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Zusammenfassung der Entscheidung Auf Antrag der Klägerin wurde eine in Frankfurt a. M. (DE) ausgestellte Urkunde, durch welche der Beklagte zur Zahlung einer Forderung verpflichtet wurde, in der Schweiz für vollstreckbar erklärt und für den festgesetzten Betrag die definitive Rechtsöffnung erteilt. Gegen die Art und Weise der Rechtsöffnung legte der Beklagte Rekurs ein. Ferner beantragte der Beklagte mit der Einlegung eines Rechtsbehelfs nach Art. 36 ff. LugÜ zum Obergericht Luzern (CH) die Aussetzung des Verfahrens nach Art. 38 LugÜ, da er in Deutschland den Rechtsbehelf der Vollstreckungsgegenklage einlegen wolle.
Das Obergericht Luzern gibt dem Antrag auf Aussetzung statt. Der Rechtsbehelf nach Art. 36 LugÜ sei kein spezieller Rechtsbehelf in einem besonderen Verfahren, sondern ein staatsvertraglich eingeräumtes Rechtsmittel, welches sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates bestimme. In der Schweiz sei damit die Form des Rekurses maßgebend, so dass der Rechtsbehelf nach Art. 36 LugÜ vorliegend einen Bestandteil des schon vorher vom Beklagten erhobenen Rekurses darstelle. Die vom Beklagten im Rechtsbehelf nach Art. 36 LugÜ vorgebrachten materiellrechtlichen Einwände gegen das Zustandekommen der Urkunde seien aufgrund der hier gegebenen umfassenden Prüfungsbefugnis zulässig. Im Rahmen des Art. 38 LugÜ ergebe sich im Fall einer öffentlichen Urkunde aus der Natur des Rechtsinstituts, dass keine Rechtsbehelfsfrist gemäß Art. 38 Abs. 1 laufe. Auf Grund der vom Beklagten ernsthaft in Erwägung gezogenen Einlegung einer Vollstreckungsgegenklage in Deutschland sei das Verfahren gemäß Art. 38 auszusetzen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Klägerin liess den Beklagten für eine Forderung betreiben. Auf Gesuch der Klägerin erklärte der Amtsgerichtspräsident die Urkunde Nr. 1122, Buchgrundschuld, ausgestellt am 5. November 2001 durch Notar X. in Frankfurt am Main, für vollstreckbar und erteilte für den in Betreibung gesetzten Betrag die definitive Rechtsöffnung. Dagegen erhob der Beklagte am 27. Juni 2005 Rekurs. Am 18. Juli 2005 reichte der Beklagte einen Rechtsbehelf nach Art. 36 ff. des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (Lugano-Übereinkommen; LugÜ) ein und beantragte darin eventualiter, es sei ihm eine Frist anzusetzen, um in Deutschland den Rechtsbehelf einer Zwangsvollstreckungsgegenklage einzureichen. Das Rekursverfahren sei – wie in Art. 38 LugÜ vorgesehen – bis zu einem Entscheid im deutschen Verfahren zu sistieren. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission hat das Sistierungsgesuch gutgeheissen.
Aus den Erwägungen:
6. Beim Rechtsbehelf nach Art. 36 LugÜ handelt es sich nicht um einen speziellen Rechtsbehelf in einem besonderen Verfahren, sondern um eine staatsvertraglich eingeräumte Rekursmöglicheit im Vollstreckungsstaat nach dessen Recht. Der Rechtsbehelf ist mithin in der Form des Rekurses gemäss § 258 ff. ZPO (Botsch. LugÜ, in: AS 1990 II 328) einzureichen, mit der prozessualen Differenzierung, dass das LugÜ eine einmonatige Rekursfrist gewährt, welche der kürzeren kantonalrechtlichen Rekursfrist vorgeht. Der Rechtsbehelf wird demnach als Bestandteil des Rekurses vom 27. Juni 2005 entgegengenommen.
7.1. Die Klägerin verlangt definitive Rechtsöffnung für eine nach deutschem Recht errichtete öffentliche Urkunde. Die Vollstreckbarkeit der Urkunde beurteilt sich unstreitig nach dem LugÜ, das sowohl die Schweiz wie auch Deutschland ratifiziert haben. Das LugÜ regelt die Vollstreckung der in einem andern Vertragsstaat errichteten öffentlichen Urkunden in Art. 50. Diese Bestimmung verweist auf das Antragsverfahren von Art. 31 ff. LugÜ. Der Verweis erfasst somit auch das Rechtsbehelfsverfahren von Art. 36 ff. LugÜ, insbesondere auch Art. 38 LugÜ (Jan Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., 1988, N 8 zu Art. 50 und N 19 Zu Art. 36).
