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Zusammenfassung der Entscheidung Die Klägerin erwirkte eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg (DE), durch die die Beklagte zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrages verurteilt wurde. Der Präsident des Amtsgerichts für den Kanton Luzern erteilte zu dieser Entscheidung die Schweizer Vollstreckungsklausel und ordnete Vollstreckungsmaßnahmen an. Gegen die am 05.09.2006 zu Händen des Ehemannes der Beklagten zugestellte Entscheidung legte diese am 06.10.2006 Rechtsmittel zum Obergericht Luzern (CH) ein.
Das Obergericht weist das Rechtsmittel als verspätet zurück. Es prüft zunächst, ob die Rechtsmittelfrist gemäß Art. 36 Abs. 1 LugÜ1988 einen Monat beträgt oder aber zwei Monate gemäß Art. 36 Abs. 2. Entscheidend sei dafür der Wohnsitz des Schuldners im Zeitpunkt der Zustellung der Klauselentscheidung. Ob die Beklagte in der Schweiz wohnhaft war, beurteile sich nach Art. 52 Abs. 1 LugÜ1988 nach Schweizer Recht. Danach liege der Wohnsitz einer natürlichen Person in dem Staat, in dem sie sich mit der Absicht dauerhaften Verbleibs aufhalte, und in dem sich folglich ihr tatsächlicher Lebensmittelpunkt befinde. In der fraglichen Zeit habe sich der tatsächliche Lebensmittelpunkt der Beklagten in der Schweiz im Kanton Luzern befunden. Das Rechtsmittel der Beklagten habe deshalb innerhalb der Frist des Art. 36 Abs. 1 eingelegt werden müssen. Die Prüfung, ob die Rechtsmittelfrist gewahrt wurde, sei sodann auf der Grundlage der für das Rechtsmittelgericht geltenden lex fori vorzunehmen. Nach der Zivilprozessordnung des Kantons Luzern sei die Frist mit dem 05.10.2006 abgelaufen. Das von der Beklagten erst am 06.10.2006 eingelegte Rechtsmittel war damit verspätet.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Auf Gesuch der Klägerin erklärte der Amtsgerichtspräsident mit Entscheid vom 29. August 2006 das gegen die Beklagte ergangene Teil-Urteil des Landgerichts Hamburg (D) für vollstreckbar. Ferner wies er das Betreibungsamt an, bewegliches Vermögen der Beklagten provisorisch zu pfänden. Dieser Entscheid wurde am 5. September 2006 vom Ehemann der Beklagten an dessen Domizil in X. in Empfang genommen. Am 6. Oktober 2006 erhob die Beklagte gegen den Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten vom 29. August 2006 „Einsprache“, welche als Rekurs entgegengenommen wurde (LGVE 2005 I Nr. 44 E. 6). Mit Entscheid vom 1. Dezember 2006 trat die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission darauf mangels Rechtzeitigkeit nicht ein (SK 06 111). Dagegen reichte die Beklagte staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht ein. Mit Urteil vom 15. März 2007 hiess das Bundesgericht die staatsrechtliche Beschwerde gut und hob den Entscheid des Obergerichts auf (BGE 133 III 252). In der Folge hat das Obergericht weiter Beweis erhoben.
Aus den Erwägungen:
2. Streitig ist, ob die ein- oder zweimonatige Rekursfrist gemäss Art. 36 LugÜ gilt. Dies hängt davon ab, wo die Beklagte Ende August/anfangs September 2006 ihren Wohnsitz hatte. Diese Frage entscheidet sich primär nach Art. 52 Abs. 1 LugÜ bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. a IPRG. Danach hat eine natürliche Person ihren Wohnsitz in dem Staat, in dem sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält, mithin wo sich ihr tatsächlicher Lebensmittelpunkt befindet (BGE 133 III 254).
