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Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragsgegnerin ist durch Urteil eines französischen Gerichts zu einer Geldzahlung an die Antragstellerin verurteilt worden. Die Zustellung der Klageschrift und der Ladung war durch Übergabe an die Staatsanwaltschaft beim französischen Gericht und durch Übersendung beglaubigter Abschriften an die Antragsgegnerin mit eingeschriebenem Rückschein-Brief erfolgt. Das erstinstanzliche Urteil wurde auf eben diesem Wege zugestellt. Die Antragsgegnerin hat sich weder auf das erstinstanzliche Verfahren eingelassen, noch später Rechtsmittel eingelegt. Auf Antrag der Antragstellerin wurde das Urteil mit der deutschen Vollstreckungsklausel versehen, wogegen sich die Antragsgegnerin wandte.
Das OLG Düsseldorf (DE) führt aus, dass der Entscheidung des französischen Gerichts die Anerkennung gem. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zu versagen sei. Dies gelte selbst dann, wenn die Antragsgegnerin von der Entscheidung Kenntnis erlangt habe; ansonsten sei die Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks in der ersten Instanz vollständig verzichtbar, wenn das Urteil sodann zugestellt wurde. Da die für die Übersendung von Schriftstücken zwischen Frankreich und Deutschland vorgeschriebenen Regelungen des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZÜ) sowie die deutsch-französische Vereinbarung nicht eingehalten wurden, sei die Zustellung nicht ordnungsgemäß erfolgt.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Antragsgegnerin ist durch Urteil (decision reputee contradictoire) des Tribunal de Commerce in Vienne (F...) vom 24.7.1990 verurteilt worden, an die Antragstellerin für die Lieferung von Garnen einen Betrag von 211.067,75 FF nebst 15.000,‑ FF Schadensersatz sowie weitere Zinsen und Kosten zu zahlen.
Die Zustellung der Klageschrift und der Ladung war durch Übergabe an die Staatsanwaltschaft beim Tribunal de Grande Instance de Vienne und durch Übersendung beglaubigter Abschriften an die Antragstellerin mit eingeschriebenem Rückscheinbrief erfolgt.
Das Urteil vom 24.7.1990 wurde in gleicher Weise zugestellt.
Die Antragstellerin hat sich weder auf das Verfahren bei dem erstinstanzlichen Gericht in Vienne eingelassen noch Rechtsmittel gegen das Urteil vom 24.7.1990 eingelegt.
Auf Antrag der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach durch Beschluß vom 13.9.1991 angeordnet, daß das Urteil vom 24.7.1990 mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle erteilte die Vollstreckungsklausel unter dem 7.10.1991. Eine beglaubigte Abschrift des mit der Vollstreckungsklausel versehenen Schuldtitels wurde der Antragsgegnerin zusammen mit dem Beschluß vom 13.9.1991 am 6.11.1991 zugestellt.
Die Antragstellerin hat gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung mit Schriftsatz vom 3.12.1991 (beim Oberlandesgericht eingegangen am 5.12.1991) Beschwerde eingelegt.
Sie macht geltend:
Die Vollstreckungsklausel sei zu Unrecht erteilt worden. Klage und Ladung seien nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Unterrichtung durch eingeschriebenen Brief sei nach den bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen nicht ausreichend. Auch sei keine deutsche Übersetzung der Klage beigefügt gewesen. Der Geschäftsführer der Antragsgegnerin habe keinerlei Kenntnis von der Zustellung erhalten. Ein Teil der Garne sei noch nicht geliefert. Der gelieferte Teil sei mangelhaft gewesen. Zwischen den Parteien sei vereinbart worden, dass die Mängelrüge durch ein Schiedsgericht beurteilt werde. Mit einer Klage habe sie deshalb auch nicht zu rechnen brauchen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluß vom 13.9.1991 aufzuheben.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie macht geltend:
Auf etwaige Zustellungsmängel könne sich die Antragsgegnerin nicht berufen, weil sie trotz Kenntnis der Klage, der Vorladung und des Urteils auf eine Einlassung und auf Rechtsmittel bei den Gerichten in Vienne verzichtet habe. Jedenfalls sei das Verhalten der Antragsgegnerin arglistig und handelsmissbräuchlich. Die Antragsgegnerin habe auch mit der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens rechnen müssen, weil sie selbst nicht bereit gewesen sei, sich auf das Verfahren vor dem Schiedsgericht einzulassen.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin führt zur Abänderung des Beschlusses vom 13.9.1991 und zur Zurückweisung des Antrags auf Erteilung der Vollstreckungsklausel.
