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Zusammenfassung der Entscheidung Die in Frankreich ansässige Antragstellerin führte gegen die in Deutschland ansässigen Antragsgegner einen Rechtsstreit, in dem es um die Ordnungsmäßigkeit von Werkleistungen der Antragstellerin ging. Nach mündlicher Verhandlung vor dem Handelsgericht Paris (FR) erwirkte sie eine vorläufig vollstreckbare einstweilige Anordnung (ordonnance de référé), durch die ein französischer Sachverständiger beauftragt und ermächtigt wurde, die Ordnungsmäßigkeit der Werkleistungen im Betrieb der Antragsgegner in Essen (DE) zu untersuchen. Die Antragsgegner hielten sich nicht für verpflichtet, dem Sachverständigen Zutritt zu der Anlage zu gestatten. Die Antragstellerin beantragte daher beim Landgericht Essen, den Beschluss des Handelsgerichts Paris für vollstreckbar zu erklären.
Das OLG Hamm (DE) führt aus, dass die einstweilige Anordnung des Handelsgerichts Paris (FR) nicht für vollstreckbar erklärt werden könne. Die Entscheidung sei rein prozessualen Charakters und daher nicht zu den Entscheidungen im Sinne von Art. 25 EuGVÜ zu zählen. Solche Entscheidungen seien nicht nur nicht vollstreckbar, sondern auch nicht anerkennungsfähig.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die in Frankreich ansässige Antragstellerin führt in … gegen die beiden Antragsgegnerinnen und gegen ein ... Unternehmen einen Rechtsstreit, in welchem sie u.a. behauptet, eine von ihr in … zu errichtende und teilweise fertiggestellte Anlage zur Anreicherung des Grundwassers mit Ozon werde von der Antragsgegnerin zu 2) nicht vorschriftsmäßig betrieben. Nach mündlicher Verhandlung vor dem Handelsgericht Paris erwirkte sie am 12. Mai 1987 eine vorläufig vollstreckbare einstweilige Anordnung (ordonnance de référé), durch die ein ... Sachverständiger beauftragt und u.a. ermächtigt wurde, die Anlage in … zu besichtigen, sich Beweisunterlagen vorlegen zu lassen, festzustellen, welche Änderungen an der Anlage vorgenommen worden seien und dazu auch Personen anzuhören. Die Antragsgegner halten sich nicht für verpflichtet, dem französischen Sachverständigen den Zutritt zu der Anlage zu gestatten.
Die Antragstellerin hat daher beim Landgericht Essen beantragt, die Anerkennung der einstweiligen Anordnung des Handelsgerichts Paris auszusprechen und diese Anordnung für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar zu erklären. Auf richterlichen Hinweis hat sie den Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung zurückgenommen, den Antrag auf Anerkennung der Entscheidung jedoch aufrechterhalten.
Mit dem angefochtenen Beschluß vom 5. Februar 1988 hat der Vorsitzende der Zivilkammer des Landgerichts diesem Antrag entsprochen und die Anerkennung der einstweiligen Anordnung des Handelsgerichts Paris unter Hinweis auf Art. 26 bis 29, 32 Abs. 2 und 6 Nr. 1 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (BGBl. 72 II 774) festgestellt.
Gegen diesen ausweislich der Zustellungsurkunden der Antragsgegnerin zu 1) am 12. Februar 1988 und der Antragsgegnerin zu 2) am 16. Februar 1988 zugestellten Beschluß haben beide Antragsgegnerinnen mit einem am selben Tag beim Landgericht Essen eingegangenen Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 16. März 1988 Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag, den Beschluß aufzuheben, hilfsweise das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß des in Frankreich anhängigen Verfahrens auszusetzen.
Die Antragsgegnerin zu 1) sucht darüber hinaus vorsorglich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist nach, vertritt jedoch in erster Linie die Auffassung, daß die an sie gerichtete Zustellung vom 12.2.1988 nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Dazu legt sie eine eidesstattliche Versicherung einer Mitarbeiterin vor, wonach dem ihr zugestellten Beschluß des Landgerichts zwar ein Schreiben des französischen Sachverständigen nebst deutscher Übersetzung beigefügt gewesen sei, nicht aber der anzuerkennende ... Titel nebst deutscher Übersetzung und auch nicht die Antragsschrift und die weiteren Schriftsätze der Antragstellerin. Diese Unterlagen habe sie erst auf eine Anfrage vom 16. März 1988 durch Verfügung des Vorsitzenden der Zivilkammer vom 25. Februar 1988 am 1. März 1988 erhalten.
