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Zusammenfassung der Entscheidung Der in Deutschland wohnhafte Antragsgegner, wurde von einem belgischen Gericht zur Geldzahlung an die belgische Antragstellerin verurteilt. Das das Verfahren einleitende Schriftstück wurde dem Antragsgegner gem. Art. 40 Abs. 2 der belgischen ZPO (Code Judiciaire) dergestalt zugestellt, dass es beim Staatsanwalt des Bezirks hinterlegt wurde, in dessen Bezirk das Gerichtsverfahren stattfand. Dies geschah 13 Tage vor der Hauptverhandlung. Das belgische Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass der Antragsgegner trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war. Die Antragstellerin begehrte, das Urteil für das Gebiet der BRD für vollstreckbar zu erklären. Hiergegen wandte sich der Antragsgegner mit der Beschwerde.
Das Kammergericht Berlin (DE) führt aus, dass dem Urteil die Anerkennung gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zu versagen sei, da das das Verfahren einleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Dabei sei das Gericht nicht an die Feststellungen des belgischen Gerichts gebunden. Andernfalls bedürfe es auch nicht des in Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ vorgeschriebenen urkundlichen Nachweises der Zustellung. Die Zustellung nach Art. 40 Abs. 2 belg. ZPO sei nicht ordnungsgemäß. Diese Art der Zustellung setze voraus, dass der Wohnsitz, Aufenthaltsort oder ein Wahldomizil des Zustellungsempfängers unbekannt sind. Der von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ bezweckte wirksame Schutz der Rechte der beklagten Partei, insbesondere ihr Anspruch auf rechtliches Gehör, kann deshalb bei der fiktiven Zustellung nur in der Weise verwirklicht werden, dass an die Voraussetzungen dieser Zustellungsform - hier an die Feststellung, dass ein Wohnsitz oder Aufenthalt der beklagten Partei im In- und im Ausland unbekannt sind - und ihre Prüfung strenge Anforderungen gestellt werden. Hier seien diese nicht erfüllt.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers abgelehnt das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichtes Brüssel vom 15. Juni 1976 gemäß Art. 31 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (GVÜ) mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist statthaft und zulässig (Art. 40 GVÜ, §§ 16, 12, 13 AusfG z. GVÜ), aber – jedenfalls im Ergebnis – nicht begründet.
a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangenen, daß der in Art. 1 GVÜ mit „Zivil- und Handelssachen“ umschriebene sachliche Geltungsbereich des Übereinkommens sich auch auf Entscheidungen der Arbeitsgerichte der Vertragsstaaten erstreckt (EuGH RIW 1980, Z 85; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht (Kommentar zum EuGVÜ), 1982, Art. 1 Rdz 13).
Nach Art. 27 Nr. 1 GVÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt und kann deshalb gemäß Art. 34 Abs. 2 GVÜ auch nicht zur Vollstreckung zugelassen werden, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte. Nach Art. 47 Nr. 1 GVÜ ist ferner im Verfahren zur Erteilung der Vollstreckungsklausel u. a. der Nachweis zu führen, daß die Entscheidung zugestellt worden ist.
b) Bedenken bestehen hier bereits gegen die – nach den Rechtsvorschriften des Urteilstaates zu beurteilende (vgl. Bülow/Böckstiegel/Linke, internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 27 III 4 lit. a EWG-Übereinkommen) – Ordnungsmäßigkeit der Zustellung des Schriftstücks („Assignation“), mit dem der Antragsgegner vor das Arbeitsgericht geladen worden ist. Zwar hat das Arbeitsgericht in seinem Urteil festgestellt, daß die beklagte Partei „trotz ordnungsgemäßer Ladung“ nicht erschienen sei. Diese Feststellung ist jedoch für die Gerichte des Vollstreckungsstaates nicht bindend. Die Prüfung, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden ist, ist nach den Art. 27, 34 Abs. 2 GVÜ auch dem Gericht des Vollstreckungsstaats übertragen worden (vgl. EuGHE 1982, 2723, 2736 Tz 13). Anderenfalls bedürfte es auch nicht des in Art. 46 Nr. 2 GVÜ vorgeschriebenen urkundlichen Nachweises, daß das verfahrenseinleitende Schriftstück der säumigen Partei zugestellt worden ist (vgl. auch Kropholler aaO Art. 27 Rdz 28).
