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Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin erwirkte im Wege der einstweiligen Verfügung gegen den Antragsgegner einen Beschluss des Handelsgerichts Marseille (FR) vom 13./17. Juni 1986, durch den der Antragsgegner zur Zahlung von 51.794 FF verurteilt wurde. Der Antragsgegner hat sich auf das Verfahren vor dem französischen Gericht nicht eingelassen. Das verfahrenseinleitende Schriftstück war dem Antragsgegner in Deutschland am 30.5.1986 in französischer Sprache zugestellt worden. Darin wurde er zu der Verhandlung am 6.6.1986 geladen. Die Antragstellerin beantragte, die Entscheidung in Deutschland für vollstreckbar zu erklären. Hiergegen wandte sich der Antragsgegner.
Das OLG Koblenz (DE) führt aus, dass die Frist von 6 Tagen nicht als rechtzeitig im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ angesehen werden könne. Dabei sei bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit nicht auf das Verfahrensrecht des Urteilsstaates abzustellen. Maßgeblich sei alleine, ob der Zeitraum im vorliegenden Einzelfall ausreichend war, um dem Antragsgegner eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen. Dies gelte umso mehr, als das Schriftstück in französischer Sprache abgefasst war. Dass es sich dabei um ein Verfahren im Wege der einstweiligen Verfügung handelte, schade ebenfalls nicht.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 5. August 1986 beantragt, zu dem im Wege der einstweiligen Verfügung ergangenen Beschluß des Handelsgerichts in Marseille vom 13./17. Juni 1986, durch den die Antragsgegnerin zur Zahlung von 51.794 FF verurteilt worden ist, die Vollstreckungsklausel zu erteilen. Der Vorsitzende der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts Koblenz hat mit Beschluß vom 5. November 1986 dem Antrag stattgegeben. Die hierauf am 17. November 1986 vom Rechtspfleger erteilte Klausel ist der Antragsgegnerin zusammen mit einer Abschrift des Antrages sowie einer Kopie und einer Übersetzung des Beschlusses des Handelsgerichts in Marseille am 28. November 1986 zugestellt worden. Mit der am 12. Dezember 1986 beim Landgericht eingelegten Beschwerde erstrebt die Antragsgegnerin die Aufhebung des Beschlusses vom 5. November 1986. Gleichzeitig stellt sie einen Antrag nach Art. 38 Abs. 2 EuG-Übk.
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gemäß Art. 36 Abs. 1, 37 des EG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl. II 1972, 774) in der bis zum 31. Oktober 1986 geltenden Fassung und § 12 des Ausführungsgesetzes vom 29. Juli 1972 (BGBl. I 1972,1328 und 1973, 26) zulässig. Da die Entscheidung des Handelsgerichts Marseille vor dem 1. November 1986 ergangen ist, ist die seit diesem Zeitpunkt auch im Verhältnis zu Frankreich geltende Neufassung (BGBl. II 1986, 1020) nach der Übergangsvorschrift des Art. 34 Abs. 2 des Beitrittsübereinkommens vom 9. Oktober 1978 (BGBl. II 1983, 803) nicht anzuwenden.
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, daß sie entgegen Art. 37 EuG-Übk nicht beim Oberlandesgericht, sondern beim Landgericht eingelegt wurde. Denn nach Art. 12 Abs. 2 AG EuG-Übk wird die Zulässigkeit der Beschwerde nicht dadurch berührt, daß sie statt beim Oberlandesgericht bei dem Landgericht eingelegt wird, das die Vollstreckung zugelassen hat.
II. Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach Art. 34 Abs. 2 EuG-Übk kann der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel zu der in einem anderen Vertragsstaat ergangenen vollstreckbaren Entscheidung nur aus einem der in Art. 27 und 28 angeführten Gründe abgelehnt werden. Nach Art. 27 Nr. 2 ist der Entscheidung die Anerkennung zu versagen, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte. Da die Antragsgegnerin sich auf das Verfahren in Frankreich vor Erlaß der Entscheidung vom 13./17. Juni 1986 nicht eingelassen hatte, ist Art. 27 Nr. 2 EuG-Übk anzuwenden.
