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Zusammenfassung der Entscheidung Die deutsche Antragstellerin macht Schadensersatz gegen ein Finanzinstitut mit Sitz in Luxemburg wegen von diesem vermittelten Devisentermingeschäften geltend. Das deutsche Zivilprozessrecht sieht zugunsten von Parteien, die selbst nicht zur Aufbringung der für die Führung eines Prozesses erforderlichen Mittel in der Lage sind, die Bereitstellung von Prozesskosten im Rahmen der sog. Prozesskostenhilfe vor. Die Antragstellerin hat für die Klage einen Antrag auf Prozesskostenhilfe bei dem für ihren Wohnsitz zuständigen deutschen Gericht gestellt. Dieses Gericht verweigerte ihr jedoch die Prozesskostenhilfe. Daraufhin stellte die Antragstellerin ihren Antrag in Berlin, da Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ nur die internationale, nicht aber die örtliche Zuständigkeit regele und somit das Gericht der deutschen Hauptstadt zuständig sei. Nachdem auch das Landgericht Berlin (DE) den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hatte, bestätigte das Kammergericht Berlin (DE) als Berufungsgericht diese Entscheidung.
Das Kammergericht Berlin (DE) führt aus, dass das Landgericht Berlin als Gericht der Hauptstadt für die Entscheidung örtlich unzuständig sei. Der Sinn und Zweck der Sonderregelungen für Verbraucherverträge im EuGVÜ liege darin, die schwächere Partei durch die Einräumung von Wahlgerichtständen zu schützen. Die vom EuGVÜ vorgesehene internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Vertragsstaats umfasse daher grundsätzlich die Verpflichtung dieses Vertragsstaats, den Parteien auch ein örtlich zuständiges Gericht zur Verfügung zu stellen. Daraus folgt, dass die Antragstellerin ihren Anspruch vor dem für sie am leichtesten zugänglichen Gericht, mithin dem am allgemeinen Gerichtsstand (§§ 11, 12 ZPO) befindlichen Gericht, geltend machen kann.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die nach den §§ 127 Abs. 2, 567 Abs. 1, 568 Abs. 1 ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet.
I. Das Landgericht hat im Endergebnis zu Recht der Antragstellerin keine Prozeßkostenhilfe bewilligt, weil es an der für die beabsichtigte Rechtsverfolgung notwendigen Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) mangelt. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist bereits deshalb zu verneinen, weil eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Berlin für die beabsichtigte Klage nicht gegeben ist.
1. Es bedarf entgegen der Ansicht der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren über die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben ist. Die internationale Zuständigkeit kann hier zu Gunsten der Antragstellerin unterstellt werden.
2. Das Landgericht Berlin ist gleichwohl nicht zuständig. Es fehlt zumindest an der örtlichen Zuständigkeit. Nach Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ kann ein Verbraucher in Verbrauchersachen im Sinne des Art. 13 EuGVÜ Klage gegen den anderen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Vertragsstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor den Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, hier die Bundesrepublik Deutschland. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob dem Landgericht Lübeck bzw. dem OLG Schleswig (Beschluß vom 29. Januar 1997 -- 5 W 47/96; RIW 1997, 955 ff.; siehe ferner die ablehnende Anmerkung Mankowski, RIW 1997, 990 ff.), bei denen die Antragstellerin zunächst um die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nachgesucht hat, darin zu folgen ist, daß die Voraussetzungen für die Annahme einer Verbrauchersache im Sinne des Art. 13 EuGVÜ nicht vorliegen.