2.1. Die Beklagte hat am 4. Juli 2006 zusammen mit ihrem Ehemann eine Liegenschaft in X. erworben. Als Wohnsitz der Beklagten wurde X. angegeben. Obwohl das Obergericht ausdrücklich die Auflage des beurkundeten Kaufvertrags (vom 4.7.2006) verfügte, gab die Beklagte diesen nicht zu den Akten. Am 6. Dezember 2006 ging beim Bauamt in X. ein Baubewilligungsgesuch ein. Es wurde von der Beklagten und ihrem Ehemann unterzeichnet und führt als beider Wohnsitz X. an. Die Y. AG, für welche die Liegenschaft letztlich erworben worden sein soll, wurde anfangs Oktober 2006 gegründet. Als Verwaltungsräte wurden die Beklagte und ihr Ehemann, beide wohnhaft in X., eingetragen. Die Beklagte und ihr Ehemann fungieren auch als Verwaltungsräte der Z. AG. Mit Mutation vom 19. Oktober 2006 (Tagebuchdatum) wurde bei beiden X. als Wohnsitz angegeben. Der Kaufvertrag vom 4. Juli 2006 mag wohl durch eine Maklerin ausgearbeitet worden sein. Die zum Kaufabschluss erforderlichen persönlichen Angaben, wie Wohnsitz, können jedoch nur von der Beklagten oder ihrem Ehemann stammen. Auf jeden Fall hat die Beklagte die Fakten im Rahmen der Beurkundung unterschriftlich bestätigt. Da für die Grundbucheintragung der beurkundete Kaufvertrag vom 4. Juli 2006 massgebend gewesen ist, bestand für die Grundbuchbeamten kein Grund, den angegebenen Wohnsitz zu hinterfragen. Die fraglichen Eintragungen in die Handelsregisterakten basieren auf den entsprechenden Anmeldungen (Art. 19 HRegV). Für diese zeichnete sowohl in Bezug auf die Z. AG als auch hinsichtlich der Y. AG die Beklagte (mit)verantwortlich (Art. 22 Abs. 2 HRegV). Dass die Anmeldungen anders als die Eintragungen lauteten, macht die Beklagte zu Recht nicht geltend. Bei den jeweils eingetragenen Wohnsitzangaben kann deshalb ein Versehen ausgeschlossen werden.
2.2. In die Zeit zwischen anfangs Juli 2006 und Mitte Oktober 2006 fallen zwei Begebenheiten. Einerseits forderte die W. Corporation die Beklagte mit e-Mail vom 16. Juli 2006 auf, einen Fragebogen für die S. Ltd. auszufüllen. Anderseits reichte der Ehemann der Beklagten am 29. September 2006 beim Amtsgericht ein Aussöhnungsbegehren bezüglich Ehescheidung ein, das er am 25. Oktober 2006 wieder zurückzog. Dabei ist die Beklagte auf dem Erledigungsentscheid vom gleichen Tag mit der Londoner Adresse der S. Ltd. aufgeführt.
Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich der e-Mail vom 16. Juli 2006 nicht entnehmen, dass auch sie in England steuerpflichtig gewesen ist. Das besagte e-Mail bezieht sich ausdrücklich und ausschliesslich auf die S. Ltd. In England verhält es sich nicht anders als in Kontinentaleuropa. Registered Corporations haben eine von ihren Members unabhängige Rechtspersönlichkeit (Redmond/Shears, General Principles of English Law, 7. Aufl., Kap. 4 Ziff. 1, 2 und 9 lit. b; Smith/Keenan, English Law, 14. Aufl., S. 231 ff.). Ist in England die Steuerpflicht vom Wohnsitz abhängig, die Steuerdeklaration 2006 aber noch nicht fällig, wie die Beklagte ausführt, wäre es für sie leicht gewesen, zumindest eine entsprechende (private) „Erfassung“ nachzuweisen. Es ist unglaubwürdig, dass die Beklagte in einem Büro, das nicht nur die S. Ltd., sondern anscheinend auch die T. Corp. beherbergt, gleichzeitig wohnte. Es ist nicht einmal nachgewiesen, dass die Mieterin der fraglichen (Büro)Räumlichkeiten die S. Ltd. ist, wie die Beklagte behauptet. Dazu kommt, dass die Beklagte Mitte Oktober 2006 – nur rund einen halben Monat nach Anhängigmachung der Ehescheidung Ende September 2006 – selber X. als Wohnsitz deklarierte (vgl. E. 2.1 vorne). Auch heute, da sie „offiziell“ wieder in X. wohnt, prozessiert sie unter der Londoner Adresse. Diese besagt demnach nichts.
2.3. Die amtliche Abmeldung in X. (rückwirkend) per 15. April 2005 hilft nicht weiter, auch wenn sie aus einer Zeit datiert, als das Gesuch um Vollstreckbarkeitserklärung noch nicht anhängig gewesen ist. Hat sich die Beklagte nicht nur pro forma in X. abgemeldet, so könnte sie ohne weiteres mittels diverser Unterlagen, wie Verträgen, Rechnungen über Strom, Wasser und Telefon, Einkaufs- und Transportbelegen sowie Restaurantrechnungen etc., den behaupteten Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen Ende August/anfangs September 2006 in London dokumentieren. Ebenso wenig weist die Beklagte eine effektive Geschäftstätigkeit der am 24. Mai 2006 gegründeten S. Ltd. nach. Vielmehr scheint es sich um eine „Briefkastenfirma“ zu handeln. Von einer angeblich zwingenden Geschäftsführung von England aus kann jedenfalls keine Rede sein. Unerklärt bleibt auch die widersprüchliche Tatsache, dass die Beklagte in der (Firmen)Gründungsurkunde mit einer Adresse in Deutschland aufgeführt ist, obwohl sie selber festhielt: „Daher musste die Einsprecherin bereits bei der Gründung eine Wohnadresse angeben und konnte dies auch, da diese mit der Geschäftsadresse zusammenfiel“.
2.4. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es keinen unmittelbaren Beweis dafür gibt, wo die Beklagte Ende August/anfangs September 2006 ihren Wohnsitz hatte. Die Aktenlage spricht indessen (mittelbar) für einen tatsächlichen Lebensmittelpunkt in X. Anfangs Juli 2006 und Mitte Oktober 2006 hat die Beklagte unmissverständlich X. als ihren Wohnsitz bezeichnet (vgl. E. 2.1 vorne). Der beurkundete Kaufvertrag vom 4. Juli 2006 wie auch die Handelsregistereintragungen Mitte Oktober 2006 besitzen eine qualifizierte Beweiseignung im Sinne einer erhöhten Überzeugungskraft (Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkomm., 2. Aufl., N 9 zu Art. 251). Ein Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat des Luganer Übereinkommens im hier massgebenden Zeitpunkt kommt nicht in Frage. Dafür, dass sich die Beklagte Ende August/anfangs September 2006 mit der Absicht dauernden Verbleibens in London aufgehalten hat, fehlen konkrete und überzeugende Anhaltspunkte. Ein relevanter Anknüpfungspunkt nach Deutschland ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die (Kranken-)Versicherungsbestätigung datiert vom 23. März 2005. Dass sich der Krankenversicherungsschutz auf die Schweiz erstreckt, heisst nicht automatisch, dass die Beklagte nicht der (obligatorischen) Versicherungspflicht in der schweizerischen Krankversicherung untersteht (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 29.3.2006, K. 25/05). Dessen ungeachtet beruft sich die Beklagte selber auf einen Wohnsitzwechsel von X. nach London. Übrig bleibt also X. Damit gelangt die einmonatige Rekursfrist von Art. 36 Abs. 1 LugÜ zur Anwendung (BGE 133 III 255 f. E. 4 in fine).
3. Diese berechnet sich nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, in dem die Entscheidung über die Vollstreckungsklausel ergangen ist (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Frankfurt a.M. 2005, N 18 zu Art. 43).
Gemäss § 82 ZPO läuft die Frist vom gesetzlich festgelegten Zeitpunkt oder vom Datum ihrer mündlichen oder schriftlichen Eröffnung an (Abs. 1). Bei der Berechnung der Frist wird der Tag, an dem sie zu laufen beginnt, nicht mitgezählt (Abs. 2).
3.1. Die „übliche“ Rekursfrist, wovon Art. 36 LugÜ abweicht (LGVE 2005 I Nr. 44 E. 6), ist in der Luzerner Zivilprozessordnung – wie die übrigen (Rechtsmittel)Fristen – nach Tagen bemessen (vgl. § 260 ZPO). Diesfalls wird bei der Fristberechnung der Tag der Eröffnung nicht mitgezählt. Für die Berechnung der in Art. 36 Abs. 1 LugÜ gewährten einmonatigen Rekursfrist findet sich in der ZPO keine Vorschrift. Diesfalls ist, da von der Sachmaterie am nächsten, Art. 31 SchKG analog anzuwenden (vgl. Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8. Aufl., Bern 2006, 9. Kap. N 91 und 92).
3.2. Nach Art. 31 Abs. 2 SchKG endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit demjenigen Tag, der durch seine Zahl dem Tage entspricht, mit dem sie zu laufen beginnt. Fehlt dieser Tag im letzten Monat, so endet die Frist mit dem letzten Tage dieses Monats. Dieselbe Regelung findet sich übrigens auch in Art. 4 Ziff. 2 des Europäischen Übereinkommens vom 16. Mai 1972 über die Berechnung von Fristen (SR 0.221.122.3). Mit der Beibehaltung des gleichen Monatstags wird bereits dem Umstand, dass der Tag der Eröffnung der Frist oder der Mitteilung eines Entscheids bei der Fristberechnung nicht mitgezählt wird, Rechnung getragen. Wäre auf den dem Eröffnungstag nachfolgenden Tag abzustellen, würde sich die Frist ungerechtfertigterweise um einen Tag verlängern (Urteil des Bundesgerichts M.6/05 vom 3.4.2006 E. 5.5.1).
3.3. Der Ehemann der Beklagten hatte den Vollstreckbarkeitserklärungs-Entscheid vom 29. August 2006 am 5. September 2006 in Empfang genommen. Folglich lief die Einmonatsfrist ab diesem Datum und endete am 5. Oktober 2006. Damit ist der Rekurs der Beklagten vom 6. Oktober 2006 (Postaufgabe) verspätet.
(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde am 8. Oktober 2007 abgewiesen [4A_298/2007].)