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Zusammenfassung der Entscheidung Der Kläger ist der Freistaat Thüringen, eines der 16 Länder der Bundesrepublik Deutschland. Er hatte einer Schweizer Gesellschaft einen Investitionszuschuss gewährt. Der im Kanton Luzern (CH) ansässige Beklagte hatte dem Kläger als Gesellschafter dieser Gesellschaft eine Mithaftungserklärung erteilt, in der er sich in Höhe eines bestimmten Betrages verpflichtete, für etwaige Rückzahlungsverpflichtungen der Gesellschaft einzustehen, falls diese einer Aufforderung zur Rückzahlung der Zulage nicht fristgerecht nachkomme. Der Kläger nahm den Beklagten aus der Mithaftung in Anspruch. Als er der Zahlungsaufforderung nicht nachkam, erhob der Kläger Zahlungsklage vor dem Amtsgericht des Kantons Luzern (CH). Dieses nahm an, dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handele, welche gemäß Art. 1 Abs. 1 LugÜ1988 nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens falle und wies die Klage durch Pozessurteil ab. Der Kläger erhob Rekurs zum Obergericht Luzern (CH).
Das Obergericht Luzern gibt dem Rekurs statt. Es stellt fest, dass es sich bei der von dem Kläger gegen die Gesellschaft erhobenen Forderung auf Rückzahlung einer geleisteten Investitionszulage ihrem Wesen nach um eine Forderung öffentlicher Rechtsnatur handele, welche die Klägerin durch Verwaltungsakt gegen die Gesellschaft festgesetzt habe. Das ändere aber nichts daran, dass die von dem Beklagten für die Gesellschaft übernommene Mithaftungsverpflichtung zivilrechtlicher Natur sei und deshalb gemäß Art. 1 Abs. 1 in den Anwendungsbereich des LugÜ1988 falle. Der akzessorische Charakter der Mithaftung des Beklagten habe nicht zur Folge, dass sie die Rechtsnatur der Hauptverpflichtung teile und von den dieser zugrundliegenden öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundlagen bestimmt werde. Sie sei dieser gegenüber vielmehr selbständig. Sie sei von dem Beklagten freiwillig und aus eigenem Interesse eingegangen worden und ihrer Rechtsnatur nach als Zivilsache zu qualifizieren.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Mit Teilklage vom 9. März 2005 forderte der Freistaat Thüringen (Kläger) vom Beklagten einen Investitionszuschuss von EUR 100.000,- nebst Zins zu 6 % seit dem 10. Dezember 1992 zurück, den er im Jahre 1992 der X. AG (später Y. AG) gewährt und für welchen der Beklagte am 25. November 1992 eine Mithaftungserklärung unterzeichnet hatte. Das Amtsgericht trat auf die Klage mangels sachlicher Zuständigkeit nicht ein, da es sich um eine aus dem öffentlichen Recht abgeleitete Forderung handle. Im Rahmen des Rekurses kam das Obergericht zum Schluss, dass die Mithaftungserklärung nicht als hoheitlich einzustufen sei und somit unter den Begriff der Zivil- und Handelssachen im Sinne von Satz 1 von Art. 1 LugÜ falle.
Aus den Erwägungen:
3. Es ist unbestritten, dass der klägerische Zuwendungsbescheid vom 20. November 1992 über die Gewährung von Investitionszuschüssen in der Höhe von 1.920.000,- DM an die X. AG verwaltungsrechtlicher Natur ist.
Streitig ist dagegen die rechtliche Qualifikation der Mithaftungserklärung des Beklagten vom 25. November 1992. Während sich die Vorinstanz auf den Standpunkt stellt, das öffentlich-rechtliche Subventionsverhältnis determiniere auch den ihm folgenden Schuldbeitritt, vertritt der Kläger die Meinung, diesbezüglich sei eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 LugÜ gegeben.
3.1. Nach der Rechtsprechung des EuGH zum Parallelübereinkommen von Brüssel (EuGVÜ), die es auch für die Auslegung des LugÜ zu beachten gilt, handelt es sich dann um eine vom Übereinkommen ausgeklammerte öffentlich-rechtliche Streitigkeit, wenn die Behörde im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehandelt hat. Ein solcher Zusammenhang liegt einerseits bereits vor, wenn der geltend gemachte Anspruch seine Entstehung bzw. seinen Ursprung in einer hoheitlichen Tätigkeit hat. Anderseits handelt es sich nur dann um hoheitliches Handeln, wenn sich der Staat Mittel bedient, die Privaten nicht zur Verfügung stehen (ZR 97 [1998] Nr. 34 S. . 100 E. III./A./1. m.H.a. Rechtsprechung und Lehre).
