Der Geschäftsführer der Klägerin, A.D., war zunächst persönlich als selbständiger Handelsvertreter für die Beklagte in Österreich, in Italien, in den baltischen Staaten sowie auch in der Schweiz tätig. In der Folge brachte er sein Unternehmen in die Klägerin ein. A.D. versuchte, seine Tätigkeit so weit wie möglich von Österreich (Amstetten) aus zu entfalten. In dieser Hinsicht lag der Aufwand für seine Vermittlungstätigkeit für die Beklagte zu 70 % in Österreich und zu 30 % im Ausland.
2. Vorbringen der Parteien:
Mit der am 21.8.2007 beim Landesgericht Sankt Pölten als Handelsgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin, die Beklagte zur Zahlung von EUR 111.458,60 samt Zinsen und Kosten zu verurteilen. Zur Begründung brachte sie vor, dass die Beklagte mit Schreiben vom 2.4.2007 den Handelsvertretervertrag zu Unrecht vorzeitig aufgelöst habe. Der Klägerin gebühre daher Kündigungsentschädigung nach § 23 des Handelsvertretergesetzes (HVertrG) in Höhe von EUR 27.864,65. Zudem gebühre ihr ein Ausgleichsanspruch gemäß § 24 HVertrG im Betrag von EUR 83.593,95.
Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief sich die Klägerin auf Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung. Die Klägerin sei ausschließlich in Österreich, nämlich an ihrem Sitz in Amstetten tätig geworden. Die Anwerbung bzw. Gewinnung von Kunden sei somit in Österreich erfolgt.
In ihrer Klagebeantwortung erhob die Beklagte zunächst die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit sowie der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit. Dazu brachte sie vor, dass nur 24,9 % des von A.D. herbeigeführten Umsatzes auf Geschäfte in Österreich zurückzuführen seien, während er mehr als drei Vierteil des Umsatzes im Ausland erwirtschaftet habe. Da der Kläger in mehreren Ländern tätig gewesen sei, kämen als Erfüllungsort des Vertrags verschiedene Länder in Betracht. Für diesen Fall enthalte Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung keine ausdrückliche Regel. Könne der Erfüllungsort der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Verpflichtung deshalb nicht bestimmt werden, weil es sich dabei um eine geografisch unbegrenzt geltende Pflicht handle, sei Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung nicht anwendbar. In diesem Fall sei daher die Bestimmung des Art. 2 der Brüssel I-Verordnung maßgeblich.
Auch inhaltlich bestehe das Klagebegehren nicht zu Recht. A.D. habe das Unternehmen „Handelsvertretung“ nicht in die klagende Gesellschaft eingebracht, zumal die Vermittlung von Geschäften nicht zu deren Unternehmensgegenstand gehöre. Die Klägerin sei daher nicht zur Vertragspartnerin aus dem Handelsvertretervertrag geworden. Zudem habe A.D. anlässlich der Besprechung vom 30.3.2008 erklärt, nicht mehr für die Beklagte arbeiten und dementsprechend das Vertragsverhältnis aufkündigen zu wollen. Sollte von einer Kündigung der Beklagten zum 2.4.2007 ausgegangen werden, so sei diese als berechtigte vorzeitige Auflösung nach § 22 HVertrG zu beurteilen. A.D. habe seine Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllt und zudem versucht, der Beklagten in unzulässiger Weise Mitarbeiter bzw. Vertragspartner abzuwerben. Schließlich werde aus den vom Geschäftsführer der Klägerin herbeigeführter Schäden der Betrag von EUR 13.722,08 einer allenfalls zu Recht bestehenden Klagsforderung gegenüber als Gegenforderung compensando eingewendet.
