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Zusammenfassung der Entscheidung Die Schuldnerin mit Sitz in der Schweiz beantragte beim Amtsgerichtspräsidenten Luzern-Stadt (CH) die Abweisung eines von der Gläubigerin mit Sitz in Frankreich angestrengten Rechtsöffnungsverfahrens, da die schweizerischen Gerichte aufgrund einer Gerichtsstandvereinbarung zwischen den Parteien, die die Zuständigkeit der Pariser (FR) Gerichte vorsehe, international nicht zuständig seien. Der Amtsgerichtspräsident wies den Antrag der Schuldnerin ab, weshalb diese Rekurs zum Obergericht Luzern erhob.
Das Obergericht Luzern weist den Antrag der Schuldnerin als unbegründet ab. Maßgebend sei, ob das hier in Frage stehende provisorische Rechtsöffnungsverfahren unter die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 16 Nr. 5 LugÜ falle. Dabei komme es darauf an, ob das Rechtsöffnungsverfahren staatsvertraglich als Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahren anzusehen sei. Eine funktionale Betrachtung führe zu dem Ergebnis, dass der Vollstreckungscharakter überwiege, da die summarische Beurteilung der Rechtslage nur eine Vorentscheidung sei. Sofern nach Erlass des Rechtsöffnungsentscheides ein ordentliches Erkenntnisverfahren eingeleitet werden sollte und für dieses nach dem LugÜ keine Zuständigkeit in der Schweiz bestehe, habe der Schuldner die damit verbundenen Unannehmlichkeiten hinzunehmen. Vorliegend seien damit die schweizerischen Gerichte nach Art. 16 Nr. 5 LugÜ international zuständig.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die in Frankreich domizilierte B. SA betrieb die R. SA mit Sitz in Luzern für eine Forderung von rund Fr. 800.000,–. Im anschliessenden Rechtsöffnungsverfahren beantragte die Schuldnerin, auf das Gesuch der Gläubigerin sei wegen Unzuständigkeit des schweizerischen Rechtsöffnungsrichters nicht einzutreten. Zur Begründung berief sie sich auf eine Gerichtsstandsvereinbarung, mit der die Parteien die Gerichte in Paris zuständig erklärt hatten. Der Amtsgerichtspräsident von Luzern-Stadt wie auch das Obergericht als Rekursinstanz wiesen die Einwendungen der Schuldnerin als unbegründet ab.
Aus den Erwägungen:
c) Fest steht, dass das definitive Rechtsöffnungsverfahren der unmittelbaren Vollstreckung von Geldforderungen dient und als solches unter Art. 16 Ziff. 5 LugUe fällt (vgl. Schwander Ivo, Gerichtszuständigkeiten im Lugano-Übereinkommen, in: Schwander [Hrsg.], Das Lugano-Übereinkommen, St. Galler Studien zum internationalen Recht, Bd. II, S. 92f.). Umstritten ist hingegen, ob das Rechtsöffnungsverfahren, das allein aufgrund einer Schuldurkunde eingeleitet wird, staatsvertraglich als Erkenntnis- oder als Vollstreckungsverfahren zu qualifizieren ist. Die Lehre ist sich in diesem Punkt immerhin darin einig, dass diese Frage vertragsautonom, im Ergebnis damit unabhängig vom schweizerischen Recht zu beurteilen ist (Markus Alexander R., Provisorische Rechtsöffnung und Zuständigkeit nach dem Lugano-Übereinkommen, ZBJV 131 [1995] S. 325). In der Sache selbst ist die Lehre zweigeteilt. Walter Stoffel plädiert für den (materiell-rechtlichen) Erkenntnischarakter des provisorischen Rechtsöffnungsverfahrens (vgl. Ausschliessliche Gerichtsstände des Lugano-Übereinkommens und SchKG-Verfahren, insbes. Rechtsöffnung, Widerspruchsklage und Arrest, in: Schwander/Stoffel [Hrsg.], Beiträge zum schweizerischen und internationalen Zivilprozessrecht, Festschrift für Oscar Vogel, Freiburg 1991, S. 357ff.). Die gleiche Meinung vertreten Isaak Meier (Besondere Vollstreckungstitel nach dem Lugano-Übereinkommen, St. Galler Studien zum internationalen Recht, Bd. II, S. 157ff., insbes. S. 201ff.) und Ivo Schwander (a.a.O., S. 61ff., insbes. S. 92f.). Für den (formellrechtlichen) Vollstreckungscharakter des provisorischen Rechtsöffnungsverfahrens votiert Kurt Amonn (Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Aufl., S. 131 und S. 417). In dieselbe Richtung zielt offenbar auch die bundesrätliche Botschaft zum Lugano-Übereinkommen (BBl. 1990 II 308f.). Das Bundesgericht hat die Frage bis anhin offengelassen bzw. musste sie noch nicht entscheiden (BGE 120 III 94, freilich ergangen in einem Fall betreffend Arrestbetreibung). Die Befürworter der «materiellrechtlichen Lösung» argumentieren mit dem Wortlaut des Staatsvertrages; Art. 16 Ziff. 5 LugUe regle die Verfahren, welche allein die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben. Ferner geben sie zu bedenken, dass die Zulassung eines provisorischen Rechtsöffnungsverfahrens – obwohl in der Schweiz keine Zuständigkeit für die Hauptsache nach LugUe vorhanden sei – zu Erschwernissen bei der Rechtsverfolgung von Ansprüchen führe, welche die am Lugano-Übereinkommen beteiligten Vertragsstaaten gerade ausschliessen wollten (vgl. Markus Alexander R., a.a.O., S. 335ff.). Schliesslich sei es sinnvoll, dass provisorische Rechtsöffnung und Aberkennungsklage am gleichen Ort anhängig gemacht und durchgeführt würden, ansonsten mit Schwierigkeiten bei der internationalen Auslegung des Rechtsöffnungsinstituts zu rechnen sei.
