehe, die Übertragung des Sorgerechts für die beiden Kinder auf sich und die Zahlung von Unterhalt für die Kinder rückwirkend ab 1968. Der Schriftsatz wurde in der Weise zugestellt, daß ein Anschlag an der Gerichtstafel erfolgte, ein Einschreibebrief an den Ehemann abgesandt und das Auswärtige Amt um diplomatische Übermittlung nach Deutschland gebeten wurde. Der Ehemann ließ sich auf das Verfahren nicht ein. Am 19. Dezember 1979 erging in seiner Abwesenheit eine vorläufige Anordnung des Gerichts, die das Getrenntleben gestattete, das Sorgerecht für die Kinder der Ehefrau übertrug und weiter festlegte: „Herr P. bezahlt seiner Ehefrau einen monatlichen Betrag von 200.000 Lire, und zwar ab 1. Dezember 1979“. Das Scheidungsbegehren der Ehefrau wurde später durch Urteil vom 11. Dezember 1981 abgewiesen. Auf ihre Berufung hob der Corte d'Appello di Ancona durch Urteil vom 12. März 1985 die erstinstanzliche Entscheidung auf und schied die Ehe der Parteien. Diese ebenfalls in Abwesenheit des Ehemannes ergangene Entscheidung legte auch fest, daß er an die Ehefrau ein jeweils bis zum Fünften eines Monats fälliges „Scheidungsgeld“ von 200.000 Lire – entsprechend der vorläufigen Anordnung – zu zahlen und die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Mit einem beim Landgericht am 27. Mai 1987 eingegangenen Schriftsatz hat die Ehefrau beantragt, nach dem EG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl II 1972, 774 – EuGVÜ) das Urteil des Corte d'Appello di Ancona mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, soweit es den Ehemann zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente von 200.000 Lire und zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt hat.
Der Vorsitzende einer Zivilkammer hat diesen Antrag abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen, ohne die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Die Ehefrau hat gleichwohl Rechtsbeschwerde erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, Art. 41 EuGVÜ in Verbindung mit § 17 des Ausführungsgesetzes vom 29. Juli 1972 (BGBl I 1328 – AGEuGVÜ).
Dem steht ausnahmsweise nicht entgegen, daß das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung u.a. ausgesprochen hat, die Voraussetzungen einer Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 17 Abs. 1 AVAG (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz vom 30. Mai 1988 – BGBl I 662) lägen nicht vor. Da es sich um eine Familiensache handelt (vgl. Senatsurteil BGHZ 88, 113, 116), hängt die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde an sich von einer Zulassung durch das Oberlandesgericht ab, ohne daß es auf den Beschwerdewert ankommt (vgl. § 621d Abs. ZPO). § 38 AVAG bestimmt aber, daß die Rechtsbeschwerde stets zulässig ist, wenn das Oberlandesgericht von einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) abgewichen ist. Diese Vorschrift ist hier allerdings nicht unmittelbar anwendbar, weil das Verfahren bereits am 27. Mai 1987 anhängig geworden ist, während das AVAG erst am 8. Juni 1988 in Kraft getreten ist. Nach der Übergangsvorschrift des § 58 Abs. 2 AVAG ist in solchen Fällen das bisherige Verfahrensrecht weiter anzuwenden, hier also das AGEuGVÜ vom 29. Juli 1972. Dieses Gesetz enthält keine dem § 38 AVAG entsprechende Vorschrift, sondern bestimmt in § 17 Satz 2 lediglich, daß das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde auch dann zuzulassen hat, wenn es von einer Entscheidung des EuGH abweicht. Der Gesetzgeber war der Auffassung, damit die Anfechtungsmöglichkeit im Falle einer solchen Abweichung sichergestellt zu haben (vgl. BT-Drucks. VI/2426 S. 19). Erst § 38 AVAG gewährleistet dies aber zweifelsfrei, insbesondere auch dann, wenn das Oberlandesgericht sich einer Abweichung nicht bewußt gewesen ist und daher irrtümlich von einer Zulassung der Rechtsbeschwerde abgesehen hat. Auch im Hinblick auf die Bedeutung, die der Rechtsprechung des EuGH für die Wahrung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des europäischen Gemeinschaftsrechts zukommt, ist deshalb geboten, dem Rechtsgedanken des § 38 AVAG jedenfalls schon in den Fällen Geltung zu verschaffen, in denen – wie hier – das Verfahren zwar noch vor dem 8. Juni 1988 anhängig geworden, die Rechtsbeschwerde aber erst nach diesem Stichtag eingelegt worden ist.
