I. Sachverhalt
Die 1926 geborene Klägerin, eine österreichische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Östereich (Wien), betraute den Beklagten nach dem Tod ihres Sohnes H***** H***** (Künstlername „F*****“) mit den verschiedensten Geschäftsbesorgungen. Hierzu erteilte sie ihm in den Jahren 2000 und 2004 in Wien schriftliche Generalvollmachten, sie in allen Angelegenheiten zu vertreten. Im Jahr 2006 wurde für die Klägerin wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes endgültig ein Sachwalter bestellt.
Der Wohnsitz des Beklagten, der auch österreichischer Staatsbürger ist, liegt in der Tschechischen Republik (Znojmo). Es kann nicht festgestellt werden, in welchem der beiden Mitgliedsstaaten der Beklagte den überwiegenden Teil der Geschäftsbesorgungen für die Klägerin (Bankgeschäfte, Einrichtung einer Pflegehilfe, eines Heimplatzes etc) verrichtete.
Beide Parteien gehen davon aus, dass es sich bei der hier zu beurteilenden Geschäftsbesorgung um eine Dienstleistung nach Art. 5 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung handelt.
Beim Gerichtshof ist zu C-19/09 ein Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Wien zur Auslegung des Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung anhängig. Zum Unterschied vom vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen konnte dort ein Tätigkeitsschwerpunkt der erbrachten Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat festgestellt werden.
II. Vorbringen der Parteien
Die Klägerin begehrt mit ihrer am 30.1.2007 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (kurz: Erstgericht) eingebrachten Klage Rechnung für die im Zeitraum 20.9.2000 bis einschließlich 7.6.2005 besorgten Geschäfte zu legen (Pkt 1.) sowie den sich auf Grund der Rechnungslegung ergebenden Guthabensbetrag zu zahlen, wobei sich die Klägerin die ziffernmäßige Festsetzung des Zahlungsbegehrens bis zur Rechnungslegung vorbehält (Pkt 2.). Weiters begehrt sie vom Beklagten die Herausgabe von zwei Fahrzeugen (der Marke Mercedes 500 und 560 SEL) und von vier Breitling-Uhren (Pkt 3.).
Zusammengefasst bringt die Klägerin zum Rechnungslegungsbegehren vor, dass nach der dem Sachwalter vorliegenden Aktenlage mehr als ATS 10 Mio (rund EUR 726.700,‑) durch Barbehebungen oder mittels Scheck von Konten der Klägerin abgehoben worden seien, wobei der Verwendungszweck nicht nachvollziehbar sei. Trotz wiederholter Aufforderung verweigere der Beklagte sowohl die Rechnungslegung als auch die Vorlage von Belegen. Die Klägerin sei Eigentümerin sowohl der Fahrzeuge als auch der vier Breitling-Uhren, welche der Beklagte offenbar verwahre, aber deren Herausgabe er verweigere.
Zur Zuständigkeit beruft sich die Klägerin primär auf Art. 5 Nr. 1 lit. b, aber auch auf Art. 5 Nr. 1 lit. a und Art. 5 Nr. 3 der Brüssel I-Verordnung. Die auf Grund der Generalvollmacht für die Klägerin zu tätigenden Geschäfte seien zum Großteil in Österreich durchzuführen gewesen, welche die Anwesenheit des Beklagten als Machthaber erfordert hätten. In Österreich befinde sich der Wohnsitz der Klägerin, der Sitz der Privatstiftung, das für die Klägerin zu verwaltende Vermögen. Namentlich würden sämtliche Konten der Klägerin von österreichischen Banken geführt werden.
Der Beklagte erhob in seiner Klagebeantwortung die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit (inhaltlich auch: der fehlenden internationalen Zuständigkeit). Zwar liege ein Dienstleistungsvertrag iSd Art. 5 Nr. 1 lit. 2 zweiter Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung vor, doch liege der örtliche Schwerpunkt der vom Beklagten erbrachten Dienstleistungen in der Tschechischen Republik, in Znojmo. Von seinem dortigen Wohnsitz aus habe er viele Tätigkeiten für die Klägerin erbracht, so etwa den Auftrag zum Umbau der Wohnung, Begleichung von Rechnungen, Einstellung und Entlohnung von Pflegepersonal, sodass dort der Erfüllungsort der charakteristischen Leistung liege. Mangels eines Wohnsitzes des Beklagten in Österreich seien die Gerichte der Tschechischen Republik zuständig.
