-
Zusammenfassung der Entscheidung Nachdem das Urteil eines polnischen Gerichts über eine Unterhaltsverpflichtung des Klägers zugunsten seiner polnischen Ehefrau, der Beklagten, in Österreich für vollstreckbar erklärt worden war, erhob der Kläger beim zuständigen polnischen Gericht eine Klage auf Feststellung, dass seine Unterhaltsverpflichtung erloschen sei. Später machte er in Österreich eine Oppositionsklage mit dem gleichen Begehren anhängig, um die dortige Vollstreckung des ursprünglichen polnischen Urteils zu untersagen. In diesem Verfahren erklärte sich das österreichische Erstgericht aufgrund des in Polen bereits anhängigen Rechtstreits nach Art. 21 LugÜ für unzuständig, was vom Zweitgericht bestätigt wurde.
Der OGH (AT) bestätigt ebenfalls, dass es bei den beiden Verfahren zur Aufhebung der ursprünglich festgestellten Unterhaltsverpflichtung um „denselben Anspruch" im Sinne des Art. 21 LugÜ gehe. Beide Verfahren verfolgen im Kern einen gemeinsamen Zweck, denn auch mit der Oppositionsklage in Österreich solle neben der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem betreffenden Titel das Erlöschen des Anspruchs festgestellt werden. Damit habe die zuerst erhobene Klage in Polen den Vorrang, so dass die in Österreich später erhobene Klage zurückzuweisen sei.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Beklagte führt gegen den Kläger auf Grund des in Österreich am 29. Jänner 1999 für vollstreckbar erklärten Urteils des polnischen Bezirksgericht für die Hauptstadt Warschau in Warschau vom 21. Oktober 1997, Zl. XRC 463/96, seit 29. Jänner 1999 Exekution zur Hereinbringung einer Unterhaltsforderung.
Der Kläger erhob a) beim zuständigen polnischen Bezirksgericht am 10. Jänner 2000 eine Feststellungsklage des Inhalts, die mit Urteil vom 21. Oktober 1997 festgesetzte Unterhaltsverpflichtung zugunsten seiner geschiedenen Ehegattin (Beklagten) sei erloschen, und b) beim Bezirksgericht Baden am 5. Dezember 2002 eine Oppositionsklage mit dem Begehren, die Ansprüche seiner geschiedenen Ehegattin (Beklagten) aus dem für vollstreckbar erklärten Urteil des polnischen Bezirksgericht (für die Hauptstadt) Warschau vom 21. Oktober 1997, Zl. XRC 463/96, zu deren Hereinbringung am 29. Jänner 1999 die Exekution bewilligt worden sei, seien zur Gänze erloschen. Die Einkommensverhältnisse der Beklagten hätten sich entscheidend verbessert, jene des Klägers jedoch wesentlich verschlechtert. Die Beklagte erhob im österr. Verfahren die Einrede der Unzuständigkeit gemäß Art. 21 LGVÜ.
Das Erstgericht sprach in Stattgebung dieser Einrede seine Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. In beiden Verfahren seien die Parteien identisch; beide Rechtsstreitigkeiten hätten denselben Gegenstand, weshalb sich das später angerufene Gericht gemäß Art. 21 LGVÜ für unzuständig zu erklären habe. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die Frage der Zuständigkeit sei nach dem LGVÜ zu beurteilen, weil Österreich und Polen Vertragsstaaten seien. Der Begriff „derselbe Anspruch“ in Art. 21 LGVÜ sei vertragsautonom auszulegen, wobei auf Gegenstand (Zweck der Klage) und Grundlage des Anspruchs (Sachverhalt und Rechtsvorschrift), auf welche die Klage gestützt werde, abgestellt werde. Beide Klagen seien hier auf Aufhebung eines Exekutionstitels gerichtet und beträfen daher denselben Anspruch iSd Art. 21 LGVÜ. In beiden Verfahren erreiche der Kläger mit einem stattgebenden Urteil die Einstellung der anhängigen Exekution, weshalb die später eingebrachte Klage zurückzuweisen sei.