d) Eine funktionale Betrachtung der Rechtsöffnung als solcher führt zweifelsfrei zum Ergebnis, dass deren Vollstreckungscharakter überwiegt. Die summarische Beurteilung der Rechtslage ist letztlich nur eine Vorentscheidung, welche die formellen Parteirollen für die definitive Abklärung der Schuldpflicht im Rahmen des Aberkennungsprozesses festlegt. Massgebend ist, dass das provisorische Rechtsöffnungsverfahren eine – wenn auch besondere – Vollstreckungsstufe ist. Wird nach Erlass des Rechtsöffnungsentscheides kein Erkenntnisverfahren eingeleitet (weder ein Anerkennungsprozess nach Art. 79 SchKG noch ein Aberkennungsprozess nach Art. 83 Abs. 2 SchKG), so steht die Qualität des Vollstreckungstitels fest: entweder ist die Vollstreckung gänzlich ausgeschlossen (im Falle der Abweisung des Rechtsöffnungsgesuchs) oder das Vollstreckungsverfahren kann ungehindert vorangetrieben werden (im Falle der Gutheissung des Rechtsöffnungsgesuchs).
e) Diese schweizerische Eigenheit ist – im Gegensatz zur Auffassung der Befürworter der materiellrechtlichen Lösung – mit dem Staatsvertragsrecht vereinbar. Das Lugano-Übereinkommen enthält nicht nur in bezug auf das Vollstreckungsverfahren ausschliessliche Zuständigkeiten, sondern schränkt auch die ordentliche Zuständigkeitsordnung hinsichtlich der Erkenntnisverfahren ein (vgl. Art. 16 Ziff. 1 und 2 LugUe). Ferner lässt es im vorsorglichen Rechtsschutz (einstweilige Massnahmen) die Zuständigkeit des Massnahmerichters selbst dann zu, wenn für die Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaates kompetent ist (Art. 24 LugUe). Zwar ist den Befürwortern der materiellrechtlichen Lösung beizupflichten, dass Rechtsnatur und Durchführung der Aberkennungsklage international umstritten sein können und namentlich der Betreibungsschuldner und Aberkennungskläger in eine schwierige prozessuale Situation geraten kann. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass das provisorische Rechtsöffnungsverfahren immer dann durchgeführt werden kann, wenn gleichzeitig ein Gerichtsstand nach Lugano-Übereinkommen in der Schweiz vorliegt (Stoffel Walter A., a.a.O., S. 382). Ob in diesem Fall von Anfang an das Rechtsöffnungsverfahren am Betreibungsort oder aber am internationalen Gerichtsstand – gleich wie die Aberkennungsklage – anzuheben ist, mag dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass in der Regel die Schweiz sowohl ein Forum für die provisorische Rechtsöffnung wie für das ordentliche Erkenntnisverfahren bereithält. Für die wenigen Fälle, wo zwar ein Betreibungs- und Rechtsöffnungsforum in der Schweiz gegeben ist, der ordentliche Gerichtsstand jedoch nach LugUe im Ausland liegt, sind die durch diese Zuständigkeitsspaltung hervorgerufenen Unzulänglichkeiten zu akzeptieren. Ist nach dem Inhalt eines Rechtsverhältnisses ein bestimmter ausländischer Gerichtsstand nach LugUe gegeben, so ist es einem Schuldner, der trotz dieser Rechtslage in der Schweiz ein Betreibungsforum begründet, zuzumuten, eine allfällige Aberkennungsklage im Ausland einzureichen. Wird auf die Aberkennungsklage nicht eingetreten oder erweist sie sich anderswie als unzulässig, so wird der Betreibungsgläubiger in der Regel den inzwischen rechtskräftig gewordenen Zahlungsbefehl vollstrecken lassen. In diesem Fall ist der Betreibungsschuldner auf die Möglichkeit der Rückforderungsklage nach Art. 86 SchKG zu verweisen (so offenbar auch Volken Paul, Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht, Bd. 4 [1994], S. 393ff., insbes. S. 402).