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Zusammenfassung der Entscheidung Die in Belgien wohnhafte Gläubigerin nahm die Schuldnerin mit Sitz in Deutschland auf Entschädigung in Anspruch. Die in französischer Sprache abgefasste Klageschrift mit Ladung zu dem auf den 09.06.1983 bestimmten Termin wurde der Schuldnerin am 26.05.1983 zugestellt. Diese ließ sich auf das Verfahren nicht ein, woraufhin ein Versäumnisurteil des Handelsgerichts Brüssel (DE) erging. Auf Antrag der Gläubigerin wurde dieses in Deutschland für vollstreckbar erklärt. Dagegen wandte sich die Schuldnerin mit Beschwerde und Rechtsbeschwerde.
Der Bundesgerichtshof (DE) führt aus, dass die Klageschrift der Schuldnerin nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass sie sich hätte verteidigen können (Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ). Ob die Anforderung der Rechtzeitigkeit der Zustellung erfüllt sei, sei von den Gerichten des Vollstreckungsstaates selbständig zu prüfen. Nach deutschem Recht müsse zwischen der Zustellung der Klageschrift und dem Termin zur mündlichen Verhandlung ein Zeitraum von mindestens zwei Wochen liegen. Diesen Anforderungen genüge der hier gegebene Zeitraum von 13 Tagen nicht. Bei einem im Inland anhängigen Streit der Parteien hätte demnach keine Säumnisentscheidung ergehen dürfen. Auch objektiv sei die Frist zu kurz bemessen gewesen. Klageschrift und Ladung seien in französischer Sprache abgefasst gewesen und die Schuldnerin hätte zudem noch Schritte unternehmen müssen, um sich vor einem ausländischen Gericht in dessen Landessprache zu verteidigen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Parteien standen in Geschäftsbeziehungen zueinander. Die Gläubigerin, eine in W. (Belgien) domizilierende Gesellschaft mit beschränkter Haftung belgischen Rechts, nahm die Schuldnerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts mit Sitz in München, wegen Auflösung eines Exklusivvertrages auf Entschädigung in Höhe von 4.000.000 bfrs nebst Zinsen in Anspruch. Die in französischer Sprache abgefaßte Klageschrift mit der Ladung zu dem auf den 9. Juni 1983 bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung ließ die Gläubigerin durch Ersuchen der zuständigen belgischen Behörde dem Amtsgericht München zwecks Zustellung an die Schuldnerin übermitteln. Nach dem Zustellungszeugnis vom 3. Juni 1983 erfolgte die Zustellung am 26. Mai 1983 durch Aushändigung der zuzustellenden Schriftstücke an den Geschäftsführer der Schuldnerin. Diese ließ sich auf das Verfahren nicht ein. Sie wurde durch vorläufig vollstreckbares Versäumnisurteil vom 9. Juni 1983 dem Klageantrag entsprechend und in die Kosten des Verfahrens verurteilt.
Auf Antrag der Gläubigerin erließ der Vorsitzende der 28. Zivilkammer des Landgerichts München I am 14. November 1984 die Anordnung, das Versäumnisurteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Dem entsprach der Rechtspfleger am 8. Januar 1985 mit der sich aus Art. 39 EGÜbk ergebenden Einschränkung. Die Beschwerde der Schuldnerin blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt sie, unter Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse den Antrag der Gläubigerin, den Schuldtitel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, abzulehnen. Die Gläubigerin bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
I. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft. Sie findet nach Art. 41 EGÜbk, § 17 Abs. 1 AGEGÜbk gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts statt, wenn gegen die Entscheidung, wäre sie durch Endurteil ergangen, die Revision gegeben wäre. Die Voraussetzungen dafür liegen angesichts des 40.000 Deutsche Mark übersteigenden Streitwerts vor (§§ 545 Abs. 1, 546 Abs. 1 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt (§§ 18, 19 Abs. 1 AGEGÜbk) und begründet (§ 19 Abs. 2 AGEGÜbk, § 545 ZPO) worden.
II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
Nach Art. 31 EGÜbk werden die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten mit der Vollstreckungsklausel versehen worden sind. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Antrag an den Vorsitzenden einer Kammer des Landgerichts zu richten, dessen örtliche Zuständigkeit durch den Wohnsitz des Schuldners bestimmt wird (Art. 32 EGÜbk). Er kann nur aus einem der in Art. 27 und 28 EGÜbk angeführten Gründe abgelehnt werden.
Die Schuldnerin macht geltend, dem Antrag der Gläubigerin hätte nach Art. 27 Nr. 2 EGÜbk nicht entsprochen werden dürfen. Nach dieser Vorschrift wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück nicht ordnungsmäßig und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte.