Der von der zweiten Instanz – mit der Begründung, es fehle Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des Begriffs „derselbe Anspruch“ in Art. 21 LGVÜ bei einer auf Erlöschen des Unterhaltsanspruchs gerichteten negativen Feststellungs- und einer Oppositionsklage – zugelassene Revisionsrekurs des Klägers ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig.
Dass das LGVÜ, das (ebenso wie das EuGVÜ) dem nationalen Recht vorgeht (6 Ob 139/98d = RZ 1999/27 = ZfRV 1999/46), im vorliegenden Rechtsfall anzuwenden ist, ist unbestritten. Art. 21 des hier anzuwendenden LGVÜ (gleichlautend Art. 21 EuGVÜ) lautet:
„Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zu Gunsten dieses Gerichts für unzuständig.“
Zweck des Art. 21 LGVÜ ist es, mehrere Verfahren über denselben Anspruch vor den Gerichten verschiedener Vertragsstaaten und demgemäß die Gefahr miteinander unvereinbarer und somit gemäß Art. 27 Abs. 3 LGVÜ nicht anerkennungsfähiger Urteile zu vermeiden (6 Ob 139/98d). Die Identität der Parteien in beiden Verfahren, überdies in identer Parteirollenverteilung, liegt hier vor. Der Begriff „derselbe Anspruch“ ist ohne Rückgriff auf die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, sondern vertragsautonom (6 Ob 139/98d; vgl. zu Art. 21 EuGVÜ auch 7 Ob 117/01h = SZ 74/110 = ZfRV 2002/12; Lüke/Wax, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung2, Art. 21 EuGVÜ Rn. 5 mwN zur Rsp des EuGH zum EuGVÜ in FN 12; Hüßtege in Thomas/Putzo, dZPO25, Art. 27 EuGVVO Rn. 5 mwN aus der Rsp des EuGH u.a.) und überdies weit (6 Ob 139/98d; vgl. auch Lüke/Wax aaO Rn. 6) auszulegen. Die Identität der Streitgegenstände ist gegeben, wenn beide Klagen dieselbe Grundlage und denselben Gegenstand betreffen. Die „Grundlage“ des Anspruchs umfasst den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften, auf die die Klage gestützt wird. Derselbe Gegenstand liegt im gemeinsamen Zweck, im Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten („Kernpunkt-Theorie“) und bestimmt sich danach, welche Begehren im Mittelpunkt beider Verfahren stehen (6 Ob 139/98d; 7 Ob 117/01h; RIS-Justiz RS0111769; vgl. dazu auch Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 2 ff mwN). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass mit der österr. Oppositionsklage derselbe Anspruch geltend gemacht werde wie im polnischen Verfahren, folgt dieser Rsp. Zutreffend erkannte auch die zweite Instanz, dass die Einstellung der Anlassexekution nach § 35 Abs. 4 EO nur die Folge des dem Klagebegehren stattgebenden Urteils, nicht aber der alleinige Zweck der Klage ist. Nach der nunmehr stRsp (zuletzt 3 Ob 150/03k; RIS-Justiz RS0001674) verfolgt die Oppositionsklage als Ziel sowohl die Feststellung des Erlöschens (der Hemmung) des Anspruchs als auch die Unzulässigerklärung jeglicher Zwangsvollstreckung aus dem Exekutionstitel („Kombinationstheorie“). Art. 21 LGVÜ legt für konkurierende Verfahren den Vorrang der zuerst erhobenen Klage fest („Prioritätsprinzip“), der hier unbestritten der in Polen erhobenen Klage zukommt.
Für die allein maßgebliche vertragsautonome Auslegung sind Fragen des Streitgegenstands nach österr. Recht bedeutungslos, weshalb der Revisionsrekurs der klagenden Partei mangels Vorliegens von Rechtsfragen erheblicher Bedeutung (§ 528 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen ist.