1. – Einleitung
Das Lugano-Übereinkommen (LugÜ) über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (BBl 1990 II 341) wird in der Schweiz am 1. Januar 1992 in Kraft treten. Es regelt in seinem Titel III die Voraussetzungen der Anerkennung (Art. 26–30) und das Verfahren der Vollstreckbarerklärung (Art. 31–45) für die Vollstreckung von Entscheiden aus Vertragsstaaten in einem andern Vertragsstaat (EG- und EFTA-Staaten). Als Staatsvertragsrecht des Bundes ist das Abkommen direkt anwendbar (selfexecuting) und derogiert abweichendes kantonales Prozessrecht. Da der Vorrang derogierenden Bundesrechts auch in mehreren andern zivilprozessualen Fragen (z.B. hinsichtlich der Gerichtsstände) zum Selbstverständnis des Zivilprozessrechts gehört und die mit dem LugÜ verbundenen Abweichungen relativ geringfügiger Natur sind, erübrigt sich im heutigen Zeitpunkt eine Anpassung der ZPO. Es genügt, auf die Folgerungen für das luzernische Verfahren hinzuweisen und den Bereich der Vollstreckung ausländischer Entscheide im Rahmen der pendenten Totalrevision der ZPO zu überarbeiten.
2. – Bisherige Rechtslage
Nach § 325 ZPO ist für Urteile ausländischer Gerichte beim Obergericht um die Exequaturbewilligung nachzusuchen. Diese Bestimmung wurde durch die Praxis dahingehend präzisiert, dass bei ausländischen Urteilen auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung die Frage der Vollstreckbarkeit im Rechtsöffnungsverfahren – erstinstanzlich also vor dem Amtsgerichtspräsidenten – zu entscheiden ist (Max. X Nr. 419, LGVE 1985 I 27). Auswirkungen auf das Verfahren und den Rechtsmittelweg hatte diese Kombination zwischen Rechtsöffnung und Exequatur nicht, anwendbar war allein das für Rechtsöffnungen vorgesehene Prozedere. Das LugÜ bringt für die Vollstreckung und Sicherung von Entscheiden aus Vertragsstaaten wesentliche Kompetenzverschiebungen und Verfahrensänderungen, wie sie nachstehend unter Ziff. 3. und 4. angeführt sind. Nichts ändert sich hingegen bei der Vollstreckung von Entscheiden aus Nicht-Vertragsstaaten.
3. – Vollstreckung von Entscheiden auf Geld
Dem Gläubiger steht die Wahl offen zwischen
a) dem schweizerischen Betreibungsverfahren mit kontradiktorischem Rechtsöffnungsverfahren und dazugehöriger Rechtsmittelordnung unter gleichzeitiger Titelprüfung nach LugÜ-Kriterien durch den Rechtsöffnungsrichter und
b) einem Feststellungsverfahren zur blossen Überprüfung der Vollstreckbarkeit ohne Anhörung des Schuldners bis zum Erstentscheid, um den Geldanspruch durch Arrestierung sicherstellen zu können (s. Ziff. 5).
Im folgenden werden diese beiden Verfahrensarten als «Betreibungsverfahren» und «Feststellungsverfahren» differenziert behandelt.
3.1 Sachliche Zuständigkeit
Zuständig ist unabhängig von der Verfahrensart (wie bisher) der Amtsgerichtspräsident (nach Art. 32 Abs. 1 LugÜ der «Rechtsöffnungsrichter»).
3.2 Begehren
Im Betreibungsverfahren ist (wie bisher) das Rechtsöffnungsbegehren zu stellen, im Feststellungsverfahren hingegen das Exequaturbegehren.
3.3 Verfahren
Im Feststellungsverfahren ist in analoger Anwendung des § 349 Abs. 2 ZPO ohne Anhörung des Schuldners zu entscheiden. Allfällige Einwendungen des Schuldners sind gemäss LugÜ erst im «Rechtsbehelf» vorzubringen (s. Ziff. 3.5). Wählt der Gläubiger direkt die Betreibung, ist das Rechtsöffnungsverfahren gemäss § 361 ZPO kontradiktorisch durchzuführen, da er auf den ihm gemäss Art. 34 Abs. 1 LugÜ zustehenden Ausschluss der Anhörung des Schuldners zur Vollstreckbarkeitsfrage mit dem von ihm gewählten Vorgehen konkludent verzichtet hat.
3.4 Entscheid
Im Betreibungsverfahren ergeht der Entscheid (wie bisher) als einheitliche «Rechtsöffnung». Im Feststellungsverfahren wird nur die Vollstreckbarkeitserklärung erteilt.