In der Sache vertreten beide Antragsgegnerinnen die Auffassung, die einstweilige Anordnung des Handelsgerichts Paris könne in der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt werden, weil es sich nicht um eine Entscheidung i.S. des Art. 25 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 handele.
Die Antragsgegnerin, die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt, tritt dem mit näheren rechtlichen Ausführungen entgegen.
II. Die Rechtsmittel der Antragsgegnerinnen sind zulässig und begründet und führen unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückweisung des Antrags der Antragstellerin.
1. Die Rechtsmittel sind zulässig.
a) Bei der angefochtenen Entscheidung des Vorsitzenden der Zivilkammer handelt es sich um eine Entscheidung gemäß Art. 26 Abs. 2 iVm Art. 32 und Art. 34 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuG-Übk.). Gegen diese Entscheidung ist der in Art. 36 und Art. 37 EuG-Übk. geregelte befristete Rechtsbehelf gegeben, der nach Maßgabe der §§ 11 ff. des Ausführungsgesetzes zum EuG-Übk. vom 29.7.1972 (BGBl. I 1328) als Beschwerde zu behandeln ist.
b) Die Beschwerden der Antragsgegnerinnen sind in zulässiger Weise beim Landgericht eingelegt worden (§ 12 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zum EuG-Übk.). Sie sind auch fristgerecht eingelegt worden.
Nach Art. 36 Abs. 1 EuG-Übk. muß der Rechtsbehelf innerhalb eines Monats ab Zustellung des Beschlusses, mit dem die Anerkennung bzw. Vollstreckbarkeit des Titels ausgesprochen worden ist, eingelegt werden. Die Antragsgegnerin zu 2) hat diese Frist unzweifelhaft eingehalten, weil ihr der angefochtene Beschluß ausweislich der Zustellungsurkunde Bl. 70 der Akten am 16.2.1988 zugestellt worden ist.
Hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 1) ist die Monatsfrist zwar nicht gewahrt worden, weil ausweislich der Zustellungsurkunde Bl. 67 der Akten die Zustellung bereits am 12.2.1988 erfolgt ist. Das ist jedoch unschädlich, weil diese Zustellung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist und daher nicht die Frist des Art. 36 Abs. 1 EuG-Übk. hat auslösen können.
Nach Art. 26 Abs. 2 EuG-Übk. sind auf eine Entscheidung, mit der lediglich die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ausgesprochen werden soll, die Vorschriften des 2. und 3. Abschnitts des Übereinkommens anzuwenden. Damit gilt auch für eine solche Entscheidung Art. 35 EuG-Übk., wonach die Zustellung nach dem Recht des Vollstreckungsstaates zu erfolgen hat. An die Stelle des Vollstreckungsstaates tritt dabei der Staat, in dem die Anerkennung der ausländischen Entscheidung ausgesprochen werden soll, hier also die Bundesrepublik Deutschland. Danach ist für die Zustellung § 9 des Ausführungsgesetzes vom 29.7.1972 anzuwenden. Nach § 9 Abs. 1 des Ausführungsgesetzes ist eine beglaubigte Abschrift des mit der Vollstreckungsklausel versehenen ausländischen Schuldtitels und eine Übersetzung des ausländischen Titels dem Schuldner von Amts wegen zuzustellen. Wenn, wie hier, nicht die Vollstreckbarkeit einer ausländischen Entscheidung, sondern nur deren Anerkennung ausgesprochen wird, kann nichts anderes gelten. In diesem Fall ist dem Schuldner die anzuerkennende ausländische Entscheidung nebst Übersetzung von Amts wegen zuzustellen.
Ausweislich der Zustellungsurkunde vom 12.2.1988 soll der Antragsgegnerin zu 1) zwar neben der Ausfertigung des Beschlusses vom 5.2.1988 auch eine Ablichtung des Titels vom 12.5.1987 nebst Übersetzung zugestellt worden sein. Die Beweiskraft dieser Urkunde ist jedoch erschüttert.
