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Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin erwirkte einen Zahlungsbefehl des Zivilrichters beim Amtsgericht Florenz (IT). Danach war die Antragsgegnerin zur Zahlung einer Geldsumme an die Antragstellerin verpflichtet. Das LG Frankfurt am Main (DE) hat den Zahlungsbefehl in Deutschland für vollstreckbar erklärt. Gegen diesen Beschluss legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein.
Das OLG Frankfurt (DE) führt aus, dass die Beschwerde begründet sei, da die von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen nicht die Voraussetzungen dafür erfüllten, dass der italienische Zahlungsbefehl zur Vollstreckung zugelassen werden könne. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ setze eine Entscheidung i.S.v. Art. 25 EuGVÜ voraus, die nach dem Recht des Urteilsstaates vollstreckbar und die zugestellt sein müsse. An beidem fehle es hier. Der Zahlungsbefehl sei nicht vollstreckbar, da ihm kein kontradiktorisches Verfahren in Italien vorangegangen sei.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Antragstellerin hat unter dem 5./26. April 1990 einen Zahlungsbefehl des Zivilrichters bei dem Amtsgericht … erwirkt – Reg.Gen.Nr. 2695 –, wonach die Antragsgegnerin an die Antragstellerin 8.212.946 ital. Lira nebst Zinsen zu zahlen hat. Deswegen und wegen eines weiteren Betrags für zusätzliche Kosten hat der Vorsitzende der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main auf Antrag der Antragstellerin durch Beschluß vom 16. September 1991, auf den Bezug genommen wird (Bl. 38/39 der Akten), angeordnet, dass der Zahlungsbefehl mit der Vollstreckungsklausel zu versehen sei.
Gegen diesen Beschluß, der ihr am 25.10.1991 versehen mit der Vollstreckungsklausel zugestellt worden ist, hat die Antragsgegnerin durch einen am 1.11.1991 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, auf die gleichfalls verwiesen wird (Bl. 48 ff. der Akten).
Für die von der Antragstellerin beantragte Vollstreckungszulassung ist das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ) maßgeblich. Danach ist die Beschwerde der Antragsgegnerin … zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt (Art. 36 ff. EuGVÜ in Verbindung mit §§ 11 und 12 des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz – AVAG) vom 30.5.1988, BGBl. 662).
Die Beschwerde ist auch begründet, da die vorgelegten Unterlagen nicht die Voraussetzungen dafür erfüllen, dass der italienische Zahlungsbefehl zur Vollstreckung zugelassen werden kann (Art. 47, 46, 25 EuGVÜ).
Die Antragstellerin hat zwar in der Beschwerdeinstanz eine 2. Ausfertigung des Zustellungszeugnisses über die Zustellung des Zahlungsbefehls am 5.6.1990 des Hessischen Ministeriums der Justiz beschafft. Damit ist nachgewiesen, dass der Zahlungsbefehl der Antragsgegnerin entgegen ihrem Beschwerdevorbringen zugestellt worden ist. Diese Zustellung allein reicht indessen nicht für die Vollstreckungszulassung aus.
Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ setzt eine Entscheidung iSv Art. 25 EuGVÜ voraus, die nach dem Recht des Urteilsstaats vollstreckbar ist und die zugestellt sein muß. An beidem fehlt es hier.
Dabei lässt der Senat unberücksichtigt, dass die italienische Zivilprozessordnung das Mahnverfahren verbietet, sofern der Eingemahnte außerhalb Italiens oder außerhalb der unter italienischer Hoheit stehenden Gebiete wohnt (Art. 633 Abs. 3 C.p.c.; Kindler, Italienische Rechtsprechung zum Handels- und Wirtschaftsrecht, RIW 1991, 677), denn die ausländische Entscheidung darf regelmäßig nicht auf ihre Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden. Die Nachprüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob einer der in Art. 27 und 28 EuGVÜ aufgeführte Versagungsgründe vorliegt (Art. 34 EuGVÜ). Solche Gründe sind hier aber nicht gegeben. Insbesondere verstößt der Erlaß des Zahlungsbefehls nicht, wie die Antragsgegnerin vorbringt, gegen den deutschen ordre public (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ). Dies könnte nur dann angenommen werden, wenn der Zahlungsbefehl aufgrund eines von den Grundsätzen des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maß abweichenden Verfahrens ergangen wäre, daß dieses nicht mehr als rechtsstaatliches Verfahren angesehen werden könnte (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, Art. 27 Rn. 9). Davon kann vorliegend aber keine Rede sein, zumal in der Bundesrepublik Deutschland ein grenzüberschreitendes Mahnverfahren anerkannt ist (§ 34 AVAG).