Das Klagebegehren sei auch inhaltlich nicht berechtigt. Der Vorwurf, er habe von Konten der Klägerin mehr als ATS 10 Mio (rund EUR 726.700,‑) behoben, sei aus der Luft gegriffen. Er habe nach Absprache mit der Klägerin von ihren Konten Geld abgehoben und zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse verwendet. Seine Pflicht zur Rechnungslegung habe er bereits erfüllt. Er habe die Belege und Aufstellung der Ausgaben der Klägerin gezeigt und mit ihr durchbesprochen. Im Fall ihres Einverständnisses habe er die Belege, weil er sie nicht mehr benötigt habe, vernichtet. Dennoch sei er bereit, neuerlich Rechnung zu legen und verwies auf seinen Schriftsatz vom 19.2.2007 in dem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren, worin er die Aufwendungen für die Klägerin aufgelistet habe.
Der Beklagte bestritt auch das Herausgabebegehren.
Das Fahrzeug Mercedes 560 SEL stehe zwar in seiner Garage, er habe aber den Sachwalter bereits mehrfach aufgefordert, das Fahrzeug abzuholen. Ein Mercedes 500 sei ihm unbekannt. Hingegen stehe ein Fahrzeug Mercedes 280 in der Villa der Klägerin in Österreich (Gars/Niederösterreich). Typenscheine dieser Fahrzeuge befänden sich nicht in seiner Gewahrsame. Ihm seien nur drei Breitling-Uhren bekannt. Zwei davon habe er von der Klägerin zwischen 2001 und 2003 als Weihnachtsgeschenk erhalten. Eine Uhr habe ein Verwandter an sich genommen.
III. Bisheriges Verfahren
Mit der angefochtenen Zuständigkeitsentscheidung (Beschluss ON 28) wies das Erstgericht die Einrede der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit ab. Dazu traf es im Beschluss folgende Feststellungen:
„Während die Klägerin ihren ständigen Wohnsitz in Österreich hat, hat ihn der Beklagte in Znaim, Tschechien. Er verfügt über eine Liegenschaft in Österreich, (...), auf der sich ein Einfamilienhaus befindet, wo sich der Beklagte aber nur unregelmäßig aufhält. Der Beklagte hat ein Büro an der tschechischen Grenze, nämlich in Excalibur-City (Anmerkung: in der Tschechischen Republik), von wo er seine geschäftlichen Tätigkeiten auch für die Klägerin abwickelt. Der Beklagte verfügt sowohl über einen tschechischen Personalausweis als auch über einen österreichischen Pass. Von wo aus bzw in welchem Staat der Beklagte den überwiegenden Teil der Geschäftsbesorgungsleistungen, wie zB Bankgeschäfte, Einrichtung einer Pflegehilfe bzw eine Heimplatzes etc für die Klägerin verrichtete, konnte nicht festgestellt werden. Der Beklagte tätigte Barzahlungen für die Klägerin durch seine Sekretärin bei der R***** R***** (Anmerkung: einer Bank in Österreich). Barabhebungen vom Konto der Klägerin nimmt er selbst bei der Bank in Österreich vor. Es konnte überdies nicht festgestellt werden, ob die Parteien eine schIüssige Rechtswahl bzw Zuständigkeitsregelung getroffen haben. (...)
Gegen den Beklagten wurde auf Grund von Verdachtsmomenten auf strafbare Handlungen im Zusammenhang mit dem Vermögen der Klägerin parallel ein Strafverfahren zu 221 Ur 168/06m beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingeleitet, das noch nicht rechtskräftig beendet wurde.“
In seiner rechtlichen Beurteilung bejahte das Erstgericht den Wahlgerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich der BrüsseI I-Verordnung. Der Erfüllungsort bestimme sich autonom nach der Brüssel I-Verordnung; mangels Vereinbarung sei auf tatsächliche Kriterien abzustellen. Würden tatsächlich mehrere Erfüllungsorte existieren, könne der Kläger die Klage für alle Ansprüche bei jedem beliebigen Gericht seines Dienstleistungsortes einbringen. Der Kläger habe ein Wahlrecht, weil nicht habe festgestellt werden können, worin die Hauptleistung des Geschäftsbesorgungsvertrages bestanden habe noch wo der überwiegende Teil der jeweiligen Einzelleistungen erbracht worden sei. Die inländische Gerichtsbarkeit liege vor.
