-
Zusammenfassung der Entscheidung Der Antragsteller war bei der Antragsgegnerin angestellt. Diese hat das Anstellungsverhältnis gekündigt. Auf Klage des Antragstellers verurteilte die Cour d'appel Douai (FR) die Antragsgegnerin in zweiter Instanz wegen nicht rechtmäßig erfolgter Beendigung des Anstellungsverhältnisses zur Zahlung eines umfänglichen Betrages an diesen. Zu dieser Entscheidung hat der Antragsteller die österreichische Vollstreckungsklausel erwirkt. Gegen die Erteilung der Klausel legte die Antragsgegnerin Beschwerde zum Landesgericht Feldkirch (AT) ein. Sie rügte, das Ursprungsgericht habe die Kündigung als unwirksam angesehen, weil die Kündigungsvoraussetzungen des französischen Arbeitsrechts nicht eingehalten worden seien, wonach der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer zunächst ein Vorgespräch führen und die Kündigung sodann schriftlich per Einschreiben aussprechen müsse. Dies verstoße ebenso wie der dem Antragsteller zugesprochene hohe Betrag gegen den österreichischen ordre public. Die Entscheidung könne deshalb gemäß Art. 34 Nr. 1 Brüssel I-VO nicht anerkannt werden. Gegen die Zurückweisung der Beschwerde legte die Antragsgegnerin Rechtsmittel zum OGH (AT) ein.
Der OGH weist das Rechtsmittel zurück. Ein Verstoß gegen den ordre public setze voraus, dass die ausländische Entscheidung mit der österreichischen Rechtsordnung grundlegend unvereinbar sein, was allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht käme. Dafür müssten Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung verletzt sein. Nicht allein die Anwendung des ausländischen Rechts müsse mit der inländischen Rechtsordnung völlig unvereinbar sein. Auch das konkrete Ergebnis dieser Anwendung müsse im Inland als anstößig gelten. Ein Verstoß gegen den europäischen ordre public komme nur bei einer Missachtung fundamentaler Normen der EU in Betracht. Davon könne bei der mit der Klausel versehenen Entscheidung in keiner Weise die Rede sein, weshalb der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein könne.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Begründung:
Die Vorinstanzen erklärten das Urteil der Cour D'Appel de Douai (Frankreich) vom 31. Mai 2007, Az. RG 06/00487 für Österreich für vollstreckbar. Das Rekursgericht verneinte den von der Verpflichteten geltend gemachten Verstoß gegen den (inländischen) ordre public. Die von der Verpflichteten behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs liege nicht vor, weil die Verpflichtete in dem zum Exekutionstitel führenden arbeitsgerichtlichen Verfahren in Frankreich sowohl in erster als auch zweiter Instanz anwaltlich vertreten gewesen sei. Dass das französische Arbeitsrecht, das als Voraussetzung für eine erfolgreiche Kündigung ein Vorgespräch mit dem Arbeitnehmer über den Grund der Kündigung und eine anschließende schriftliche Kündigung per Einschreiben voraussetze, mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung nicht vereinbar sei, sei nicht nachvollziehbar. Wenn die Nichteinhaltung der wohl jedem Arbeitgeber zumutbaren Formvorschriften dazu führe, dass eine ausgesprochene Entlassung nicht rechtswirksam werde und damit den Arbeitgeber finanzielle Belastungen treffen, liege kein ordre public Verstoß vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Verpflichtete vermag in ihrem Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage nach § 528 Abs. 1 ZPO aufzuzeigen.
Eine Nichtigkeit (allenfalls Mangelhaftigkeit) des Rekursverfahrens infolge unterlassener Sachverhaltsfeststellung (unterbliebener mündlicher Rekursverhandlung zwecks Sachverhaltsfeststellung) ist nicht erkennbar, wenn das Tatsachenvorbringen der Rekurswerberin selbst im Falle seines Zutreffens als rechtlich unmaßgeblich beurteilt wird.
Nach Art. 34 Z. 1 EuGVVO ist eine Entscheidung nicht anzuerkennen, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Mitgliedsstaats in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Ein solcher Verstoß ist nur dann zu bejahen, wenn die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung mit der österreichischen Rechtsordnung völlig unvereinbar wäre. Dazu müsste der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung offensichtlich sein, was verdeutlicht, dass dieser Versagungsgrund nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden kann (RIS Justiz RS0121001). Es handelt sich um eine Ausnahmeregel, von der nur sparsamster Gebrauch gemacht werden darf. Eine Vollstreckung ist nur zu versagen, wenn dem Exekutionstitel mit der inländischen Rechtsordnung vollkommen unvereinbare ausländische Rechtsgedanken zugrunde liegen und daher die Vollstreckbarkeit des ausländischen Titels mit der inländischen Rechtsordnung völlig unvereinbar ist (RIS Justiz RS0002402). Eine schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses genügt ebensowenig wie der bloße Widerspruch zu zwingenden österreichischen Vorschriften. Gegenstand der Verletzung müssen vielmehr Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein. Zweite wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel ist, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht (RIS Justiz RS0110743).
Ein Verstoß gegen den Europäischen ordre public könnte nur dann angenommen werden, wenn eine grobe Missachtung fundamentaler Normen der EU vorläge. Eine Entscheidung aus einem anderen Vertragsstaat darf nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil das Gericht des Vollstreckungsstaats der Ansicht ist, dass in dieser Entscheidung das nationale Recht oder das Gemeinschaftsrecht falsch angewandt worden sei (3 Ob 233/06w mwN). Die von der Revisionsrekurswerberin behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn eine nationale Rechtsordnung Vertragserklärungen an bestimmte Formerfordernisse bindet (persönliche mündliche Erörterung, eingeschriebene Mitteilung), ist nicht erkennbar. Ebensowenig nachvollziehbar ist, dass ein persönliches Gespräch und eine eingeschriebene schriftliche Mitteilung – von hier nicht einmal behaupteten besonderen Ausnahmefällen abgesehen – die unverzügliche Geltendmachung von Entlassungsgründen verhindert. Davon abgesehen wäre eine andere materiell rechtliche Ausgestaltung der Beendigungsmöglichkeiten von Dienstverhältnissen nicht im Widerspruch mit Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung.
Dass es das Rekursgericht ablehnte, die aus mehreren Teilpositionen bestehende Entschädigung für die als ungerechtfertigt beurteilte Auflösung des Dienstverhältnisses zugesprochene Entschädigung von 57.000 EUR als massiv und krass überhöht und völlig unverständlich und deswegen unvereinbar mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung zu beurteilen, bildet keine im Einzelfall vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Die Verpflichtete unterließ es im Übrigen, sich im Einzelnen mit den Bestandteilen des zugesprochenen Schadenersatzes auseinanderzusetzen, sondern behauptete bloß den Zuspruch eines Strafschadenersatzes (punitive damages). Da die Gesamthöhe der zugesprochenen Schadenersatzbeträge nicht einmal ein Jahresgehalt des Betreibenden erreicht und eine Pauschalierung des Schadenersatzes etwa bei Vertragsstrafen auch der österreichischen Rechtsordnung entspricht, besteht kein Anhaltspunkt für den in dieser Richtung behaupteten Verstoß gegen die Vorbehaltsklausel.
Da die Bindung der Wirksamkeit von Vertragserklärungen an – im Übrigen unschwer einzuhaltende – Formvorschriften von vornherein keine Verletzung des rechtlichen Gehörs bewirken kann und kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, dass der Verpflichteten in dem zum Exekutionstitel führenden Verfahren die Möglichkeit, ihren Standpunkt vor Gericht vorzutragen, genommen worden wäre, bedarf es auch keiner Anfrage an den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung der Vorbehaltsklausel des Art. 34 Z. 1 EuGVVO.