1. Es ist zumindest schon fraglich, ob die prozeßeinleitende Antragsschrift der Antragsgegnerin ordnungsgemäß zugestellt wurde. Die Frage, ob die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist, ist nach dem Recht des Staates zu beurteilen, dem das Gericht angehört, das die zu vollstreckende Entscheidung erlassen hat (Linke RIW 1986, 409 ff.; OLG Düsseldorf, RIW 1985, 493; Schumacher IPRax 1985, 265 ff.). Zum Prozeßrecht des Ursprungsstaates gehören nicht nur dessen autonomes Prozeßrecht, sondern auch die mit anderen Staaten getroffenen internationalen Übereinkommen. Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gelten die deutsch-französische Vereinbarung vom 6. Mai 1961 zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß (BGBl. II, S. 1040) und das Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 (BGBl. II 1977, 1452).
Nach französischem Verfahrensrecht (Art. 683 ff. der französischen Neuen Zivilprozeßordnung) erfolgen die Zustellungen ins Ausland durch Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an die Staatsanwaltschaft. Die Zustellung gilt in dem Zeitpunkt als bewirkt, in dem der Gerichtsvollzieher das Schriftstück dem Staatsanwalt übergeben hat (remise au parquet). Danach ist auch im vorliegenden Fall verfahren worden. Die Antragsgegnerin ist vor dem Verhandlungstermin von der Einreichung der Antragsschrift, dem Termin und der Zustellung dadurch benachrichtigt worden, daß der Zustellungsbeamte oder der Gerichtsvollzieher ihr eine Kopie des zugestellten Schriftstücks mittels eingeschriebenen Briefes übersandt hat. Diese Art der Übermittlung entspricht nicht der Form, die in Art. 2 ff. des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 vorgesehen ist. Ob dies zur Folge hat, daß eine ordnungsgemäße Zustellung fehlt oder ob die Zustellung gleichwohl als ordnungsgemäß anzusehen ist, wird in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beantwortet (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, RIW 1985, 493; Schumacher, IPRax 1985, 265 ff.). Der vorliegende Sachverhalt gibt dem Senat keinen Anlaß, diese Frage zu entscheiden. Ebenso kann offen bleiben, ob eine etwaige nicht ordnungsgemäße Zustellung (Übermittlung) dadurch geheilt worden ist, daß die Antragsgegnerin vor dem Termin eine Kopie der Antragsschrift mit Angabe des Termintages durch Einschreiben erhalten hat. Dem Beschluß des Handelsgerichts in Marseille ist in jedem Falle deshalb die Anerkennung zu versagen, weil die das Verfahren einleitende Antragsschrift der Antragsgegnerin nicht so rechtzeitig zugestellt wurde, daß sie sich verteidigen konnte.
2. Bei dem verfahrenseinleitenden Schriftstück, durch dessen Zustellung die Antragsgegnerin erstmals von dem einstweiligen Verfügungsverfahren Kenntnis erlangt hat, handelt es sich um eine mit der Antragsschrift verbundene Ladung zum Termin vom 6. Juni 1986. Eine Kopie dieses Schriftstücks ist der Antragsgegnerin am 30. Mai 1986 übermittelt worden. Zwischen dem Zugang des Schriftstücks und dem Terminstag lagen mithin nur 6 Tage. Dieser Zeitraum reichte für eine sachgerechte Verteidigung nicht aus.
Das Erfordernis rechtzeitiger Zustellung soll dem Beklagten eine angemessene Frist zwischen dem Zugang und dem Zeitpunkt gewähren, bis zu dem er sich auf das Verfahren eingelassen haben muß, um den Erlaß einer Versäumnisentscheidung zu verhindern. Ob die Zustellung in diesem Sinne rechtzeitig war, hängt allein von den tatsächlichen Umständen des konkreten Falles und ihrer Beurteilung durch den Zweitrichter ab. Es kommt weder darauf an, wann nach dem Recht des Erststaates die Zustellung als bewirkt anzusehen war, ab wann also die erststaatliche Ladungs- oder Einlassungsfrist lief, noch wie lange diese nach erststaatlichem Verfahrensrecht zu bemessen war und ob sie eingehalten worden ist.
