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Zusammenfassung der Entscheidung Die britische Antragstellerin erwirkte vor einem englischen Gericht ein Versäumnisurteil gegen die deutsche Antragsgegnerin auf Zahlung einer Geldsumme. Die Klage war auf Veranlassung der Antragstellerin der Antragsgegnerin mit gewöhnlichem Brief durch die Post zugesandt worden. Die Antragstellerin beantragte, das Urteil für das Gebiet der BRD für vollstreckbar zu erklären. Hiergegen wandte sich die Antragsgegnerin.
Das OLG Frankfurt (DE) führt aus, dass die Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks durch normalen Brief zwischen Großbritannien und Deutschland nicht ordnungsgemäß i.S.v. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass das englische Gericht bescheinigt habe, die Klage sei ordnungsgemäß zugestellt worden, denn die Ordnungsgemäßheit der Zustellung muss das Gericht des Vollstreckungsstaates von Amts wegen in eigener Zuständigkeit und Verantwortlichkeit prüfen. Die Ordnungsgemäßheit der Zustellung beurteile sich nach dem Recht des Erststaates. Zwischen Großbritannien und der BRD gelte das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965. Es sieht in Artikel 2 die Übersendung der Schriftstücke über eine zentrale Behörde vor. Dies sei hier nicht geschehen. Zwar erlaube das Übereinkommen in Art. 10 auch die Zustellung durch die Post, jedoch habe Deutschland von seinem Recht Gebrauch gemacht, der Regelung in Art. 10 zu widersprechen. Eine Heilung des Zustellungsmangels komme nicht in Betracht, da die Antragsgegnerin unwiderlegbar dargelegt habe, die Klageschrift tatsächlich nie erhalten zu haben. Dass sie darüber hinaus kein Rechtsmittel eingelegt habe, führe ebenfalls nicht zur Heilung. Die verklagte Partei habe in derartigen Fällen keine Obliegenheit zur Einlegung eines Rechtsmittels. Solche Überlegungen hätten in dem EuGVÜ bislang keinen Niederschlag gefunden.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Antragstellerin hat die Antragsgegnerin unter dem 17.3.1988 vor dem High Court of Justice in Coventry auf Bezahlung dreier Rechnungen nebst Zinsen im Gesamtbetrag von 11.703,46 Pfund-Sterling verklagt. Die Klage (writ of summons) ist auf Veranlassung der Antragstellerin mit gewöhnlichem Brief am 18.3.1988 durch die Post an die Antragsgegnerin unter der Anschrift … abgesandt worden. Die Klageschrift war mit der Aufforderung an die Antragsgegnerin verbunden, innerhalb einer Frist von 21 Tagen nach Zustellung entweder die Klageforderung zu bezahlen oder eine Nachricht zurückzuschicken und mitzuteilen, ob sie sich gegen die Klage verteidigen wolle. Die Klageschrift ist bis zum 15.4.1988 nicht als unzustellbar an den Absender in Großbritannien zurückgelangt. Daraufhin hat der High Court of Justice in Coventry am 15.4.1988 antragsgemäß ein Versäumnisurteil (judgment in default of appearance) gegen die Antragsgegnerin erlassen.
Nachdem die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin unter dem 9.8.1988 die Antragsgegnerin zur Zahlung der Urteilssumme nebst Kosten aufgefordert hatten, hat die Antragsgegnerin englische Rechtsanwälte eingeschaltet. Letztere haben nach dem Vortrag der Antragstellerin unter dem 19.10.1988 einen Beschluß des High Court of Justice in Coventry erwirkt, durch den der Antragsgegnerin die Möglichkeit eingeräumt wurde, durch Sicherheitsleistung in Höhe der Urteilssumme eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erlangen. Da die Antragsgegnerin die Sicherheit nicht geleistet habe, sei, so hat die Antragstellerin weiter vorgetragen, unter dem 4.7.1990 das Versäumnisurteil vom 15.4.1988 für bedingungslos vollstreckbar erklärt worden.
