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Zusammenfassung der Entscheidung Die Schuldnerin wurde durch rechtskräftiges Versäumnisurteil eines französischen Gerichts verurteilt, an die Gläubigerin eine Geldsumme nebst gesetzlichen Zinsen zu zahlen. Auf Antrag der Gläubigerin ordnete der Vorsitzende der Zivilkammer des LG Koblenz (DE) an, das Urteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Dazu legte sie eine Kopie der Klageschrift und Ladung vor, die keinen Zustellungsvermerk an die Schuldnerin enthielt. Zuvor war die Schuldnerin angehört worden. Das das Verfahren einleitende Schriftstück war der Geschäftsführerin der Schuldnerin durch einfache Übergabe ohne Übersetzung zugestellt worden, nachdem die zuständige französische Staatsanwaltschaft nicht um eine besondere Form der Zustellung gebeten hatte. Die Schuldnerin wandte sich gegen die Vollstreckbarerklärung.
Das OLG Koblenz (DE) führt aus, dass dem Urteil die Vollstreckungsklausel zu erteilen sei. Die Einwendungen der Schuldnerin gegen den Anspruch selbst müssen außer Betracht bleiben, da sie auf Gründen beruhen, die bereits vor Erlass der Entscheidung entstanden seien (§ 13 Abs. 1 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG)). Ferner hätte die Gläubigerin auch den Nachweis der ordnungsgemäßen Zustellung bei Antragstellung erbringen müssen (Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ), was nicht geschehen sei, jedoch könne die Urkunde noch im Beschwerdeverfahren beigebracht werden. Die Zustellung sei auch ordnungsgemäß (Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ). Das ergebe das Recht des Urteilsstaates, inklusive der mit anderen Staaten getroffenen, die Zustellung regelnden Übereinkommen. Nach Art. 5 Abs. 2 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland vom 15.11.1965, welches zwischen Frankreich und Deutschland gelte, könne die Zustellung durch einfache Übergabe erfolgen. Eine Übersetzung werde nur in den Fällen förmlicher Zustellung im Wege der Ersatzzustellung erforderlich.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Schuldnerin ist durch rechtskräftiges Versäumnisurteil des Handelsgerichts in Le Havre/Frankreich vom 27.11.1987 (87 RG 494) verurteilt worden, an die Gläubigerin 21.554,50 FF nebst den gesetzlichen Zinsen seit dem 05.08.1987 zu zahlen, außerdem 800 FF gemäß Art. 700 der Neuen französischen Zivilprozeßordnung (NCPC) und 354,62 FF Kosten gemäß Art. 701 NCPC.
Das Urteil ist der Geschäftsführerin der Schuldnerin auf ein Zustellungsersuchen der Staatsanwaltschaft Le Havre (12/BB 88) vom 15.01.1988 durch das Amtsgericht Sinzig am 02.02.1988 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden.
Mit Antrag vom 02.08.1989 hat die Gläubigerin beantragt, das Urteil wegen der Hauptsumme von 21.554,50 FF gemäß dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
Der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz hat am 30.10.1989 angeordnet, das Urteil wegen der Hauptsumme von 21.554,50 FF mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, nachdem er mit Verfügung vom 11.10.1989 der Schuldnerin den Antrag vom 02.08.1989 zur etwaigen Stellungnahme binnen 2 Wochen zugeleitet hatte.
Der Rechtspfleger hat mit Verfügung vom 12.12.1989 die Vollstreckungsklausel wegen der Hauptsumme von 21.554,50 FF erteilt und angeordnet,
a) daß die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen darf, bis die Gläubigerin ein Zeugnis vorlegt, daß die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf,
b) die Schuldnerin bis dahin die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit von 21.554,50 FF abwenden kann.
Eine beglaubigte Abschrift des mit der Vollstreckungsklausel versehenen Urteils vom 27.11.1987 ist der Schuldnerin am 16.12.1989 zugestellt worden.
Mit zwei an das Landgericht Koblenz und an das Oberlandesgericht gerichteten Schreiben vom 05.01.1990, beide eingegangen am 08.01.1990, hat die Schuldnerin gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, bei der Warenlieferung im Werte von 21.554,50 FF habe es sich um eine Kommissionssendung gehandelt, die sie ausnahmsweise mit der Abmachung in Empfang genommen habe, die Ware wieder zurückschicken zu können, falls sie unverkäuflich sei. Sie habe die Ware im Einverständnis mit dem Lieferanten wieder zurückgeschickt und sehe die Erteilung einer Rechnung als ungerecht an.
Die Gläubigerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, da es sich um materiell-rechtliche Einwendungen gegen eine rechtskräftig ausgeurteilte Forderung handele.