7.2. Nach Art. 50 LugÜ sind öffentliche Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar sind, in einem Vertragsstaat auf Antrag vollstreckbar, es sei denn, die Vollstreckung würde der öffentlichen Ordnung (Ordre public) des Vollstreckungsstaates zuwiderlaufen. Im Antragsverfahren nach Art. 31 LugÜ sind mithin keine darüber hinausgehenden materiellrechtlichen Einwände, insbesondere solche gegen den der Urkunde zugrunde liegenden Rechtsanspruch, zugelassen. Die vorinstanzliche Überprüfungsbefugnis war mithin beschränkt (Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel, N 9 zu Art. 50 LugÜ). Die Vorinstanz hat in diesem Sinne die vorgelegte Urkunde als im Vertragsstaat aufgenommene öffentliche Urkunde gemäss LugÜ und die Vereinbarkeit mit dem schweizerischen Ordre public zu Recht als gegeben beurteilt. Im Rahmen der Prüfung des Ordre public ist die Vorinstanz auch ausführlich auf das Zustandekommen der Urkunde eingegangen. Die Vorinstanz ist somit den Anforderungen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach Art. 31 LugÜ rechtsgenüglich nachgekommen. Dagegen wird vom Beklagten in seinem Rekurs denn auch nichts angeführt. Insbesondere im Rechtsbehelf wird nicht gerügt, inwiefern die dort erhobenen materiellrechtlichen Einwände eine Verletzung des schweizerischen Ordre public einschliessen sollen, welche die Vorinstanz hätte berücksichtigen müssen.
7.3. Der Beklagte wendet sich dagegen vielmehr gegen die Art der Rechtsöffnung und kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Vorinstanz den Rechtsmittelweg hätte aufzeigen und festlegen sollen. Im Rechtsbehelf bringt er zudem materiellrechtliche Einwände gegen das Zustandekommen der Urkunde bzw. den der Urkunde zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Anspruch vor. Im Verfahren nach Art. 36 LugÜ sind diese Einwände infolge umfassender Prüfungsbefugnis zulässig (Kropholler, aaO, N 12 zu Art. 50). Vor dem Hintergrund dieser umfassenden Kognition kann die vom Beklagten ins Feld geführte Problematik, ob provisorische oder definitive Rechtsöffnung zu erteilen sei, jedoch vernachlässigt werden. Denn für die provisorische Rechtsöffnung mit anschliessender Aberkennungsklagemöglichkeit würde vor allem gerade die durch die Aberkennungsklage ermöglichte umfassende materielle Prüfungs- und Einredemöglichkeit sprechen. Durch die umfassende Kognition im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 36 LugÜ ist diesem Bedürfnis jedoch bereits Rechnung getragen. Ausserdem geht das LugÜ ausserhalb des Rechtsbehelfsverfahrens nach Art. 36 LugÜ nicht von einer zusätzlichen materiellrechtlichen Überprüfungsmöglichkeit im Vollstreckungsstaat (d.h. in der Schweiz: Aberkennungsklage) aus, sondern setzt in Art. 38 LugÜ die Möglichkeit einer Vollstreckungsgegenklage im Errichtungsstaat der Urkunde als Abwehrmittel voraus. Der Beklagte selber beantragt denn zu Recht auch nicht ausdrücklich (in der Rekursbegründung) die provisorische Rechtsöffnung. Auch soweit der Beklagte nicht gegen die definitive Rechtsöffnung – (…) – opponiert, verlangt er vor allem wiederum nur die Möglichkeit der vollumfänglichen Überprüfung auch materiellrechtlicher Einwände selbst für den Fall der definitiven Rechtsöffnung. Diesfalls möge ihm Frist zur Erhebung der Vollstreckungsgegenklage in Deutschland gesetzt werden.
Dieser Weg ist auch in Art. 38 LugÜ vorgesehen. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung kann das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht auf Antrag der Partei, die ihn eingelegt hat, das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung (bzw. nach Art. 50 LugÜ: die öffentliche Urkunde) ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt oder die Frist für einen solchen noch nicht abgelaufen ist; in letzterem Fall kann das Gericht eine Frist bestimmen, innerhalb derer der Rechtsbehelf einzulegen ist (vgl. dazu auch: AS 1990 II 328). Im Falle einer öffentlichen Urkunde ergibt sich aus der Natur des Rechtsinstituts, dass gar keine solche Frist läuft, weshalb in Anwendung von Art. 50 LugÜ, der die analoge Anwendung von Art. 38 LugÜ gebietet, auf das Fristerfordernis verzichtet werden kann. Nach übereinstimmender Auffassung der Parteien handelt es sich bei diesem Rechtsbehelf, dessen Einreichung vom Beklagten auch ernsthaft in Erwägung gezogen wird, um die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 D-ZPO. Dass diese Klage erst nach einem Jahr und erst im jetzigen Verfahrensstadium eingelegt werden soll, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht rechtsmissbräuchlich, sondern ergibt sich aus dem Ablauf des Vollstreckungsverfahrens. Auch dem Anspruch auf ein mindestens einmaliges kontradiktorisches, mit umfassender Kognition ausgestattetes, gerichtliches Überprüfungsverfahren, wie es sich aus Art. 6 EMRK und insofern auch als Teilgehalt des schweizerischen Ordre public ergeben soll, ist mit der Möglichkeit der Vollstreckungsgegenklage in Deutschland, wie sie durch Art. 38 LugÜ vorgesehen ist, hinlänglich Nachachtung verschafft. Vor diesem Hintergrund kann auch die Frage der Gewährung einer negativen Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG vorerst offen bleiben.
8. Das Obergericht setzt das Rekursverfahren aus den genannten Gründen gemäss Art. 38 Abs. 1 LugÜ aus und setzt dem Beklagten eine angesichts des fortgeschrittenen Vollstreckungsverfahrensstandes als angemessen erachtete Frist von zwei Monaten zur Einreichung der Vollstreckungsgegenklage gemäss Art. 38 Abs. 1 in Deutschland.