Die Antragsgegnerin zu 1) hat durch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, daß ihr außer der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts lediglich ein Schreiben des ... Sachverständigen nebst deutscher Übersetzung, nicht jedoch die anzuerkennende einstweilige Anordnung des Handelsgerichts Paris nebst Übersetzung zugestellt worden ist. Die Antragsgegnerin zu 1) hat bereits mit Schreiben vom 16.2.1988 (Bl. 71 der Akten) beim Landgericht Rückfrage gehalten, weil sie nur den Beschluß des Landgerichts und das erwähnte Schreiben des Sachverständigen erhalten habe, in welchem von einem Besichtigungstermin am 26.1.1988 die Rede ist (vgl. Bl. 58, 59 der Akten). Sie hat gleichzeitig um Aufklärung über den Zusammenhang gebeten. Daraufhin und offenbar auch auf eine ähnliche telefonische Anfrage der Antragsgegnerin zu 2) hat der Vorsitzende der Zivilkammer mit Verfügung vom 25.2.1988 veranlaßt, daß beiden Antragsgegnerinnen neben sämtlichen Schriftsätzen der Antragstellerin auch die einstweilige Anordnung des Handelsgerichts Paris nebst deutscher Übersetzung übersandt werde, weil „offenbar infolge eines Irrtums in der hiesigen Geschäftsstelle oder Kanzlei nicht die Abschrift des Titels vom 12.5.1987 nebst Übersetzung beigefügt gewesen“ sei. Dies bestätigt die glaubhaft gemachte Darstellung der Antragsgegnerin zu 1), daß sie den ... Titel nebst Übersetzung nicht zugestellt erhalten habe. Dies gilt um so mehr, als es sich innerhalb weniger Monate um den zweiten dem Senat bekannt gewordenen Fall handelt, in dem offenbar dieselbe Geschäftsstelle bzw. Kanzlei des Landgerichts nach glaubhaft gemachter Darstellung des Schuldners eine Zustellung eines ausländischen Titels entgegen dem Text der Zustellungsurkunde nicht ordnungsgemäß ausgeführt hat (20 W 4/88 OLG Hamm = 5 O 223/87 LG Essen).
Der vorsorglich beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es danach nicht, weil die nicht ordnungsgemäße Zustellung die Monatsfrist für die Einladung des Rechtsbehelfs nicht hat in Gang setzen können.
2. Die als Beschwerde zu behandelnden Rechtsbehelfe der Antragsgegnerinnen haben auch in der Sache Erfolg, denn bei der einstweiligen Anordnung des Handelsgerichts Paris handelt es sich nicht um eine Entscheidung iSv Art. 25 EuG-Übk.
a) Die einstweilige Anordnung des Handelsgerichts Paris (ordonnance de référé) nach Art. 145 und 808 ff. cpc) enthält in der Sache eine Maßnahme zur Sicherung des Beweises (vgl. Stürner, Das ausländische Beweissicherungsverfahren, IPRax 1984, 299, 300). Das Verfahren entspricht dem in §§ 485 ff. ZPO geregelten Beweissicherungsverfahren des deutschen Zivilprozessrechts.
b) Die Durchführung einer von einem Gericht angeordneten Beweisaufnahme, die in einem ausländischen Staat erfolgen muß, hat nach den Regeln des internationalen Rechtshilfeverkehrs zu erfolgen. Hier, im Verhältnis zwischen der … und der Bundesrepublik Deutschland, ist insoweit das Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18.3.1970 (BGBl. 1977 II, 1452, 1472) einschlägig, dem sowohl Frankreich als auch die Bundesrepublik angehören.
Die Tatsache, daß die Beweisaufnahme im internationalen Rechtsverkehr besonderen zwischenstaatlichen Abkommen unterliegt, rechtfertigt es, solche Entscheidungen rein prozessualen Charakters, mit denen Beweisaufnahmen angeordnet werden, nicht zu den Entscheidungen iSv Art. 25 EuG-Übk zu zählen. Sie sind daher nicht nur nicht vollstreckungsfähig, sondern auch nicht anerkennungsfähig. Dies ist, soweit ersichtlich, auch im Schrifttum einhellige Meinung (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1987, Art. 25 Rn. 25; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Band I/1 1983, § 107 X, Seite 987; Stürner, IPRax 1984, 300; Martiny in Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts III/1, Kap. I Rn. 474; Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 1987, Rn. 2215; vgl. ferner den sog. Schlosser-Bericht, abgedruckt in Zöller, Zivilprozeßordnung, 14. Aufl. 1984, Seite 2586, Nr. 184, 187).