3. Bisheriges Verfahren:
Mit der angefochtenen Zuständigkeitsentscheidung wies das Erstgericht die Einreden der örtlichen Unzuständigkeit und der fehlenden internationalen Zuständigkeit ab. Dazu traf es die im Beschluss mit der Ordnungsnummer 21, Seiten 2 unten und 3 oben, angeführten Feststellungen, die wie folgt lauten:
„Der Geschäftsführer der Klägerin war zunächst persönlich als selbständiger Handelsvertreter der Beklagten für das Gebiet Österreich, die Schweiz, Italien und die baltischen Staaten tätig und brachte sein Unternehmen in der Folge in die Klägerin ein. Bei seiner Tätigkeit stellte A.D. den Kontakt mit den Kunden großteils telefonisch oder per E-Mail vom Büro der Klägerin in Amstetten aus her. Teilweise fuhr er zu Kunden, teilweise kamen diese zu ihm. A.D. versuchte, seine Tätigkeit so weit wie möglich von Österreich aus zu entfalten. Der Aufwand für die Vermittlungstätigkeit lag zu 70 % in Österreich (Amstetten) und zu 30 % im Ausland.“
In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, dass der Dienstleistungsbegriff im Sinn des Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung weit auszulegen und lediglich von jenen Verträgen abzugrenzen sei, die zu einer Sondermaterie wie Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsrechtssachen gehörten. Auch die Tätigkeit des Handelsvertreters falle unter den Dienstleistungsbegriff. Nach der Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs (OGH) sei bei der Leistungserbringung an mehreren Orten auf den Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen. Da der Schwerpunkt der Tätigkeit von A.D. in Amstetten gelegen gewesen sei, sei die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung in der Weise abzuändern, dass der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit und der fehlenden internationalen Zuständigkeit Folge gegeben und die Klage zurückgewiesen werde.
Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Klägerin, dem Rechtsmittel der Beklagten den Erfolg zu versagen.
In ihrem Rekurs führt die Beklagte aus, dass sich die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Geschäftszahl 6 Ob 63/08w (siehe auch 7 Ob 112/07g) nur auf den Fall beziehe, dass sich die mehreren Lieferorte in einem einzigen Mitgliedstaat befänden. Nach dem der zitierten Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sei die inländische Zuständigkeit somit gar nicht streitgegenständlich gewesen. Seien die mehreren Lieferorte jedoch in verschiedenen Mitgliedstaaten gelegen, so sei jedes Gericht nur für jene (Teil)Verpflichtung zuständig, die am Gerichtsort erfüllt werden müsse. Wolle der Kläger seine gesamten Ansprüche bei nur einem Gericht geltend machen, so könne er nur die Bestimmung des Art. 2 der Brüssel I-Verordnung in Anspruch nehmen. Da die Klägerin ihre Gesamtansprüche geltend mache, sei das angerufene Gericht demnach unzuständig.
4. Gemeinschaftsrecht:
Die Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel I-Verordnung Nr. 44/2001 finden sich in deren Kapitel II, das die Art. 2 bis 21 umfasst.
In Art. 2 Abs. 1 der Brüssel I-Verordnung, der zu Kapitel II Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften“) gehört, heißt es:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“
Art. 3 Abs. 1 der Brüssel I-Verordnung, der zum selben Abschnitt gehört, bestimmt:
„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“
Art. 5 der Brüssel I-Verordnung, der zu Kapitel II Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) gehört, sieht vor:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;
b) im Sinn dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung
– für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
– für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;
c) ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a); ....“
5. Berechtigung zur Vorlage an den Gerichtshof:
Das Rekursgericht beabsichtigt, die Entscheidung des Erstgerichts, wonach die Einreden der mangelnden internationalen Zuständigkeit sowie der (internationalen) örtlichen Unzuständigkeit verworfen werden, zu bestätigen. Die Entscheidung des vorlegenden Rekursgerichts kann daher nicht mehr mit einem Rechtsmittel nach innerstaatlichem Recht angefochten werden. Beim Rekursgericht handelt es sich damit um die funktionell letzte Instanz gemäß Art. 68 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 234 des EG-Vertrags, weshalb es zur Vorlage an den Gerichtshof berechtigt ist.
6. Begründung der Vorlage und der Auslegungsfrage:
Die Neuregelung des Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung normiert für Kauf- und Dienstleistungsverträge eine autonome Bestimmung des Erfüllungsorts. Nach dieser Regelung ist nicht auf die verletzte, sondern auf die charakteristische Vertragsleistung abzustellen. Mangels einer konkreten Vereinbarung über den Erfüllungsort ist bei dessen Bestimmung primär an tatsächlichen und nicht an rechtlichen Kriterien anzuknüpfen. In erster Linie ist daher der Ort maßgeblich, an dem die Lieferung bzw. Leistung tatsächlich erbracht wurde (RIS-Justiz RS0118365; 1 Ob 63/03a; 6 Ob 148/04i; 6 Ob 63/08w; siehe auch deutscher Bundesgerichtshof [BGH] zur Geschäftszahl IX ZR 15/05 = NJW 2006, 1806; Brenn, Europäischer Zivilprozess Rn. 71).
