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Zusammenfassung der Entscheidung Zwischen den Parteien ist seit dem 20.03.2001 beim Amtsgericht München (DE) ein Ehescheidungsverfahren anhängig. Der Ehemann ist Deutscher, die Ehefrau besitzt die Staatsangehörigkeit von Mauritius. Der Ehemann ist seit 1984 in München als Facharzt für Orthopädie niedergelassen und betreibt hier eine Fachklinik. Die Antragsgegnerin und das aus der Ehe hervorgegangene Kind leben in Frankreich. Der Antragsteller hat sich bei seiner Familie in Frankreich jeweils von Donnerstagabend bis Montagmorgen aufgehalten und ist von Montag bis Donnerstag seiner Berufstätigkeit in München nachgegangen. Das Amtsgericht München (DE) hat mit Zwischenurteil vom 13.11.2001 seine internationale Zuständigkeit für den Scheidungsantrag bejaht. Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin.
Das OLG München (DE) weist die Berufung als unbegründet zurück. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für das Scheidungsverfahren folge aus Art. 2 Abs. 1 lit. a der Verordnung Nr. 1347/2000 („Brüssel II“). Sämtliche dort genannten sechs Kompetenzgründe seien als gleichwertige Alternativen zu begreifen. Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts München folge daraus, dass der Antragsteller deutscher Staatsangehöriger sei und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe (sechster Spiegelstrich). Die langjährige intensive Berufstätigkeit des Antragstellers als Arzt in München lege es nahe, den beruflichen Wohnsitz auch als Lebensmittelpunkt anzunehmen. Der bloße Umstand, dass der Antragsteller seiner Ehefrau in Frankreich einen neuen Lebensmittelpunkt geschaffen habe, habe an seiner festen Bindung an München nichts geändert. Auf die Frage, ob Art. 2 Abs. 1 lit. a sechster Spiegelstrich der Verordnung „Brüssel II“ eine unzulässige Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 12 des EG-Vertrages darstelle, komme es nicht an, weil die Antragsgegnerin als Staatsangehörige von Mauritius sich nicht auf den EG-Vertrag berufen könne.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Zwischen den Parteien ist seit dem 20.03.2001 beim Amtsgericht – Familiengericht – München ein Ehescheidungsverfahren anhängig, in dem sie zunächst über die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte streiten. Wegen der weiteren Sachverhaltsdarstellung wird auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Soweit das Ersturteil davon ausgeht, dass die Parteien seit April 2000 von einander getrennt leben, ist zu ergänzen, dass die Antragsgegnerin behauptet, die Parteien hätten bis November 2000 in Frankreich zusammengelebt.
Das Familiengericht entschied zur Frage der internationalen Zuständigkeit durch Zwischenurteil vom 13.11.2001. Hierin wurde festgestellt, dass das angerufene Amtsgericht München örtlich zuständig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin mit dem Antrag, das Ersturteil aufzuheben und festzustellen, dass das angerufene Amtsgericht München international nicht zuständig sei. Hilfsweise ist beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Der Streit der Parteien geht auch in der Berufungsinstanz im Wesentlichen darum, ob der Antragsteller bis zum (streitigen) Zeitpunkt der Trennung seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Wohnsitz der Antragstellerin und des gemeinsamen Kindes in Frankreich oder in München hatte. Insoweit wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden Bezug genommen. Die Antragsgegnerin hat zuletzt ergänzend vorgetragen, dass selbst für den Fall, dass das Amtsgericht für das Ehescheidungsverfahren international zuständig sei, die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 nicht für die anhängigen Folgesachen nachehelicher Unterhalt und Güterrecht gelte.
Der Senat hat mit Beschluss vom 03.06.2002 entschieden, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg zu der Frage herbeizuführen, ob Art. 2 Abs. 1 a Spiegelstrich 6 der EheVO gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV verstößt. Dieser Beschluss wurde nicht ausgeführt und nach erneuter Beratung am 22.04.2003 aufgehoben.
