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Zusammenfassung der Entscheidung Die Schuldnerin wurde vom Tribunal de Commerce Creteil (FR) zur Geldzahlung an die Gläubigerin verurteilt. Sie war in diesem Verfahren durch einen Anwalt vertreten. Das Urteil wurde dem Staatsanwalt von dem zuständigen Gerichtsvollzieher übergeben ("remise au parquet"). Die Gläubigerin beantragte nun, das Urteil für das Gebiet der BRD für vollstreckbar zu erklären. Die Schuldnerin rügte die mangelhafte Zustellung des Urteils gem. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ und beantragte Verfahrenseinstellung gem. Art. 38 EuGVÜ, da sie gegen das Urteil Berufung eingelegt habe.
Das OLG Saarland (DE) entscheidet, dass die Zustellung durch Übergabe des Schriftstücks an den französischen Staatsanwalt ordnungsgemäß nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erfolgt sei. Die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung beurteile sich nach dem Recht des Urteilsstaates, hier also nach französischem Recht. Art. 684ff. der Neuen französischen Zivilprozessordnung (Nouveau Code de procédure civile (n.c.p.c.)) sehen bei einem im Ausland wohnenden Empfänger die Zustellung durch Übergabe eines zuzustellenden Schriftstücks im Wege der "remise au parquet" an den Staatsanwalt vor. Damit gelte das Schriftstück nach französischem Recht als zugestellt. Das Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen finde keine Anwendung, da es nur für Auslandszustellungen gelte, nach französischem Recht jedoch in diesem Fall eine Inlandszustellung vorliege. Das Verfahren werde auch nicht gem. Art. 38 EuGVÜ ausgesetzt. Art. 38 EuGVÜ räume dem Vollstreckungsgericht ein Ermessen ein. Dabei spielten die mutmaßlichen Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens eine Rolle. Das Verfahren sei danach grundsätzlich nur dann auszusetzen, wenn das Urteil ersichtlich fehlerhaft ist.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Schuldnerin ist durch Urteil des Tribunal de Commerce Creteil vom 12.11.1996 u.a. zur Zahlung von 178.188,‑ DM und 412.750 FF zuzüglich Zinsen und Verfahrenskosten verurteilt worden. Sie war in diesem Verfahren durch einen französischen Anwalt vertreten. Eine vollstreckbare Ausfertigung dieses Urteils wurde von dem zuständigen Gerichtsvollzieher am 30.12.1996 der Staatsanwaltschaft in Creteil übergeben. Gleichzeitig wurde der Schuldnerin von dem Gerichtsvollzieher eine Abschrift des Urteils in französischer Sprache übersandt. Das Urteil ist außerdem der Schuldnerin am 18.6.1997 nach den Vorschriften des Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (Haager Zustellungsübereinkommens; HZÜ) vom 15.11.1965 im Inland zugestellt worden.
Auf Antrag des Gläubigers vom 25.4.1997 hat der Vorsitzende der 10. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken mit Beschluß vom 3.7.1997 angeordnet, daß das Urteil des Tribunal de Commerce Creteil vom 12.11.1996 mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist.
Gegen diesen, am 19.8.1997 zugestellten Beschluß hat die Schuldnerin am 20.8.1997 Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, die Zustellung nach den Vorschriften des Urteilsstaates im Wege der Niederlegung bei dem Procureur de la Republik („remise au parquet“) sei nicht ausreichend. Art. 15 des HZÜ sei in Ergänzung des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1969 (EuGVÜ) anzuwenden, so daß unter der in Art. 47 EuGVÜ geforderten Zustellung nur eine solche an den Schuldner in dessen Muttersprache gemeint sein könne. Diese Zustellung sei erst am 18.6.1997, also nach Antragstellung durch den Gläubiger erfolgt. Erst zu diesem Zeitpunkt habe auch die dreimonatige Rechtsmittelfrist zu laufen begonnen. Sie habe durch ihre französischen Anwälte gegen das Urteil des Tribunal de Commerce Creteil am 5.8.1997 zum Berufungsgericht in Paris Berufung eingelegt.
Die Schuldnerin beantragt, den Beschluß des Landgerichts Saarbrücken vom 3.7.1997 aufzuheben und den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, gemäß Art. 38 EuGVÜ im Hinblick auf die gegen das Urteil vom 12.11.1997 eingelegte Berufung die Entscheidung auszusetzen.
II. Die nach §§ 11, 12 des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen vom 30.8.1988 (AVAG) zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Zu Recht hat der Vorsitzende der 10. Zivilkammer des Landgerichts in Saarbrücken die Erteilung der Vollstreckungsklausel zum Zwecke der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Tribunal de Commerce Creteil vom 12.11.1996 angeordnet. Denn die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarkeitserklärung nach den Art. 31 – 34 des EuGVÜ mit §§ 1 – 7 AVAG sind gegeben, insbesondere hat der Gläubiger die in Art. 33 Abs. 3 EuGVÜ aufgeführten Urkunden nach den Art. 46, 47 EuGVÜ vorgelegt.
a) Der Gläubiger hat, wie in Art. 46 Abs. 1 EuGVÜ gefordert, eine Ausfertigung des Urteils des Tribunal de Commerce Creteil vom 12.11.1996 vorgelegt, welches vorläufig vollstreckbar und mit der Vollstreckungsklausel versehen war.
b) Der Gläubiger hat auch bei Stellung seines Antrages auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel am 25.4.1997 eine Urkunde des zuständigen Gerichtsvollziehers in Frankreich vorgelegt, aus der sich die wirksame Zustellung des Urteils vom 30.12.1996 ergibt.
Art. 47 Abs. 1 EuGVÜ verlangt lediglich eine Zustellung. Die Art der Zustellung richtet sich nach dem Recht des Urteilsstaates (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 5. Aufl., 1996, Art. 47 EuGVÜ Rn. 5), hier also nach den französischen Vorschriften. Diese sehen in Art. 684 ff n.c.p.c. bei einem im Ausland wohnenden Empfänger die Zustellung durch Übergabe eines zuzustellenden Schriftstücks an die Staatsanwaltschaft vor („remise au parquet“). Daneben ist zwar nach Art. 686 n.c.p.c. eine Benachrichtigung des Beklagten durch den Gerichtsvollzieher auf dem Postweg mittels eingeschriebenen Briefes – die Übermittlung einer Übersetzung des Urteils ist hierbei nicht vorgesehen – sowie die Übermittlung einer beglaubigten Abschrift entsprechend den geltenden Vereinbarungen, also auch des HZÜ, vorgeschrieben (Art. 685 n.c.p.c.); beides ist jedoch nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit der fiktiven Zustellung im Wege des „remise au parquet“ und der mit ihr verbundenen Rechtsfolgen (vgl. Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 1 HZÜ Rn. 6; Art. 15 HZÜ Rn. 2; Kropholler, aaO, Art. 20 EuGVÜ Rn. 6; OLG Oldenburg IPRax 92; Nagel, IPRax 92, 150).
Die Schuldnerin hat hier für die Zustellung den Weg über die „remise au parquet“ gewählt und über den Gerichtsvollzieher das Urteil der Staatsanwaltschaft übergeben. Damit ist die Zustellung nach französischem Recht wirksam erfolgt.
Entgegen der Ansicht der Schuldnerin ergibt sich auch nach den Vorschriften des HZÜ nichts anderes. Art. 1 des HZÜ bestimmt zwar, daß das Übereinkommen in allen Fällen anzuwenden ist, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück zum Zwecke der Zustellung in das Ausland zu übermitteln ist. In welchen Fällen dies aber erforderlich ist, richtet sich nach dem Recht des Ursprungsstaates (vgl. Schlosser, aaO, Art. 1 HZÜ Rn. 5 mwN), hier also demjenigen Frankreich. Die dortigen Vorschriften verweisen zwar auf das HZÜ (Art. 685 n.c.p.c.), jedoch ist nach französischem Recht nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung, daß diese nach den Vorschriften des HZÜ erfolgt (siehe die obigen Nachweise).
