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Zusammenfassung der Entscheidung Die Parteien, beide italienische Staatsangehörige, waren Eheleute. Im Jahr 2008 trennten sie sich. Der beklagte Ehemann zog aus der ehelichen Wohnung in Österreich aus und verzog nach Italien, während die Klägerin in Österreich blieb. Am 17.02.2009 beantragte der Beklagte vor dem Tribunale Florenz (IT) die gerichtliche Trennung der Ehe der Parteien. Auf Antrag der Klägerin gab dieses dem Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung auf, an sie Getrenntlebensunterhalt in Höhe von monatlich 400 Euro zu zahlen. Bereits am 14.01.2009 hatte die Klägerin zuvor vor dem Bezirksgericht Kitzbühel (AT) Unterhaltsklage erhoben, mit der sie die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Unterhalt zu einem erheblich höheren Betrag beantragte. Das Bezirksgericht Kitzbühel sprach der Klägerin über die von dem italienischen Gericht zuerkannten 400 Euro / Monat hinaus monatlich weitere 62 Euro zu. Die darüber hinausgehende Klage wies es ab. Auf die von beiden Parteien eingelegte Berufung hin hob das Landesgericht Innsbruck (AT) die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung weiterer 62 Euro im Monat auf. Im Übrigen bestätigte es die Entscheidung. Die Klägerin legte Rekurs zum OGH (AT) ein.
Der OGH bestätigt die Entscheidung des Berufungsgerichts. Eine nach einem kontradiktorischen Verfahren im Wege der einstweiligen Anordnung ergangene Entscheidung sei eine Entscheidung im Sinne von Art. 32 Brüssel I-VO, die in den übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken sei. Soweit eine solche Entscheidung in Rechtskraft erwachse, stehe der erneuten Bescheidung desselben Gegenstands der Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegen. Beide Parteien gingen übereinstimmend davon aus, dass die Unterhaltsentscheidung des Tribunale Florenz rechtskräftig sei. Insoweit sei nicht mehr erheblich, ob dieses sich im Hinblick auf Art. 27 zu Recht oder aber zu Unrecht für zuständig angesehen habe.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Der Beklagte ist italienischer Staatsbürger, die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin. Die Streitteile schlossen am 18. 12. 1997 vor einem Standesamt in Italien die Ehe. Sie lebten bis Ende 2006 in Italien und zogen dann in eine Wohnung nach K*****. Bis zum Jahr 2007 war dort ihr Hauptwohnsitz. Die Klägerin behielt ihn bis Ende August 2009 bei, der Beklagte hingegen zog am 27. 9. 2008 aus der gemeinsamen Wohnung aus und übersiedelte wieder nach Italien.
Die Klägerin verfügt über kein eigenes Einkommen und war seit der Eheschließung 1997 nicht mehr berufstätig. Sie ist auch aus gesundheitlichen Gründen derzeit nicht in der Lage, einer Arbeit nachzugehen. Sie lebt nunmehr „unentgeltlich“ bei einer Bekannten in G***** und bezieht Sozialhilfe in der Höhe von monatlich 508 EUR.
Der Beklagte hat seit Oktober 2008 krankheitsbedingt aus seiner Tätigkeit in der Immobilienbranche kein Einkommen. Er lebt vom Verkaufserlös einer Liegenschaft.
Am 17. 2. 2009 brachte der Beklagte beim Landesgericht Florenz den Antrag auf gerichtliche Trennung von der Klägerin ein. Diese Trennung lässt die Ehe aufrecht. Die Ehescheidung kann nach italienischem Recht erst nach dreijähriger Trennung beantragt werden. Auf Antrag der Klägerin setzte das Landesgericht Florenz mit Beschluss vom 23. 11. 2009 für sie einen einstweiligen Unterhalt von monatlich 400 EUR ab 1. 11. 2009 fest.
Verbunden mit ihrer bereits vorher am 14. 1. 2009 beim Erstgericht eingebrachten Unterhaltsklage begehrt die Klägerin, den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts in der Höhe von monatlich 3.300 EUR ab Antragstellung zu verpflichten.