Die Parteien haben ihr Einverständnis mit schriftlicher Entscheidung erklärt.
II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Die Antragsgegnerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr das Zwischenurteil entgegen dem im Empfangsbekenntnis genannten Datum (20.11.2001) erst am 21.11.2001 zugestellt wurde. Die am 21.12.2001 beim Oberlandesgericht eingegangene Berufung war damit rechtzeitig. Das angefochtene Zwischenurteil ist hinsichtlich der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen, § 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO; es ist deshalb der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht zugänglich.
In der Sache erweist sich die Berufung jedoch als unbegründet. Der Senat teilt die Einschätzung des Familiengerichts uneingeschränkt, dass die deutschen Gerichte für das Ehescheidungsverfahren international zuständig sind. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts München folgt aus § 606 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative ZPO.
Die internationale Zuständigkeit für Ehescheidungsverfahren ist in der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 29.05.2000 über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (EheVO) geregelt. Der sachliche Anwendungsbereich der EheVO ist in Art. 1 auf Ehesachen und solche zivilgerichtlichen Verfahren beschränkt, die Sorgerechtsangelegenheiten betreffen.
Ob hier eine internationale Zuständigkeit auch für etwaige Folgesachen iSd § 623 ZPO gilt, die Unterhalt und Güterrecht betreffen, ist im Rahmen des Berufungsverfahrens nicht zu entscheiden. Das Amtsgericht hat in seinem Zwischenurteil lediglich eine Entscheidung zu seiner Zuständigkeit für die Ehesache getroffen. Zwar ergibt sich dies nicht unmittelbar aus dem Urteilstenor, jedoch lässt sich dies eindeutig dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils entnehmen. In der dem Zwischenurteil vorausgehenden mündlichen Verhandlung hatte der Antragsteller lediglich den Antrag auf Ehescheidung gestellt und die Antragsgegnerin die Abweisung desselben beantragt. Das Zwischenurteil beschäftigt sich deshalb richtigerweise auch allein mit der Frage, ob eine Zuständigkeit für diesen Ehescheidungsantrag besteht. Nur hierüber ist auch in der Berufungsinstanz zu entscheiden.
Die negativen Feststellungsanträge zum nachehelichen Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin zu einem etwaigen Anspruch auf Zugewinnausgleich wurden erst nach Erlass des Zwischenurteils am 16.11.2001 beim Familiengericht eingereicht. Der Senat begnügt sich zu diesem Streitpunkt deshalb mit dem Hinweis auf die Kommentierung bei Zöller/Geimer, 23. Aufl., Randziffer 3 zu Art. 1 EheVO.
Art. 2 Abs. l a der EheVO regelt die internationale Zuständigkeit – soweit hier interessierend – dahin, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat (Spiegelstrich 5) oder der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat und Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaates ist (Spiegelstrich 6). Sämtliche in Art. 2 Abs. 1 a EheVO genannten sechs Kompetenzgründe sind als gleichwertige Alternativen zu begreifen (vgl. Hau FamRZ 2000, 1334). Sie stehen also nicht in einem Regel-/Ausnahmeverhältnis wie die Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit in § 606 ZPO.
Maßgebend ist hier somit, wo der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei Antragstellung hatte und seit wann diese Aufenthaltsverhältnisse bestehen. Die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts ist autonom nach objektiven Kriterien zu bestimmen, die sich im Wesentlichen an dem vom Betroffenen gewählten Daseinsmittelpunkt und dem Schwerpunkt der Lebensverhältnisse in familiärer und beruflicher Hinsicht bestimmen (vgl. Hau aaO; Thomas/Hüßtege, Randziffer 2 zu Art. 2 EheVO).