7.1 Über Vorabentscheidungsersuchen des OGH zur Geschäftszahl 7 Ob 149/05w (siehe dazu 7 Ob 112/07g) hatte sich der Gerichtshof in der Rechtssache C-386/05 – Color Drack mit dem Fall zu beschäftigen, dass bei einem Streit aus dem Verkauf beweglicher Sachen mehrere Lieferorte in Österreich bestanden.
In seiner Entscheidung hält der Gerichtshof dazu fest, dass Art. 5 Nr. 1 lit. b erster Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung im Lichte der Entstehungsgeschichte, der Ziele und der Systematik der Verordnung auszulegen sei. Demnach solle die Zuständigkeit für die Parteien in hohem Maß vorhersehbar sein. Der Grund für die in Rede stehende Bestimmung liege in der engen Verknüpfung von Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht. Auf diese Weise habe der Gemeinschaftsgesetzgeber beabsichtigt, eine einheitliche Zuständigkeit für alle Klagen aus einem Vertrag zu begründen. Es solle somit nur ein Gericht für die Entscheidung über alle Klagen aus dem Vertrag zuständig sein. Der Lieferort sei demnach autonomes Anknüpfungskriterium für sämtliche Klagen aus einem Vertrag (Rn. 18, 26 und 38 f). Zudem hält der Gerichtshof fest, dass Art. 5 Nr. 1 lit. b erster Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung sowohl bei einem einzigen als auch bei mehreren Lieferorten Anwendung finde (Rn 28; vgl. sodann Rn. 36).
Ausgehend von diesen Erwägungen gelangt der Gerichtshof zum Ergebnis, dass auch bei mehreren Lieferorten als Erfüllungsort grundsätzlich jener Ort zu verstehen sei, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht bestehe. In einem solchen Fall sei die engste Verknüpfung im Allgemeinen am Ort der Hauptlieferung gegeben, die nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmen sei (Rn. 40). Könne der Ort der Hauptlieferung nicht festgestellt werden, weise jeder der Lieferorte eine hinreichende Nähe zum Sachverhalt des Rechtsstreits und damit eine für die gerichtliche Zuständigkeit maßgebliche Verknüpfung auf. In einem solchen Fall könne der Kläger den Beklagten auf der Grundlage von Art. 5 Nr. 1 lit. b erster Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung – in Ansehung sämtlicher Ansprüche aus dem Vertrag – vor dem Gericht des Lieferorts seiner Wahl verklagen (Rn. 42).
7.2 In Rn. 16 dieser Entscheidung weist der Gerichtshof ausdrücklich darauf hin, dass sich seine Erwägungen auf den Fall mehrerer Lieferorte in einem einzigen Mitgliedstaat beschränken und einer Entscheidung im Fall mehrerer Lieferorte in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht vorgreifen würden.
Dazu ist zunächst zu bemerken, dass sich die genannte Einschränkung in Rn. 28 der Entscheidung, wonach die in Rede stehende Bestimmung sowohl bei einem einzigen als auch bei mehreren Lieferorten zur Anwendung gelange, nicht findet. Eine divergierende Beurteilung wäre nach Ansicht des Rekursgerichts nicht sachgerecht. Die allgemeinen Auslegungsregeln für die Zuständigkeitsbestimmungen (hier) des Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung gelten auch für den Fall, dass sich die mehreren Lieferorte in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden. Auch in diesem Fall soll somit ein einziges Gericht über sämtliche Streitigkeiten aus dem Vertrag entscheiden und eine Aufspaltung der gerichtlichen Zuständigkeit vermieden werden. Das zuständige Gericht soll nach der räumlichen Nähe zur Vertragserfüllung bestimmt werden. Dies wird dadurch erreicht, dass sich die Zuständigkeit entweder nach dem Ort der Hauptlieferung (bzw. der Hauptleistung oder dem Tätigkeitsschwerpunkt) oder bei gleichrangigen Leistungen nach der Wahl des Klägers bestimmt. Auch das Kriterium der Vorhersehbarkeit des Prozessmitgliedstaats (vgl Rn. 44 der Entscheidung Rs C-386/05 – Color Drack) ist bei Bestimmbarkeit der Hauptlieferung bzw. der Hauptleistung ohne weiteres gegeben. Bei mehreren gleichrangigen Lieferungen beschränkt sich die Zuständigkeit auf diejenigen (in der Regel wenigen) Mitgliedstaaten, in die geliefert oder in denen die Leistung erbracht wird. Auch in dieser Hinsicht ist die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit durchaus zu bejahen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung nicht nur die internationale Zuständigkeit, sondern die (international) örtliche Zuständigkeit regelt. Als Anknüpfungskriterium muss daher der maßgebliche Lieferort bzw. Ort der Leistungserbringung innerhalb der Gemeinschaft als einheitliches Rechtsgebiet und nicht jenes der Existenz mehrerer Mitgliedstaaten im Vordergrund stehen. In dieser Hinsicht weist der Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Color Drack (Rn. 109) zutreffend darauf hin, dass die Vertragsparteien zur Stärkung der Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit die Möglichkeit, von dem zu beurteilenden Wahlgerichtsstand Gebrauch zu machen, durch Vereinbarung einschränken oder ausschließen können.