Die Antragstellerin möchte das Versäumnisurteil in der Bundesrepublik Deutschland vollstrecken lassen. Sie hat unter dem 21.2.1989 bei dem Landgericht Limburg/Lahn die Vollstreckbarerklärung beantragt. Dazu hat sie außer der Klageschrift vom 17.3.1988 und der ihr erteilten Ausfertigung des Versäumnisurteils eine auf Grund Section 12 des Civil Jurisdication and Judgements Act 1982 ausgestellte Bescheinigung des englischen Gerichts vom 24.1.1990 vorgelegt, in der es u.a. heißt, die Klage sei der Antragsgegnerin am 18.3.1988 von … ordnungsgemäß zugestellt worden, das Versäumnisurteil sei der Antragsgegnerin nach den Vorschriften in Order 65 Rule 5 ordnungsgemäß zugestellt worden, ein Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung sei abschließend beschieden und die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil sei derzeit zulässig. Der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des angerufenen Landgerichts hat mit Beschluß vom 17.4.1990 dem Antrag der Antragstellerin vom 21.2.1990 entsprochen. Die Antragsgegnerin hat gegen diesen Beschluß mit dem an das Landgericht gerichteten und dort am 3.5.1990 eingegangenen Schriftsatz vom 30.4.1990 Beschwerde eingelegt, die sie damit begründet hat, sie habe die Klageschrift vom 17.3.1988 nie erhalten und von dem in Großbritannien anhängigen Verfahren erstmals durch das Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 9.8.1988 Kenntnis erlangt.
Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen. Sie trägt vor, die Zustellung der Klage sei nach englischem Recht ordnungsgemäß und so rechtzeitig erfolgt, daß die Antragsgegnerin sich verteidigen konnte. Dazu hat sie eine beglaubigte eidesstattliche Versicherung (affidavit) der … vom 15.4.1988 vorgelegt.
Die Beschwerde ist nach Art. 36 Abs. 1, 37 EuGVÜ, §§ 11, 12 AVAG statthaft und zulässig; die einmonatige Notfrist zur Beschwerdeeinlegung wurde durch den rechtzeitigen Eingang der Beschwerde beim Landgericht gewahrt (Art. 32 EuGVÜ iVm §§ 11 Abs. 1, 12 Abs. 2 AVAG). Sie ist auch begründet.
Nach Art. 34 Abs. 2 iVm Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ darf eine in dem Urteilsstaat ergangene Entscheidung im Vollstreckungsstaat nicht mit der Vollstreckungsklausel versehen werden, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß und so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte. Davon ist vorliegend auszugehen. Dem steht nicht entgegen, daß das englische Gericht unter dem 24.1.1990 bescheinigt hat, die Klage sei der Antragsgegnerin am 18.3.1988 ordnungsgemäß zugestellt worden. An diese Feststellung ist der inländische Vollstreckungsrichter nicht gebunden (EuGH-Urteil vom 15.7.1982 = IPRax 1985, 25; Linke RIW 1986, 409/410). Der Richter des Vollstreckungsstaats muß die gesetzlichen Versagungsgründe der Art. 27 und 28 EuGVÜ von amtswegen und in eigener Zuständigkeit und Verantwortlichkeit prüfen (OLG Köln OLGZ 1990, 381 = JMB1NW 1989, 190; Kropholler EuZivProzR-Komm. zum EuGVÜ, 2. Aufl. 1987 Art. 27 Rn. 36; Linke RIW 1986, 409/410).
Unstreitig hat die Antragsgegnerin sich jedenfalls bis zum Erlaß des Versäumnisurteils vom 15.4.1988 nicht auf das Verfahren vor dem englischen Gericht eingelassen. Der Antragsgegnerin ist die Klageschrift vom 17.3.1988 entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht ordnungsmäßig zugestellt worden. Richtig ist allerdings, daß die Frage, ob die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist, sich ausschließlich nach Maßgabe des Rechts des Urteilsstaates bestimmt, mag es sich um eine Inlands- oder eine Auslandszustellung, um eine Parteizustellung oder Amtszustellung handeln (Senat in 20 W 116/86 vom 27.5.1986 = RIW 1987, 627; Senat in 20 W 446/86 vom 1.9.1987 = IPRspr. 1987 Nr. 157; OLG Düsseldorf RIW 1985, 493 = IPRax 1985, 289; OLG Koblenz RIW 1988, 476; Linke in Bülow/Bockstiegel, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2. Aufl. Art. 27 EuGVÜ Anm. III 4 a; Linke RIW 1986, 409/410; Kropholler aaO Art. 27 Rn. 28; Pfennig, Die Internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen 1989 S. 86; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., Bem. zu Art. 27 EuGVÜ). Zum Zustellungsrecht des Urteilsstaates gehört aber nicht nur dessen autonomes Prozeßrecht, sondern auch das Prozeßrecht, dessen Geltung dieser Staat mit anderen Staaten in zwei- oder mehrseitigen internationalen Übereinkünften vereinbart hat (Senat aaO; OLG Koblenz aaO; Schumacher IPRax 1985, 265/266; Linke RIW 1986, 409/410; Pfennig aaO). Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien gilt das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965 (BGBl 1977, II 1452; vgl. die Bekanntmachungen vom 21.6.1979 BGBl 1979 II 779 und vom 23.6.1980 BGBl 1980 II 907).