Hier ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Antragsteller seit 1984 in München als Facharzt für Orthopädie niedergelassen ist. Er betreibt seit vielen Jahren eine orthopädische Fachklinik (A.-Klinik), in der mehr als 120 Mitarbeiter, darunter zwölf Ärzte, beschäftigt sind. Allein dieser Umstand legt es nahe, den beruflichen Wohnsitz als Lebensmittelpunkt anzunehmen, zumal diese beruflichen Verhältnisse bereits bei Eheschließung im Jahr 1996 bestanden und die Parteien zunächst in München zusammenlebten, wo auch das gemeinsame Kind geboren ist.
Hinzu kommt, dass auch nach Errichtung des Hauses in Guzargues in Frankreich der Antragsteller im Wesentlichen nur seine Freizeit dort verbracht hat. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Antragsteller vor der Trennung – auf dessen Zeitpunkt es in diesem Zusammenhang nicht ankommt – nur die Zeit von Donnerstag Abend bis Montag Morgen bei seiner Familie verbracht hat. Vier Arbeitstage hielt er sich in München auf, wo er seiner Berufstätigkeit nachging, weiterhin polizeilich gemeldet war und eine großzügige Mehrzimmerwohnung unterhielt. Auch steuerrechtlich wurde er als Inländer behandelt. Auf Grund dieser Umstände besteht für den Senat kein vernünftiger Zweifel daran, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt in München nie aufgegeben hat, sondern im Interesse des familiären Zusammenlebens lediglich in Frankreich einen weiteren (Neben-)Wohnsitz begründet hat. Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, dass sich der Antragsteller auch in die offizielle Liste der französischen Ärzteschaft aufnehmen ließ und in Frankreich eine Aufenthaltsbewilligung hatte. Ohne Belang ist weiter, dass der Antragsteller beabsichtigte in Montpellier eine Klinik zu eröffnen. Unstreitig wurde dieser Plan nie verwirklicht. Zukunftsabsichten allein verändern die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Dahingestellt bleiben kann schließlich auch, wie oft und in welchem Umfang der Antragsteller bei seinen Besuchen in Frankreich gemeinsam mit der Antragsgegnerin dortige Bekannte besucht hat und ob er einmal oder mehrmals dort von einem späteren Patienten konsultiert wurde.
An dem nach wie vor bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers in München ändert schließlich die Tatsache nichts, dass die Antragsgegnerin und das gemeinsame Kind ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich haben. Zwar entspricht üblicherweise der Familienwohnsitz auch dem gewöhnlichen Aufenthalt desjenigen, der sich aus beruflichen Gründen vorübergehend an einem anderen Ort aufhält. Hier ist jedoch zu beachten, dass der Antragsteller 21 Jahre älter ist als die Antragsgegnerin und bereits vor Eheschließung durch die von ihm betriebene Privatklinik bereits fest an München gebunden war. Unter den gegebenen Umständen hat sich sein Lebensschwerpunkt nicht dadurch verändert, dass er die für die junge, aus Mauritius stammende Ehefrau aus klimatischen und sprachlichen Gründen ein Haus in Frankreich gebaut und ihr dort einen neuen Lebensmittelpunkt geschaffen hat.
Auf die in der Kommentarliteratur diskutierte Frage, ob die Zuständigkeitsregelung in Art. 2 Abs. 1 a 6. Spiegelstrich getroffene Zuständigkeitsregelung im Verhältnis zu den im 5. Spiegelstrich genannten Personenkreis eine unzulässige Diskriminierung darstellt, kommt es vorliegend nicht an. Zum einen ist die Antragsgegnerin mauretanische Staatsangehörige und damit nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft, so dass Art. 12 des EWG-Vertrages ihr keinen Gleichbehandlungsgrundsatz sichert. Wegen der vor und nach der Eheschließung sowie der Trennung nie geänderten Aufenthaltsverhältnisse des Antragstellers kommt es zudem auf eine möglicherweise unzulässige Privilegierung seiner deutschen Staatsangehörigkeit in Spiegelstrich 6 der genannten Vorschrift gar nicht an.
Die Berufung der Antragsgegnerin war somit mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.