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Zusammenfassung der Entscheidung Die Parteien stritten vor dem Handelsgericht in Brüssel (BE) um Zahlungspflichten der Antragsgegnerin. Die Klage und die Ladung wurden der Antragsgegnerin ebenso zugestellt wie das anschließend ergangene Urteil. Die Antragsgegnerin war in der anberaumten Sitzung anwaltlich vertreten und erhob Widerklage. Das Gericht gab der Klage statt, wies die Widerklage ab und bestimmte neben der Zahlungspflicht wegen Kaufpreisansprüchen auch eine Zinszahlungspflicht "auf jede der Rechnungen seit ihrem Datum". Die Antragstellerin beantragte, das Urteil für das Gebiet der BRD für vollstreckbar zu erklären. Hiergegen wandte sich die Antragsgegnerin.
Das OLG Düsseldorf (DE) führt aus, dass dem Urteil die Anerkennung nicht zu versagen sei. Hinsichtlich der Vollstreckungsklausel bedürfe es einer Konkretisierung, da die konkreten Daten der bezeichneten Rechnungen nicht im Urteil genannt seien. Eine Konkretisierung im Vollstreckbarkeitsverfahren sei geboten, soweit sich die Kriterien für die Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Leistungspflicht zwar nicht aus dem Titel selbst, aber aus ähnlichen, gleichermaßen zugänglichen Quellen ergeben. Anerkennungshindernisse gemäß Art. 27, 28 EuGVÜ lägen nicht vor. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ sei alleine aus dem Grunde nicht einschlägig, dass sich die Antragsgegnerin auf das Verfahren eingelassen habe. Einlassen im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ sei demnach jedes Verhandeln, aus dem sich ergebe, dass der Beklagte von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt und die Möglichkeit der Verteidigung gegen den Angriff des Klägers erhalten habe, es sei denn, sein Vorbringen im Prozess habe sich darauf beschränkt, den Fortgang des Verfahrens zu rügen. Hier habe die Beklagte sogar Widerklage erhoben.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Antragstellerin hat die Antragsgegnerin, mit der sie seit längerem Geschäftsbeziehungen unterhält, aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung vor dem Handelsgericht in Brüssel auf Bezahlung von Warenlieferungen aus rückständigen Rechnungen von April bis August 1995 in Anspruch genommen. Klage und Ladung sind der Antragsgegnerin im Wege der Rechtshilfe zugestellt worden. Nach Erlaß eines Zwischenurteils vom 6.11.1995 über die von der Antragsgegnerin erhobene Zuständigkeitsrüge – der Antragsgegnerin im Januar 1996 förmlich zugestellt – wurde in der Sitzung vom 5.3.1996, in der die Antragsgegnerin anwaltlich vertreten war, der Klage stattgegeben und die von der Antragsgegnerin erhobene Widerklage als unbegründet abgewiesen. Neben Hauptforderung und Konventionalstrafe wurde die Antragsgegnerin zur Zahlung von 12 % Zinsen „auf jede der Rechnungen seit ihrem Datum bis zum Tag der effektiven Zahlung“ verpflichtet.
Das Urteil ist der Antragsgegnerin inzwischen – laut Zustellungszeugnis des Amtsgerichts Neuss am 3.5.1996 – förmlich im Wege der Rechtshilfe zugestellt worden. Auf Betreiben der Antragstellerin hat das Landgericht mit Beschluß vom 23.5.1996 angeordnet, daß dieses Urteil mit der Vollstreckungsklausel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu versehen sei.
Die Antragsgegnerin hat gegen diesen Beschluß Beschwerde – inzwischen auch Berufung gegen das Urteil in Belgien – eingelegt und macht geltend, das Zwischenurteil sei aufgrund von Verfahrensunregelmäßigkeiten und nicht kontradiktorisch zustande gekommen. Sie hat „die Verletzung von Art. 27 und 28 EuGVÜ“ gerügt und hilfsweise wegen der von ihr eingelegten Berufung die Aussetzung des Verfahrens beantragt. Die Antragstellerin tritt dem Rechtsbehelf und auch dem Aussetzungsbegehren entgegen.
II. Die – zulässige – Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt im wesentlichen ohne Erfolg. Allerdings bedurfte die Verurteilung zu Zinszahlungen einer mit einer geringfügigen Einschränkung des Urteilstenors verbundenen näheren Konkretisierung; die Anordnung der Sicherheitsleistung beruht auf Art. 38 Abs. 3 EuGVÜ und § 37 Abs. 1 Satz 2 AVAG.
1. Nach Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ kann ein Antrag auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines belgischen Gerichtsentscheids nur aus einer der in Art. 27 und 28 aufgeführten Gründe abgelehnt werden. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
a) Das ausländische Urteil widerspricht nicht der deutschen öffentlichen Ordnung (Art. 27 Nr. 1).
b) Es handelt sich auch nicht um eine Säumnisentscheidung; vielmehr hatte sich die Antragsgegnerin auf das Verfahren eingelassen, war durch belgische Rechtsanwälte vertreten, hatte Abweisung der Klage beantragt und sogar eine Gegenklage gegen die Antragstellerin erhoben. „Einlassen“ im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ist jedes Verhandeln, aus dem sich ergibt, daß der Beklagte von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt und die Möglichkeit der Verteidigung gegen den Angriff des Klägers erhalten hat, es sei denn, sein Vorbringen im Prozeß hat sich darauf beschränkt, den Fortgang des Verfahrens zu rügen, weil Zustellungen nicht ordnungsgemäß oder zu spät erfolgt seien (OLG Köln IPRax 1991 Nr. 12; Kropholler, Europ. Zivilprozeßrecht 5. Aufl., Art. 27 Rn. 22). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Wortlaut des Urteils vom 5.3.1996 – Gegenteiliges macht auch die Antragsgegnerin selbst nicht geltend -, daß die Antragsgegnerin seinerzeit auch zur Sache verhandelt und sich verteidigt und insoweit im Wege einer Widerklage ihrerseits – nicht nur hilfsweise – Schadensersatzansprüche geltend gemacht hat.
