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Zusammenfassung der Entscheidung Die in England wohnhafte Gläubigern betrieb dort einen Unterhaltsprozess, in dem sie von ihrem in Deutschland lebenden Ehemann Unterhalt für sich selbst und das gemeinsame Kind verlangte. Am 04.07.2000 erließ der High Court (UK) eine sogenannte "freezing order", die dem Schuldner Vermögensverfügungen verbietet, soweit sie einen Mindestvermögensbestand von 250.000 Pfund beeinträchtigen. Diese wurde in einem Verhandlungstermin, zu dem der Schuldner nicht erschien, auf unbefristete Dauer bestätigt. Die Gläubigerin beantragte, das Urteil in Deutschland für vollstreckbar zu erklären und das Landgericht Offenburg (DE) gab dem Antrag statt. Dagegen wandte sich der Schuldner mit der Begründung, dass das deutsche Recht diese Art einstweiliger Verfügungen nicht kenne und die Verfügung auch auf die Sicherung anderer ehebedingter Ansprüche gerichtet sei.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe (DE) stellt fest, dass die Vollstreckung der "freezing order" nicht nach dem EuGVÜ erfolgen könne. Nach der Rechtsprechung des EuGH seien einstweilige Maßnahmen zwar von Art. 25 und 31 ff EuGVÜ erfasst und könnten grundsätzlich vollstreckt werden. Dies gelte jedoch nicht, wenn der Schuldner vor Erlass der Maßnahme nicht gehört worden sei. Die Einräumung nachträglichen Gehörs ist nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend. Im vorliegenden Fall sei der Schuldner vor Erlass der "freezing order" nicht gehört worden, weshalb ihre Vollstreckung gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ausscheide.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Gläubigerin betreibt in England einen Unterhaltsprozess, in dem sie von dem Schuldner, ihrem in Deutschland lebenden Ehemann, Unterhalt für sich selbst und das gemeinsame Kind ... verlangt. Am 04.07.2000 erließ der High Court eine sog. „freezing order“, die dem Schuldner Vermögensverfügungen verbietet, soweit sie einen Mindeststand des Vermögens von 250.000 Pfund beeinträchtigen; in dieses Verbot einbezogen ist ausdrücklich ein Grundstück des Schuldners in ..., Deutschland. Der High Court hat diese Verfügung am 14.07.2000 zunächst mit Wirkung bis 15.09.2000 bestätigt; den Anhörungstermin am 15.09.2000 hat der Schuldner versäumt, worauf das Gericht am 15.09.2000 die Anordnung unbefristet bestätigte. Zwischenzeitlich hat das englische Gericht der Gläubigerin einen Jahresunterhalt von 25.000 Pfund und dem Kind ... einen Jahresunterhalt von 3.500 Pfund zugesprochen.
Am 01.08.2000 hat die Gläubigerin die Erteilung einer deutschen Vollstreckungsklausel an die „freezing order“ beantragt. Am 28.08.2000 hat der Vorsitzende Richter der 2. Zivilkammer des Landgerichts Offenburg den klauselerteilenden Beschluss (S. 47 ff. der Akten) erlassen, der dem Schuldner am 04.09.2000 zugestellt worden ist. Am 29.08.2000 ist die deutsche Klausel an die englische Anordnung angebracht worden.
Mit seiner Beschwerde vom 08.09.2000 begehrt der Schuldner die Aufhebung des Beschlusses und die Zurückweisung des Antrags auf Anordnung der Klauselerteilung. Er trägt u.a. vor, das deutsche Recht kenne zur Sicherung von Unterhaltsansprüchen keine gleichartige einstweilige Anordnung (S. 69 ff. der Akten), einen Anspruch auf Übertragung des Grundstücks in Deutschland habe die Gläubigerin nicht (S. 105 ff. der Akten); die Verfügung sichere außer dem Unterhalt auch andere ehebedingte Ansprüche (S. 151 ff.).
Die Gläubigerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Sie trägt u.a. vor, die Anordnung des High Court sei mit deutschem Recht vereinbar (S. 81 ff. der Akten) und gelte allein der Sicherung der verschiedenen Arten von Unterhaltsansprüchen englischen Rechts (S. 119 ff., 120; 157 ff., 159, 161 der Akten); der Schuldner habe die Gelegenheit zur Anhörung am 15.09.2000 verstreichen lassen, weshalb vorher fehlendes Gehör unbeachtlich sei (S. 157 ff. der Akten); die Anordnung sei auch ausreichend bestimmt. Die Gläubigerin beantragt zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz unter Beiordnung eines Anwaltes (S. 81 ff.); sie verweist dabei auf den Prozesskostenbewilligungsbeschluss des englischen Regional Office vom 30.06.2000 (S. 90 ff. der Akten).
II. Die zulässige (§ 11 Abs. 1 AVAG) Beschwerde des Schuldners ist begründet. Denn die Gläubigerin kann weder unter dem EuGVÜ noch unter dem Haager Unterhaltsübereinkommen 1973 die Erteilung einer deutschen Klausel verlangen.
1. Eine Vollstreckung der englischen „freezing order“ (früher: „Mareva injunction“) unter dem EuGVÜ scheidet aus. Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen zwar einstweilige Maßnahmen unter Art. 25, 31 ff. EuGVÜ und können grundsätzlich vollstreckt werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn der andere Teil vor Erlass der Maßnahme nicht gehört worden ist, was der EuGH aus Art. 27 Nr. 2, 46 Nr. 2 EuGVÜ erschließt (EuGH Slg. 1980, 1553; NJW 1980, 2016 – Leitsatz; ausführlich Kropholler, EuGVÜ, 6. Aufl. 1998, Art. 25 Rn. 23 ff. mwN). Nachträgliches Gehör – das letztlich überall in Europa stets gegeben ist – reicht nach Auffassung des Senats gerade nicht aus. Aus den Akten ergibt sich, dass der Schuldner vor Erlass der „freezing order“ nicht gehört worden ist. Möglichkeit zum Gehör war vielmehr erst am 15.09.2000 und damit über zwei Monate nach ihrem ersten Erlass am 04.07.2000 gegeben, als in Deutschland bereits Klauselerteilung beantragt war – nämlich am 01.08.2000 – und der klauselerteilende Beschluss vom 28.08.2000 vorlag. Dem Schuldner war die „freezing order“ in Deutschland zugestellt, ehe er in England Gelegenheit zum nachträglichen Gehör hatte. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine „freezing order“ nur anerkennungs- und vollstreckungsfähig bei vorherigem Gehör, das durchaus denkbar und möglich ist (dazu OLG Karlsruhe ZZP International 1 (1996), 91 ff., 93). Der Gläubiger, der eine überraschende Sicherung ohne Gehör begehrt, muss sie im Vollstreckungsstaat beantragen.
Ein Teil der Literatur hält bei einstweiligen Anordnungen nachträgliches Gehör für ausreichend (hierzu Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 25 Rn. 6 mwN). Allerdings geben oberlandesgerichtliche Entscheidungen hierfür keine Grundlage, weil diese Frage soweit ersichtlich bisher nicht streitentscheidend war (auch nicht in Düsseldorf RIW 1985, 493; Hamm FamRZ 1993, 213; Hamm RIW 1994, 243). Der Senat geht jedenfalls davon aus, dass die Möglichkeit zu nachträglichem Gehör nicht mehr ausreicht, wenn wie hier bereits vorher im Vollstreckungsstaat die Vollstreckbarkeit beantragt und erlangt und sogar die Klausel an den damit vollstreckungsfähigen Titel angebracht ist. Wollte man nachträgliches Gehör so lange für erheblich halten, wäre die Möglichkeit der Heilung praktisch stets gegeben und der besondere Zweck des Gehörs – sorgfältiges Verhandeln im fremden Staat vor Vollstreckung – wäre verfehlt.
2. Eine Vollstreckbarerklärung unter dem Haager Unterhaltsübereinkommen 1973 ist ebenfalls abzulehnen.
Einstweilige Anordnungen wie die „freezing order“ unterfallen zwar grundsätzlich dem Übereinkommen, was sich aus seinem Art. 4 Abs. 2 deutlich ergibt. Man könnte aber aus guten Gründen wie der EuGH unter dem EuGVÜ die Ansicht vertreten, aus Art. 6 – der Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ entspricht – folge die Notwendigkeit vorherigen Gehörs. Die Interessenabwägung unter dem Haager Unterhaltsübereinkommen 1973 und dem EuGVÜ ist genau dieselbe. Im übrigen folgt aber aus Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens, dass einstweilige Anordnungen nur vollstreckbar sind, soweit der Vollstreckungsstaat gleichartige Maßnahmen kennt. Dies ist indessen für Deutschland nach Ansicht des Senats gerade nicht der Fall. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Gläubigerin („Affidavit“ zur „Application for Ancillary Relief“ vom 04.07.2000) schwebt ein Scheidungsverfahren. Während des Scheidungsverfahrens treffen §§ 620 ff. ZPO eine abschließende Regelung, die den §§ 916 ff. ZPO vorgehen (statt vieler Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 620 Rn. 36 mwN). Denkbar ist in Deutschland die Anordnung der Unterhaltszahlung und ihrer Vollstreckung (§§ 620 Nr. 4, 6 ZPO), die Sicherung insbesondere späteren Unterhalts (§ 1585 a BGB) kann durch einstweilige Anordnung gerade nicht auferlegt werden (MünchKomm-Klauser, ZPO, 1992, § 620 Rn. 39 mwN).
Die Gläubigerin kann im übrigen aufgrund des nunmehr ausgeurteilten englischen Unterhaltstitels Sicherungsvollstreckung in Deutschland ohne besondere Voraussetzungen betreiben.