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Zusammenfassung der Entscheidung Das Handelsgericht Paris (FR) hat die Antragsgegnerin zur Zahlung einer Geldsumme an die Antragstellerin verurteilt. Der französische Kassationsgerichtshof hat diese Entscheidung bestätigt. Auf Antrag der Antragsstellerin hat das zuständige deutsche Landgericht angeordnet, das Urteil des Handelsgerichts Paris für in Deutschland vollstreckbar zu erklären. Hiergegen wandte sich die Antragsgegnerin mit der Begründung, es sei von der Antragstellerin kein Nachweis über die Zustellung des Urteils des Kassationsgerichtshofes geführt worden. Ferner verstoße das Urteil gegen den deutschen ordre public, da in dem anzuerkennenden Urteil der zu ersetzende Schaden pauschal geschätzt wurde, ohne Schätzungsgrundlagen im Urteil anzugeben. Ferner sei das Urteil deswegen nicht anzuerkennen, da das französische Gericht von der Anwendbarkeit französischen Rechts ausgegangen sei, während ein deutsches Gericht in einem zwischen denselben Parteien anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahren deutsches Recht angewandt habe.
Der Bundesgerichtshof (DE) entscheidet, dass gem. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ nur das Urteil zugestellt werden müsse, welches für vollstreckbar erklärt werden solle. Auf eine Zustellung der Rechtsmittelentscheidung käme es daher nicht an. Die in Deutschland ergangene Entscheidung habe keinerlei Einfluss auf die Verurteilung der Antragsgegnerin in Frankreich. Welches nationale Recht anwendbar sei, sei lediglich eine Vorfrage, von deren Beantwortung es nicht abhänge, ob die erlassenen Entscheidungen einander als unvereinbar gegenüberstünden. Die zu vollstreckende Entscheidung verstoße auch nicht gegen den deutschen ordre public. Dies sei nur zu bejahen, wenn das konkrete Ergebnis des Rechtsstreits vom Standpunkt des deutschen Rechts zu missbilligen ist. Wenn die ausländische Rechtsordnung die Gewährung eines pauschalierten Schadensersatzes zulasse, läge darin keine solche Missbilligung.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. 1. Das Handelsgericht Paris hat die Antragsgegnerin am 9. April 1975 zur Zahlung von
1. 358.269,55 DM in FF zu dem am Tag der Zahlung gültigen Kurs, einschließlich der gesetzlichen Zinsen und Zinseszinsen ab dem 9. Juni 1972,
2. zu dem Betrag von 100.000 FF als Schadensersatz
sowie zu den Prozeßkosten verurteilt. Der französische Kassationsgerichtshof hat diese Entscheidung mit Ausnahme der Verurteilung zu Zinseszinsen am 24. Januar 1978 bestätigt. Das ist unstreitig.
Der Vorsitzende der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kempten hat am 16. Dezember 1975 antragsgemäß angeordnet, daß für das Urteil des Handelsgerichts Paris vom 9. April 1975 nach Art. 31 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen und Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl 1972 II 774) die Vollstreckungsklausel zu erteilen sei.
Mit Beschluß vom 8. Februar 1979 hat das Oberlandesgericht München die Beschwerde hiergegen mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Worte „und Zinseszinsen“ in der Vollstreckungsklausel wegfallen.
2. Die Antragsgegnerin war früher Handelsvertreterin der Antragstellerin, eines französischen Adreßbuchverlags, in Deutschland. Nach Beendigung der Geschäftsbeziehungen wurde auf Antrag der Antragstellerin der Antragsgegnerin von den deutschen Gerichten im Wege der einstweiligen Verfügung verboten, weiterhin als Inkassobevollmächtigte für die Antragstellerin aufzutreten.
3. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Antragsgegnerin die Versagung der Vollstreckungsklausel für das französische Urteil des Handelsgerichts Paris, hilfsweise Zurückverweisung der Sache.
II. Die Rechtsbeschwerde ist formgerecht und fristgerecht eingelegt (§ 16 AG EGÜbk vom 29. Juli 1972 – BGBl I 1328). Sie hat in der Sache keinen Erfolg.
