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Zusammenfassung der Entscheidung Der Kläger erlangte gegen den Beklagten ein Urteil eines österreichischen Bezirksgerichts, mit dem dieser zur Zahlung eines größeren Geldbetrages an ihn verurteilt wurde. Der Präsident des Amtsgerichts im Kanton Luzern erklärte das Urteil für in der Schweiz vollstreckbar. Der Beklagte legte Beschwerde zum Obergericht Luzern (CH) ein. Er rügte, dass er von dem österreichischen Verfahren keine Kenntnis gehabt habe. Insbesondere sei ihm die Entscheidung nie zugestellt worden. Auch das verfahrenseinleitende Schriftstück, mit dem das Verfahren vor dem österreichischen Bezirksgericht eingeleitet wurde, sei ihm nicht zugestellt worden. Er habe sich deshalb nie wirksam verteidigen können. Klage und Urteil seien von dem österreichischen Gericht an seiner Stelle zu Händen eines von dem Gericht bestellten Verfahrenskurators zugestellt worden. Dieser habe jedoch nie mit ihm Kontakt aufgenommen. Die Zustellung an den Kurator sei zwar nach österreichischem Verfahrensrecht wirksam. Eine so zustande gekommene Entscheidung verstoße jedoch gegen Art. 27 Nr. 1 und Nr. 2 LugÜ1988 und könne deshalb in der Schweiz nicht anerkannt und vollstreckt werden.
Das Obergericht Luzern weist die Beschwerde zurück. Es stellt zunächst fest, es liege kein Verstoß gegen Art. 27 Nr. 2 LugÜ1988 vor. Ob eine Zustellung ordnungsgemäß vorgenommen wurde, beurteile sich nach der lex fori des Ursprungsgerichts. Da das österreichische Recht eine Zustellung zu Händen eines gerichtlich bestellten Verfahrenskurators zulasse, sei von wirksamer Zustellung auszugehen. Ein Anerkennungshindernis gemäß Art. 27 Nr. 2 scheide deshalb aus. Es liege auch kein Verstoß gegen den Schweizer ordre public im Sinne von Art. 27 Nr. 1 vor. Auch dem Schweizer Recht sei die Möglichkeit bekannt, dass Zustellungen dem Beklagten nicht persönlich übergeben, sondern amtlich bekannt gemacht werden. Es liege deshalb kein Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des Schweizer Verfahrensrechts vor.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Mit Entscheid vom 2. August 2005 erklärte der Amtsgerichtspräsident das Urteil des Bezirksgerichts X. (Österreich) vom 21. Juli 1998, mit dem der Beklagte verurteilt wurde, der Klägerin u.a. ATS 856.870,- zu bezahlen, als vollstreckbar und erteilte dem Kläger die definitive Rechtsöffnung. Gegen diesen Entscheid erhob der Beklagte Rekurs und beantragte, das Urteil des Bezirksgerichts X. sei als in der Schweiz nicht vollstreckbar zu erklären, und in der Betreibung sei die definitive Rechtsöffnung zu verweigern. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission wies den Rekurs ab.
Aus den Erwägungen:
5.1. Der Beklagte rügt vorab, das Urteil des Bezirksgerichts X. sei ihm nie zugestellt worden. Auch vom ganzen, dem Urteil vorangehenden Verfahren habe er nie Kenntnis gehabt. Er habe sich daher nie wirksam verteidigen können. Der vom Bezirksgericht X. eingesetzte Kurator Dr. Y. habe auch nie Kontakt mit ihm gehabt. Eine Zustellung an den Kurator genüge zwar nach österreichischem Recht, jedoch verstosse eine Vollsteckbarerklärung des österreichischen Urteils gegen Art. 27 Ziff. 2 LugÜ. Gemäss dieser Bestimmung wird eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäss und nicht so rechtzeitig zugestellt wurde, dass er sich verteidigen konnte. Es ist unbestritten, dass das klageeinleitende Schriftstück sowie das Urteil des Bezirksgerichts X. dem Kurator des Beklagten zugestellt wurden und dass sich der Beklagte in das Verfahren in Österreich nicht eingelassen hatte. Die Beurteilung der Frage, ob eine Zustellung im Sinne des LugÜ ordnungsgemäss und rechtzeitig erfolgt sei, und ob auch eine Ersatzzustellung an einen Kurator wirksam ist, richtet sich nach dem nationalen Recht des Urteilsstaates, mithin nach österreichischem Recht (Gerhard Walter, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, Bern/Stuttgart/Wien 1995, S. 390). Nach § 116 österreichische ZPO ist die Bestellung eines Kurators, der durch den Richter – und möglicherweise ohne Wissen und Willen des Beklagten – bestimmt wird, zulässig und gilt als ordnungsgemässe Ersatzzustellung (Thomas Bischof, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Zivil- oder Handelssachen, Zürich 1997, S. 396 ff.). Es obliegt sodann dem Kurator, im Prozess die Verteidigungsrechte des Beklagten wahrzunehmen. Wie der Beklagte selber zugesteht, hat dieser denn auch die „rechtliche Seite der Angelegenheit vertreten“. Die Zustellung erfolgte an den Kurator im Übrigen unbestrittenermassen auch rechtzeitig im Sinne des LugÜ, so dass diesem genügend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung des Beklagten verblieb. Art. 27 Ziff. 2 LuGÜ ist somit nicht verletzt.
5.2. Des Weiteren wird vom Beklagten gerügt, es liege auch ein Verstoss gegen Art. 27 Ziff. 1 LugÜ – d.h. eine Verletzung des prozessualen Ordre public – vor, weil der Beklagte sich infolge der Zustellung an den Kurator nie persönlich habe verteidigen können und dadurch seine prozessualen Mitwirkungsrechte missachtet worden seien. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Ein Verstoss gegen den prozessualen Ordre public wird angenommen, wenn eine Entscheidung unter Verletzung wesentlicher Grundsätze des schweizerischen Verfahrensrechts zustande gekommen ist, insbesondere durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (ZBJV 128 [1992] S. 293). Der Beklagte führt ins Feld, durch unterbliebene Zustellung an ihn persönlich sei das rechtliche Gehör in diesem Sinne verletzt worden. Nachdem es aber dem schweizerischen Prozessrecht nicht unbekannt und mit ihm nicht unverträglich ist, dass Urteile nicht persönlich zugestellt (sondern amtlich publiziert) werden, oder die Zustellung schlicht unterbleibt, ist darin noch kein Widerspruch zum Ordre public zu erblicken (ZBJV 128 [1992] S. 295; vgl. auch BGE 126 III 534 ff.). Im gleichen Sinne verhält es sich nach Auffassung des Obergerichts bei einer Ersatzzustellung an einen Kurator nach österreichischem Recht. Eine Verletzung „fundamentaler Rechtsgrundsätze, die mit der Rechts- und Wertordnung schlechthin unvereinbar“ ist (BGE 116 II 634 E. 4 S. 636; 120 II 155 E. 6a S. 166), kann jedenfalls nicht ausgemacht werden. Dazu kommt, dass der Beklagte, wie oben erwähnt, durch den Kurator ja rechtsgenüglich vertreten war. In einem Zivilprozess ist die Vertretung einer Partei durch einen Rechtsvertreter, der ausschliesslich, d.h. für und anstelle der Partei handelt, durchaus üblich. Das rechtliche Gehör des Beklagten und dessen Mitwirkung im Prozess wurde mithin durch den Kurator effektiv wahrgenommen, auch wenn der Beklagte selber persönlich nicht anwesend sein konnte und auch von dessen Einsetzung nichts wusste. Ein höchstpersönliches Tätigwerden des Beklagten neben dem der Parteivertretung ist – abgesehen von hier nicht zutreffenden Ausnahmen – nicht zwingend. Gerade dies liegt im Wesen bzw. ist Folge der Bestellung eines Kurators nach österreichischem Recht. Eine derartige Parteivertretung bzw. Ersatzzustellung ist jedenfalls nach schweizerischem Recht nicht derart ungewöhnlich und stossend, dass ein Verstoss gegen den formellen Ordre public angenommen werden muss.
5.3. Soweit der Beklagte schliesslich geltend macht, durch mangelhafte Zustellung seien Art. 29 BV sowie Art. 6 EMRK direkt verletzt, kann auf diese Rügen nicht eingetreten werden, da ihnen Art. 29 LugÜ entgegensteht. Nach dieser Bestimmung darf die ausländische Entscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden (sog. Verbot der révision au fond). Der Entscheid muss materiell so hingenommen werden, wie er ergangen ist. Die vorliegend gerügten Verfahrensfehler (vor allem Verletzung des rechtlichen Gehörs, Verteidigungsrechte) dürfen nach der Konzeption des LugÜ nur unter dem Blickwinkel der Versagungsgründe von Art. 27 Ziff. 1 oder 2 LugÜ berücksichtigt werden (Walter, aaO, S. 385; Jan Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., Heidelberg 1998, N 3 zu vor Art. 26 EuGVÜ/LugÜ). Wegen des inhaltlichen Überprüfungsverbots kann die angeführte, zweifellos schwierige Lebenssituation des Beklagten im Rahmen der internationalen Zwangsvollstreckungsverfahren nicht mehr in den vorliegenden Entscheid einbezogen werden.