c) Schließlich liegt ein Anerkennungsversagungsgrund nach Art. 28 EuGVÜ nicht vor. Ausschließliche Zuständigkeiten nach Art. 7 ff. (Versicherungssachen), Art. 13 ff. (Verbrauchersachen) oder Art. 16 kommen ersichtlich nicht in Betracht. Der Klage liegen vielmehr gewerbliche Handelsbeziehungen zugrunde. Auch um einen Fall nach Art. 59 handelt es sich nicht. Eine weitergehende Überprüfung der Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaates findet nicht statt (Art. 28 Abs. 2 und 3 EuGVÜ)
2. Auch die nach Art. 46 und 47 EuGVÜ erforderlichen Urkunden, nämlich eine beglaubigte Ausfertigung des für vollstreckbar erklärten Urteils mit einer Übersetzung sowie das Zustellungszeugnis des Amtsgerichts Neuss vom 7.5.1996 sind von der Antragstellerin vorgelegt worden.
3. Zwar muß das Urteil danach auch hinsichtlich der Verurteilung zur Zinszahlung und der im Urteil der Höhe nach bereits festgelegten Kosten von 35.342 BEF für vollstreckbar erklärt werden. Weil für die angestrebte Zwangsvollstreckung im Inland nicht das ausländische Urteil, sondern die Entscheidung über dessen Vollstreckbarerklärung den maßgebenden Titel bildet, muß dieser jedoch den an die Bestimmtheit von Inhalt und Umfang der Leistungspflicht für eine Zwangsvollstreckung im Inland zu stellenden Anforderungen gerecht werden (BGH NJW 1990, 3084). Insoweit kann eine zusätzliche Konkretisierung des ausländischen Urteils durch Auslegung geboten sein, die im Klauselerteilungsverfahren vorzunehmen ist und nicht dem später tätig werdenden Vollstreckungsorgan überlassen werden kann (BGHZ 122, 16; Kropholler aaO Art. 31 Rn. 12).
a) Im vorliegenden Fall ist die Verurteilung zu Zinszahlungen im Tenor des ausländischen Urteils zum einen aus sich heraus nicht hinreichend bestimmbar („auf jede der Rechnungen seit ihrem Datum“), weil die Daten der Rechnungen im Urteil nicht genannt sind. Nach Sinn und Zweck des Vollstreckungsübereinkommens soll einem im Urteilsstaat vollstreckbaren Titel, dem die Anerkennung nicht versagt werden kann, nach Möglichkeit auch im Inland Geltung verschafft und die Vollstreckbarkeit verliehen werden, soweit sich die Kriterien für die Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Leistungspflicht zwar nicht aus dem Titel selbst, aber aus ähnlichen, gleichermaßen zugänglichen Quellen ergeben (BGH NJW 1986, 1446 und NJW 1990, 3084). In diesem Sinne ist es – auch bei Wahrung der berechtigten Interessen der Antragsgegnerin als Vollstreckungsschuldnerin – unbedenklich zu rechtfertigen, zur Klarstellung des Beginns der Zinspflicht die zwar nicht im Urteil selbst, aber doch in der der Antragsgegnerin im Oktober 1995 förmlich zugestellten „Vorladung“ aufgeführten Rechnungsdaten mit zu verwenden.
b) Weil die Hauptforderung von 59.744,‑ DM nach dem Inhalt des Urteils in Verbindung mit der „Vorladung“ nicht der Rechnungsgesamtsumme von 61.548,‑ DM entspricht, sich vielmehr durch Saldierung mit Gutschriften von insgesamt 1.804,‑ DM ergibt, muß in sinngemäßer Interpretation der Zinsverurteilung der älteste Rechnungsbetrag um den – nicht verzinslichen – Betrag der Gutschriften gekürzt werden.
Im übrigen findet eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der ausländischen Entscheidung im Verfahren der Vollstreckbarerklärung nicht statt (Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ).
4. Nach übereinstimmender Mitteilung beider Parteien hat die Antragsgegnerin inzwischen gegen das Urteil vom 5.3.1996 das Rechtsmittel der Berufung eingelegt; über weitere Einzelheiten und den derzeitigen Stand des Rechtsmittelverfahrens im Urteilsstaat ist allerdings nichts bekannt und mitgeteilt.
Dem Antrag auf Aussetzung des vorliegenden Verfahrens gemäß Art. 38 Abs. 1 EuGVÜ, § 37 Abs: 1 AVAG konnte nicht entsprochen werden, weil die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens in Belgien völlig ungewiß sind und sich die Antragsgegnerin bislang zu den angeblichen Zahlungsrückständen und der sachlichen Berechtigung von Kaufpreisforderungen nicht näher geäußert hat.
Unter diesen Umständen erschien dem Senat auch die Anordnung einer Sicherheitsleistung nur insoweit vertretbar, als die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung hinausgehen soll. Hierdurch wird den Interessen der Antragsgegnerin als Vollstreckungsschuldnerin ausreichend Rechnung getragen (vgl. Senatsbeschluß in IPRspr. 1984 Nr. 190, Kropholler aaO Art. 38 Rn. 7).