III. 1. a) Die Antragsgegnerin rügt, die Antragstellerin habe nur Fotokopien von beglaubigten Abschriften der beiden französischen Urteile sowie unbeglaubigte Übersetzungen hierzu vorgelegt (Art. 46 Nr. 1, 48 Abs. 2 EGÜbk). Außerdem sei von der Antragstellerin kein urkundlicher Nachweis über die Zustellung des Urteils des Kassationsgerichtshofs geführt worden.
b) aa) Nach Art. 46 EGÜbk hat die Partei, die die Zwangsvollstreckung einer ausländischen Entscheidung nach dem Übereinkommen betreiben will, eine Ausfertigung der Entscheidung vorzulegen, welche die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Dies ist hier geschehen. Laut Verfügung des Rechtspflegers des Amtsgerichts Kempten vom 18. Dezember 1975 wurde die aufgrund der angefochtenen Anordnung des Vorsitzenden der 6. Zivilkammer erteilte Vollstreckungsklausel mit der von der Antragstellerin vorgelegten Urteilsausfertigung verbunden und zusammen mit der Bescheinigung über die Zustellung an die Antragsgegnerin dem Bevollmächtigten der Antragstellerin wieder zugestellt. Die Ausfertigung des Urteils des Handelsgerichts Paris war demnach mit dem Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel von der Antragstellerin vorgelegt worden. Das genügte zur Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 46 Nr. 1 EGÜbk. Es ist nicht erforderlich, daß die vorgelegte Ausfertigung der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung bei den Akten verbleibt. Sie kann zum Zwecke der Zwangsvollstreckung nach Erteilung der Vollstreckungsklausel an den Antragsteller zurückgegeben werden.
bb) Daß das Urteil des Handelsgerichts Paris vom 9. April 1975 der Antragsgegnerin am 16. Dezember 1975 zugestellt worden ist, hat die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren selbst zugestanden. Die Zustellung ergibt sich außerdem aus dem in Ablichtung bei den Akten befindlichen französischen Zustellungsersuchen samt dem Zustellungszeugnis des Amtsgerichts Lindau vom 16. Dezember 1975 (vgl BGHZ 65, 291, 296). Nach dem Antrag der Antragstellerin soll vollstreckt werden das Urteil des Handelsgerichts Paris, dessen Zustellung nach Art. 47 Nr. 1 EGÜbk, wie ausgeführt, nachgewiesen ist. Darauf, ob die Entscheidung des französischen Kassationsgerichtshofs ebenfalls zugestellt ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, weil aus dieser Entscheidung nicht vollstreckt wird.
cc) Nach Art. 48 Abs. 2 EGÜbk – falls sich diese Bestimmung überhaupt auf Art. 46 Nr. 1 EGÜbk bezieht, was offen bleiben kann – sind nur auf Verlangen des wegen der Erteilung der Vollstreckungsklausel angerufenen Gerichts beglaubigte Übersetzungen von Urkunden vorzulegen. Das deutsche Gericht kann jedenfalls gemäß § 3 Abs. 3 AG EGÜbk seine Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel treffen, auch wenn eine Übersetzung des ausländischen Schuldtitels nicht vorgelegt ist. Dann liegt aber auch kein Verfahrensfehler vor, wenn sich das Gericht hier mit unbeglaubigten Übersetzungen begnügt hatte.
2. a) Die Rechtsbeschwerde stellt zur Nachprüfung, ob die französischen Entscheidungen deshalb nicht anerkannt werden können, weil sie mit einer zwischen denselben Parteien in Deutschland ergangenen Entscheidung unvereinbar sind. Im Verfahren wegen einstweiliger Verfügung zwischen den Parteien seien nämlich die deutschen Gerichte von der Anwendbarkeit deutschen Rechts auf das streitige Handelsvertreterverhältnis ausgegangen. Bei der Entscheidung der in Frankreich erhobenen Zahlungsklage hätten die französischen Gerichte französisches Recht zugrunde gelegt.
