I. Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft französischen Rechts. Die Antragsgegner sind Reeder/Partenreeder des... das unter deutscher Flagge fährt.
Am 8. März 1991 gegen 22.00 Uhr verließ das MS … unter der nautischen Führung seines Kapitäns … mit einer Ladung von 2.550 t Mais den Hafen von ... zu einer Reise nach ….
Neben dem Kapitän war das Schiff mit einem weiteren Nautiker, Steuermann, sowie 5 Mitgliedern (Kiribati) besetzt. Das Schiff war damit zu diesem Zeitpunkt nach Maßgabe der damals gültigen deutschen Schiffsbesetzungsordnung ordnungsgemäß, d.h. personell hinreichend besetzt. Die Qualifikation von Kapitän und Steuermann entsprachen den Anforderungen von § 7 Abs. 2 der Schiffsbesetzungsordnung vom 4. April 1984 in Verbindung mit der Verordnung über die Ausbildung und Befähigung von Kapitänen und Schiffsoffizieren des nautischen und technischen Schiffsdienstes vom 11. Februar 1985. Insoweit wird auf die Feststellungen im Spruch des Seeamtes Hamburg vom 24. Februar 1994 – Aktenzeichen SeeA2-Dl 29/91 H – (Anl. AG 1) verwiesen, die unter den Parteien – soweit hier bedeutsam – im Vollstreckungsverfahren nicht streitig sind.
Vor dem Auslaufen in … war ein Lotse an Bord gekommen. Beim Verlassen der Pier in... und nach Beginn der Reise war die Brücke mit Kapitän … und dem Lotsen besetzt. Gegen 23.40 Uhr am 8. März 1991 kollidierte das... mit der Pier der Antragstellerin bei Trompeloup eben unterhalb von Pauillac an der Gironde. Nach den Feststellungen des Seeamtes Hamburg ist der Unfall darauf zurückzuführen, daß auf dem MS … eine bei der Tonne 43 erforderliche Kursänderung versäumt wurde.
Das Seeamt hat weiter ausgesprochen, daß sich insoweit der beratende Lotse fehlerhaft verhalten hat und ein fehlerhaftes Verhalten von Kapitän … darin gesehen, daß er die Brücke verließ, ohne für das Fortbestehen einer ordnungsgemäßen Brückenwache gesorgt zu haben (mitursächlich für den Seeunfall), daß er den Ausguck nicht besetzte, und daß er nur eine der beiden Hydraulikpumpen für die Rudermaschine eingeschaltet hatte.
An der Pier (Öl-Löschbrücke) der Antragstellerin entstand erheblicher Sachschaden.
Den Antragsgegnern dieses Verfahrens wurde mit Beschluß vom 8. April 1991 erlaubt einen Haftungsbeschränkungsfonds zu bilden. Daß die Antragsgegner der Antragstellerin nach Maßgabe der beschränkten Reederhaftung gemäß dem Londoner Abkommen von 1976 Schadensersatz schulden, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Entsprechend ihrem Ziel, die unbeschränkte persönliche Haftung der Reeder zu erreichen, erwirkte die Antragstellerin am 23. September 1993 ein Urteil des französischen Handelsgerichts in ... u.a. gegen die Antragsgegner dieses Vollstreckungsverfahrens (Originaltext und deutsche Übersetzung des Urteils Anl. ASt 1 und 2), mit dem diese als persönlich haftende Schuldner verurteilt wurden, an die Antragstellerin Schadensersatz in Höhe von FF 63.032.163,‑ nebst Kosten und Zinsen zu zahlen. Die aus Schadensersatz, Zinsen und Kosten sich ergebende Summe belief sich bei Erlaß des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Hamburg auf 18.402.000,‑ Deutsche Mark. Gegen dieses Urteil haben die Antragsgegner form- und fristgerecht Rechtsmittel zum Tribunal de Grande Instance De Bordeaux eingelegt (vgl. Anl. ASt. 10). Über dieses Rechtsmittel ist noch nicht entschieden worden.