Bei dieser Rechtslage kann es offen bleiben, ob die hier gewählte Art der Zustellung der Klageschrift durch Übersendung per normaler Post dem innerenglischen autonomen Recht entspricht. Denn das Haager Zustellungsübereinkommen 1965 geht davon aus, daß die für einen Empfänger im Ausland bestimmten Schriftstücke nach den in ihm oder in anderen Übereinkünften vorgesehenen Formen übermittelt werden müssen, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Zustellung im engeren Sinne oder um eine bloße Mitteilung handelt (Schumacher IPRax 1985, 265/267; Stürner in FS Nagel 1987, S. 446/450). Es sieht in Art. 2 die Übersendung der Schriftstücke über eine Zentrale Behörde vor (in England Her Majesty's Principal Secretary of State for Foreign Affairs oder The Senior Master of the Supreme Court, Royal Courts of Justice, in der Bundesrepublik Deutschland die Obersten Justizbehörden der Länder), und zwar entweder in den Formen, die das Recht des ersuchten Staates kennt (Art. 5 lit. a) oder in einer von der ersuchenden Stelle gewünschten Form (Art. 5 lit. d). Nach Art. 10 schließt das Übereinkommen allerdings nicht aus, daß „gerichtliche Schriftstück im Ausland befindlichen Personen mittelbar durch die Post übersandt werden dürfen“, sofern der Bestimmungsstaat gegen diesen Übermittlungsweg keinen Widerspruch erklärt hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat – neben anderen Staaten – der Anwendung des Art. 10 des Übereinkommens jedoch in vollem Umfang widersprochen (vgl. Bekanntmachungen des Auswärtigen Amts vom 21.6.1979 – BGBl 1979 II 779 – und vom 23.6.1980 – BGBl 1980 II 907). Danach ist die formlose Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks durch einfachen oder eingeschriebenen Brief an den in der Bundesrepublik Deutschland domizilierenden Empfänger keine vertragliche Zustellungsform nach dem Haager Zustellungsübereinkommen 1965, weil die Bundesrepublik nur förmliche Zustellung oder einfache Übergabe durch Vermittlung ihrer Organe zuläßt und der postalischen Direktzustellung (Art. 10) an den Empfänger widersprochen hat (Schumacher aaO; Linke RIW 1986, 409/411; Stürner aaO; Pfennig aaO S. 87). Die Ordnungsmäßigkeit der Übermittlung im Sinne des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ kann also im vorliegenden Fall nicht aus Art. 10 des Haager Zustellungsübereinkommens 1965 hergeleitet werden.