Hingegen könne die inländische Gerichtsbarkeit nicht auf Art. 5 Nr. 3 der Brüssel I-Verordnung gestützt werden, weil Ansprüche aus Pflichten abgeleitet würden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit einern Vertrag stünden, sodass der deliktische Aspekt in den Hintergrund trete.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Klage wegen des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit zurückzuweisen. Es sei auf den allgemeinen Gerichtsstand nach Art. 2 der Brüssel I-Verordnung, auf den Wohnsitz des Beklagten, abzustellen sei, der in der Tschechischen Republik liege. Vorn Wahlgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung könne dann kein Gebrauch gemacht werden, wenn mehrere Erfüllungsorte in verschiedenen Mitgliedsstaaten in Betracht kämen und ein Erfüllungsort nicht eindeutig ermittelt werden könne. Die Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofes 7 Ob 112/07g sei auf den hier zu beurteilenden Fall nicht übertragbar, weil dort mehrere Erfüllungsorte in ein und demselben Mitgliedsstaat gelegen seien.
Die Klägerin beantragt mit ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben und wendet ein, der Erfüllungsort nach Art. 5 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung liege vor. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten des Beklagten für die Klägerin liege in Österreich, sodass der Beklagte frei zwischen den in Österreich bestehenden Erfüllungsorten wählen könne. Aus den Umständen, die zum Abschluss des Bevollmächtigungsvertrages geführt hätten, ergebe sich zweifelsfrei, dass die Geschäfte für die Klägerin in Österreich zu erledigen gewesen seien und die Anwesenheit des Beklagten als Machthaber oder seiner Botin/ Boten in Österreich erfordert hätten.
IV. Gemeinschaftsrecht
Die Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel I-Verordnung Nr. 44/2001 finden sich in deren Kapitel II, das die Art. 2 bis 21 umfasst.
In Art. 2 Abs. 1 der Brüssel I-Verordnung, der zu Kapitel II Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften“) gehört, heißt es:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“
Art. 3 Abs. 1 der Brüsse1 I-Verordnung, der zum selben Abschnitt gehört, bestimmt:
„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“
Art. 5 der Brüssel I-Verordnung, der zu Kapitel II Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) gehört, sieht vor:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;
b) im Sinn dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung
– für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
– für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;
c) ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a); ....“
V. Berechtigung zur Vorlage an den Gerichtshof
Das Rekursgericht beabsichtigt, die Entscheidung des Erstgerichts, wonach die Einreden der mangelnden internationalen Zuständigkeit sowie der (internationalen) örtlichen Unzuständigkeit verworfen werden, zu bestätigen. Die Entscheidung des vorlegenden Rekursgerichts kann daher nicht mehr mit einem Rechtsmittel nach innerstaatlichem Recht angefochten werden. Beim Rekursgericht handelt es sich damit um die funktionell letzte Instanz gemäß Art. 68 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 234 des EG-Vertrags, weshalb es zur Vorlage an den Gerichtshof berechtigt ist.
VI. Begründung der Vorlage und der Auslegungsfrage:
1. Die Neuregelung des Art. 5 Nr. 1 lit. b der BrüsseI I-Verordnung normiert für Kauf- und Dienstleistungsverträge eine autonome Bestimmung des Erfüllungsorts. Nach dieser Regelung ist nicht auf die verletzte, sondern auf die charakteristische Vertragsleistung abzustellen. Mangels einer konkreten Vereinbarung über den Erfüllungsort ist bei dessen Bestimmung primär an tatsächlichen und nicht an rechtlichen Kriterien anzuknüpfen. In erster Linie ist daher der Ort maßgeblich, an dem die Lieferung bzw Leistung tatsächlich erbracht wurde (RIS-Justiz RS0l18365; 1 Ob 63/03a; 6 Ob 148/04i; 6 Ob 63/08w; siehe auch deutscher Bundesgerichtshof [BGH] zur Geschäftszahl IX ZR 15/05 = NJW 2006, 1806; Brenn, Europäischer Zivilprozess Rn. 71).