Ausweislich der Zustellungsurkunde des belgischen Gerichtsbeamten (huissier de justice) ist dieser bei der Zustellung der Vorladung sowohl nach Art. 37 wie auch nach Art. 40 Abs. 2 der belgischen ZPO (Code Judiciaire) verfahren. Art. 37 gestattet die Zustellung durch Niederlegung bei bestimmten örtlichen Behörden. Diese Zustellungsform entspricht der Ersatzzustellung durch Niederlegung im Sinne von § 182 ZPO und setzt schon ihrem Wortlaut nach voraus, daß eine zustellungsfähige Anschrift des Empfängers bekannt ist, unter der die Benachrichtigung über die Niederlegung des Schriftstücks hinterlassen werden kann (vgl. Art. 37 Abs. 2 CJ). An dieser Voraussetzung fehlte es jedoch hier, da sowohl in der Urkunde über die Vorladung wie auch im Urteil des Arbeitsgerichts vermerkt ist, daß ein Wohnsitz oder eine Anschrift des Antragsgegners nicht bekannt seien. Zwar heißt es dann, daß der Antragsgegner anscheinend („paraissant“) unter der danach angeführten Anschrift wohnhaft sei. Dies dürfte jedoch die Ersatzzustellung nicht gerechtfertigt haben, da offenkundig zumindest Unsicherheit und erhebliche Zweifel darüber bestanden, ob der Antragsgegner unter der angegebenen Anschrift tatsächlich noch wohnhaft war oder sich dort zumindest noch gelegentlich aufhielt. Es liegt nahe, dass der Gerichtsbeamte aus diesem Grunde zusätzlich die Zustellung auch nach Art. 40 Abs. 2 CJ „in der Erwägung“ bewirkt hat, dass der Antragsgegner zur Zeit über keinen festen Wohnsitz verfüge.
Nach Art. 40 Abs. 2 CJ kann die Zustellung an Personen, die weder in Belgien noch im Ausland einen bekannt Wohnsitz, einen bekannten Aufenthalt oder ein bekanntes Wahldomizil haben, in der Weise erfolgen, dass das Schriftstück bei dem Procureur des Königs (Staatsanwalt) niedergelegt wird, in dessen Bezirk das mit der Sache befassten Gericht seinen Sitz hat. Es handelt sich demnach um eine öffentliche-fiktive-Zustellung, die im allgemeinen keine Gewähr dafür bietet, dass der Zustellungsadressat von ihr tatsächlich Kenntnis erlangt. Sie ist allerdings, wenn die hierfür maßgeblichen Vorschriften eingehalten sind, ebenfalls als ordnungsgemäß im Sinne von Art. 27 Nr. 2 GVÜ anzuerkennen (vgl. Bülow/Böckstiegel/Linke aaO; Kropholler aaO Art. 27 Rn. 24; vgl. auch Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I 2. Halbband, 1984, Seite 1475 f). Auch erscheint die Auffassung des Landgerichts, die auf diese Weise am 2 Juni 1976 bewirkte Zustellung sei im Sinne von Art. 27 Nr. 2 GVÜ nicht rechtzeitig gewesen, da der bis zum Termin am 15. Juni verbleibende Zeitraum von 13 Tagen eine ausreichende Verteidigung des Beklagten nicht gewährleistet habe, bedenklich. Dem Landgericht ist zwar insofern zuzustimmen, als die Art und Weise der Zustellung bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit berücksichtigt werden kann (EuGH RIW 1981, 781, 784) und auch eine nach den Bestimmungen des Urteilsstaates ordnungsgemäße Zustellung nicht ohne weiteres eine rechtzeitige Verteidigung gewährleistet. Im Falle einer lediglich fiktiven Zustellung – insbesondere dann, wenn, wie es hier den Anschein hat, außer der Niederlegung bei der dazu bestimmten Behörde keine öffentliche Bekanntmachung (vgl. § 204 Abs. 3 ZPO) vorgesehen ist – ist aber das zusätzliche Erfordernis der Rechtzeitigkeit der Zustellung kaum als geeigneter Maßstab für die – ausschlaggebende – Prüfung anzusehen, ob die beklagte Partei sich auf das Verfahren