Ein Widerspruch nach Art. 10 des Zustellungsübereinkommens hindert allerdings nicht daran, in bilateralen (Zusatz-) Abkommen die unmittelbare Übersendung durch die Post als Übermittlungsweg zu vereinbaren. Das deutsch-britische Abkommen vom 20.3.1928 über den Rechtsverkehr (RGBl 1928, II 623), das mit Wirkung vom 1.1.1953 wieder in Kraft gesetzt worden ist (Bekanntmachung vom 13.3.1953 BGBl 1953 II 116) und das von dem Haager Zustellungsübereinkommen 1965 unberührt geblieben ist (Art. 24 Haager Zustellungsübereinkommen 1965; vgl. Böckstiegel/Schlafen, Die Haager Reformübereinkommen über die Zustellung und die Beweisaufnahme im Ausland NJW 1978, 1073/1074), läßt diese Alternative jedoch nicht zu. Nach Art. 6 dieses Übereinkommens können zwar Schriftstücke auch durch die Post übermittelt werden in Fällen, wo diese Art der Übermittlung nach dem Recht des Landes gestattet ist, in welchem das Schriftstück ausgestellt ist. Diese Vorschrift spricht aber nur scheinbar dafür, daß die Übermittlung durch einfachen oder eingeschriebenen Brief als ordnungsgemäßer Übermittlungsweg zwischen Groß-Britannien und der Bundesrepublik zugelassen ist. Ob im Streitfall die Zustellung der Klageschrift durch die Post nach englischem autonomen Recht zulässig gewesen ist, was nach dem Senat zugänglichen Schrifttum zweifelhaft erscheint (vgl. Bülow/Böckstiegel, aaO, Deutsch-britisches Abkommen über den Rechtsverkehr, Art. 6 Fußnote 70 = S. 520.14, 520.15; Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht 1974, S. 80, 81), bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn zum englischen Zustellungsrecht gehört, wie oben ausgeführt worden ist, auch das Haager Zustellungsübereinkommen 1965, das eine Zustellung von Schriftstücken aus Groß-Britannien an Zustellungsempfänger in der Bundesrepublik durch einfachen oder eingeschriebenen Brief gerade nicht zuläßt.
Die Frage, ob im Rahmen des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ Vorschriften über die Heilung von Zustellungsmängeln zu berücksichtigen sind (vgl. dazu Senat in 20 W 994/77 vom 29.5.1978 = MDR 1978, 942 = RIW 1978, 620 = IPRspr. 1978 Nr. 160; Stürner aaO S. 453 f.; Schumacher IPRax 1985, 265/268; Kropholler aaO Art. 27 Rn. 30 mwN) braucht vorliegend nicht näher erörtert zu werden, weil Die Behauptung der Antragsgegnerin, sie habe die Klageschrift vom 17.2.1983 tatsächlich nie erhalten, nicht zu widerlegen ist.
Es ist auch ansonsten nicht ersichtlich, daß der hier anzunehmende Zustellungsmangel in irgendeiner Weise geheilt worden sein könnte. Die Frage, ob und gegebenenfalls welchen Rechtsbehelf die Antragsgegnerin im Urteilsstaat gegen das Versäumnisurteil vom 15.4.1982, von dem sie durch das Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsstellerin vom 9.8.1988 Kenntnis erlangt hat, eingelegt hat, ist im vorliegenden Verfahren unklar geblieben. Sollte sie kein Rechtsmittel eingelegt haben, so führt das nicht zur Heilung des Zustellungsmangels. Der Senat folgt der vorherrschenden Meinung, daß die verklagte Partei insoweit keine Obliegenheit zur Einlegung eines Rechtsmittels trifft, wenn sie sich im Vollstreckbarkeitsverfahren auf die mangelhafte Klagezustellung berufen will (OLG Stuttgart, RIW 1979, 130; OLG Köln, aaO; Kropholler, aaO Art. 27 Rn. 38; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO; Linke in Bülow/Böckstiegel aaO, Art. 27 EuGVÜ Anm. III 4 a – einschränkend aber Linke RIW 1986, 409/413). Solche Überlegungen haben in dem EuGVÜ nämlich keinen Niederschlag gefunden (vgl. Senat in 20 W 324/90 v. 17.12.1990).
Soweit die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 1.8.1990 vorgetragen hat, der Antragsgegnerin sei nach Erlaß des Versäumnisurteils von dem englischen Gericht die Möglichkeit eingeräumt worden, bei diesem Gericht durch Sicherheitsleistung, die dann allerdings nicht erbracht worden sei, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erlangen, steht dieser Vortrag der Anwendbarkeit des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht entgegen. Denn er läßt nicht hinreichend deutlich erkennen, daß die Antragsgegnerin in einer ihr zumutbaren Weise (nämlich ohne Erbringung der geforderten Sicherheit) vor dem Gericht des Urteilsstaates zur Sache hat Stellung nehmen können und Stellung genommen hat (vgl. dazu EuGH-Urteil vom. 16.6.1981 = RIW 1981, 781; Kropholler aaO Art. 27 Rn. 39).