Der Beklagte wendet ein, dass bereits im italienischen Verfahren der einstweilige Unterhalt der Klägerin festgesetzt worden sei.
Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts für den Zeitraum vom 1. 9. 2009 bis 31. 10. 2009 (also für zwei Monate vor dem Zeitraum, auf den sich die Entscheidung des Landesgerichts Florenz bezieht) in der Höhe von monatlich 462 EUR und ab dem 1. 11. 2009 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Unterhaltsverfahrens in der Höhe von monatlich 62 EUR (zusätzlich zum bereits durch die Entscheidung des Landesgerichts Florenz festgesetzten Betrag). Das Mehrbegehren wies es ab.
Das Rekursgericht bestätigte (über Rekurse beider Parteien) den Ausspruch des Erstgerichts über die Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt für den Zeitraum vom 1. 9. 2009 bis 31. 10. 2009 sowie die Abweisung des Mehrbegehrens für diesen Zeitraum. Den Antrag, für den Zeitraum ab 1. 11. 2009 bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 5 C 2/09k des Bezirksgerichts Kitzbühel einen einstweiligen Unterhalt von 1.524 EUR zu bezahlen – soweit die Teilabweisung von 1.776 EUR noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist – wies es zurück. Das österreichische Gericht sei zwar nach Art. 27 EuGVVO das zuerst angerufene Gericht, dennoch habe aber das Landesgericht Florenz auf Antrag der Klägerin eine Entscheidung über ihr einstweiliges Unterhaltsbegehren ab 1. 11. 2009 gefällt, die in Rechtskraft erwachsen sei. Insofern hindere die Rechtskraft der Entscheidung die Geltendmachung eines einstweiligen Unterhalts auch in Österreich für denselben Zeitraum. Es sei nicht bekannt, von welchen Tatsachen das Landesgericht Florenz bei seiner Entscheidung über den Unterhaltsanspruch der Klägerin ausgegangen sei; sie habe aber im vorliegenden Verfahren weder behauptet, noch bescheinigt, warum sie trotz bestehenden Unterhaltstitels berechtigt sein solle, einen darüber hinausgehenden Antrag in Österreich aufrecht zu erhalten. Die Entscheidung des Erstgerichts verstoße für den Zeitraum ab 1. 11. 2009 gegen das Einmaligkeitsgebot und sei daher in diesem Umfang als nichtig aufzuheben. Im Übrigen sprach das Rekursgericht aus, dass der Unterhaltsanspruch nicht nach italienischem Recht, sondern im Hinblick auf das fehlende gemeinsame Personalstatut der Streitteile und den letzten gemeinsamen Aufenthalt in K***** nach österreichischem Recht zu beurteilen sei. Den gerügten Verfahrensmangel erster Instanz verneinte es. Eine Rechtshilfeeinvernahme in der Schweiz zur Abklärung der Einkommensverhältnisse des Beklagten sei in einem Provisorialverfahren nicht durchzuführen. Es handle sich dabei nicht um ein parates Bescheinigungsmittel.
Das Rekursgericht sprach aus, dass hinsichtlich des bestätigenden Teils der Entscheidung keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu lösen sei.
Die Klägerin erhob einen außerordentlichen Revisionsrekurs (gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts) und einen Rekurs (gegen den die Klage zurückweisenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts) mit dem Antrag, eine einstweilige Verfügung im Umfang von monatlichen Unterhaltsleistungen in der Höhe von 1.462 EUR ab 1. 9. 2009 zu erlassen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Zu 1.:
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 528 Abs. 1 ZPO unzulässig.
Die Entscheidung des Rekursgerichts, dass eine Person, die im Rechtshilfeweg vernommen werden muss, kein „parates“ Bescheinigungsmittel und daher ein Rechtshilfeersuchen im Provisorialverfahren nicht vorzunehmen ist, hält sich im Rahmen der Judikatur (RIS Justiz RS0005246, RS0005376, RS0005289). Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 402 Abs. 4 EO iVm § 78 EO und §§ 528a iVm 510 Abs. 3 ZPO).