Auch Art. 15 HZÜ greift in vorliegendem Fall nicht ein. Zutreffend ist zwar, daß diese Vorschrift vor allem die Funktion hat, die in der BRD wohnhaften Beklagten vor Überraschungsentscheidungen in den romanischen Staaten zu schützen, die das Zustellungssystem der „remise au parquet“ befolgen (vgl. Kropholler, aaO, Art. 20 EuGVÜ Rn. 6). Art. 15 HZÜ ist aber nur bei verfahrenseinleitenden Schriftstücken anwendbar, wie sie in Art. 27 Abs. 2 und 46 Abs. 2 EuGVÜ vorgesehen sind. Hat sich der Beklagte hingegen auf das Verfahren eingelassen, so bedarf er keines Schutzes mehr. In vorliegendem Fall ist die Schuldnerin im Verfahren vor dem Tribunal de Commerce Creteil durch einen französischen Rechtsanwalt vertreten gewesen. Sie hat sich daher auf das Verfahren eingelassen und konnte sich verteidigen. Der Vorsitzende der 10. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken brauchte daher nicht zu prüfen, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück der Schuldnerin zugestellt (Art. 27 Abs. 2 EuGVÜ) worden ist. Ebenso war eine Entscheidung im Versäumnisverfahren nicht ergangen (Art. 46 Abs. 2 EuGVÜ).
c) Im übrigen ist aber noch vor dem Beschluß des Landgerichts vom 3.7.1997 das Urteil auch nach den Vorschriften des HZÜ am 18.6.1997 zugestellt worden. Damit ist auch nach Ansicht der Schuldnerin eine wirksame Zustellung erfolgt. Entgegen ihrer Ansicht ist aber eine nach Antragstellung erfolgte Zustellung noch im Verfahren auf Erteilung der Vollstreckungsklausel zu berücksichtigen. Es wäre sogar ausreichend gewesen, wenn diese – oder ein andere – Zustellung erst im Beschwerdeverfahren nachgeholt worden wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 14.3.1996, Rs C 275/95, IPRax 97, 186; Stadler, Zeitpunkt der Vorlage der im Klauselerteilungsverfahren nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ notwendigen Urkunden, IPRax 97, 171 mwN).
d) Der Umstand, daß gegen das für vollstreckbar erklärte Urteil Berufung eingelegt worden ist, führt nicht dazu, daß die Vollstreckungsklausel nicht zu erteilen wäre. Dies ergibt sich schon aus Art. 38 EuGVÜ, der für den Fall der Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs gegen die für vollstreckbar zu erklärende Entscheidung eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens oder die Anordnung der Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung ermöglicht.
2. Dem im Beschwerdeverfahren gestellten Hilfsantrag der Schuldnerin auf Aussetzung des Beschwerdeverfahrens nach Art. 38 EuGVÜ, § 37 I 1 AVAG im Hinblick auf die gegen das Urteil des Tribunal de Commerce Creteil vom 12.11.1996 eingelegte Berufung vom 5.8.1997 bei dem Berufungsgericht in Paris gibt der Senat nicht statt. Der Senat hat über den Aussetzungsantrag nach pflichtgemäßem Ermessen („kann“) zu entscheiden; dabei hat er die mutmaßlichen Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Erststaat zu berücksichtigen. Da das EuGVÜ die Vollstreckung vorläufig vollstreckbarer Entscheidungen zulassen will, ist das Verfahren grundsätzlich nur auszusetzen, wenn das Rechtsmittel zulässig ist und die zu vollstreckende Entscheidung ersichtlich fehlerhaft ist (OLGR Köln 1996, 99; MünchKomm. ZPO/Gottwald, 1992, IZPr Art. 39 Rn. 4).
Im vorliegenden Fall erfolgte die Zustellung nach französischem Recht am 30.12.1997. Diese Zustellung ist auch für den Lauf der innerstaatlichen Fristen maßgebend (vgl. Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 1 HZÜ Rn. 6; Art. 15 HZÜ Rn. 2; Kropholler, aaO, Art. 20 EuGVÜ Rn. 6; OLG Oldenburg IPRax 92, Nagel, IPRax 92, 150). Die Frist zur Einlegung der Berufung betrug 3 Monate und ist am 1. April 1997 abgelaufen, ohne daß bis dahin Berufung eingelegt worden wäre. Dies entnimmt der Senat einer Bescheinigung der Geschäftsstelle des „Cour D'Appel de Paris“ vom 14.4.1997, in der ausgeführt ist, daß keine Berufung gegen das Urteil vom 12.11.1996 eingelegt worden und die Berufungsfrist am 1. April 1997 abgelaufen ist. Zwar besteht im französischen Recht möglicherweise auch das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu und zu dem Vorliegen solcher Voraussetzungen hat die Schuldnerin aber nichts vorgetragen.