ausreichend vorbereiten und einlassen konnte. Denn es kann nicht übersehen werden, daß sich bei einer öffentlichen Zustellung die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Kenntnisnahme des Empfängers auch bei längerem Zeitablauf im allgemeinen nicht nennenswert erhöht. Auch nach Ablauf mehrerer Monate wird in der Regel nicht mit größerer Berechtigung festgestellt werden können, daß der Zustellungsempfänger von der Niederlegung hätte Kenntnis nehmen können. Der von Art. 27 Nr. 1 GVÜ bezweckte wirksame Schutz der Rechte der beklagten Partei, insbesondere ihr Anspruch auf rechtliches Gehör, kann deshalb bei der öffentlichen Zustellung nur in der Weise verwirklicht werden, daß an die Voraussetzungen dieser Zustellungsform – hier nach Art. 40 Abs. 2 CJ an die Feststellung, daß ein Wohnsitz oder Aufenthalt der beklagten Partei im In- und im Ausland unbekannt sind – und ihre Prüfung strenge Anforderungen gestellt werden. Nur dann wenn die das Verfahren betreibende Partei trotz aller zumutbaren Bemühungen eine zustellungsfähige Anschrift des Schuldners nicht ermitteln kann, erscheint es gerechtfertigt, im Interesse einer u.U. berechtigten Rechtsverfolgung dem Schuldner das Risiko aufzuerlegen, ohne Kenntnis des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens verurteilt zu werden. Sind diese Voraussetzungen aber gegeben, so kann nach Auffassung des Senats eine zwischen der Niederlegung des Schriftstücks und dem Termin liegende Frist von rund 2 Wochen nicht schon deshalb generell als zu kurz angesehen werden, weil es sich um eine öffentliche Zustellung handelt. Dem Vollstreckungsschuldner bleibt es unbenommen, im Klauselerteilungsverfahren mit der Beschwerde besondere Umstände geltend zu machen, die ihn unverschuldet daran gehindert haben, dafür zu sorgen, daß ihn Zustellungen unter einer bekannten Anschrift erreichten.
Im vorliegenden Fall ergeben sich jedoch weder aus der Vorladungsurkunde noch aus der Antragsbegründung ausreichende Anhaltspunkte dafür, daß der Antragsteller – oder der Gerichtsbeamte – Ermittlungen zum Wohn- oder Aufenthaltsort des Antragsgegners angestellt haben. Darauf hat bereits das Landgericht hingewiesen. Der Antragsteller hat demgegenüber auch im Beschwerdeverfahren keine derartigen Ermittlungen behauptet oder dargelegt, daß und aus welchen Gründen zweckmäßige Nachforschungen nicht möglich waren oder keinen Erfolg versprachen. Auch Art. 40 Abs. 2 CJ verlangt nach seinem Wortlaut als objektive und deshalb nachzuweisende und feststellungsbedürftige Voraussetzung der öffentlichen Zustellung, daß der Wohnsitz, Aufenthaltsort oder ein Wahldomizil des Zustellungsempfängers unbekannt sind. Der Vorschrift kann deshalb nicht entnommen werden, daß sich der Gerichtsbeamte mit einer bloßen entsprechenden Angabe der die Zustellung betreibenden Partei begnügen darf. Vielmehr wird auch im Schrifttum darauf hingewiesen, daß die belgische Rechtsprechung insoweit „erschöpfende Nachforschungen“ verlangt (vgl. Linke, Die Versäumnisentscheidungen im deutschen, österreichischen, belgischen und englischen Recht, 1972, Seite 56 mit Fußnote 232). Hier kommt schließlich hinzu, daß der Gerichtsbeamte die öffentliche Zustellung mit der Erwägung veranlaßt hat, daß der Antragsgegner zur Zeit über keinen festen Wohnsitz verfüge. Diese Feststellung rechtfertigte aber noch nicht ohne weiteres die Annahme, daß der Aufenthalt überhaupt unbekannt war.
c) Bestehen nach allem schon Bedenken dagegen, daß der Antragsgegner ordnungsmäßig geladen worden war, so kann dem Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel zur Zeit jedenfalls auch deshalb nicht entsprochen werden, weil das Versäumnisurteil dem Antragsgegner bisher nicht wirksam zugestellt worden ist (vgl. Art. 47 Nr. 1 GVÜ). Nach Art. IV Abs. 1 des dem Übereinkommen beigefügten Protokolls, das Bestandteil des Übereinkommens ist (Art. 65 GVÜ), sind gerichtliche Schriftstücke, die in einem Vertragsstaat ausgefertigt und einer im Hoheitsgebiet eines anderes Vertragsstaats befindlichen Person zugestellt werden sollen, nach den zwischen den Vertragsstaaten geltenden Übereinkommen oder Vereinbarungen zu übermitteln.
Belgien und die Bundesrepublik – einschließlich Berlin – sind Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965 (vgl. die Bekanntmachungen vom 21.6.1979 – BGBl. II Seite 779 – und vom 23.6.1980 – BGBl. II Seite 907 –). Nach dessen Art. 24 sind Zusatzvereinbarungen zu dem Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1. März 1954, wenn sie von den Vertragsstaaten geschlossen worden sind, auch auf das Übereinkommen von 1965 anzuwenden. Danach war die Zustellung des Versäumnisurteils gemäß Art. 3 Abs. 1 der auch in Berlin geltenden (GVB1. 1960, 1075) deutsch-belgischen Zusatzvereinbarung vom 25. April 1959 (abgedruckt bei Bülow/ Böckstiegel aaO unter Ziffer 102.1) in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Haager Übereinkommens vom 1. März 1954 durch einfache Übergabe zu versuchen. Ein Ersuchen, die Zustellung nach den deutschen innerstaatlichen Vorschriften oder in besonderer anderer Form zu bewirken (vgl. Art. 3 Abs. 2 des Übereinkommens vom 1. März 1954) enthielt der Zustellungsantrag nicht. Der Versuch, das Urteil durch einfache Übergabe zuzustellen, ist vorliegend daran gescheitert, daß der Antragsgegner zur Annahme nicht bereit war. Das zuständige Amtsgericht hat demgemäß nach § 79 ZRHO ein Zeugnis über die Undurchführbarkeit der Zustellung erteilt und die zuzustellenden Schriftstücke der ersuchenden belgischen Behörde zurückgesandt (Art. 3 Abs. 2 der Zusatzvereinbarung vom 25. April 1959).
Die nunmehr erforderliche förmliche Zustellung kann nur auf erneutes Ersuchen der nach Art. 1 Nr. l der Zusatzvereinbarung zuständigen belgischen Justizbehörde – nicht, wie der Beschwerdeführer offenbar annimmt, auf Veranlassung seines deutschen Verfahrensbevollmächtigten – bewirkt werden. Eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens kommt insoweit – abgesehen von den dargelegten anderweitigen Bedenken gegen die Begründetheit des Antrages – nicht in Betracht. Art. 48 Abs. l GVÜ, nach dem das Gericht bei Nichtvorlage der in Art. 46 Nr. 2 und Art. 47 Nr. 2 angeführten Urkunden eine Frist zur Vorlage bestimmen kann, ist auf den nach Art. 47 Nr. 1 vorgeschriebenen Zustellungsnachweis nicht anwendbar. Diese Regelung des GVÜ mag zwar nicht ausschließen, daß eine solche Frist zur Behebung von Mängeln des Zustellungsnachweises nach § 139 ZPO gewährt werden kann (vgl. Bülow/Böckstiegel/Schlafen aaO, Art. 48 GVÜ Anm. 1). Im vorliegenden Fall steht jedoch nicht lediglich der Nachweis einer – als erfolgt behaupteten – Zustellung in Frage; aufgrund der vorgelegten Urkunden steht vielmehr fest, daß eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils bisher nicht bewirkt worden ist. Würde dem Antragsteller Gelegenheit gegeben werden, vor der Entscheidung über seinen Rechtsbehelf die Zustellung erneut durchzuführen, so liefe dies auf eine Aussetzung des Verfahrens hinaus, die in den hierfür maßgebenden Verfahrensvorschriften (§§ 148 ff ZPO) keine Grundlage findet.