Nach Art. 34 Abs. 1 iVm Art. 27 Nr. 2 des EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ), welches auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, kann eine ausländische Entscheidung, wenn sich der Beklagte – wie hier – auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nur dann im Inland zur Vollstreckung zugelassen werden, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück (hier: die Klageschrift) ordnungsgemäß zugestellt wurde.
Eine ordnungsgemäße Zustellung der Klage ist jedoch nicht erfolgt.
Das EuGVÜ selbst regelt nicht, was als ordnungsgemäße Zustellung in Sinne des Art. 27 Nr. 2 anzusehen ist. Vielmehr verweist Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ vom 27.9.1968 i.F. v. 25.10.1982 insoweit auf die zwischen den Vertragsstaaten geltenden Überreinkommen. (Soweit Art. IV Abs. 2 des genannten Protokolls auch auf die Möglichkeit der sogenannten Zustellung „von Gerichtsvollzieher zu Gerichtsvollzieher“ verweist, hat die Bundesrepublik widersprochen).
Für die Zustellung gelten zwischen Frankreich und der Bundesrepublik das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965 (HZÜ) sowie die deutsch-französische Vereinbarung vom 6.5.1961. Nach diesen Verträgen ist jedoch die hier gewählte Form der Zustellung (Niederlegung bei der Staatsanwaltschaft des Urteilsstaates und Benachrichtigung durch eingeschriebenen Brief) nicht zugelassen. Zwar kennt Art. 10 HZÜ erleichterte Zustellungsformen und insbesondere auch die Übersendung gerichtlicher Schriftstücke durch die Post. Die Bundesrepublik hat jedoch der Anwendung des Art. 10 HZÜ in zulässiger Weise widersprochen, so dass auch die Möglichkeit einer Heilung des Zustellungsmangels hier ausscheidet (vgl. hierzu BGH in WM 1990, 1936, 1938 im Anschluß an EuGH in EuZW 1990, 352 ff.).
Die Frage, ob die Antragsgegnerin rechtzeitig Kenntnis von der Klage erhalten hat, bedarf keiner Klärung. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte dies nicht zur Anerkennung des Urteils führen, weil nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ die Anerkennung auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Klage zwar rechtzeitig aber – wie hier – nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Es wird insoweit auf den Wortlaut des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ und auf die Entscheidung des EuGH vom 3.7.1990 (EuZW 1990, 352 ff.) verwiesen, der sich der Senat anschließt.
Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass die Antragsgegnerin von dem Urteil des Tribunal de Commerce in Vienne Kenntnis erhalten und dennoch kein Rechtsmittel eingelegt habe, gilt folgendes: Dem EuGVÜ ist nichts darüber zu entnehmen, dass die Regelung des Art. 27 Nr. 2 dann nicht anwendbar oder gegenstandslos wäre, wenn die beklagte Partei Gelegenheit hatte, gegen ein Urteil Rechtsmittel einzulegen. Der Senat hält es auch nicht für gerechtfertigt, die Anwendung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ in diesem Sinne einzuschränken. Dies würde nämlich im Ergebnis dazu führen, dass auf die Unterrichtung der beklagten Partei über das erstinstanzliche Verfahren im Urteilsstaat völlig verzichtet werden könnte, wenn nur das Urteil selbst dem Beklagten zur Kenntnis gebracht wird. Ein solches Vorgehen würde jedoch den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör erheblich tangieren und wäre deshalb mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr zu vereinbaren, zumal je nach Verfahrensordnung durch ein einmal ergangenes Urteil Präklusionswirkungen und damit irreparable Nachteile bei der Rechtsverteidigung eintreten können. Allerdings hat der Bundesgerichtshof durch Beschluß vom 4.4.1991 (WM 1991, 1050 ff.) dem Europäischen Gerichtshof die hier streitige Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Senat hält jedoch, obwohl über die Vorlage, soweit feststellbar, bisher nicht entschieden ist (eine telefonische Anfrage bei der Geschäftsstelle des IX. Zivilsenats des BGH vom 9.6.1992 hat ergeben, dass die Sache noch nicht vom EuGH zurückgekehrt ist), seinerseits eine Vorlage an den EuGH nach Art. 3 Abs. 2 des Auslegungsprotokolls (fakultative Vorlage) nicht für erforderlich, weil die Rechtslage insoweit eindeutig und auch insbesondere nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (vgl. hierzu BGH in WM 1991, 1050 ff.) eine für die Antragstellerin günstige Entscheidung nicht zu erwarten ist. Die Antragstellerin hat zudem die Möglichkeit der weiteren Beschwerde.
Die Antragsgegnerin handelt schließlich auch nicht arglistig oder handelsmissbräuchlich, wenn sie den Schutz der Regelung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ für sich in Anspruch nimmt. Die Berufung auf völkerrechtliche Vereinbarungen zum Schutz des Vollstreckungsschuldners kann für sich genommen weder treuwidrig, arglistig oder missbräuchlich sein. Dies gilt auch dann, wenn der Vollstreckungsschuldner Kaufmann ist. Arglist oder Missbrauch könnte nur dann vorliegen, wenn die Inanspruchnahme der gesetzlich abgesicherten Rechtsposition wegen des Hinzutretens weiterer besonderer Umstände als unredlich anzusehen wäre. Solche weiteren besonderen Umstände, welche der Antragsgegnerin anzulasten wären, sind hier jedoch nicht feststellbar. Insbesondere ist der Antragsgegnerin nicht vorzuwerfen, dass sie sich auf das Verfahren vor den Gerichten in Vienne nicht eingelassen hat. Soweit es um das erstinstanzliche Verfahren geht, brauchte die Antragsgegnerin (selbst wenn sie Kenntnis von der Klage gehabt haben sollte) nicht damit zu rechnen, dass zwingende Zustellungsvorschriften unbeachtet bleiben könnten und es so zu einer Verurteilung kommen würde. Aber auch ein Rechtsmittel wäre der Antragsgegnerin nur zumutbar gewesen, wenn die unterlassene Einlassung in erster Instanz keinerlei Rechtsnachteile mit sich gebracht hätte. Ob dies sichergestellt sein würde, war für die Antragsgegnerin im Zweifel aber nicht übersehbar. Im übrigen ist die Antragstellerin auch nicht schutzwürdig. Nachdem sie feststellte, dass die Antragsgegnerin sich zur Klage nicht erklärt hatte, hätte sie auch im eigenen Interesse den Gründen hierfür nachgehen und auf eine ordnungsgemäße Zustellung hinwirken müssen, bevor sie es zu einem Urteil kommen ließ. Daß die Antragsgegnerin – wie es in dem Urteil vom 24.7.1990 heißt – vermutlich nichts gegen die Klageforderung einzuwenden habe, kann die Antragstellerin nicht geglaubt haben. Ihrem Schriftsatz vom 6.9.1991 im vorliegenden Verfahren ist zu entnehmen, dass sie bereits vor Einreichung der Klage über die Mängelrüge der Antragsgegnerin unterrichtet war.
Da hier die Erteilung der Vollstreckungsklausel bereits an der Regelung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ scheitert, kann dahinstehen, ob noch sonstige Gründe der Vollstreckbarkeitserklärung entgegenstehen.