II. 1. Die Beschwerde ist gemäß Art. 36 Abs. 1, 37 EuGVÜ – in der Fassung des ersten Beitrittsübereinkommens vom 09.10.1978 (BGBL II 1983, 803), da das Urteil des Handelsgerichts von Le Havre nach dessen Inkrafttreten am 01.11.1986 ergangen ist (Art. 34 Abs. 2 Beitrittübereinkommen) – statthaft. Sie ist auch fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdefrist von einem Monat gemäß Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ, § 11 Abs. 2 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) vom 30.05.1988 (BGBL I Seite 662) ist gewahrt, da das mit der Vollstreckungsklausel versehene Versäumnisurteil des Handelsgerichts Le Havre (§ 11 Abs. 3 AVAG) der Beschwerdeführerin am 16.12.1989 zugestellt wurde und ihre Beschwerde am 08.01.1990 eingegangen ist.
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Vorsitzende der Zivilkammer hat das Urteil des Handelsgerichts in Le Havre vom 27.11.1987 im Ergebnis zu Recht mit der Vollstreckungsklausel versehen, auch wenn es verfahrensfehlerhaft war, die Schuldnerin vor der Erteilung der Klausel anzuhören (Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ, § 5 Abs. 1 Satz 1 AVAG) und die Klausel als „Teil-Vollstreckungsklausel“ hätte bezeichnet werden müssen, da die Erteilung der Klausel nur für einen Teil des Gegenstandes der Verurteilung, nämlich für die Hauptsumme von 21.554,50 FF, beantragt war und die Zwangsvollstreckung nur für diesen Teil der Verurteilung zugelassen wurde (5 8 Abs. 2 AVAG). Gemäß Art. 34 Abs. 2 und 3 EuGVÜ kann der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel nur aus einem der in den Art. 27 und 28 EuGVÜ angeführten Gründe abgelehnt werden, während die ausländische Entscheidung in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden darf. Auch das Fehlen der erforderlichen Urkunden (Art. 33 Abs. 3, 46, 47 EuGVÜ) ist ein Ablehnungsgrund. Ob Ablehnungsgründe nach den genannten Vorschriften vorliegen, ist von Amts wegen zu prüfen (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1987, Rn. 7 zu Art. 34). Einwendungen gegen den Anspruch selbst kann der Schuldner mit der Beschwerde nur insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlaß der Entscheidung entstanden sind (§ 13 Abs. 1 AVAG).
a) Das bedeutet, daß die von der Schuldnerin vorgebrachten Beschwerdegründe in dem vorliegenden Klauselerteilungsverfahren unbeachtlich sind und in diesem Verfahren nicht mehr berücksichtigt werden können. Es handelt sich um Einwendungen gegen den von der Gläubigerin verfolgten Kaufpreisanspruch, die im Erkenntnisverfahren vor dem Handelsgericht in Le Havre hätten geltend gemacht werden müssen. Einwendungen, die auf Gründen beruhen, die erst nach dem Urteil des Handelsgerichts in Le Havre vom 27.11.1987 entstanden sind, macht die Beschwerdeführerin nicht geltend. Sie trägt nicht einmal vor, wann sie die Ware zurückgeschickt haben will.
b) Handelt es sich jedoch –wie hier– um eine im Versäumnisverfahren ergangene Entscheidung, so hat die Partei, welche die Zwangsvollstreckung betreiben will, gem. Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ die Urkunde oder eine beglaubigte Kopie vorzulegen, aus der sich ergibt, daß das den Rechtstreit einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück der säumigen Partei zugestellt worden ist. Ist dieses Schriftstück der säumigen Partei nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden, daß sie sich verteidigen konnte, darf das Versäumnisurteil gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht zur Vollstreckung zugelassen werden.
Die Vorschrift des Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ hat hier zwar die Gläubigerin –wie auch das Landgericht–außer Acht gelassen, so daß das Landgericht zunächst gemäß Art. 48 EuGVÜ hätte vorgehen müssen, bevor es das Versäumnisurteil des Handelsgerichts von Le Havre mit der Vollstreckungsklausel versah. Die Gläubigerin hat mit ihrem Antrag auf Klauselerteilung vom 02.08.1989 lediglich das verfahrenseinleitende Schriftstück im Sinne von Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ vorgelegt, nämlich die Ladung und Antragschrift (assignation) vom 05.08.1987 zu einem Termin vom 20.11.1987 vor dem Handelsgericht Le Havre, nicht aber die Urkunde, aus der sich ergibt, daß diese Lösung der säumigen Partei zugestellt worden ist. Die Urkunde kann jedoch noch im Beschwerdeverfahren beigebracht oder beschafft werden.