Mit am 26. Januar 1994 beim Landgericht Hamburg eingegangenem Antrag hat die Antragstellerin beantragt, das Urteil des Tribunal de Commerce de Bordeaux vom 23.9.1993, durch das die Antragsgegner als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von FF 63.032.163,‑ nebst Zinsen und Kosten verurteilt worden sind, mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
Diesem Antrag hat das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 5, mit Beschluß vom 19. April 1994 entsprochen. Den Streitwert hat es – entsprechend der Hauptsumme – auf FF 63.032.136,‑ festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung hat es durch Beschluß vom 3. Mai 1994 von Amts wegen berichtigt und den Wert unter Berücksichtigung der Zinsen und Kosten auf DM 18.402.000,‑ festgesetzt. Die Teilvollstreckungsklausel gemäß § 3 AVAG ist von der Rechtspflegerin erteilt und ebenfalls entsprechend dem Ausspruch zur Vollstreckbarkeit berichtigt worden.
Gegen den am 27. April 1994 den Antragsgegnern in der ursprünglichen Fassung und am 6. Mai 1994 in der berichtigten Fassung zugestellten Beschluß haben diese am 20. Mai 1994 Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, – verkürzt – die Beschlüsse des Landgerichts vom 19. April aufzuheben und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückzuweisen.
Ferner stellen die Antragsgegner Hilfsanträge, auf deren Inhalt verwiesen wird (Schriftsatz vom 27. Mai 1994 S. 3; Schriftsatz vom 26. Juli 1994 S. 1-7). In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25. August 1994 hat der Prozeßbevollmächtigte der Antragsgegner klargestellt, dass er den Aussetzungsantrag (gemäß § 38 Abs. 1 EuGVÜ) nur als Hilfsantrag nach dem Hauptantrag (Aufhebung der landgerichtlichen Beschlüsse) stelle, nachdem der Senat ihn darauf hingewiesen hatte, daß es zweifelhaft sei, ob der Aussetzungsantrag als Hilfsantrag gestellt werden könne.
Zur Sache rügen die Antragsgegner Verstöße des französischen Urteils gegen den prozessualen und materiellen ordre public (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ) sowie das Fehlen ordnungsgemäßer Zustellung des Urteils (Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ). Die Zustellung sei vom Landgericht nicht festgestellt, sondern nur unterstellt worden.
Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluß und legt Bescheinigungen über eine förmliche Zustellung des französischen Urteils (Anl. ASt 10) vom August 1994 vor. Sie stellt den Antrag, die Anträge der Antragsgegner zurückzuweisen.
Ergänzend wird auf den umfangreichen Parteivortrag im Beschwerdeverfahren sowie auf die von den Parteien vorgelegten Anlagen Bezug benommen.
II. Die zulässige (§ 11 AVAG) Beschwerde ist nicht begründet.
Die Beschwerdefrist von einem Monat (§ 11 Abs. 2 AVAG) ist gewahrt, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Frist mit der Zustellung der Entscheidung vom 19. April 1994 – zugestellt am 27. April 1994 – oder mit der Zustellung des berichtigten Beschlusses – dieser zugestellt am 6 Mai 1994 – beginnt. Die Beschwerde ist am 20. Mai 1994 beim Landgericht eingegangen (vgl § 12 Abs. 2 AVAG).
1. Die Beschwerde ist nicht bereits deshalb begründet, weil die Zustellung des Urteils des französischen Handelsgerichts in erster Instanz nicht urkundlich nachgewiesen worden ist. Die Vorlage eines urkundlichen Nachweises für die Zustellung ist nicht zwingend das allein zulässige Beweismittel, vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 4. Aufl. 1993 Art. 47 EuGVÜ Rn. 1. Das Landgericht durfte hiernach aus der Mitteilung, daß ein Rechtsmittel eingelegt worden sei (Anl. ASt. 6) indiziell schließen, daß eine Zustellung stattgefunden habe. Im übrigen ist dem Erfordernis der Zustellung jedenfalls dadurch genügt, daß die Antragstellerin sie im August 1994 bewirkt hat (Anl. ASt 10), als das Vollstreckungsverfahren bereits beim Senat als Beschwerdegericht anhängig war. Die Zustellung im Rechtsmittelverfahren genügt jedenfalls dann den Anforderungen des Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ, wenn der Schuldner – wie hier die Antragsgegner – zu erkennen gibt, daß er keinesfalls leisten werde, vgl. Kropholler aaO Art. 47 EuGVÜ Rn. 2.
2. Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrages der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung liegen nicht vor (Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ). Nach Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ hat der Senat die Entscheidung des Tribunal de Commerce in Bordeaux (im folgenden: TCB) „keinesfalls auf ihre Gesetzmäßigkeit nachzuprüfen“.
Das Urteil des TCB verstößt nicht gegen die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ steht seiner Vollstreckbarerklärung nicht entgegen.
a) Der von den Antragsgegnern in den Vordergrund gestellte Verstoß gegen den „prozessualen ordre public“ (Beschwerdebegründung vom 27. Mai 1994 S. 4-6 und 8-14 und Schriftsatz vom 15. Juli 1994 S. 1-3) ist nicht erkennbar. Das Urteil des TCB hat seiner Entscheidung offenkundig auf diejenigen Feststellungen gestützt, die später das Seeamt … seinem Spruch vom 24. Februar 1994 (Anl. AG 1) zugrunde gelegt hat. Diese tatsächlichen Feststellungen zum Hergang des Unfalls, zum Verhalten des Kapitäns, des Lotsen und des Steuermanns (Urteilsgründe S. 8 – 10; französischer Text und deutsche Übersetzung Anl. ASt 1 und 2 in der Paginierung übereinstimmend) sind nach Aktenlage in diesem Vollstreckungsverfahren außer Streit. Daraus wird deutlich, daß das TCB seine Entscheidung auf eine korrekte Sachverhaltsfeststellung aufgebaut hat. Das Gericht spricht sinngemäß aus, daß es für die Frage nach der ausreichenden Besetzung des Schiffes „nicht auf die Einhaltung der Regeln, Abkommen und Gepflogenheiten der Seefahrt“, sondern auf die Sicherheitsanforderungen im konkreten Fall abstellt (Urteilsgründe S. 10 – eingerückter zweiter Absatz). Daraus wird deutlich, daß das Urteil des TCB nicht auf einer Prozeßführung beruht, die seine Vollstreckbarerklärung als mit der deutschen öffentlichen Ordnung unvereinbar erscheinen läßt. Die Antragsgegner wenden sich insoweit der Sache nach gegen die Begründung für die Annahme ihres persönlichen Verschuldens als Voraussetzung ihrer persönlichen Haftung. Das aber ist eine Frage des materiellen ordre public.
b) Das Urteil des TCB verstößt auch in Begründung und Ergebnis – persönliche Haftung der Reeder für die Kollision vom 8. März 1991 – nicht gegen die deutsche öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ.
Der Senat verkennt nicht, daß die Beschränkung der Reederhaftung, d.h. ihr Ausschluß bei fehlendem eigenen Verschulden der Reeder ein wesentlicher Grundsatz des seerechtlichen Haftungsrechts ist. Dieser Grundsatz beherrscht das europäische seerechtliche Haftungsrecht und ist nunmehr im Londoner Übereinkommen von 1976 (abgedruckt und erläutert von Rabe in Prüßmann-Rabe, Seehandelsrecht, 3.Auf1. nach 486 HGB ab S. 80) in Art. 4 (bei Prüßmann-Rabe aaO S. 103) geregelt. Das französische Gericht geht indessen in seiner Entscheidung von diesem Abkommen aus, vgl. S. 6 unten der Urteilsgründe. Es bezeichnet aber die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung des Reeders als „ein Privileg, auf das nur ein Reeder Anspruch hat, der ständig … die vom Gesetz und den Seefahrtsgepflogenheiten vorgeschriebenen Vorkehrungen trifft, die seinen Schiffen ein Navigieren erlauben, bei dem die … Sicherheit Dritter, Personen oder Sachgüter jederzeit gewährleistet ist“. Kein Recht auf (scil. das Privileg der) Haftungsbeschränkung habe hiernach ein Reeder, der die Sicherheitsbestimmungen nur profitorientiert betrachte, indem er spare, (u.a.) bei der Besatzung des Schiffes (Urteilsgründe S. 7 oben). Das Gericht mißt hiernach die Anforderungen an die Sorgfalt der Reeder im konkreten Fall an der Verwirklichung der Gefahr (Einzelheiten dazu S. 8-11 der Urteilsgründe) und stützt seine Entscheidung auf die Erwägung, daß die Anwesenheit eines Offiziers auf der Brücke, nachdem der Kapitän die Kommandobrücke verlassen habe, ohne dies dem Lotsen mitzuteilen oder irgendwelche anderweitigen Vorkehrungen zu treffen, in den Maschinenraum hinuntergegangen sei und die Ballastventile geschlossen habe die Kollision verhindert haben würde. Dementsprechend heißt es auf S. 9 der Urteilsgründe: „Dies zeigt, daß nicht genügend Offiziere für den Wachdienst vorhanden waren.“ Weiter unten (S. 9) wird hierzu ausgeführt, daß es ein Risiko bedeute, wenn die Schiffsbesatzung nur aus zwei Offizieren bestehe, von denen einer ausfallen könne. Die Nichtbeachtung dieses Risikos müsse als gravierendes Verschulden auch der Reeder gewertet werden (Urteilsgründe S. 9 unten/10 oben). Diese Subsumtion hält der Senat jedenfalls in dem Sinne für vertretbar, daß ihre Gedankenführung und ihr Ergebnis nicht der deutschen öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ widersprechen. Ein solcher Verstoß ergibt sich insbesondere nicht aus der Feststellung, daß die Besatzung des MS … dem deutschen (öffentlich-rechtlichen) Sicherheitsgebot (Schiffsbesetzungsordnung) entsprochen und genügt hat. Denn auch für das deutsche Recht ist anerkannt, daß öffentlich-rechtliche Sicherheitsvorschriften die zivilrechtlichen Haftungselemente nicht präjudizieren und daß Rechtswidrigkeit und Verschulden auch dann vom Richter bejaht werden können, wenn diesen Vorschriften genügt worden ist, vgl. Mertens in Münchener Kommentar, 2. Aufl. 1986 § 823 Rn. 23 c.m.N.