2. Über Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Obersten Gerichtshofes zur Geschäftszahl 7 Ob 149/05w (Folgeentscheidung: 7 Ob l12/07g) hatte sich der Gerichtshof in der Rechtssache C-386/05 – Color Drack mit dem Fall zu beschäftigen, dass bei einem Streit aus dem Verkauf beweglicher Sachen mehrere Lieferorte in Österreich bestanden.
In seiner Entscheidung hält der Gerichtshof dazu fest, dass Art. 5 Nr. 1 lit. b erster Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung im Lichte der Entstehungsgeschichte, der Ziele und der Systematik der Verordnung auszulegen sei. Demnach solle die Zuständigkeit für die Parteien in hohem Maß vorhersehbar sein. Der Grund für die in Rede stehende Bestimmung liege in der engen Verknüpfung von Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht. Auf diese Weise habe der Gemeinschaftsgesetzgeber beabsichtigt, eine einheitliche Zuständigkeit für alle Klagen aus einern Vertrag zu begründen. Es solle somit nur ein Gericht für die Entscheidung über alle Klagen aus dem Vertrag zuständig sein. Der Lieferort sei demnach autonomes Anknüpfungskriterium für sämtliche Klagen aus einem Vertrag (Randnumrner [Rn] 18, 26 und 38 f). Zudem hält der Gerichtshof fest, dass Art. 5 Nr. 1 lit. b erster Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung sowohl bei einern einzigen als auch bei mehreren Lieferorten Anwendung finde (Rn 28; vgl sodann Rn. 36).
Ausgehend von diesen Erwägungen gelangte der Gerichtshof zum Ergebnis, dass auch bei mehreren Lieferorten als Erfüllungsort grundsätzlich jener Ort zu verstehen sei, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht bestehe. In einem solchen Fall sei die engste Verknüpfung im Allgemeinen am Ort der Hauptlieferung gegeben, die nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmen sei (Rn 40). Könne der Ort der Hauptlieferung nicht festgestellt werden, weise jeder der Lieferorte eine hinreichende Nähe zum Sachverhalt des Rechtsstreits und damit eine für die gerichtliche Zuständigkeit maßgebliche Verknüpfung auf. In einem solchen Fall könne der Kläger den Beklagten auf der Grundlage von Art. 5 Nr. 1 lit. b erster Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung – in Ansehung sämtlicher Ansprüche aus dem Vertrag – vor dem Gericht des Lieferorts seiner Wahl verklagen (Rn 42).
3. In Rn. 16 dieser Entscheidung weist der Gerichtshof ausdrücklich darauf hin, dass sich seine Erwägungen auf den Fall mehrerer Lieferorte in einem einzigen Mitgliedstaat beschränken und einer Entscheidung im Fall mehrerer Lieferorte in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht vorgreifen würden.