Die vom Beklagten begründete Verpflichtung (Mithaftungserklärung vom 25.11.1992) hat in dem Sinne akzessorischen Charakter, als der Beklagte vom Kläger in Anspruch genommen werden kann, wenn gegen den Zuschussempfänger ein Widerrufsbescheid ergeht und dieser den darin festgesetzten Rückzahlungsbeitrag nicht innerhalb von vier Wochen zurückbezahlt. Diese Akzessorietät bedeutet jedoch nicht, dass die rechtliche Regelung, die für die übernommene Verpflichtung gilt, in jeder Hinsicht mit der für die Hauptverpflichtung geltenden rechtlichen Regelung identisch sein muss. Vielmehr ist entscheidend, ob die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien, wie sie sich aus der Mithaftungserklärung vom 25. November 1992 ergibt, durch eine Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse seitens des Klägers insofern geprägt ist, als Befugnisse wahrgenommen werden, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen (EuGH in der Rechtssache C-266/01, TIARD SA, Slg. 2003, I-04867, N 29 und 30; vgl. auch BGE 124 III 440 E. 3a m.H.a. einen weiteren EuGH-Entscheid).
3.2. Der Kläger hält diesbezüglich fest, er habe sich schlicht finanziell abgesichert. Dies aber nicht gestützt auf öffentliches Recht, sondern mit Hilfe des Privatrechts.
Demgegenüber bringt der Beklagte vor, der Kläger habe sämtliche Bedingungen einseitig diktiert und daher als Hoheitsträger gehandelt. Ein unbeteiligter Dritter hätte eine Mithaftungserklärung über rund 2 Mio. DM nie abgegeben. Im Vordergrund sei nicht ein eigentlicher Schuldbeitritt eines Dritten ins Schuldverhältnis, sondern der „Durchgriff“ auf die Gesellschafter der Zuwendungsempfängerin gestanden. Von einem separaten Abschluss eines Schuldbeitritts könne folglich nicht gesprochen werden. Die Unterzeichnung der Mithaftungserklärung sei denn auch unbestrittenermassen zentrale Voraussetzung für die Ausrichtung des Zuschusses gewesen. Er habe die Mithaftungserklärung nicht aus freiem Willen unterzeichnet. Vielmehr habe er sich gezwungen gesehen, die Erklärung abzugeben, damit die X. AG den Zuschuss überhaupt erhalten habe. Die Höhe sei ebenfalls nicht frei festgesetzt worden, sondern entspreche der Höhe der Subvention und sei seitens des Klägers vorgegeben worden. Zudem sei der Schuldbeitritt unkündbar.
3.2.1. Dazu ist vorab festzustellen, dass die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien nicht durch die – in der hier massgebenden Fassung – Thüringer Landeshaushaltsordnung (LHO) vom 8. Februar 1991 und die sonstigen haushaltrechtlichen Bestimmungen (vgl. u.a. Gesetz über den Thüringer Rechnungshof und zur Änderung der Thüringer Landeshaushaltsordnung vom 31.7.1991), auf welchen der Zuwendungsbescheid vom 20. November 1992 basiert, geregelt ist. Nichts anderes ergibt sich auch aus den Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung an die gewerbliche Wirtschaft (ANBest-P) und den Regelungen über Voraussetzung, Art und Intensität der Förderung (Teil II des Rahmenplanes der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“).
3.2.2. Der Schuldbeitritt, auch kumulative Schuldübernahme genannt, zeichnet sich dadurch aus, dass der Übernehmer ein unmittelbares und materielles Interesse hat, in das Geschäft einzutreten und es zu seinem eigenen zu machen, indem er – für die Gegenpartei erkennbar – direkt von der Gegenleistung des Gläubigers profitiert, wie bei der Miete einer gemeinsam genutzten Wohnung, dem Leasing eines vom Mitübernehmer mitbenutzten Fahrzeuges zu privaten Zwecken oder bei der gemeinsamen Geldaufnahme durch Ehegatten für gemeinsame Bedürfnisse. Ein eigenes Interesse ist auch zu bejahen, wenn der Promittent mit dem Schuldner zusammen eine einfache Gesellschaft bildet und es um eine Sicherheit für ein Geschäft geht, das zur Erreichung des Gesellschaftszwecks eingegangen wurde. Gleich verhält es sich, wenn dem Gläubiger bekannt ist, dass der Promittent eine stille Beteiligung am Geschäft oder der Personengesellschaft hält, deren Schuld sichergestellt wird (BGE 4C.136/2003 vom 23.9.2003, wiedergegeben in: SJZ 100/2004 S. 20). Ebenso wird der Schuldbeitritt im deutschen Recht qualifiziert (Palandt, Kurzkomm. zum Bürgerlichen Gesetzbuch [BGB], 61. Aufl., München 2002, Überbl v § 414 N 4).