b) Die in Deutschland ergangene Entscheidung, durch die die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung zur Unterlassung bestimmter Handlungen verurteilt wurde, hat keinerlei Einfluß auf die Verurteilung der Antragsgegnerin zur Zahlung aufgrund einer Abrechnung und zum Schadensersatz. Eine Unvereinbarkeit der beiden Entscheidungen in dem Sinne, daß sie einander widersprechen würden, ist nicht ersichtlich. Daß die Zuständigkeit der Gerichte für einstweilige Maßnahmen nicht mit derjenigen der Gerichte der Hauptsache zusammenfallen muß, stellt das Übereinkommen ausdrücklich klar (Art. 24 EGÜbk). Welches nationale Recht ein Gericht bei der Entscheidung eines Streitfalles anwendet, ist lediglich eine Vorfrage, von deren Beantwortung es nicht abhängt, ob die erlassenen Entscheidungen einander als unvereinbar gegenüberstehen.
c) Schließlich besteht in diesem Zusammenhang entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde auch kein Anlaß, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu erholen; denn die Frage, ob eine deutsche Gerichtsentscheidung mit einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidung, die hier anerkannt und vollstreckt werden soll, unvereinbar ist, ist keine Frage der Auslegung des Übereinkommens. Der Europäische Gerichtshof hat nach Art. 1 des Protokolls vom 3. Juni 1971 (BGBl 1972 II 846) nur über die Auslegung des Übereinkommens zu entscheiden. Daher ist es nicht möglich, ihm eine Frage über die Vereinbarkeit von Gerichtsentscheidungen nach Art. 27 Nr. 3 EGÜbk vorzulegen.
3. Das gleiche gilt für die Entscheidung der Frage, ob die Anerkennung einer Entscheidung aus einem der Mitgliedstaaten des Übereinkommens der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland widerspricht (Art. 27 Nr. 1 EGÜbk). Diese Frage berührt allein das nationale Recht. Sie kann nur durch die deutschen Gerichte entschieden werden; denn der Europäische Gerichtshof ist nicht dazu berufen, den Begriff der öffentlichen Ordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten für deren Gerichte bindend zu definieren.
a) Die Rechtsbeschwerde meint, die pauschale Schadensschätzung ohne Angabe von Schätzgrundlagen in dem Urteil des Handelsgerichts Paris sei nach deutschem Rechtsempfinden nicht vertretbar.
b) Die angefochtene Entscheidung hält auch diesem Angriff stand. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 18. Oktober 1967 (BGHZ 48, 327, 333 = WM 1967, 1167) ausgeführt, daß bei der Entscheidung der Frage, ob der deutsche ordre public durch die Anerkennung eines ausländischen Urteils im Inland verletzt wird, nicht ein Vergleich zwischen dem deutschen und dem ausländischen Recht vorgenommen werden darf. Es kommt nicht darauf an, ob das ausländische Gesetz auf den gleichen Prinzipien wie die entsprechende deutsche gesetzliche Regelung beruht, sondern nur darauf, ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des ausländischen Gesetzes vom Standpunkt des deutschen Rechts zu mißbilligen ist (BGHZ 39, 173, 177). Wenn die ausländische Rechtsordnung die Gewährung eines Anspruchs in einer Form zuläßt, die dem deutschen Recht fremd ist, hier durch pauschalierten Schadensersatz, dann liegt darin kein untragbarer Widerspruch gegen die in den deutschen gesetzlichen Regelungen verkörperten Gerechtigkeitsvorstellungen, die beispielsweise einen pauschalierten Schadensersatz kraft Parteivereinbarung zulassen. Nur untragbar erscheinende Verstöße gegen das inländische Recht können zur Ablehnung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung führen (BGHZ 50, 370, 375f; Senatsurteile vom 4. Juni 1975 – VIII ZR 232/75 = WM 1975, 677; vom 19. September 1977 – VIII ZR 120/75 = WM 1977, 1230, 1233). Ein solch unerträglicher Verstoß ist nicht gegeben, wenn das ausländische Recht bei feststehender Schadensersatzpflicht des in Anspruch Genommenen es zuläßt, daß die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes vom Gericht pauschal durch Schätzung ohne weitere Nachweise bestimmt wird. Daß der vom französischen Gericht gefundene Schätzungsbetrag völlig unangemessen und willkürlich wäre, behauptet auch die Rechtsbeschwerde nicht.