Die Klägerin macht eine ihr abgetretene Forderung aus Warenlieferung geltend. Die beklagte Partei wandte mangelnde internationale Zuständigkeit ein. Zwischen ihr und der Zedentin sei in Deutschland ein Verfahren über dieselbe Forderung anhängig.
Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Rechtshängigkeit gemäß Art. 27 EuGVVO zurück. Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Die Zedentin beantragte am 27.01.2010 beim Amtsgericht Wedding die Erlassung eines Mahnbescheids gegen die Beklagte über einen Betrag von 451.827,22 EUR zuzüglich Zinsen. Der Mahnbescheid wurde am 28.01.2010 erlassen und der beklagten Partei am 10.02.2010 zugestellt. Die beklagte Partei erhob dagegen am 12.02.2010 Widerspruch, ohne die internationale Unzuständigkeit des Amtsgerichts Wedding einzuwenden. Die Einleitung des ordentlichen Verfahrens wurde von der Zedentin nicht beantragt.
Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass Streitanhängigkeit gegeben sei. Der Begriff „zwischen denselben Parteien“ nach Art. 27 EuGVVO sei autonom im Sinne der Zielsetzung der EuGVVO zu interpretieren, einander widersprechende Gerichtsentscheidungen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu verhindern. Ausnahmsweise sei Art. 27 EuGVVO auch bei nicht vorhandener Parteienidentität anzuwenden, wenn die Interessen dieser Personen identisch und voneinander untrennbar seien. Dies sei im vorliegenden Fall bei Zedentin und Zessionarin der Fall.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der klagenden Partei Folge und verwarf den Antrag auf Klagszurückweisung. Die Rechtshängigkeit in Deutschland sei beendet, weil der Mahnbescheid aufgrund des Widerspruchs seine Wirkung verloren habe und die Einleitung eines ordentlichen Verfahrens nicht beantragt worden sei.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Rechtsprechung dazu bestehe, wann die Rechtshängigkeit nach Art. 30 EuGVVO ende.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1.1. Nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO muss, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig (Art. 27 Abs. 2 EuGVVO).
1.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Begriff „zwischen denselben Parteien“ in Art. 27 Nr. 1 EuGVVO autonom zu interpretieren. In diesem Sinne kann auch der am Verfahren selbst nicht beteiligte Rechtsnachfolger einer Partei, auf den sich die Urteilswirkung erstreckt, nach dem Sinn von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO, einander widersprechende Urteilswirkungen auszuschließen, als „dieselbe Partei“ betrachtet werden (6 Ob 64/06i; 8 Ob 149/10k).
1.3. Der EuGH bejahte die „Identität“ zwischen Zedent und Zessionar in diesem Sinn in seiner Entscheidung Drouot Assurances (EuGH 19.05.1998, Rs C 351/96) für den Fall, dass „hinsichtlich des Gegenstandes beider Rechtsstreitigkeiten die Interessen identisch und voneinander untrennbar sind“. Im Schrifttum werden demgegenüber Zedent und Zessionar überwiegend nicht als dieselbe Partei angesehen (Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Europäisches Gerichtsstands und Vollstreckungsrecht, 3. Aufl., Art. 27 EuGVVO Rn. 8; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 27 EuGVO Rn. 4). Nach ausführlicher Darstellung der europäischen und nationalen Judikatur kommen McGuire/Burgstaller in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVO Rn. 39 ff zum Ergebnis, dass eine Ausnahme vom formalen Parteibegriff nur im Fall der Rechtskrafterstreckung gerechtfertigt ist.
1.4. Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner abschließenden Klärung, weil – wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat – Streitanhängigkeit (Rechtshängigkeit) iSd Art. 27 EuGVVO schon mangels Anhängigkeit eines Verfahrens in Deutschland zu verneinen ist.
2.1. Die Voraussetzungen für das Bestehen der Rechtshängigkeit richten sich grundsätzlich nach nationalem Recht; nur für die Bestimmung des Zeitpunkts ihres Eintritts enthält die EuGVVO eine eigenständige Regelung. Nach nationalem Recht bestimmt sich daher insbesondere die Frage, ob die einmal eingetretene Rechtshängigkeit fortbesteht (McGuire/Burgstaller in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVO Rn. 67 f).
2.2. Die deutsche ZPO sieht grundsätzlich vor, dass das Verfahren nach erfolgtem Widerspruch gegen den Mahnbescheid auf Antrag einer Partei an das Prozessgericht abgegeben wird (§ 696 Abs. 1 dZPO).
2.3. Die Streitsache gilt nur dann als mit der Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden, wenn sie alsbald nach Erhebung des Widerspruchs an das im Mahnbescheid bezeichnete Gericht abgegeben wird. Wird hingegen nach Erhebung des Widerspruchs gegen einen Mahnbescheid die Sache nicht alsbald an das zur Durchführung des streitigen Verfahrens zuständige Gericht abgegeben (§ 696 Abs. 3 dZPO), so tritt die Rechtshängigkeit mit Eingang der Akten beim Prozessgericht ein (BGH 5. 2. 2009, III ZR 164/08).
2.4. Die Sache ist iSd § 696 Abs. 3 dZPO „alsbald abgegeben“, wenn dem Antragsteller lediglich eine geringfügige Verzögerung der Abgabe bis zu 14 Tagen anzulasten ist. Der Antragsteller ist gehalten, nach Mitteilung des Widerspruchs ohne schuldhaftes Zögern die Abgabe an das Streitgericht zu veranlassen. In der Regel ist von ihm zu erwarten, dass er binnen eines Zeitraums von zwei Wochen nach Zugang der Mitteilung des Widerspruchs die restlichen Gerichtsgebühren einzahlt und den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellt (BGH 05.02.2009, III ZR 164/08).
2.5. Im vorliegenden Fall wurde seit dem Widerspruch vom 12.02.2010 die Einleitung des ordentlichen Verfahrens in Deutschland nicht beantragt. In der Auffassung des Rekursgerichts, dass in diesem Fall keine Rechtshängigkeit vorliege, ist daher kein Rechtsirrtum zu erblicken. Die Gegenauffassung würde dazu führen, dass das in Deutschland beendete Mahnverfahren weiter Sperrwirkung für die Rechtsverfolgung durch die Klägerin entfalten würde, obwohl seit über zwei Jahren keinerlei Schritte zur Rechtsdurchsetzung in Deutschland erfolgten.