Dazu ist zunächst zu bemerken, dass sich die genannte Einschränkung in Rn. 28 der Entscheidung, wonach die in Rede stehende Bestimmung sowohl bei einem einzigen als auch bei mehreren Lieferorten zur Anwendung gelange, nicht findet. Eine divergierende Beurteilung wäre nach Ansicht des Rekursgerichts nicht sachgerecht. Die allgemeinen Auslegungsregeln für die Zuständigkeitsbestimmungen (hier) des Art. 5 Nr. 1 der Brüsse1 I-Verordnung gelten auch für den Fall, dass sich die mehreren Lieferorte in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden. Auch in diesem Fall soll somit ein einziges Gericht über sämtliche Streitigkeiten aus dem Vertrag entscheiden und eine Aufspaltung der gerichtlichen Zuständigkeit vermieden werden. Das zuständige Gericht soll nach der räumlichen Nähe zur Vertragserfüllung bestimmt werden. Dies wird dadurch erreicht, dass sich die Zuständigkeit entweder nach dem Ort der Hauptlieferung (bzw der Hauptleistung oder dem Tätigkeitsschwerpunkt) oder bei gleichrangigen Leistungen nach der Wahl des Klägers bestimmt. Auch das Kriterium der Vorhersehbarkeit des Prozessmitgliedstaats (vg1 Rn. 44 der Entscheidung Rs C-386/05 – Color Drack) ist bei Bestimmbarkeit der Hauptlieferung bzw der Hauptleistung ohne weiteres gegeben. Bei mehreren gleichrangigen Lieferungen beschränkt sich die Zuständigkeit auf diejenigen (in der Regel wenigen) Mitgliedstaaten, in die geliefert oder in denen die Leistung erbracht wird. Auch in dieser Hinsicht ist die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit durchaus zu bejahen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Art. 5 Nr. 1 der Brüsse1 I-Verordnung nicht nur die internationale Zuständigkeit, sondern die (international) örtliche Zuständigkeit regelt. Als Anknüpfungskriterium muss daher der maßgebliche Lieferort bzw Ort der Leistungserbringung innerhalb der Gemeinschaft als einem einheitlichen Rechtsgebiet im Vordergrund stehen und nicht das Kriterium, dass sich die Erfüllungsorte in mehrerer Mitgliedstaaten liegen. Hierzu weist der Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Color Drack (Rn 109) zutreffend darauf hin, dass die Vertragsparteien zur Stärkung der Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit die Möglichkeit, von dem zu beurteilenden Wahlgerichtsstand Gebrauch zu machen, durch Vereinbarung einschränken oder ausschließen können.
Nach Ansicht des Rekursgerichtes sind die Grundsätze aus der Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache Color Drack sornit ohne weiteres auf jene Fälle zu übertragen, in denen sich die Orte, in denen geliefert oder die Leistung erbracht wird, in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten befinden.
4. Nach übereinstimmender Auffassung beider Parteien liegt eine Geschäftsbesorgung vor, die dem Begriff der Dienstleistung des Art. 5 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung entspricht. Diese Geschäftsbesorgung umfasste eine Vielzahl von Einzelleistungen. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, von welchem Mitgliedsstaat aus (Österreich oder Tschechische Republik) der Beklagte den überwiegenden Teil der Geschäftsbesorgungen verrichtete. Auch wenn der Beklagte einen Teil der Geschäftsbesorgung von seinem Wohnsitz oder von seinem Büro in der Excalibur-City in der Tschechischen Republik, nahe der tschechisch-österreichischen Grenze, aus erledigte, lag auf Grund der konkreten Umstände dieser Geschäftsbesorgung eine enge Verknüpfung zu Österreich vor. Die betagte Klägerin war auf Unterstützung angewiesen und erteilte deshalb Generalvollmacht an den Beklagten. Bereits damals hatte sie ihren Wohnsitz in Wien; ihr Vermögen in Form von Bankguthaben und einer Liegenschaft in Gars/Kamp (EZ 608 Grundbuch 10021 Gars/Kamp) befanden (und befinden) sich in Österreich. Für den Beklagten war erkennbar, dass er Geschäftsbesorgungen für die hilfsbedürftige Klägerin auch in Österreich und auch an deren Wohnort in Wien zu verrichten haben werde. Er brachte selbst vor, dass er nicht nur Bankgeschäfte erledigt, sondern auch Aufträge für den Umbau der Wohnung der Klägerin erteilt, Rechnungen hiefür beglichen, Pflegepersonal eingestellt und entlohnt habe. Er habe mit der Klägerin persönlich die Aufstellung der von ihm getätigten Ausgaben besprochen, ihr die Belege gezeigt und erst danach habe er die erforderlichen Beträge von den Konten abgehoben (ON 8 Seite 8).