Aus den vom Senat beigezogenen Zustellungsvorgängen des Landgerichtspräsidenten in Koblenz (934 E – 415/87) und des Amtsgerichts Sinzig (1 AR 138/87) ergibt sich, daß die Ladung vom 05.08.1987 auf ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft Le Havre vom gleichen Tage der Geschäftsführerin der Schuldnerin durch den O. … zwischen dem 03.09.1987 und dem 15.09.1987 gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt worden ist. Das Zustellungsersuchen war am 03.09.1987 bei dem Amtsgericht Sinzig eingegangen. Das von der Geschäftsführerin der Schuldnerin unterschriebene Empfangsbekenntnis (recepisse) ist dann der Staatsanwaltschaft Le Havre mit Verfügung des Direktors des Amtsgerichts Sinzig vom 15.09.1987 wieder zugeleitet worden. Ob damit die Ladung vom 05.08.1987 der Beschwerdeführerin ordnungsgemäß im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zugestellt worden ist, hat der Richter des Vollstreckungsstaates zu prüfen, und zwar nach dem Recht des Urteilsstaates und den mit anderen Staaten getroffenen, die Zustellung regelnden internationalen Übereinkommen, die der Richter des Urteilsstaates einzuhalten hat. Diese Prüfung hat nach ganz herrschender Meinung ebenfalls von Amts wegen zu geschehen (vgl. Kropholler aaO Rn. 36 zu At. 27; Linke in RIW 1986, 409, 410). Diese Prüfung ergibt, daß der Beschwerdeführerin die Ladung und Antragsschrift vom 05.08.1987 ordnungsgemäß im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zugestellt worden ist. Die Staatsanwaltschaft Le Havre hatte nicht um eine besondere Form der Zustellung gebeten und dem Zustellungsersuchen auch keine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstückes beigefügt. Dann konnte die Zustellung gemäß Art. 5 Abs. 2 des zwischen Frankreich und Deutschland geltenden Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland vom 15.11.1965 (BGBL II 1977, Seite 1453) durch einfache Übergabe des Schriftstückes an den zur Annahme bereiten Empfänger erfolgen, ohne daß gemäß Art. 3 Abs. 2 der deutsch-französischen Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs vom 06.05.1961 (BGBl II 1961 S. 1041) zunächst eine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstückes zu fertigen war. Denn bei der formlosen Zustellung steht dem Empfänger die Annahme des Schriftstückes frei, so daß er sich zur Annahme des fremdsprachigen Schriftstückes nur entschließen wird, wenn er dessen Inhalt versteht. Die Anfertigung einer Übersetzung ist nur bei förmlicher Zustellung im Wege der Ersatzzustellung erforderlich (vgl. BGH WM 1990, 1936; EuGH Urteil vom 03.07.1990 – RS C 305/88 – Lancray./. Peters und Sickert -, EuZW 1990, 352). Die Ladung und Antragsschrift vom 05.08.1987 ist seinerzeit der Geschäftsführerin der Beschwerdeführerin selbst übergeben worden, die das Schriftstück auch entgegengenommen hat. Demnach war die Zustellung ordnungsgemäß. Sie ist auch rechtzeitig im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ erfolgt.
Ob eine Zustellung im Sinne dieser Vorschrift rechtzeitig war, hängt allein von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles ab. Nicht ausschlaggebend ist, ob der Richter des Urteilsstaates das dortige einschlägige Prozeßrecht insoweit beachtet hat, noch ist das Fristenrecht des Vollstreckungsstaates maßgebend (vgl. Kropholler aaO Rn. 32 zu Art. 27). Entscheidend ist allein, ob dem Beklagten ausreichend Zeit zur Verfügung stand, seine Rechtsverteidigung vorzubereiten und in die Wege zu leiten.
Hier hatte die Geschäftsführerin der Beschwerdeführerin die Ladung und Antragsschrift vom 05.08.1987 zu dem Termin vom 20.11.1987 spätestens am 15.09.1987 in der Hand. Es standen ihr also über 2 Monate zur Verfügung, um ihre Verteidigung und ihre Vertretung vor dem Handelsgericht in Le Havre vorzubereiten. In Anbetracht dieser Umstände ist die Ladung früh genug erfolgt.
Nach alldem ist das das Verfahren einleitende Schriftstück der Beschwerdeführerin seinerzeit ordnungsgemäß und rechtzeitig im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zugestellt worden, so daß der Vorsitzende der Zivilkammer das Versäumnisurteil vom 27.11.1987 im Ergebnis zu Recht zur Vollstreckung zugelassen hat.