3.5 Rechtsmittel bzw. Einsprache
Im Betreibungsverfahren stehen der unterliegenden Partei (wie bisher) je nach Streitwert Rekurs oder Beschwerde offen. Im Feststellungsverfahren setzt der Amtsgerichtspräsident mit der Erteilung der Vollstreckbarkeitserklärung – die nicht zu begründen ist – dem Schuldner eine Frist von einem oder zwei Monaten gemäss Art. 36 LugÜ zur Erhebung einer Einsprache an den judex a quo (Amtsgerichtspräsidenten). Diese Einsprache, in Art. 36 ff. LugÜ als «Rechtsbehelf» bezeichnet, führt zu einem neuen, diesmal begründeten Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten, wogegen die unterliegende Partei je nach Streitwert Rekurs oder Beschwerde beim Obergericht einreichen kann. Verweigert der Amtsgerichtspräsident die nachgesuchte Vollstreckbarkeitserklärung bereits im (begründeten) Erstentscheid, stehen dem Gläubiger je nach Streitwert der Rekurs oder die Beschwerde an das Obergericht offen, welche die Funktion des Rechtsbehelfes nach Art. 40 LugÜ erfüllen. Gegen jeden dieser obergerichtlichen Rechtsmittelentscheide ist die staatsrechtliche Beschwerde gegeben (s. Art. 37 Abs. 2 und 41 LugÜ).
4. Vollstreckung anderer Leistungen
Soweit nicht Geldleistungen zu vollstrecken sind, wirkt sich das LugÜ auf die kantonalen Vollstreckungsbestimmungen der §§ 318 ff. ZPO wie folgt aus:
4.1 Sachliche Zuständigkeit
Nach Art. 32 Abs. 1 LugÜ ist der «kantonale Vollstreckungsrichter» sachlich zuständig, gemäss den §§ 318 ff. ZPO also der Amtsgerichtspräsident.
4.2 Begehren und Verfahren
Nach dem gemäss Art. 33 Abs. 1 LugÜ anwendbaren Recht des Vollstreckungsstaates ist das Begehren schriftlich einzureichen. Es muss auf Vollstreckung lauten, da ein Interesse an einem blossen Feststellungsentscheid über die Vollstreckbarkeit hier – im Unterschied zur Situation bei der Vollstreckung von Geldleistungen – nicht bestehen kann. Der Amtsgerichtspräsident entscheidet über das Begehren ohne Anhörung der Gegenpartei, wobei er mit dem (nicht zu begründenden) Entscheid zur Abwendung dringender Gefahr vorsorgliche Sicherungsmassnahmen nach § 349 Abs. 2 ZPO (analoge Anwendbarkeit) treffen kann (s. Art. 39 Abs. 2 LugÜ). Bei Gutheissung des Vollstreckungsgesuches setzt er der Gegenpartei eine Einsprachefrist von einem oder zwei Monaten (Art. 36 LugÜ) und entscheidet nach Eingang dieses «Rechtsbehelfs» neu (diesmal mit Begründung). Lehnt der Amtsgerichtspräsident das Vollstreckungsgesuch ab, kann dies mit oder ohne Anhörung der Gegenpartei geschehen, setzt aber einen begründeten Entscheid voraus.
4.3 Rechtsmittel
Die Rechtsmittelordnung richtet sich vollumfänglich nach der ZPO (§§ 318 ff.) und wird auf Bundesebene durch die staatsrechtliche Beschwerde ergänzt.
5. Sicherung durch Arrest
Bei der Vollstreckung von Geldforderungen steht als Sicherungsmittel (neben der provisorischen Pfändung) bloss der Arrest nach Art. 271 ff. SchKG mit ausgewählten Arrestgründen zur Verfügung. Das LugÜ (Art. 39 Abs. 2) bewirkt nun neu, dass jede Vollstreckbarkeitserklärung des Richters ohne weiteres als zureichender Arrestgrund gilt. Dem Gläubiger steht es demnach frei, sein Gesuch um Feststellung der Vollstreckbarkeit mit einem ergänzenden Gesuch an den Arrestrichter um Arrestbewilligung zu verbinden. Dabei hängt es von der Lage des Arrestgegenstandes ab, ob derselbe Richter für beide Gesuche örtlich zuständig ist. Zur Ermöglichung der faktischen Durchsetzung des vom LugÜ garantierten Sicherungsanspruches ist der Feststellungsrichter gehalten, auf Antrag des Gläubigers die Vollstreckbarkeitserklärung vorab dem Arrestrichter und erst später den Parteien zuzustellen.