Ein Abweichungsfall im Sinne des § 38 AVAG ist gegeben. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung auf Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ gestützt, wonach die Vollstreckbarerklärung u.a. abzulehnen ist, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Es hat zwar festgestellt, daß die auf Ehescheidung, Übertragung des Sorgerechts und Zahlung von Kindesunterhalt gerichtete Klageschrift vom 28. April 1979 nach dem insoweit maßgebenden italienischen Recht (Art. 142 C.p.c.) ordnungsgemäß zugestellt worden ist, es hat jedoch eine Verletzung italienischen Rechts darin gesehen, daß der Corte d'Appello di Ancona den Ehemann auch zur Zahlung nachehelichen Unterhalts („Scheidungsgeld“) verurteilt hat, ohne daß dies in der Klageschrift oder der späteren Berufungsschrift beantragt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung des italienischen Kassationshofs dürfe im Rahmen eines Scheidungsverfahrens von Amts wegen nur über Kindesunterhalt entschieden werden, während Unterhalt für die Ehefrau eines darauf gerichteten Antrags bedürfe, der gesondert erhoben und zugestellt werden müsse. Hierbei handele es sich nicht um eine bloße Förmlichkeit, sondern es stehe das rechtliche Gehör des Schuldners in Frage.
Darin liegt eine Abweichung von der zur Auslegung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ergangenen Entscheidung des EuGH vom 15. Juli 1982 (EuGHE 1982, 2623ff). Das Gericht führt hier u.a. aus, daß die Prüfung der ordnungsgemäßen Zustellung durch das Gericht des Vollstreckungsstaats eine klare Grenze hat: Nach Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ darf die ausländische Entscheidung keinesfalls auf ihre Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden (aaO S. 2736). Auf einer Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit in diesem Sinne beruht aber die Entscheidung des Oberlandesgerichts, weil es das entscheidende Hindernis für die Vollstreckbarerklärung darin sieht, daß das italienische Gericht nach seinem innerstaatlichen Verfahrensrecht nicht befugt gewesen sei, auf die verfahrenseinleitende Schrift vom 28. April 1979 auch auf Zahlung von Unterhalt für die Ehefrau zu erkennen. Das geht ersichtlich über die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks hinaus. Die Rechtsbeschwerde ist damit zulässig; formelle Bedenken bestehen auch sonst nicht.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Nach Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ kann der Antrag auf Vollstreckbarerklärung nur aus einem der in Art. 27 und 28 angeführten Gründe abgelehnt werden. Das Übereinkommen soll insgesamt der Erleichterung der Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen in den Vertragsstaaten dienen (vgl. BGHZ 65, 291, 296). Die in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ für den Fall der Entscheidung in Abwesenheit des Beklagten statuierten Versagungsgründe gewährleisten zwei Kernpunkte des rechtlichen Gehörs; das verfahrenseinleitende Schriftstück muß ordnungsgemäß und so rechtzeitig zugestellt worden sein, daß der Beklagte sich verteidigen konnte. Die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs ist andererseits im Rahmen dieser Vorschrift auf diese beiden Kernpunkte reduziert.
Wie bereits ausgeführt, ergibt sich aus den Feststellungen des Oberlandesgerichts, daß das Schriftstück, das das Verfahren des italienischen Gerichts tatsächlich eingeleitet hat, ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Nur darauf kommt es für die Prüfung im Rahmen des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ an. Fehler bei der Zustellung späterer Schriftsätze, etwa der Berufungsschrift, sind in diesem Rahmen unerheblich (vgl. BGH, Beschluß vom 10. Juli 1986 – IX ZB 27/86 – IPRax 1987, 236, 237); der nachträglich in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ eingefügte Zusatz „oder ein gleichwertiges Schriftstück“ beruht darauf, daß Verfahren nicht in allen Vertragsstaaten durch Zustellung einer Klageschrift eingeleitet werden, sondern z.B. auch durch Ladungen des Gerichts (vgl. Kropholler Europäisches Zivilprozeßrecht Art. 27 Rn. 19).
Weiter ist im Rahmen des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zu prüfen, ob dem Beklagten ausreichend Zeit zur Verfügung stand, um seine Verteidigung vorzubereiten oder die zur Vermeidung einer Versäumnisentscheidung erforderlichen Schritte einzuleiten (vgl. EuGHE 1981, 1593, 1608f).
Daß der Ehemann hinreichend Zeit für seine Verteidigung hatte, liegt in Anbetracht des Zeitraums, der zwischen der Verfahrenseinleitung im Jahre 1979 und dem Erlaß des Urteils am 12. März 1985 verstrichen ist, auf der Hand. Er hat auch nichts vorgebracht, was im Rahmen des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ von Bedeutung sein könnte.