3. In Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ ist nur die internationale Zuständigkeit geregelt, nicht die örtliche. Das örtlich zuständige Gericht wird vom nationalen Recht bestimmt (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 14 Rn. 7). Sofern in den Verbrauchersachen des Art. 13 EuGVÜ kein allgemeiner Gerichtsstand nach §§ 12 bis 18 ZPO eröffnet ist und auch § 7 HaustürWG oder § 29 ZPO nicht eingreifen, fehlt es an einer örtlichen Zuständigkeit, da dem deutschen Recht ein allgemeiner Verbrauchergerichtsstand unbekannt ist (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 22. Aufl., EuGVÜ Art. 15 Rn. 5; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 14 Rn. 8; Schlosser, EuGVÜ, Art. 14 Rn. 2; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 14 Rn. 2). Dem Landgericht, das sich für seine Ansicht auf eine zu Art. 31 Abs. 1 CMR ergangene Entscheidung des BGH stützt (vgl. BGH, NJW 1981, 1902, 1903), ist nicht darin zu folgen, daß wegen der fehlenden Regelung einer örtlichen Zuständigkeit die -- hier zumindest zu unterstellende -- internationale Zuständigkeit im Ergebnis ins Leere laufe und die beabsichtigte Klage schon deshalb unzulässig sei. Soweit das Übereinkommen nur die internationale Zuständigkeit eines Vertragsstaates normiert und die Festlegung des örtlich zuständigen Gerichts dem autonomen Zuständigkeitsrecht dieses Staates überläßt, muß der vom Übereinkommen für international zuständig erklärte Vertragsstaat ein örtlich zuständiges Gericht zur Verfügung stellen (so auch LG Konstanz, IPRax 1994, 448; Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, 3. Aufl., Art. 14 Rn. 4; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 14 Rn. 8; Münchener Kommentar Gottwald, ZPO, Art. 14 IZPR Rn. 3; Kropholler, aaO; Benicke, WM 1997, 945, 953; a.A. OLG München, NJW-RR 1993, 701, 703; de Lousanoff in: Gedächtnisschrift Arens, 1993, 267). Denn die Regelungen des EuGVÜ sind nicht nur als Verteilung der Anerkennungszuständigkeiten im Interesse der Vertragsstaaten anzusehen. Sinn und Zweck des EuGVÜ ist es, als Ergänzung zur Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes auch die Rechtsschutzmöglichkeiten der Bürger zu verbessern (Benicke, aaO mit weiteren Nachweisen). Daraus ergibt sich für die Bundesrepublik Deutschland die Pflicht zur Justizgewährung (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 2 Rn. 116 und Art. 14 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, 3. Aufl., Art. 14 Rn. 4; Münchener Kommentar/Gottwald, ZPO, Art. 14 IZPR Rn. 3). Angesichts dieser Justizgewährungspflicht wäre die Bestimmung einer örtlichen Auffangzuständigkeit durch richterliche Rechtsfortbildung nur dann ausgeschlossen, wenn es an einer Regelungslücke mangeln würde, weil etwa die örtliche Zuständigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers offen bleiben sollte. Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn das Gesetz eine Bestimmung vermissen läßt, die es nach dem Zweck der Regelung, nach dem ihr zugrunde liegenden „Plan“ des Gesetzgebers enthalten sollte (Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A, Seite 194,, § 4 II mit weiteren Nachweisen). An einer Regelungslücke fehlt es hier nicht schon deshalb, weil das EuGVÜ sich in Art. 14 Abs. 1 auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit beschränkt (Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, 3. Aufl., Art. 14 Fn. 10; a.A. de Lousanoff in: Gedächtnisschrift Arens, 1993, Seite 269). Damit sollte lediglich den Vertragsstaaten Gestaltungsraum für die Regelung der örtlichen Zuständigkeit gegeben und dem Verbraucher das Recht erhalten werden, den für ihn günstigsten örtlichen Gerichtsstand zu wählen. Ein Recht der Vertragsstaaten, die Regelung in Art. 14 Abs. 1, 2. Alt. EuGVÜ durch eine restriktive Regelung der örtlichen Zuständigkeit vollständig zu unterlaufen, sollte aber nicht geschaffen werden (Wieczorek / Schütze/ Hausmann, aaO). Der Lückenschließung durch richterliche Rechtsfortbildung steht dabei nicht entgegen, daß die Lückenschließung gegebenenfalls in unterschiedlicher Weise möglich ist. Die Grenze findet sich nur dort, wo Anhaltspunkte für einen Willen des Gesetzgebers ersichtlich sind, die gegen die Schließung der gesetzlichen Lücke sprechen siehe, Stern, Staatsrecht für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, § 37 II 2; Larenz/Canaris, aaO, S. 246; ferner BVerfGE 39, 269, 286 ff).
4. Die Regelungslücke hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin jedoch nicht in der Weise durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen, daß das Gericht der Hauptstadt, hier das Landgericht Berlin örtlich zuständig ist. Eine örtliche Zuständigkeit der Gerichte am Sitz der Bundesregierung, das heißt der Gerichte des Landes Berlin als Auffangzuständigkeit wird begründet in den durch die §§ 15 Abs. 1 Satz 2, 27 Abs. 2 ZPO bestimmten Fällen. Ferner findet sich eine Auffangzuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg von Berlin in den §§ 606 Abs. 3, 640 a Abs. 1 Satz 2, ZPO sowie in §§ 36 Abs. 2, 73 Abs. 2 FGG. Diese Vorschriften sind auf den vorliegenden Fall jedoch nicht analog anzuwenden. Den vorgenannten Vorschriften liegt die Überlegung zugrunde, daß kein sachnäherer, den Interessen von Kläger und Beklagtem gemäßerer Gerichtsstand ermittelt werden kann und aus Ordnungsinteressen die Konzentration der örtlichen Ersatzzuständigkeit bei einem Gericht geboten ist (vgl. Thorn, IPRax 1994, 426, 428). Sinn und Zweck der Sonderregelungen für Verbraucherverträge im EuGVÜ liegt darin, die schwächere Partei durch Einräumung von Wahlgerichtsständen zu schützen. Dem rechtlich unerfahrenen Vertragspartner soll die gerichtliche Wahrnehmung seiner Rechte erleichtert werden (Thorn, aaO mit weiteren Nachweisen). Daraus folgt für die örtliche Zuständigkeit, daß der Verbraucher seinen Anspruch möglichst vor dem für ihn am leichtesten zugänglichen Gericht geltend machen kann. Dies ist gewöhnlich das Gericht seines allgemeinen Gerichtsstandes (§§ 11, 12 ZPO), hier das Landgericht Lübeck, (vgl. Thorn, aaO; Schlosser, EuGVÜ, Art. 14 Rn. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 22. Aufl., Art. 14 EuGVÜ Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, 3. Aufl., Art. 14 Rn. 4; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 14 Rn. 2; unklar Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 14 Rn. 9 und Art. 2 Rn. 116). Dieses Ergebnis deckt sich mit den im autonomen Zivilprozeßrecht bereits vorhandenen Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit bei bestimmten Arten von Verbraucherverträgen (siehe §§ 7 HaustürWG und § 26 FernUSG). Eines Rückgriffs auf die im Wege der ergänzenden Konventionsauslegung gefundene Regelung, wonach die Gerichte der Hauptstadt der international zuständigen Vertragsstaaten örtlich zuständig sind, sofern das nationale Recht kein örtlich zuständiges Gericht bestimmt, bedarf es hier nicht. Diese ergänzende Konventionsauslegung ist nur ultima ratio und greift nur Platz, wenn die Schließung einer gesetzlichen Lücke durch eine analoge Anwendung anderer speziellerer Vorschriften nicht möglich ist (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 2 Rn. 116).
5. Eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung hinsichtlich der Frage der örtlichen Zuständigkeit gemäß Art. 2 und 3 des Protokolls betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 (EuGVÜ) kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die örtliche Zuständigkeit -- wie bereits oben ausgeführt -- allein durch das autonome Recht des Vertragsstaates geregelt wird (Zöller/Geimer, ZPO, 21. Aufl., Art. 2 GVÜ Rn. 22).
6. Die Verweigerung der beantragten Prozeßkostenhilfe verletzt die Antragstellerin entgegen ihrer Ansicht auch nicht in ihre durch Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Rechte. Das Prozeßkostenhilfeverfahren dient zwar nicht dazu, über zweifelhafte Rechtsfragen, hier unter anderem über die Frage der Möglichkeit der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung, abschließend vorweg zu entscheiden (siehe Zöller/Philippi, ZPO, 21. Aufl., § 114 Rn. 21). Zu berücksichtigen ist hier jedoch, daß der BGH in der zu Art. 31 Abs. 1 CMR ergangenen Entscheidung die Möglichkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung betreffend die örtliche Zuständigkeit verneint hat. Zum anderen kommt nach den obigen Ausführungen jedenfalls keine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Berlin in Betracht.
7. Weil die notwendige Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung bereits an der fehlenden örtlichen Zuständigkeit scheitert, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, ob die beabsichtigte Klage in der Sache selbst überhaupt die erforderliche Erfolgsaussicht aufweist.