Die Zulassung der Zwangsvollstreckung scheitert vielmehr daran, daß aus den vorgelegten Unterlagen nur hervorgeht, daß unter dem 5.4.1990 von der Gerichtskanzlei der beantragte Zahlungsbefehl gefertigt wurde, der vom Richter offenbar unter dem 26.4.1990 unterzeichnet wurde. In dem Zahlungsbefehl wird die Antragsgegnerin zur oben bereits beschriebenen Zahlung innerhalb von 20 Tagen aufgefordert. Außerdem enthält der Zahlungsbefehl die Hinweise, daß die Antragsgegnerin innerhalb der Zahlungsfrist vor dem Richter Einwendungen erheben kann und daß ansonsten die Zwangsvollstreckung gegen sie eingeleitet wird. Der Inhalt des Zahlungsbefehls bewegt sich damit im üblichen Rahmen des Art. 641 C.p.c. Eine Vollstreckbarerklärung, wie sie etwa für die besonderen Fälle in Art. 647, 654 C.p.c. vorgesehen ist, ist dem Zahlungsbefehl nicht zu entnehmen. Geht ein Widerspruch nicht ein, so sieht das italienische Verfahren vor (Art. 647 C.p.c.), daß der Friedensrichter, der Bezirksrichter oder der Präsident auf Antrag das Dekret für vollstreckbar erklärt, wobei die Wiederholung der Zustellung dann anzuordnen ist, wenn sicher oder wahrscheinlich ist, daß der Eingemahnte von dem Dekret keine Kenntnis erhalten hat. Das Dekret des Friedensrichters, Bezirksrichters oder Präsidenten, das die Vollstreckbarkeit zuerkennt und das am Ende des Mahndekrets zu erwarten wäre (Art. 654 C.p.c.), liegt hier jedoch nicht vor. Die Unterlagen enthalten lediglich einen auf einem gesonderten Blatt befindlichen Stempelaufdruck, der unter dem 11.12.1990 vom Gerichtsschreiber unterzeichnet worden ist und der erkennen läßt, daß der Titel mit der Vollstreckungsklausel versehen worden ist. Diese Vollstreckungsklausel (...“Repubblica Italiana – In nome della lege Comandiamo a tutti gli“...) selbst ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht dem Üblichen (vgl. zu Inhalt der Vollstreckungsklausel auch Bülow/Böckstiegel/Schlafen, Der Internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 606.284).
Bedenken gegen die Vollständigkeit der Unterlagen ergeben sich aber insoweit, als die vorgelegte deutsche Übersetzung den Beginn des Stempelaufdrucks wie folgt wiedergibt: „Im Sinne des Art. 647 des Zivilgesetzbuches tritt der vorliegende Exekutivbeschluß mit Wirkung vom 25.8.1990 in Kraft.“ Die Antragstellerin hat hierzu die Auffassung vertreten, der vorgelegte Zahlungsbefehl sei mit einem Vollstreckungsbescheid nach deutschem Recht vergleichbar. Der Stempelaufdruck beziehe sich auf den Zahlungsbefehl. In der vorgelegten deutschen Übersetzung sei insoweit fälschlicherweise von einem Exekutivbeschluß die Rede.
