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Zusammenfassung der Entscheidung Der französische Gläubiger hatte in Frankreich ein zweitinstanzliches vollstreckbares Urteil gegen den deutschen Schuldner erlangt. Der Schuldner ließ sich auf das Verfahren nicht ein. Auf Antrag des Gläubigers hatte das zuständige deutsche Landgericht das Urteil für vorläufig vollstreckbar erklärt. Der Schuldner trug vor, er habe erst durch den Vollstreckbarkeitsbeschluss des deutschen Gerichts von der französischen Entscheidung erfahren.
Das OLG Karlsruhe (DE) führt aus, dass sich die ordnungsgemäße Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks vor dem französischen Gericht gemäß Artikel 27 Nr. 2 EuGVÜ nach dem Recht des Urteilsstaats richte. Dieses beinhalte auch die von diesem Staat unterzeichneten Übereinkommen und Verträge. Dies sei im vorliegenden Fall das Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke vom 15.11.1965. Sollte der Beklagte bestreiten, das Schriftstück erhalten zu haben und von dem Verfahren vor der Einleitung des Vollstreckungsverfahrens Kenntnis erlangt zu haben, habe der Kläger das Gegenteil zu beweisen. Da dem Kläger der Beweis der Zustellung der Klageschrift nicht gelungen worden sei, liege keine ordnungsgemäße Zustellung im Sinne von Artikel 27 Nr. 2 EuGVÜ vor und das Urteil könne deshalb nicht in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Der Vorsitzende der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts hat durch den angefochtenen Beschluß entsprechend dem Antrag des Antragstellers/Gläubigers das Urteil des Berufungsgerichtes Nîmes/Frankreich vom 13.03.1991, vollstreckbar seit dem 22.11.1991, und den Berichtigungsbeschluß desselben Gerichts vom 20.11.1991, mit welchen der Antragsgegner zur Zahlung von 50.000 Ffr. sowie zur Tragung der Kosten der ersten Instanz verurteilt wurde, für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Gegen diesen Beschluß, der ihm am 10.10.1992 zusammen mit der Vollstreckungsklausel und deutscher Abschriften der für vollstreckbar erklärten Entscheidungen zugestellt worden ist, hat der Antragsgegner, der sich an dem Gerichtsverfahren in Frankreich nicht beteiligt hatte, am 02.11.1992 Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf Art. 27 Nr. 2 des Übereinkommens vom 27.09.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ, BGBl. 1972 II, 774 ff.) und § 328 I Nr. 2 ZPO und behauptet, er habe von der für vollstreckbar erklärten Entscheidung erstmalig durch die angefochtene Entscheidung des Landgerichts erfahren. Im gesamten Verlauf des Verfahrens in Frankreich sei ihm keine Ladung oder ein sonstiges Schriftstück zugestellt worden.
Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten. Er hat darauf abgehoben, daß ausweislich der Feststellungen des Appellationsgerichts in Nîmes (S. 5) der Antragsgegner von der Generalstaatsanwaltschaft geladen worden sei, und daß seine, des Antragstellers, verfahrenseinleitenden Anträge mit Ladung am 21. und 28.11.1986 veröffentlicht worden seien, die Zustellung also dem Recht des Urteilsstaates entsprochen habe. Darüber hinaus behauptet er, der Antragsgegner sei durch den im französischen Verfahren mitverklagten Prof. S über die Zustellung der Klage in jenem Verfahren unterrichtet worden.
II. Die Beschwerde ist nach Art. 36 I EuGVÜ, § 11 AVAG vom 30.05.1988 (BGBl. 1988 I 662) zulässig. Sie ist auch begründet.
Nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, § 328 I Nr. 2 ZPO ist der Entscheidung eines ausländischen Gerichts die Anerkennung zu versagen, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte. Ob die Zustellung des prozeßeinleitenden Schriftsatzes ordnungsgemäß erfolgt ist, bestimmt sich nach dem Zustellungsrecht des Urteilsstaates, zu dem neben dem autonomen Recht auch das Recht gehört, dessen Geltung dieser Staat mit anderen Staaten in zwei- oder mehrseitigen internationalen Übereinkünften vereinbart hat (vgl. OLG Düsseldorf, IPrax 1985, 289; OLG Frankfurt MDR 91, 900; OLG Saarbrücken IPrax 1995, 35/37). Die Voraussetzungen des Art. 97 Nr. 2 EuGVÜ sind von den Gerichten des Vollstreckungsstaates selbständig, ohne Bindung an die Feststellungen der Gerichte im Urteilsstaat, zu prüfen (BGH IPrax 1986, 366). Die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Zustellung trägt, wenn der Antragsgegner die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Ladung erhebt, der Kläger des erststaatlichen Verfahrens (Zöller ZPO, 19. Aufl., § 328 Rn. 145).
Nach dem hier maßgeblichen französischen Verfahrensrecht gilt ein Schriftstück, das für eine Person im Ausland bestimmt ist, bereits in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem der Gerichtsvollzieher es dem Staatsanwalt des zuständigen inländischen Gerichtes übergeben hat (Art. 684, 685 Nouveau Code de procedure civile). Allein durch die Zustellung nach diesen Vorschriften, die aufgrund der Vorlage der „Assigniation devyant le Tribunal de Grande Instance“ (AS. 161 ff. nebst Übergabebescheinigung des Gerichtsvollziehers und Sichtvermerk des Staatsanwalts, letzte Seite, AS. 167) als nachgewiesen angesehen werden kann, ist aber eine ordnungsgemäße Zustellung iSd Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ noch nicht erfolgt. Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gilt das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen – HÜZ – vom 15.11.1965 (BGBl 1977, II S. 1452). Dementsprechend ist die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung nach diesem Abkommen zu beurteilen (vgl. OLG Saarbrücken aaO, S. 37; ebenso erkennbar auch BGH NJW 91, 641; 93, 598; a.A. OLG Düsseldorf, aaO; Geimer, IPrax 85, 6/8; Kropholler Europäisches Zivilprozeßrecht, 4. Aufl., Rn. 29 zu Art. 27 EuGVÜ). Für eine Zustellung der das Verfahren einleitenden Schriftstücke nach Maßgabe des Art. 5 HÜZ ist im vorliegenden Falle überhaupt nichts dargelegt bzw. nachgewiesen. Die Behauptung des Antragsgegners, ihm sei im gesamten Verlauf des Verfahrens keine Ladung oder ein sonstiges Schriftstück zugegangen, ist aus den vorliegenden Unterlagen nicht zu widerlegen.
Die im Termin vom 20.08.1991 vor dem Amtsgericht Freiburg versuchte Zustellung betraf Schriftstücke des Berufungsgerichtes in Nimes, deren Inhalt nicht bekannt ist (vgl. die beigezogenen Akten des AG Freiburg 3 AR 216/91). Auf die Frage, ob der Antragsgegner die Annahme dieser Schriftstücke zu Recht verweigert hat, sowie auf die weitere Frage, ob er in sonstiger Weise, etwa durch den mitverklagten Prof. S. von der Klagerhebung in Frankreich Kenntnis erhalten hat, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an. In diesem Verfahren ist nur zu prüfen, ob die Zustellung der das Verfahren (vor dem erstinstanzlichen Gericht in Avignon) einleitenden Schriftstücke ordnungsgemäß und rechtzeitig erfolgt ist. Ist dies nicht der Fall, liegen also die Voraussetzungen des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vor, kann das ausländische Urteil auch dann nicht anerkannt werden, wenn der Beklagte von ihm nach seinem Erlaß Kenntnis erhalten und dagegen keinen – an sich zulässigen – Rechtsbehelf eingelegt hat (BGH NJW 93, 2688). Aus diesem Grunde ist es auch unerheblich, ob der Antragsgegner die Aufhebung der Entscheidungen des Berufungsgerichtes in Nîmes im Wege der Kassationsklage hätte erreichen können bzw., falls er eine solche Klage tatsächlich erhoben haben sollte, erreichen kann.
III. Den in Frage stehenden Entscheidungen des französischen Berufungsgerichts war aus diesen Gründen die Anerkennung zu versagen, der Antrag auf Vollstreckbarerklärung war unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen.