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Zusammenfassung der Entscheidung Die Klägerin klagte beim Bezirksgericht Zürich (CH) gegen den Beklagten aus angeblich geschlossenen Darlehensverträgen auf Feststellung und Leistung (Rückzahlung). Die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts war nach Auffassung der Klägerin gegeben, weil Zürich als Erfüllungsort zu betrachten sei und der Beklagte Wohnsitz in Rom (IT) oder London (UK) habe. Der Beklagte bestritt sowohl die örtliche Zuständigkeit des Gerichts wie auch das Bestehen von Darlehensverträgen. Gegen die Urteile der Vorinstanzen, die die örtliche Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 1 LugÜ bejahten, wehrte sich der Beklagte mit dem Argument, es dürfe nicht einfach auf die bestrittenen Behauptungen der Klägerin zum Erfüllungsort abgestellt werden, sondern es müsse darüber ein Beweisverfahren durchgeführt werden.
Das Bundesgericht (CH) entscheidet, dass der Grundsatz, wonach das Vorliegen der Zulässigkeitstatsachen unterstellt werde, nur gelte, wenn der Gerichtsstand von der Natur des eingeklagten Anspruchs abhänge, also wenn sich Zulässigkeitstatsachen und Begründetheitstatsachen decken, Tatsachen mithin doppelrelevant seien. Die Klage auf Feststellung und Rückzahlung der Darlehen könne jedoch im vorliegenden Fall materiell entschieden werden, ohne dass es auf die Richtigkeit der Behauptung einer Erfüllungsortvereinbarung ankomme. Für die Frage, ob ein Zahlungsanspruch bestehe, sei der Erfüllungsort irrelevant. Bei der Behauptung einer Erfüllungsortsvereinbarung handele es sich vielmehr um eine allein mit Bezug auf die Zuständigkeit relevante Tatsache. Daher müsse vor der Fällung des selbständigen Zuständigkeitsentscheids ein Beweisverfahren durchgeführt werden. Es dürfe nicht einfach auf die entsprechenden Behauptungen der Klägerpartei abgestellt werden. Indem die Vorinstanzen diese Behauptungen als richtig unterstellt hätten, hätten sie zu Unrecht das Vorliegen eines Gerichtsstandes am Erfüllungsort nach Art. 5 Nr. 1 LugÜ bejaht.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Vorinstanz übernahm sodann die Erwägungen des Bezirksgerichts, wonach die Rückzahlung der Darlehenssummen als Bringschuld gemäss Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR am Wohnsitz der Klägerin in Zürich zu erfolgen habe. Dazu komme, dass die Parteien nach den Vorbringen der Klägerin vereinbart hätten, der Beklagte habe das Darlehen am Geschäftsdomizil des Rechtsvertreters der Klägerin in Zürich zurückzuzahlen. Nach den Darlegungen der Klägerin sei einstweilen davon auszugehen, dass der Erfüllungsort im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 LugÜ in Zürich liege. Die Frage, ob überhaupt Darlehensverträge bestünden, bilde Gegenstand der später vorzunehmenden materiellen Anspruchsprüfung.
Mit der Berufung wird gerügt, die Betrachtungsweise der Vorinstanz verstosse allgemein gegen Sinn und Zweck des LugÜ sowie speziell gegen dessen Art. 5 Ziff. 1. Nach Auffassung des Beklagten hätte die Vorinstanz nicht einfach auf die bestrittenen Behauptungen der Klägerin abstellen dürfen, sondern darüber ein Beweisverfahren durchführen müssen. Diese Rüge ist im Berufungsverfahren zulässig, denn sie betrifft die Anwendung der bundesrechtlichen Normen des internationalen Zivilprozessrechts.
b) Gemäss Art. 5 Ziff. 1 LugÜ kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag Gegenstand des Verfahrens bilden.
