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Zusammenfassung der Entscheidung Die in Österreich wohnhaften Antragsteller hatten bei der Antragsgegnerin, deren Sitz in Deutschland liegt, eine Pauschalreise nach Gran Canaria (ES) gebucht. Sie machen Ansprüche wegen Reisemängeln geltend. Sie beabsichtigen, im Verbrauchergerichtsstand des Art. 16 Abs. 1 Brüssel I-VO gegen die Antragsgegnerin Klage zu erheben und haben beim OGH (AT) den Antrag auf Bestimmung eines für die Klage örtlich zuständigen Gerichts im Wege der sog. Ordination gestellt. Zur Begründung machen sie geltend, Art. 16 Brüssel I-VO regele nach ihrer Auffassung allein die internationale Zuständigkeit, während das österreichische Zivilprozessrecht kein örtlich zuständiges Gericht vorgebe.
Der OGH weist den Antrag zurück. Er legt dar, die Brüssel I-VO habe mit der Formulierung von Art. 16 Abs. 1 das von den Antragstellern benannte Problem gelöst, welches unter der Geltung des EuGVÜ bestanden habe. Dort bestimmte Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ allein die Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaats des Verbrauchers; da das autonome österreichische Recht keinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers kennt, habe das örtlich zuständige Gericht vom OGH im Wege der Ordination bestimmt werden müssen. Im Unterschied zu Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ stelle die Formulierung in Art. 16 Abs. 1 Brüssel I-VO jetzt jedoch auf "das Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat" ab und regele damit nicht allein die internationale sondern auch die örtliche Zuständigkeit. Da sich die örtliche Zuständigkeit unmittelbar aus der Brüssel I-VO ergebe, sei eine Ordination nicht erforderlich und der Antrag deshalb zurückzuweisen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Der Antragsteller brachte vor, bei der Antragsgegnerin auf Grund deren Werbung in Österreich telefonisch eine Pauschalreise nach Gran Canaria gebucht zu haben. Bei der Durchführung der Reise hätten sich diverse Mängel ergeben. Durch den Hotelwechsel seien dem Antragsteller Mehraufwendungen von EUR 333 entstanden; hinzu kämen Spesen von EUR 50 und ein Betrag von EUR 100 als Entschädigung für entgangene Urlaubsfreude bzw Beeinträchtigung des Wohlbefindens während des Urlaubs. Der Antragsteller beabsichtige, gegen die Antragsgegnerin eine Klage über EUR 483 sA einzubringen. Die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte sei für Verbraucherklagen gemäß den Art. 13 ff EuGVÜ/LGVÜ gegeben. Da aber Art. 14 EuGVÜ/LGVÜ nur die internationale, nicht aber die örtliche Zuständigkeit regle, fehle ein örtlich zuständiges Gericht im Inland. Es werde daher beantragt, der OGH möge ein örtlich zuständiges Gericht für die anhängig zu machende Rechtssache bestimmen.
Der Ordinationsantrag vom 19. 3. 2002 ist nicht berechtigt.
Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder nicht zu ermitteln, so hat der OGH aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn – soweit hier relevant – Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (§ 28 Abs. 1 Z 1 JN). Prämisse einer Ordination ist sohin das Fehlen eines Gerichtsstands im Inland, was der ordinierende OGH – in sinngemäßer Anwendung des § 41 Abs. 1 JN – von Amts wegen zu prüfen hat, wobei diese Prüfung – auch in sinngemäßer Anwendung des § 41 Abs. 2 JN – auf Grund der Angaben des Antragstellers bzw auf Grund der Aktenlage erfolgt (Matscher in Fasching² I § 28 JN Rn. 11 mwN).
Am 1. 3. 2002 trat die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I-Verordnung) in Kraft. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedstaaten (Art. 76). In dieser Verordnung bedeutet der Begriff „Mitgliedstaat“ jeder Mitgliedstaat mit Ausnahme des Königreichs Dänemark (Art. 1 Abs. 3). Die Brüssel I-Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt (Art. 1 Abs. 1). Die Vorschriften dieser Verordnung sind auf solche Klagen anzuwenden, die erhoben worden sind, nachdem diese Verordnung in Kraft getreten ist (Art. 66 Abs. 1). Die Brüssel I-Verordnung tritt nach Art. 68 Abs. 1 im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten an die Stelle des Brüsseler Übereinkommens (EuGVÜ).
Nach Art. 15 Abs. 1 lit. c der Brüssel I-Verordnung bestimmt sich für Klagen aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, die Zuständigkeit – unbeschadet des Art. 4 und des Art. 5 Z 5 – nach dem 4. Abschnitt dieser Verordnung („Zuständigkeit bei Verbrauchersachen“), wenn der andere Vertragspartner dieses Vertrages in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
Der Begriff des Verbrauchers ist vertragsautonom zu bestimmen (vgl RIS-Justiz RS0112279). Von der erforderlichen Privatbezogenheit ist nach den hier maßgeblichen (§ 41 Abs. 2 JN) Angaben des Antragstellers auszugehen. Der 4. Abschnitt der Verordnung ist nach Art. 15 Abs. 3 Brüssel I-Verordnung zwar nicht auf Beförderungsverträge anzuwenden; ausdrücklich ausgenommen sind jedoch von dieser Anordnung Reiseverträge, die für einen Pauschalpreis kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen vorsehen. Es ist sohin im vorliegenden Fall von einer Verbrauchersache im Sinne der Art. 15 ff Brüssel I-Verordnung auszugehen.
Art. 16 Abs. 1 Brüssel I-Verordnung lässt dem Verbraucher die Wahl. Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Im Zusammenhang mit den Änderungen der verbraucherrechtlichen Vorschriften durch die Brüssel I-Verordnung wurde auch ein spezifisch österreichisches Problem gelöst. Bisher verwies Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ/LGVÜ nämlich auf „die Gerichte“ des Verbraucherwohnsitzstaates. Geregelt war somit nur die internationale Zuständigkeit; für die örtliche Zuständigkeit musste auf das nationale Verfahrensrecht zurückgegriffen werden. Da das österreichische Zivilprozessrecht keinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers kennt, hatte in der Regel der OGH gemäß § 28 JN ein zuständiges Gericht zu bestimmen (Matscher aaO § 28 JN Rn. 32 mwN; RIS-Justiz RS0106680, RS0108686, RS0112279 ua). Seit dem In-Kraft-Treten der Brüssel I-Verordnung ist das nicht mehr erforderlich, da Art. 16 Abs. 1 durch den Verweis auf „das Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat“, auch die örtliche Zuständigkeit regelt (vgl Einführungserlass des BMJ vom 11. 1. 2002 zur Brüssel I-Verordnung, JABl 2002/11). Liegt – entgegen der Annahme des Antragstellers – ein Gerichtsstand vor, ist der Ordinationsantrag als unbegründet abzuweisen (Matscher aaO § 28 JN Rn. 12 mwN).