7.3 Nach Ansicht des Rekursgerichts sind die Grundsätze aus der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Color Drack somit ohne weiteres auf jene Fälle zu übertragen, in denen sich mehrere Lieferorte in unterschiedlichen Mitgliedstaaten befinden.
8.1 Auch Leible (in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht2 Art. 5 der Brüssel I-Verordnung Rn. 55) unterscheidet nicht, ob die mehreren Lieferorte in einem Mitgliedstaat oder in mehreren Mitgliedstaaten gelegen sind. Wolle man bei mehreren Lieferorten auf den besonderen Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung nicht ganz verzichten, so bleibe nur eine Schwerpunktbestimmung. Bei Dienstleistungen weise der Streitgegenstand die engste Verknüpfung zu dem Ort auf, an dem der Tätigkeitsschwerpunkt des Dienstleistungserbringers liege. Bei Anwaltsverträgen werde dies regelmäßig der Ort des Kanzleisitzes sein und bei Vertriebsvereinbarungen der Ort, an dem die Hauptniederlassung des Handelsvertreters oder Vertragshändlers situiert sei.
8.2 Der deutsche Bundesgerichtshof hat schon im Jahr 2006 zur Geschäftszahl IX ZR 15/05 (NJW 2006, 1806) ausgesprochen, dass für die Erbringung der Dienstleistung und der Gegenleistung einheitlicher Erfüllungsort der Ort der vertragscharakteristischen Leistung sei. Sei eine Dienstleistung in mehreren Mitgliedstaaten zu erbringen, so sei als einziger Erfüllungsort, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweise, der Ort zu bestimmen, in dem der Schwerpunkt der Tätigkeit liege. Müsse der Anwalt einen Teil seiner Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat erbringen, so seien für die Bestimmung des einheitlichen Erfüllungsorts Zeitaufwand und Bedeutung der Tätigkeitsanteile in einer Gesamtschau abzuwägen.
8.3 Für die hier vertretene Ansicht kann auch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache C-37/00 – Weber, die in Ansehung eines Individualarbeitsvertrags zu Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens „Brüssel I“ (EuGVÜ) ergangen ist, ins Treffen geführt werden. Für Individualarbeitsverträge war schon nach dem EuGVÜ für die Bestimmung des Erfüllungsorts die charakteristische Vertragsleistung, also die Arbeitsleistung, maßgeblich (EuGH 15.1.1987 Rs 266/85 – Shenavai, Slg. 1987, 239; s auch EuGH 27.2.2002 Rs C-37/00 – Weber Rn. 38 mit weiteren Nachweisen). Unter diesen Prämissen hat der Gerichtshof in der Rechtssache Weber ausgesprochen, dass Art. 5 Nr. 1 (EuGVÜ) insbesondere zur Vermeidung einer Häufung von Gerichtsständen so auszulegen sei, dass er sich auf den Ort beziehe, an dem der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfülle (Rn. 49).
9.1 Der gemeinschaftsautonome Dienstleistungsbegriff ist weit auszulegen (s dazu BGH IX ZR 15/04; vgl auch RIS-Justiz RS0118508). Unzweifelhaft ist, dass die Tätigkeit eines Handelsvertreters unter den Dienstleistungsbegriff des Art. 5 Nr. 1 der Brüssel I-Verordnung fällt (6 Ob 63/08w; Leible, aaO Rn. 55; Brenn, aaO Rn. 72).
