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Zusammenfassung der Entscheidung Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer länger andauernden Kaufvertragsbeziehung über Handelsware. Die Klägerin, deren Sitz in Österreich liegt, bezog Ware von der italienischen Beklagten. Diese wurde jeweils von einem von der Klägerin beauftragten und bezahlten Spediteur am Sitz der Beklagten übernommen und von dort zur Klägerin nach Österreich befördert. Die Klägerin hat vor dem für ihren Sitz zuständigen Gericht Klage wegen Ansprüchen aus einem Kaufvertrag erhoben. Die internationale Zuständigkeit leitet sie aus einer nach den Feststellungen der Instanzgerichte bei der Angabe ihrer Bankverbindung auf ihrem Geschäftspapier in deutscher Sprache im Kleindruck abgedruckten Gerichtsstandsklausel her. Auch beruft sie sich auf Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO und macht geltend, der vertragliche Erfüllungsort für die Lieferung der Ware habe an ihrem Geschäftssitz in Österreich gelegen. Das Berufungsgericht hat die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin.
Der OGH (AT) weist den Revisionsrekurs zurück. Es liege keine in einer der Formen des Art. 23 Brüssel I-VO abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung vor. Die Klägerin könne sich nicht auf eine Gepflogenheit im Sinne von Art. 23 Abs. 1 lit. b berufen. Zur Begründung einer solchen sei eine Klausel auf dem Geschäftspapier einer der Vertragsparteien in einer von der anderen Vertragspartei nicht verstandenen Sprache nicht geeignet. Der Lieferort im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO sei nach tatsächlichen Kriterien zu bestimmen. Es komme hierzu auf die Umstände des Einzelfalls an. Wenn das Berufungsgericht aus der Übernahme der Ware bei der Beklagten durch einen von dem Kläger beauftragten und bezahlten Spediteur geschlossen habe, dass die Ware dort bereits endgültig in die Sphäre der Klägerin gelangt sei, so könne dies so vertreten werden. Aus seiner Sicht habe das Berufungsgericht die Klage deshalb zu Recht abweisen dürfen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
1. Die Revisionsrekurswerberin vermisst Kriterien zur Beurteilung, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 Abs. 1 lit. b EuGVVO nach den zwischen den Parteien geübten Gepflogenheiten zustandegekommen ist.
Das Rekursgericht hat die Grundsätze der Rechtsprechung zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nach dieser Bestimmung zutreffend dargelegt. Danach kommt eine Gerichtsstandsvereinbarung durch übereinstimmende Willenserklärung der Parteien über die Begründung der Zuständigkeit zu Stande. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer auf Geschäftspapier angebrachten Gerichtsstandsklausel sind eng auszulegen, um zu verhindern, dass Zuständigkeitsvereinbarungen unbemerkt Inhalt des Vertrags werden (RIS-Justiz RS0114604). Unter „Gepflogenheiten“ im Sinn des Art. 23 Abs. 1 lit. b EuGVVO wird eine zwischen den konkreten Parteien regelmäßig beachtete Praxis verstanden. Ob eine in einem konkreten Fall geübte Praxis, die Dauer der Geschäftsbeziehung und deren Intensität ausreichen, damit eine der Parteien auf eine bestimmte Form als „die übliche“ vertrauen darf, richtet sich nach den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls und hat regelmäßig keine über diesen hinausgehende Bedeutung.
Die Auffassung des Rekursgerichts, die in deutscher Sprache formulierte, kleingedruckte und im Rahmen der Bankverbindung „versteckte“ Gerichtsstandsklausel der Klägerin erlaube keine ausreichend sichere Annahme, dass es hinsichtlich des behaupteten Gerichtsstands zwischen den Streitteilen zu einer tatsächlichen Willensübereinstimmung gekommen sei, ist jedenfalls nicht unvertretbar; scheidet doch eine „Gepflogenheit“ von vornherein schon dann aus, wenn ein Geschäftspartner den vom anderen gewählten und in einer ihm fremden Sprache wiedergegebenen Ausdruck nicht versteht.
2. Das Rekursgericht hat die Grundsätze der Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 1 lit. b EuGVVO zutreffend dargestellt. Danach hat die Bestimmung des Orts, an dem die Lieferung zu erfolgen hat, und damit des Erfüllungsorts nach tatsächlichen Kriterien zu erfolgen. Entscheidend ist dabei die diesbezügliche Vereinbarung zwischen den Parteien (4 Ob 147/03a; RIS-Justiz RS0118365 [T1]).
Wie in diesem Zusammenhang die Vereinbarung der Parteien zu beurteilen ist, wonach die Ware von einem durch die Bestellerin (Klägerin) beauftragten und bezahlten Spediteur im Lager der Lieferantin abzuholen und auf ihre Kosten an die angegebene Adresse in Österreich zu befördern ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und hat keine über diesen hinausgehende Bedeutung. Diese Vereinbarung als Festlegung eines Lieferorts am Sitz der Lieferantin zu deuten ist jedenfalls nicht unvertretbar. Wenn die Vorinstanzen auf dieser Sachverhaltsgrundlage annahmen, dass der Transport bereits in die Sphäre der Bestellerin (Klägerin) gefallen und der Sitz der Beklagten somit als Liefer- und Erfüllungsort im Sinn von Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO anzusehen ist, so bedeutet dies keine im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsmittels wahrzunehmende Fehlbeurteilung.
Die Auffassung der Vorinstanzen weicht auch nicht von der Entscheidung 1 Ob 94/04m ab. Im damals zu beurteilenden Fall war nämlich nicht hervorgekommen, dass der Ort der Übergabe an den ersten Beförderer vereinbarter Lieferort gewesen wäre. Demgegenüber hatte die Bestellerin (Klägerin) im nun zu beurteilenden Fall den Spediteur jeweils mit der Abholung der Ware in Italien beauftragt und die Kosten des Transports bezahlt; die beklagte Lieferantin hatte die Bestellerin und den von dieser beauftragten Spediteur informiert, sobald die Ware zur Abholung (in Italien) bereit war.
3. Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelwerberin weicht die Entscheidung der Vorinstanzen auch von der Entscheidung 8 Ob 83/05x nicht ab. Diese betraf die Erstreckung des persönlichen Geltungsbereichs einer zwischen der damaligen Klägerin und einem Dritten nach Art. 23 EuGVVO geschlossenen Zuständigkeitsvereinbarung und ist somit für die vorliegende Fallgestaltung nicht einschlägig.