Dass der Beklagte als Gesellschafter dazu verpflichtet wurde, die Mithaftungserklärung vom 25. November 1992 abzugeben, ist demnach nicht aussergewöhnlich und im privatrechtlichen Geschäftsverkehr ein übliches Vorgehen, zumal dem Beklagten als Verwaltungsrat und Aktionär der (ursprünglich) zuwendungsberechtigten X. AG daraus offensichtlich nicht nur irgendein undefinierter Vorteil zukam.
Insoweit der Beklagte geltend macht, der Zuschuss sei gar nicht an die X. AG, sondern an die Y. AG erfolgt, für welche keine Mithaftungserklärung bestehe, so ist dem entgegen zu halten, dass die Firmenänderung erst im Januar 1993 erfolgte, mithin die erste Auszahlung vom 10. Dezember 1992 in der Höhe von DM 500.000,- (noch) an die X. AG ging. Abgesehen davon handelte es sich, wie bereits gesagt, lediglich um eine Firmenänderung. Diese hat auf das zwischen den Parteien abgeschlossene Geschäft keine Auswirkung. Dies gilt hier umso mehr, als der Kläger im Änderungsbescheid vom 1. Juni 1993 ausdrücklich auf die Mithaftungserklärung vom 25. November 1992 verwiesen hat. Dieser Änderungsbescheid blieb unangefochten. Die Behauptung des Beklagten, an der Y. AG nie beteiligt gewesen zu sein und auch keine Organstellung innegehabt zu haben, erscheint unglaubwürdig. Sie widerspricht denn auch zum Teil klar der Aktenlage. Zudem sieht die Mithaftungserklärung vom 25. November 1992 nicht vor, dass der Beklagte bei Aufgabe seiner Gesellschafter- resp. Aktionärsstellung aus der Haftung entlassen wird.
3.2.3. Nachdem sich beim Schuldbeitritt der Übernehmer auf Grund des gleichen Rechtsgrundes für den gleichen Vertrag wie der Hauptschuldner verpflichtet, versteht es sich auch von selbst, dass die Höhe der gesamtschuldnerischen resp. klägerischen Haftung mit dem Investitionszuschuss korreliert. Im Übrigen hindert subjektives Unvermögen des Beklagten das Zustandekommen des Vertrags nicht (Kramer, Berner Komm., Bern 1991, N 256 zu Art. 19-20 OR).
3.2.4. Wohl bildet die Mithaftungserklärung vom 25. November 1992 integrierter Bestandteil bzw. Voraussetzung des Zuwendungsbescheids vom 20. November 1992. Indes wurde sie dem Beklagten nicht auferlegt. Vielmehr ist sie Folge seiner (freien) Willenserklärung resp. seines Antrags auf Gewährung öffentlicher Finanzierungshilfen. Ein solches Sicherungsgeschäft, welches im Rahmen der Vertragsfreiheit liegt (Eugen Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht, Allg. Teil, 2. Aufl., Zürich 1988, S. 587), ist auch unter Privaten gebräuchlich. Zu denken ist insbesondere an die verbreitete kumulative Schuldübernahme bei Privatkrediten, bei welchen die beantragten Mittel auch erst ausbezahlt werden, wenn der zusätzliche Schuldner dem Kreditgeber versprochen hat, neben dem Hauptschuldner mithaften zu wollen.
3.2.5. Schliesslich leuchtet auch ein, dass die Mithaftungserklärung vom 25. November 1992 unkündbar ist. Sinn und Zweck der kumulativen Schuldübernahme sowie die Tragweite des Grundgeschäfts erfordern geradezu eine feste Bindung zwischen diesem und dem Sicherungsgeschäft. Auf jeden Fall werden damit die Grenzen der Vertragsfreiheit nicht überschritten, zumal die Zweckbindungsfrist und damit das „Widerrufs- bzw. Rückzahlungsrisiko“ (§ 44a LHO) auf zehn Jahre beschränkt wurde.
3.3. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien, wie sie sich aus der Mithaftungserklärung vom 25. November 1992 ergibt, keine Ausübung von Befugnissen durch den Staat darstellt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen. Die Mithaftungserklärung ist folglich nicht als hoheitlich einzustufen und fällt somit unter den Begriff der Zivil- und Handelssachen im Sinne von Satz 1 von Art. 1 LugÜ.