Das Oberlandesgericht ist der Auffassung, die Klageschrift mit der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Handelsgericht Brüssel am 9. Juni 1983 sei der Schuldnerin am 26. Mai 1983 ordnungsmäßig zugestellt worden. Nach Art. 3 der deutsch-belgischen Vereinbarung vom 25. April 1959 zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß (BGBl II 1525) sei eine Zustellung durch einfache Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an einen annahmebereiten Empfänger möglich. Auch Art. 5 Abs. 2 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (BGBl. 1977 II 1453) sehe sie vor. Die ordnungsmäßige Zustellung sei am 26. Mai 1983 auch so rechtzeitig erfolgt, daß die Schuldnerin sich hätte verteidigen können; denn die Einlassungsfrist des § 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO sei gewahrt gewesen.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Rechtsbeschwerde hätte Erfolg haben können, soweit sie sich gegen die Ansicht des Oberlandesgerichts wendet, das das Verfahren einleitende Schriftstück sei der Schuldnerin ordnungsmäßig zugestellt worden. Denn das Oberlandesgericht hat die Frage, ob diese Zustellung so rechtzeitig erfolgte, daß die Schuldnerin sich hätte verteidigen können, zu Unrecht bejaht. Art. 27 Nr. 2 EGÜbk soll sicherstellen, daß eine Entscheidung nach den Bestimmungen des Übereinkommens weder anerkannt noch vollstreckt wird, wenn es dem Beklagten nicht möglich war, sich vor dem Gericht des Urteilsstaats zu verteidigen. Dabei hat das Gericht des Vollstreckungsstaats lediglich denjenigen Zeitraum zu berücksichtigen, über den der Beklagte verfügte, um den Erlaß einer nach dem Übereinkommen vollstreckbaren Versäumnisentscheidung zu verhindern (vgl. EuGH, Urt. v. 16. Juni 1981 – Rs 166/80, RIW 1981, 781). Die Gerichte des Vollstreckungsstaates haben selbständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 27 Nr. 2 EGÜbk, bei deren Vorliegen einer Entscheidung die Anerkennung und die Vollstreckung zu versagen ist, erfüllt sind. Sie sind dabei nicht an die Feststellungen der Gerichte im Urteilsstaat gebunden. Das Europäische Übereinkommen soll dem Beklagten nämlich einen wirksamen Schutz seiner Rechte gewährleisten, ohne die in den Mitgliedsstaaten für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland geltenden unterschiedlichen Systeme zu harmonisieren (EuGH, Urt. v. 15. Juli 1982 – Rs 228/81, IPrax 1985, 25 mit Anmerkung v. Geimer IPrax 1985, 6). Für eine sachgerechte Verteidigung reichte der Zeitraum vom 26. Mai bis zum 9. Juni 1983 für die Schuldnerin nicht aus.
Nach deutschem Recht muß in innerstaatlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen der Zustellung der Klageschrift und dem Termin zur mündlichen Verhandlung in der Regel ein Zeitraum von mindestens zwei Wochen liegen (Einlassungsfrist). Ist dagegen die Zustellung im Ausland vorzunehmen, hat der Vorsitzende bei der Festsetzung des Termins die Einlassungsfrist zu bestimmen (§ 274 Abs. 3 Satz 1, 3 ZPO). Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts reichte der Zeitraum zwischen dem 26. Mai und dem 9. Juni 1983, weil er nur 13 Tage betrug, schon nicht aus, die Einlassungsfrist des § 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu wahren. Eine nach Wochen bemessene Frist endet nämlich im Falle des § 187 Abs. 1 BGB erst mit dem Ablaufe desjenigen Tages, der dem Wochentag entspricht, in den das Ereignis, hier die Zustellung, fiel (§ 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Wäre der Rechtsstreit zwischen den Parteien im Inlande rechtshängig gewesen, hätte mithin eine Versäumnisentscheidung gegen die Schuldnerin nicht ergehen dürfen (§ 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
Die der Schuldnerin zwischen der Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks und dem Termin zur mündlichen Verhandlung zur Verfügung stehende Zeit reichte objektiv umso weniger aus, den Erlaß des Versäumnisurteils des Handelsgerichts Brüssel zu verhindern, weil die Klageschrift und die Ladung in französischer Sprache abgefaßt waren und die Schuldnerin, nachdem sie deren Inhalt erfaßt hatte, noch die erforderlichen Schritte hätte unternehmen müssen, um sich vor dem ausländischen Gericht in dessen Landessprache zu verteidigen oder durch einen Rechtsanwalt verteidigen zu lassen (vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 7. März 1979 – 20 W 29/78, MDR 1979, 680).
Deshalb kann das Versäumnisurteil des Handelsgerichts Brüssel vom 9. Juni 1983 nach dem Europäischen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Bundesrepublik Deutschland nicht für vollstreckbar erklärt werden. Die Frage, ob es nach dem deutsch-belgischen Abkommen vom 30. Juni 1958 (BGBl. 1959 II 766) für vollstreckbar erklärt werden könnte (vgl. EuGH, Urt. v. 14. Juli 1977 – Rs 9 u. 10/77, NJW 1978, 483; BGH Urt. v. 10. Oktober 1977 – VIII ZB 10/76, NJW 1978, 1113), stellt sich nicht. Nach Art. 56 Abs. 1 EGÜbk behalten die in Art. 55 aufgeführten Abkommen und Verträge, zu denen auch jenes Abkommen zählt, ihre Wirksamkeit nur für die Rechtsgebiete, auf die das Übereinkommen nicht anzuwenden ist. Dazu zählt der von der Gläubigerin gegen die Schuldnerin geltend gemachte Anspruch jedoch nicht.