Angesichts der konkreten und nachvollziehbaren Subsumtion des TCB zum Verschulden der Antragsgegner kommt dem mit dem Wortlaut des Art. 4 des Londoner Abkommens von 1976 schwerlich vereinbarten Obersatz „Eine Haftung kann nur bei Unvorhersehbarkeit und Unvermeidbarkeit ausgeschlossen werden“ (Urteilsgründe S. 8 oben) nur die Bedeutung eines pointiert formulierten obiter dictum zu, das für den Inhalt der Entscheidung nicht tragend geworden ist.
c) Auch aus Art. 38 EGBGB ergibt sich vorliegend kein Verstoß des TCB gegen den ordre public. Denn (auch) nach deutschem Recht kann ein Reeder bei eigenem Verschulden persönlich haftbar werden. Hierdurch unterscheidet sich dieser Sachverhalt von dem vom Bundesgerichtshof am 16. September 1993 (MDR 94, 39) entschiedenen Fall: Der in Italien selbst auf Schadensersatz in Anspruch genommene beamtete Lehrer hätte bei einer Inanspruchnahme in Deutschland wegen §§ 636, 637 RVO aufgrund des dort festgestellten Sachverhalts nicht persönlich in Anspruch genommen werden können.
3. Die Hilfsanträge der Antragsgegner sind – mit Ausnahme des Antrags auf Vollstreckungsschutz gemäß § 24 Abs. 2 AVAG – unzulässig oder unbegründet.
a) Eine Aussetzung des Verfahrens bis zur endgültigen Entscheidung der Sache durch französische Gerichte kommt aufgrund eines Hilfsantrages nicht in Betracht. Da die Antragsgegner primär eine Entscheidung in der Hauptsache anstreben (beantragen), können sie nach Auffassung des Senats nicht für den Fall, daß diese Entscheidung zu ihren Ungunsten ausfällt, das Unterbleiben einer Sachentscheidung beantragen. Darauf aber liefe eine Aussetzung trotz Entscheidungsreife in der Hauptsache hinaus.
b) Die Vollstreckung durch die Antragstellerin von deren Sicherheitsleistung abhängig zu machen, wäre nach § 38 Abs. 3 EuGVÜ zwar zulässig, wenn eine solche Entscheidung zugleich mit der Beschwerdeentscheidung getroffen wird, vgl. Kropholler aaO Rn. 4. Der Schutz der Antragsgegner ist aber durch die nach § 24 Abs. 2 getroffene Maßnahme hinreichend gewährleistet. Sollte die Antragstellerin in einem Verfahren auf Rechtsbeschwerde der Antragsgegner (§ 17 AVAG) unterliegen, so wird die Antragstellerin finanziell in der Lage sein, etwa entstandene Regreß- oder Schadensersatzansprüche der Antragsgegner zu befriedigen.
c) Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 AVAG sind nach Aktenlage unzweifelhaft gegeben. Den erforderlichen Antrag haben die Antragsgegner als Antrag zu 6. mit Schriftsatz vorn 26. Juli 1994 (dort S. 6 Bl. 85 der Akten) gestellt.