9.2 Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat A.D. seine tatsächliche Vermittlungstätigkeit zum weit überwiegenden Teil von Amstetten aus entfaltet. Dort ist daher auch der nach dem zeitlichen Aufwand und der Bedeutung der Tätigkeit zu bestimmende Schwerpunkt seiner Dienstleistung anzunehmen. Da sich der Ort der überwiegenden Dienstleistungserbringung somit im Sprengel des angerufenen Gerichts befindet, ist die Zuständigkeit des Landesgerichts Sankt Pölten für sämtliche Streitigkeiten aus dem zugrunde liegenden Handelsvertretervertrag nach Ansicht des Rekursgerichts gegeben.
10.1 Nach den dargestellten Erwägungen geht das Rekursgericht zusammenfassend davon aus, dass die Grundsätze aus der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache C-386/05 – Color Drack auch für den Fall gelten, dass sich die mehreren Orte der Dienstleistungserbringung in unterschiedlichen Mitgliedstaaten befinden und sich der Erfüllungsort iSd Art. 5 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich der Brüssel I-Verordnung in erster Linie nach dem Ort der Hauptleistung bzw. des Tätigkeitsschwerpunkts des Dienstleistungserbringers bestimmt.
10.2 Allerdings hat der Gerichtshof in der Rn. 16 der Entscheidung Color Drack ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich seine Erwägungen auf den Fall mehrerer Lieferorte in einem einzigen Mitgliedstaat beschränken und diese einer Entscheidung im Fall mehrerer Lieferorte in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht vorgreifen würden. Auch der Generalanwalt Bot beschränkt insbesondere in den Rn. 112 bis 115 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Color Drack die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung auf den Fall, dass sich alle Erfüllungsorte des Vertrags in einem einzigen Mitgliedstaat befinden. In der Fußnote 30 seiner Schlussanträge vertritt er – unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-256/00 – Besix, Slg 2002, I-1699 – sogar die Ansicht, dass bei mehreren Lieferorten in verschiedenen Mitgliedstaaten Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung mangels ausreichender Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit nicht anwendbar wäre.
Das Rekursgericht hält die Grundsätze der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache C-256/00 – Besix auf den vorliegenden Fall für nicht übertragbar, weil auf ganz bestimmte, in der Regel wenige Mitgliedstaaten beschränkte Liefer- oder Leistungspflichten nicht mit geografisch unbegrenzten Unterlassungspflichten vergleichbar sind. Dennoch kann die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts nicht als derart offenkundig angesehen werden, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum verbliebe. Aus diesem Grund sieht sich das Rekursgericht zur Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof veranlasst.
In diesem Sinn weist etwa auch Hau (Der europäische Vertragsgerichtsstand im Fall einer Mehrzahl von Lieferorten, Zak 2007/336, 189) in einer Besprechung des Urteils in der Rechtssache Color Drack darauf hin, dass sich die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung wirklich dringend erst dann stellen werde, wenn über einen Vertrag zu befinden sei, der Handlungspflichten in verschiedenen Mitgliedstaaten vorsehe. Leible/Reinert (Anmerkung zur Entscheidung Color Drack in EuZW 2007, 372) halten es für bedauerlich, dass der BGH in der zur Geschäftszahl IX ZR 15/05 zu beurteilenden Rechtssache den Gerichtshof nicht um Vorabentscheidung ersucht habe. Zwar sei die Entscheidung des BGH über den Schwerpunkt der Anwaltsdienstleistungen am Kanzleiort überzeugend begründet, doch sei es keineswegs sicher, ob der Gerichtshof der Argumentation des BGH tatsächlich gefolgt wäre.
10.3 Abschließend weist das Rekursgericht darauf hin, dass mögliche Einwendungen gegen die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit bei mehreren Liefer- bzw. Leistungsorten in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht nur zu Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung, sondern in der Regel (außer vielleicht bei reinen Zahlungsklagen) gleichermaßen bei der Bestimmung des Erfüllungsorts nach der verletzten Vertragsleistung im Sinn des Art. 5 Nr. 1 lit. a der Brüssel I-Verordnung ins Treffen geführt werden könnten. Sollte der Gerichtshof die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 1 lit. b der Brüssel I-Verordnung auf den vorliegenden Fall verneinen, so müsste dies nach Ansicht des Rekursgerichts auch für die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 1 lit. a der Brüssel I-Verordnung gelten (siehe dazu die Rn. 30 der Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache C-386/05 – Color Drack). In diesem Fall könnte daher nur auf die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Art. 2 der Brüssel I-Verordnung zurückgegriffen werden.
11. Der Ausspruch über die Aussetzung des Rekursverfahrens beruht auf § 90a Abs. 1 GOG.