Der Beklagte erbrachte seine Leistungen an mehreren Orten in der Tschechischen Republik und in Österreich, ohne dass ein örtlicher Schwerpunkt seiner Leistungen festgestellt werden konnte. Da einer der Erfüllungsorte in Wien lag, besteht eine ausreichend enge Verknüpfung zu dem von der Klägerin angerufenen Gericht. Eine solche Zuständigkeit war für den Beklagten vorhersehbar, weil er mit einer Vielzahl von Geschäften betraut wurde und die hilfsbedürftige Klägerin ihren Wohnsitz in Wien hatte und hat.
5. Auch wenn nach Ansicht des Rekursgerichtes die Grundsätze aus der Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache C-386/05 – Color Drack auf den vorliegenden Fall übertragen werden können, ist das Entscheidungsersuchen erforderlich. Der Gerichtshof wies in der Rn. 16 der Entscheidung Color Drack ausdrücklich darauf hin, dass sich seine Erwägungen auf den Fall mehrerer Lieferorte in einem einzigen Mitgliedstaat beschränken und diese einer Entscheidung im Fall mehrerer Lieferorte in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht vorgreifen würden. Auch der GeneralanwaIt Bot beschränkte insbesondere in den Rn. 112 bis 115 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Color Drack die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung auf den Fall, dass sich alle Erfüllungsorte des Vertrags in einem einzigen Mitgliedstaat befinden. In der Fußnote 30 seiner Schlussanträge vertritt er – unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-256/00 – Besix, Slg 2002, I-1699 – sogar die Ansicht, dass bei mehreren Lieferorten in verschiedenen Mitgliedstaaten Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung mangels ausreichender Vorhersehbarkei t der gerichtlichen Zuständigkeit nicht anwendbar wäre.
Das Rekursgericht hält die Grundsätze der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache C-256/00 – Besix auf den vorliegenden Fall für nicht übertragbar, weil auf ganz bestimmte, in der Regel wenige Mitgliedstaaten beschränkte Liefer- oder Leistungspflichten nicht mit geografisch unbegrenzten Unterlassungspflichten vergleichbar sind. Dennoch kann die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts nicht als derart offenkundig angesehen werden, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum verbliebe. Aus diesem Grund sieht sich das Rekursgericht zur Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof veranlasst.
In diesem Sinn weist etwa auch Hau (Der europäische Vertragsgerichtsstand im Fall einer Mehrzahl von Lieferorten, Zak 2007/336, 189) in einer Besprechung des Urteils in der Rechtssache Color Drack darauf hin, dass sich die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 5 Nr. 1 li t b der Brüssel I-Verordnung wirklich dringend erst dann stellen werde, wenn über einen Vertrag zu be- finden sei, der Handlungspflichten in verschiedenen Mitgliedstaaten vorsehe. Leible/Reinert (Anmerkung zur Entscheidung Color Drack in EuZW 2007, 372) halten es für bedauerlich, dass der deutsche Bundesgerichtshof in der zur Geschäftszahl IX ZR 15/05 zu beurteilenden Rechtssache den Gerichtshof nicht um Vorabentscheidung ersucht habe, weil keineswegs sicher sei, ob der Gerichtshof der wenn auch überzeugend begründeten Entscheidung über den Schwerpunkt der Anwaltsdienstleistungen am Kanzleiort tatsächlich gefolgt wäre
6. Abschließend weist das Rekursgericht darauf hin, dass mögliche Einwendungen gegen die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit bei mehreren Liefer- bzw Leistungsorten in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht nur zu Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung, sondern in der Regel (außer vielleicht bei reinen Zahlungsklagen) gleichermaßen bei der Bestimmung des Erfüllungsorts nach der verletzten Vertragsleistung im Sinn des Art. 5 Nr. 1 lit. a der Brüssel I-Verordnung ins Treffen geführt werden könnten. Sollte der Gerichtshof die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I Verordnung auf den vorliegenden Fall verneinen, so müsste dies nach Ansicht des Rekursgerichts auch für die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 1 lit. a der Brüssel I Verordnung gelten (siehe dazu die Rn. 30 der Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache C-386/05 – Color Drack). In diesem Fall könnte daher nur auf die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Art. 2 der Brüssel I-Verordnung zurückgegriffen werden.
VII. Der Ausspruch über die Aussetzung des Rekursverfahrens beruht auf § 90a Abs. 1 GOG.