aa) Der Erfüllungsort kann durch Parteivereinbarung festgelegt werden und vermag die Zuständigkeit nach Art. 5 Ziff. 1 LugÜ zu begründen, wenn die massgebliche lex causae solche Vereinbarungen zulässt. Die Einhaltung der für die Gerichtsstandsvereinbarung in Art. 17 LugÜ vorgesehenen Form bildet dabei kein Gültigkeitserfordernis (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 5. Aufl., N. 22 zu Art. 5; kritisch Broggini, Zuständigkeit am Ort der Vertragserfüllung, in: Das Lugano-Übereinkommen, S. 127 f.). Um der Umgehung der Schutzfunktion von Art. 17 LugÜ nicht Tür und Tor zu öffnen, hat die Vereinbarung freilich auf die materiellrechtliche Begründung eines tatsächlichen Leistungsortes abzuzielen, was die klagende Partei gegebenenfalls gleich wie andere Zuständigkeitsvoraussetzungen zu beweisen hat (Kropholler, aaO, N. 23 zu Art. 5).
bb) Was die für die Beweislast massgebliche Ausgangslage anbelangt, ist primär auf den vom Kläger eingeklagten Anspruch und dessen Begründung abzustellen; die diesbezüglichen Einwände der Gegenpartei sind in diesem Stadium grundsätzlich nicht zu prüfen (BGE 119 II 66 E. 2a S. 68, BGE 91 I 121 E. 5 S. 122, BGE 66 II 179 E. 2 S. 183 f.; Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 106; Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., N. 4 zu § 17).
Der Grundsatz, wonach das Vorliegen der Zulässigkeitstatsachen unterstellt wird, gilt indessen nur, wenn der Gerichtsstand von der Natur des eingeklagten Anspruchs abhängt, wenn sich Zulässigkeitstatsachen und Begründetheitstatsachen decken. Ist eine Tatsache doppelrelevant, das heisst sowohl für die Zulässigkeit der Klage als auch für deren Begründetheit, wird sie nur in einer einzigen Prüfungsstation untersucht, und zwar erst in der Begründetheitsstation (so die Formulierung von Schumann, Internationale Zuständigkeit: Besonderheiten, Wahlfeststellungen, doppelrelevante Tatsachen, in: Beiträge zum internationalen Verfahrensrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit, FS Heinrich Nagel, S. 415; kritisch Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 54. Aufl., N. 15 zu Grundz § 253; vgl. auch BGE 121 III 495 E. 6d S. 503: betreffend Zuständigkeitsentscheid eines Schiedsgerichts). Zwar ist der von Hartmann (aaO) erhobene Einwand methodischer Unsauberkeit nicht von der Hand zu weisen. Denn es besteht die Möglichkeit, dass eine vorerst als zulässig betrachtete Klage nach Prüfung der Begründetheit für unzulässig erklärt werden muss. Indes ist der Schutz der beklagten Partei schwerer zu gewichten und ein Interessenausgleich dafür zu schaffen, dass dem Kläger unter Umständen mehrere Wahlgerichtsstände zur Verfügung stehen. Weil die beklagte Partei der Behauptung einer doppelrelevanten Tatsache ohnehin begegnen muss, sei es unter dem materiellen, sei es unter dem prozessualen Aspekt, soll sie zumindest einer zweiten identischen Klage die Einrede der abgeurteilten Sache entgegenhalten können. Darin liegt die innere Rechtfertigung des Vorrangs der materiellen Prüfung (Schumann, aaO, S. 421 ff.).
cc) Ergibt sich die Zuständigkeit nicht bereits aus den von der Klägerpartei vorgebrachten anspruchsbegründenden Tatsachen, sondern bedarf es hiezu einer zusätzlichen Sachbehauptung und stellt die Gegenpartei (auch) diese in Abrede, so ist darüber Beweis zu führen. Die Beweislast für diese besonderen kompetenzbegründenden Tatsachen trägt die Klägerpartei (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., S. 191; Leuch/Marbach/Kellerhals, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 4. Aufl., N. 3 der Bem. vor Art. 20, N. 2 zu Art. 193; differenzierend für Anhörung beider Parteien gleichermassen Schwandnder, Zwei Entscheidungen zur Tragweite und zur intertemporalrechtlichen Behandlung von Zuständigkeitsvereinbarungen. IPRG 5, 196, in: AJP 1993, S. 268). Nichts anderes lässt sich aus der von der Vorinstanz zitierten Literaturstelle ableiten (Guldener, aaO, S. 106). Dieser Autor hält einleitend fest, der Gerichtsstand bestimme sich vielfach nach der Natur des eingeklagten Anspruchs, und er behandelt in der Folge ausschliesslich die Frage, wie diesfalls zu verfahren sei, nicht jedoch, was beweismässig zu gelten habe, wenn die örtliche Zuständigkeit auf einer anderen Anknüpfung beruht. Eine unterschiedliche Handhabung der Beweiserhebung vor Fällung des Zuständigkeitsentscheids, je nach dem, ob die von der Klägerpartei vorgetragenen Tatsachen das Gericht zu einem Eintretens- oder Nichteintretensentscheid führen, wie sie Schwander vorschlägt (aaO, S. 269), fällt sodann aus prozessualen Gründen ausser Betracht. Zu berücksichtigen ist, dass ein selbständiger Zwischenentscheid über die Zuständigkeit, der notwendig eine Entscheidung über die massgeblichen Tatsachen mitenthält, in Rechtskraft erwächst und mit dem Endentscheid nicht mehr angefochten werden kann (Art. 48 Abs. 3 OG). Überdies verbietet der Grundsatz der perpetuatio fori (vgl. zum Beispiel § 16 ZPO/ZH; Kropholler, aaO, N. 14 vor Art. 2) eine neue Überprüfung der Zuständigkeit durch das kantonale Gericht, selbst wenn sich die Verhältnisse geändert haben sollten. Aus all diesen Gründen muss beim Vorliegen des eingangs umschriebenen Sachverhalts vor der Fällung des selbständigen Zuständigkeitsentscheids ein Beweisverfahren durchgeführt werden, das heisst, es darf nicht einfach auf die entsprechenden Behauptungen der Klägerpartei abgestellt werden.
c) Die Klage auf Feststellung und Rückzahlung der Darlehen kann im vorliegenden Fall materiell entschieden werden, ohne dass es auf die Richtigkeit der Behauptung ankommt, es sei vereinbart worden, die Rückzahlung habe in Zürich zu erfolgen. Für die Frage, ob ein Zahlungsanspruch besteht, ist ein allfälliger Erfüllungsort irrelevant (vgl. dazu die Beispiele bei Schumann, aaO, S. 416 ff., insbes. S. 418). Bei der Behauptung einer Erfüllungsortsvereinbarung handelt es sich klarerweise um eine allein mit Bezug auf die Zuständigkeit relevante Tatsache, über die nach dem Gesagten im Bestreitungsfall Beweis zu führen ist. Indem sie die Vorinstanz als richtig unterstellte, bejahte sie zu
Unrecht das Vorliegen eines Gerichtsstandes am Erfüllungsort nach Art. 5 Ziff. 1 LugÜ.
Die Vorinstanz hat mithin eine Vorschrift des internationalen Zivilprozessrechts verletzt, was zur Gutheissung der Berufung führt und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Prüfung und beweismässigen Abklärung der Frage, ob eine Vereinbarung über den Erfüllungsort, wie sie die Klägerin behauptet, abgeschlossen worden ist. In diesem Prozessstadium braucht vorläufig nicht geklärt zu werden, wo die Klägerin ihren Wohnsitz hat, denn sowohl das schweizerische wie auch das italienische, nach den Parteivorbringen als lex causae in Frage kommende Recht lassen Vereinbarungen über den Erfüllungsort zu (Art. 74 Abs. 1 OR; Art. 1182 CCI). Sollte indessen der Beweis über den Abschluss einer Erfüllungsortsvereinbarung scheitern, wird abzuklären sein, ob der Klägerin aufgrund von Art. 5 Ziff. 1 LugÜ in Verbindung mit Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR Zürich als Gerichtsstand des Erfüllungsortes zur Verfügung steht. Das bedingt die beweismässige Ermittlung ihres Wohnsitzes vorab, um gemäss Art. 117 Abs. 3 lit. b IPRG (SR 291) über die den Erfüllungsort bestimmende lex causae der behaupteten Darlehen und deren Zuständigkeitsregeln Klarheit zu gewinnen und alsdann die Subsumtion vornehmen zu können.