Ob dies der Fall ist und entgegen den obigen Ausführungen über den italienischen Verfahrensgang ein gesondertes richterliches Dekret über die Vollstreckbarkeit nach italienischem Recht nicht vorhanden oder nicht mehr erforderlich ist, mag dahinstehen. Sollte nämlich eine zusätzliche richterliche Entscheidung über die Vollstreckbarkeit des Mahndekrets erforderlich sein, was naheliegt, da sich das italienische Mahnverfahren vom deutschen hauptsächlich dadurch unterscheidet, daß der Antragsteller seinen Anspruch durch genügende Urkunden glaubhaft machen muß (so auch Cappelletti, RabelsZ 30 (1966), S. 254 ff., 262), so wäre diese als die maßgebliche Entscheidung im Sinne des Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ anzusehen, da erst dadurch ein Titel entstehen würde. In diesem Fall würde aber die Zustellung der Entscheidung fehlen. Das Erfordernis der Zustellung ist zwar einschränkend auszulegen. Deswegen wird auch vom Erfordernis der Zustellung abgesehen, wenn der Urteilsstaat von der Zustellung vor der Zwangsvollstreckung absieht, um die Durchsetzbarkeit zu gewährleisten (Bülow/Böckstiegel/Schlafen, aaO, Art. 47, III, 606.287). Das ist hier aber nicht der Fall. Zwar erfordert das italienische Recht eine Zustellung des Vollstreckungsdekrets – wie oben dargelegt – nur dann, wenn befürchten ist, daß der Betroffene noch keine Kenntnis vom Mahndekret erlangt hat. Dies ist aber nur eine verfahrenserleichternde und keine den Vollstreckungserfolg sichernde Bestimmung.
Sollte aber – wie die Antragstellerin vorbringt – bereits der Zahlungsbefehl der Vollstreckungstitel sein, so liegt keine Entscheidung im Sinne von Art. 47 Nr. 1, 25 EuGVÜ vor, so daß eine Zulassung der Zwangsvollstreckung deswegen nicht stattfinden kann. Unter Entscheidungen im Sinne des EuGVÜ sind nur solche zu verstehen, die in einem justizförmigen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs ergangen sind (Kropholler, aaO, Art. 25 Rn. 10). Dies ist – stellt man nur auf den Zahlungsbefehl ab – aber nicht der Fall, denn der Zahlungsbefehl ist vor Anhörung der Antragsgegnerin erlassen worden. Es ist aber anerkannt, daß gerichtliche Entscheidungen, die ohne Anhörung der Gegenpartei ergangen sind, nicht im Verfahren nach dem III. Titel des EuGVÜ anerkannt werden können (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 50. Aufl. 1991, Bem. zu Art. 25 EuG-Übk. mwN, Gottwald, Die internationale Zwangsvollstreckung, IPRax 1991, 285 ff., 287). Maßgeblich für die Anerkennungsfähigkeit ist, daß den Entscheidungen im Entscheidungsstaat ein kontradiktorisches Verfahren vorangegangen ist oder – im Fall der Säumnis des Beklagten – jedenfalls hätte vorangehen können (Kropholler, aaO, Art. 25 Rn. 23). Dementsprechend ist in Art. 25 EuGVÜ als Entscheidung im Sinne des EuGVÜ auch nur der Vollstreckungsbefehl – jetzt Vollstreckungsbescheid – und nicht der Mahnbescheid, der nur die Grundlage für den Vollstreckungsbefehl bildet, aufgeführt. Eine der Entscheidung vorangegangene Anhörung der Antragstellerin hat in diesem Fall aber gerade nicht stattgefunden.
Vergleicht man das Mahnverfahren mit einem Versäumnisverfahren, was sich wegen des Verfahrensablaufs und der Gleichstellung von Vollstreckungsbescheid und Versäumnisurteil (§ 700 ZPO) anbietet, so stellt der Mahnbescheid insoweit erst das verfahrenseinleitende Schriftstück iSv Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ dar. Dieses muß der säumigen Partei so rechtzeitig zugestellt worden sein, daß sie sich vor Erlaß der Säumnisentscheidung noch verteidigen konnte, andernfalls die dann ergehende Versäumnisentscheidung nicht zur Zwangsvollstreckung zugelassen werden kann (Art. 46 Nr. 2, 27 Nr. 2 EuGVÜ). Auch im Säumnisverfahren ist dann noch die Zustellung des Versäumnisurteils nach Art. 47 Nr. 2 EuGVÜ erforderlich, um die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil zu erreichen. Es ist kein Grund erkennbar, der es rechtfertigen könnte, zu Lasten der Antragsgegnerin im Mahnverfahren diese Verfahrensgarantien herabzumindern.