Das Oberlandesgericht ist offenbar der Auffassung, daß dem Ehemann nicht ausreichend das rechtliche Gehör gewährt worden sei, weil ohne vorherigen Antrag der Ehefrau auf Zahlung von „Scheidungsgeld“ erkannt worden ist. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ verlangt aber, wie ausgeführt, nur in den von dieser Vorschrift genannten Kernpunkten die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Soweit diesem Grundsatz durch das sonstige Verfahren nicht genügt worden ist, kann die Vollstreckbarerklärung nur aufgrund des Vorbehalts des ordre public in Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ abgelehnt werden (vgl. Kropholler aaO Art. 27 Rn. 14; Bülow/Böckstiegel/Linke, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Anm. III 1 zu Art. 27 EuGVÜ).
b) Der Vorbehalt des ordre public in Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ greift nur in Ausnahmefällen ein (vgl. etwa Jenard-Bericht, abgedruckt in Bülow/Böckstiegel aaO unter B I 1 a S. 66). Die Vollstreckbarerklärung kann insbesondere nicht schon deshalb versagt werden, weil die ausländische Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozeßrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, daß es nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (vgl. Kropholler aaO Art. 27 Rn. 9; zu bilateralen Abkommen vgl. auch BGHZ 48, 327, 333; BGH, Urteil vom 19. September 1977 – VIII ZR 120/75 – NJW 1978, 1114, 1115).
Ein solcher fundamentaler Verfahrensverstoß steht hier nicht in Frage. Zwar entspricht es herrschender Auffassung in der italienischen Rechtspraxis, daß Unterhalt für den geschiedenen Ehegatten nicht von Amts wegen zugesprochen werden kann, sondern daß ein darauf abzielender Antrag des Gläubigers erforderlich ist, der auch nicht erstmals in zweiter Instanz gestellt werden kann (vgl. etwa Fleig, Ehescheidung in italienischem Recht S. 299; Grunsky, Italienisches Familienrecht 2. Aufl. S. 99, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des italienischen Kassationshofs). Ob die Auffassung des Oberlandesgerichts zutrifft, daß ein solcher Antrag auch gesondert zugestellt werden muß, erscheint dagegen nicht zweifelsfrei. Der Corte d'Appello di Ancona ist offenbar von einer zureichenden Antragstellung ausgegangen, wenn es in den Gründen seines Urteils u.a. heißt: „Ferner sind – wie von der Berufungsklägerin selbst beantragt – die vom Gerichtspräsidenten angeordneten Verfügungen zu bestätigen ...“. Auch wenn seine Auffassung unzutreffend sein sollte, ist der Rechtsfehler nicht so schwerwiegend, daß deswegen aus Gründen des deutschen verfahrensrechtlichen ordre public die Vollstreckbarerklärung zu versagen wäre. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß es in erster Linie Sache der Parteien ist, durch aktive Teilnahme am Verfahren auf die Vermeidung sie benachteiligender Fehler des Gerichts hinzuwirken oder hierwegen ein Rechtsmittel einzulegen. Auch die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen deutscher Gerichte wird durch Rechtsfehler als solche nicht berührt.
c) Der Grundsatz rechtlichen Gehörs kann im Rahmen des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ nur unter Berücksichtigung des Systems und der Struktur des ausländischen Verfahrensrechts gewährleistet werden. Entsprechend den Regeln, die für bilaterale Abkommen gelten (vgl. dazu die oben zu b) angeführten Entscheidungen des BGH), ist dabei lediglich auf die Grundwerte abzustellen, die durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützt werden. Dies ist zum einen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das grundsätzlich verbietet, eine Entscheidung zu treffen, bevor der Betroffene Gelegenheit hatte, sich zu äußern. Zum anderen kann eine relevante Verletzung vorliegen, wenn einem Verfahrensbeteiligten nicht die Rolle eines Verfahrenssubjekts eingeräumt worden ist, das aktiv die Gestaltung des Verfahrens beeinflussen kann. Die vom Oberlandesgericht angeführte Verletzung des Antragserfordernisses liegt offensichtlich nicht in diesem Bereich. Der Ehemann hatte im Verlaufe des Verfahrens vor den italienischen Gerichten hinlänglich Gelegenheit, seine Rechte zu wahren.
d) Für sonstige Versagungsgründe nach den Art. 27, 28 EuGVÜ liegen keine Anhaltspunkte vor.
3. Der Senat ist zu einer abschließenden Entscheidung in der Lage, da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind. Nach dem Vorangegangenen ist anzuordnen, daß das Urteil des Corte d'Appello di Ancona vom 12. März 1985 mit der deutschen Vollstreckungsklausel zu versehen ist, §§ 20 Abs. 4, 7 AGEuGVÜ.