Aber auch das zweitstaatliche Fristenrecht ist nicht maßgebend. Ebenso wenig wie beim Merkmal der Ordnungsmäßigkeit ist der Zweitrichter bei der Kontrolle der Rechtzeitigkeit an einschlägige Feststellungen des Erstrichters gebunden. Grundsätzlich kommt jeder Umstand in Betracht, der die für die Beantwortung der Frage, ob der Beklagte sich verteidigen konnte, relevant ist, mag er sich auch erst im Nachhinein nach der Einleitung des Zustellungsverfahrens ergeben haben (vgl. EUGH IPRax 1985, 25; EUGH RIW 1985, 967; BGH WM 1986, 539 = NJW 1986, 2197; Linke in RIW 1986, 409 ff.).
In dem vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß das Schriftstück in französischer Sprache abgefaßt und nicht von einer Übersetzung begleitet war. Selbst wenn die Antragsgegnerin Handel mit französischen Firmen betreibt, mußte ihr zunächst einmal die Möglichkeit eingeräumt werden, eine deutsche Übersetzung von einem qualifizierten Übersetzer anfertigen zu lassen. Da der 30. Mai 1986 auf einen Freitag fiel, war eine Übersetzung frühestens am folgenden Montag (2. Juni) zu beschaffen. Außerdem mußte die Antragsgegnerin die Möglichkeit haben, zunächst einen (deutschen) Anwalt zu konsultieren. Sie hätte dann die nötigen Schritte unternehmen müssen, um sich mit Hilfe eines Dolmetschers vor dem ausländischen Gericht in dessen Landessprache zu verteidigen oder durch einen französischen Rechtsanwalt verteidigen zu lassen. Die Inanspruchnahme eines französischen Rechtsanwalts hätte erfordert, daß sie diesem die nötige Information erteilte. Das alles ließ sich innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit nicht bewerkstelligen.
Die Tatsache, daß es sich um ein Verfahren der einstweiligen Verfügung handelt, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Das von der Antragstellerin erstrebte Rechtsschutzziel – Zahlung eines Geldbetrages – war nicht so eilbedürftig, daß es gerechtfertigt wäre, die zwischen dem Zugang des Einschreibebriefes und dem Terminstag liegende Frist von 6 Tagen als ausreichend anzusehen. Dabei kann nicht unbeachtet bleiben, daß nach deutschem Verfahrensrecht auch in den Verfahren der einstweiligen Verfügung eine Ladungsfrist von 1 Woche gilt (§ 217 ZPO).
Auch der Umstand, daß die Antragstellerin die Antragsgegnerin mit Anwaltsschreiben vom 16. April 1986 unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert und für den Fall nicht fristgerechter Zahlung Klageerhebung angedroht hat, ist nicht geeignet, die Zustellung als rechtzeitig anzusehen. Solche Mahnschreiben pflegen der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung regelmäßig vorauszugehen. Die Antragsgegnerin konnte zudem dem Aufforderungsschreiben nicht entnehmen, wann und wo die Klage eingereicht werden würde. Insbesondere besagt das Schreiben nicht, daß die Antragstellerin beabsichtigte, ein einstweiliges Verfügungsverfahren bei dem Handelsgericht in Marseille einzuleiten. Die Inanspruchnahme deutscher Rechtsanwälte deutete eher darauf hin, daß aus der Sicht der Antragsgegnerin Klage bei einem deutschen Gericht erhoben werden sollte.
Nach alledem war auf die Beschwerde der angefochtene Beschluß aufzuheben und der auf seinen Erlaß gerichtete Antrag zurückzuweisen.
3. Da dem Beschluß des Handelsgerichts in Marseille die Anerkennung zu versagen war und die Voraussetzungen einer Rechtsbeschwerde ersichtlich nicht vorliegen (§ 17 AG EUG-ÜbK) war von einer Anordnung nach Art. 38 Abs. 2 EUG-ÜbK, § 25 Abs. 2 AG EUG-ÜbK, abzusehen.