Zu 2.:
Der Rekurs ist jedenfalls zulässig, weil das Rekursgericht unter Wahrnehmung eines (nicht bereits vom Erstgericht behandelten) Nichtigkeitsgrundes den Antrag zurückwies (vgl RIS Justiz RS0043774). Er ist aber nicht berechtigt.
Die Klägerin stützt sich im Rekurs im Wesentlichen darauf, dass die EuGVVO auf den Unterhaltsanspruch nicht anwendbar sei (es handle sich um eine Frage der ehelichen Güterstände) und daher die italienische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt werde. Außerdem sei das italienische Gericht für die Entscheidung über den einstweiligen Unterhalt nicht zuständig gewesen.
Die EuGVVO ist ausdrücklich auf Unterhaltssachen anwendbar und regelt in Art. 5 Z 2 EuGVVO die Zuständigkeit dafür. Nicht hingegen ist die EuGVVO nach ihrem Art. 1 Abs. 2 lit. a auf „die ehelichen Güterstände“ anzuwenden. Dies sind Fragen, die während der Ehe oder nach deren Auflösung zwischen den Ehegatten untereinander wegen solcher Rechte an und auf Vermögen entstanden sind, die sich aus der ehelichen Beziehung ergeben. Auch wenn der EuGH den Begriff „eheliche Güterstände“ sehr weit auslegt, so sind damit jedenfalls nicht die gesondert in der EuGVVO audrücklich geregelten Unterhaltssachen gemeint (vgl G. Kodek in Fasching/Konecny, Art. 1 EuGVVO Rn. 106).
Ob nun das Landesgericht Florenz zu Recht oder zu Unrecht seine Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, ist nach Rechtskraft der Entscheidung nicht mehr erheblich. Einstweilige Verfügungen, die nach einem kontradiktorischen Verfahren ergangen sind, sind als Entscheidungen nach Art. 32 EuGVVO in den Mitgliedstaaten anzuerkennen und nach Maßgabe der Art. 38 ff EuGVVO zu vollstrecken (RIS Justiz RS0121907). Eine vollstreckbare Entscheidung begründet die Einrede der Rechtskraft (RIS Justiz RS0041327). Auch Art. 32 EuGVVO stellt nicht auf die Rechtskraft, sondern auf die (vorläufige) Vollstreckbarkeit ab (Rassi in Fasching/Konecny2, Art. 32 EuGVVO Rn. 32). Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung ist von Amts wegen zu beachten, bei Identität des Streitgegenstands ist der Antrag zurückzuweisen (vgl Rassi aaO Art. 33 EuGVVO Rn. 8 mwN). Auch im Provisorialverfahren ist das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache (§ 411 ZPO) zu beachten (vgl RIS Justiz RS0005661). Es können daher nicht gleichzeitig zwei idente Sicherungsanträge anhängig gemacht werden (4 Ob 333/00z, 4 Ob 36/03b je mwN).
Die Frage der Rechtkraft ist nach den Vorschriften des Ursprungslandes zu beurteilen (vgl Rassi in Fasching/Konecny2, Art. 33 EuGVVO Rn. 8; G. Kodek, in Czernich/Tiefenthaler/Kodek3, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, Art. 33 EuGVVO Rn. 6; Leible in Rauscher, EuZPR/EulPR [2011], Art. 33 Brüssel I VO Rn. 4). Beide Parteien gehen im Revisionsrekursverfahren davon aus, dass die nach einem kontradiktorischen Verfahren ergangene Entscheidung des Landesgerichts Florenz in Rechtskraft erwachsen ist.
Das Rekursgericht hat zutreffend erkannt, dass damit dem vorliegenden Antrag der Klägerin – soweit er inhaltsgleich mit ihrem Antrag vor dem Landesgericht Florenz und der darauf fußenden rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheidung ist – die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht.