Am 10.3.2006 gegen 14.15 Uhr kam es auf der Autobahn A 81, Singen-Stuttgart (Deutschland), zu einem Verkehrsunfall, an dem C*****, wohnhaft in Karlsruhe, mit dem von ihr gelenkten und bei WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherung AG haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug mit dem deutschen Kennzeichen KA***** sowie D***** als Lenkerin des Kraftfahrzeuges mit dem deutschen Kennzeichen KA*****, beteiligt waren. D***** hatte ihr Fahrzeug verkehrsbedingt auf der Autobahn abgebremst, worauf die unmittelbar nachfolgende Fahrzeuglenkerin C***** auf Grund verspäteter Reaktion oder überhöhter Geschwindigkeit auf das vor ihr befindliche Fahrzeug auffuhr. Durch diesen Zusammenprall erlitt D***** eine Zerrung der Halswirbelsäule. Sie begab sich in ärztliche Behandlung in das Klinikum Br***** und nahm in der Folge sowohl die ärztliche Hilfe des Landeskrankenhauses B***** (Österreich) als auch des Dr. D*****, Allgemeinmediziner in N***** (Österreich), in Anspruch. Die medizinischen Behandlungen waren durch das Unfallgeschehen notwendig und zweckentsprechend. Der zuständige Arzt des Landeskrankenhauses B***** attestierte D***** eine Arbeitsunfähigkeit vom 15.3.2006 bis einschließlich 16.3.2006. Dr. D***** bescheinigte D***** eine weitere Arbeitsunfähigkeit bis 21.3.2006. Die Vorarlberger Gebietskrankenkasse als Sozialversicherungsträgerin hat für ihre Versicherte D***** Leistungen erbracht.
D***** war im Zeitraum 2.1.2006 bis 20.8.2007 mit Hauptwohnsitz in B***** (Österreich) gemeldet und dort wohnhaft bzw aufhältig. Seit 20.8.2007 ist D***** nunmehr dauerhaft in U***** (Deutschland) wohnhaft und aufhältig.
2. Anträge und Vorbringen der Parteien:
Mit der nunmehr am 13.2.2008 beim Bezirksgericht Dornbirn überreichten Klage brachte die klagende Partei vor, das Alleinverschulden hinsichtlich des Unfalles treffe C*****. Die klagende Partei als Sozialversicherungsträgerin habe auf Grund der bei diesem Unfall von D***** erlittenen Verletzungen folgende Leistungen erbracht:
a) Kosten für Krankenbehandlung durch Dr. H***** gemäß § 328 ASVG – Arbeitsunfähigkeit vom 15.3.2006 bis 21.3.2006 EUR 191,10
b) ambulante Behandlung im Krankenhaus B***** am 11. und 14.3.2006 EUR 172,68
c) Betreibungskosten gemäß § 1333 Abs. 3 ABGB EUR 15,- insgesamt EUR 378,78
Der von der klagenden Partei getragene Aufwand sei durch Legalzession (§ 332 ASVG) auf die klagende Partei übergegangen und gegenüber der beklagten Partei mit Schreiben vom 22.9.2006 mit 24.10.2006 fällig gestellt worden. Zahlung sei nicht erfolgt.
Die beklagte Partei hat internationale Unzuständigkeit des Bezirksgerichtes Dornbirn eingewendet. Bei den gegenständlichen Ansprüchen handle es sich dem Ursprung nach um solche der D*****, die aber in Deutschland aufhältig sei. Hier würden sich zwei ebenbürtige Prozessparteien gegenüberstehen, sodass die klagende nicht schutzwürdig im Sinne der EuGVVO sei. Inhaltlich werde das Begehren bestritten, weil der Zusammenprall der Fahrzeuge so gering gewesen sei, dass D***** nicht verletzt werden habe können.
3. Bisheriges Verfahren:
Mit Beschluss vom 21.5.2008 (2 C 216/08y-8) hat das Bezirksgericht Dornbirn die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurückgewiesen und die klagende Partei verpflichtet, der beklagten Partei die Prozesskosten zu ersetzen. In der Begründung vertrat das Gericht die Auffassung, die klagende Partei sei nicht als unmittelbar Geschädigte im Sinne des Art. 11 Abs. 2 iVm Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO anzusehen. Für die Beurteilung der Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichtes Dornbirn sei als maßgeblicher Zeitpunkt grundsätzlich die Klagserhebung anzusehen. Da zu diesem Zeitpunkt die unmittelbar Geschädigte D***** ihren Aufenthaltsort und Wohnsitz in Deutschland gehabt habe, auch die Unfallsgegnerin in Deutschland wohnhaft gewesen sei und sich der Verkehrsunfall selbst ebenfalls dort ereignet habe, sei von einem Binnensachverhalt auszugehen, sodass die Bestimmungen des EuGVVO keine Anwendung finden würden. Die Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichtes Dornbirn sei daher zu verneinen.
Dagegen richtet sich der Rekurs der klagenden Partei mit dem Antrag auf Abänderung dahin, die von der beklagten Partei erhobene Einrede der internationalen Zuständigkeit zu verwerfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen. Die beklagte Partei hat eine Rekursbeantwortung erstattet, mit der sie die Bestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses anstrebt.
4. Einschlägige Vorschriften des nationalen Rechts:
§ 332 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG):
(1) Können Personen, denen nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Leistungen zustehen oder für die als Angehörige gemäß § 123 Leistungen zu gewähren sind, den Ersatz des Schadens, der ihnen durch den Versicherungsfall erwachsen ist, auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften beanspruchen, geht der Anspruch auf den Versicherungsträger insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen hat ....
(2) ....
(3) ....
(4) § 328 ist auf Ersatzansprüche für Krankenbehandlung (§133 bis 137) oder für Unfallheilbehandlung (§§ 135 bis 137 in Verbindung mit § 189) entsprechend anzuwenden.
§ 328 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG):
Kosten einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankenbehandlung sind mit einem Betrag abzugelten, der für jeden Tag der Dauer einer solchen Behandlung im Ausmaß des halben Krankengeldes zu leisten ist. § 1394 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB):
Die Rechte des Übernehmers sind mit den Rechten des Überträgers in Rücksicht auf die überlassene Forderung eben dieselben.
5. Gemeinschaftsrecht:
Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen:
Der 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung. Die Zuständigkeitsregeln für Versicherungssachen sind in Abschnitt 3 des Kapitels II der Verordnung Nr. 44/2001 festgelegt; dieser Abschnitt umfasst die Art. 8 bis 14 der Verordnung.
Art. 9 Abs. 1 lit. a und b dieser Verordnung sieht vor:
(1) Ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden: a) vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, b) in einem anderen Mitgliedstaat bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat ….
Art. 11 der Verordnung bestimmt:
(1) Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist.
(2) Auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Art. 8, 9 und 10 anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist.
(3) Sieht das für die unmittelbare Klage maßgebliche Recht die Streitverkündung gegen den Versicherungsnehmer oder den Versicherten vor, so ist dasselbe Gericht auch für diese Personen zuständig.
Richtlinie 2000/26/EG:
Die Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Mai 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG des Rates (ABl. L 181, S. 65) in der durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 (ABl. L 149, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2000/26) sieht in Art. 3 mit dem Titel „Direktanspruch“ vor:
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Art. 1 genannten Geschädigten, deren Sach- oder Personenschaden bei einem Unfall im Sinne des genannten Artikels entstanden ist, einen Direktanspruch gegen das Versicherungsunternehmen haben, das die Haftpflicht des Unfallverursachers deckt.
Außerdem heißt es in Erwägungsgrund 16a:
Nach Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung … Nr. 44/2001 … kann der Geschädigte den Haftpflichtversicherer in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, verklagen.
6. Begründung der Vorlage:
Die klagende Partei stützt die Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichtes Dornbirn auf Art. 11 Abs. 2 iVm Art. 9 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO) und die dazu ergangene Entscheidung des EuGH vom 13.12.2007, C-463/06. Nach deutschem internationalem Privatrecht (Art. 40 Abs. 4 EGBGB) und (seit 1.1.2008) § 115 des dVersVG (dBGBl 2007, I, 2631) sei eine unmittelbare Klage gegen die gegnerische Haftpflichtversicherung zulässig. Der Rückgriffsprozess einer durch Legalzession in die Position des Geschädigten eingetretenen Sozialversicherungsanstalt gegen eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sei als Versicherungssache nach Art. 8 ff EuGVVO zu qualifizieren. „Geschädigter“ iSd Art. 11 Abs. 2 EuGVVO sei auch bei autonomer Auslegung des Europarechtes jeder, der irgendeinen Nachteil an Rechten oder im Vermögen oder Körperverletzungen erleide. Da die Klägerin Versicherungsleistungen für die unmittelbar Geschädigte D***** erbracht habe, indem sie Heilungskosten und Krankengeld für diese bezahlt habe, sei sie Geschädigte im Sinne Art. 11 Abs. 2 EuGVVO. Wenn eine Sozialversicherungsanstalt wie die Klägerin gegen eine ausländische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung im Inland klage, sei die Argumentation des EuGH, der Klägergerichtsstand gelte für den Geschädigten, auch auf die mit Legalzession eingetretene „geschädigte“ Versicherungsanstalt zu übertragen. Der Umstand, dass sich hier zwei gleich starke Versicherungsanstalten im Rechtsstreit gegenüberstünden, schließe den Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 2 EuGVVO jedenfalls nicht aus.
Die beklagte Partei hat die internationale Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Dornbirn bestritten und vorgetragen, nach der Entscheidung des EuGH C-463/06 sei vom Wohnsitz der unmittelbar Geschädigten zum Zeitpunkt der Klageerhebung auszugehen. Ein solcher liege hier in Österreich nicht vor. Bei der Regelung des Art. 11 Abs. 2 iVm Art. 9 EuGVVO stehe die Schutzwürdigkeit der geschädigten Partei im Vordergrund. Diese gehe durch den Forderungsübergang auf die wirtschaftlich zumindest gleich starke Sozialversicherung verloren. Die klagende Partei könne daher die Begünstigung eines inländischen Gerichtsstandes nicht für sich in Anspruch nehmen.
Für die Bejahung der Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Dornbirn spricht der Umstand, dass auch die klagende Partei, wie von dieser in ihrem Rechtsmittel gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Dornbirn dargestellt, als „Geschädigte“ aus dem Verkehrsunfall anzusehen ist, und die klagende Partei durch die Legalzession des § 332 ASVG bereits zum Zeitpunkt des Unfalles in die Rechte der Verletzten in gleicher Weise eingetreten ist, wie sie dieser zustehen. Die klagende Partei rückt in die Rechtsposition des Direktgeschädigten und macht auf Grund des Forderungsüberganges die Rechte der Verletzten und keine eigenen Rechte geltend. Für einen Aktivgerichtsstand des Sozialversicherungsträgers spricht insbesondere auch Folgendes:
Bei schweren Unfällen mit Personenschaden bleiben beim Direktgeschädigten seine Ansprüche auf Schmerzengeld und Ersatz des Sachschadens. Diese könnte er vor seinem Wohnortforum einklagen. Auf den Sozialversicherungsträger würden die Ersatzansprüche auf Heilbehandlung und gegebenenfalls Rentenleistungen übergehen. Gelte für ihn das Inlandsforum nicht, müsste er diese Ansprüche am (ausländischen) Forum des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers einklagen. Die Folge wäre eine Splittung des Schadensfalls. Gerichte zweier Mitgliedstaaten hätten über denselben Fall zu entscheiden, wodurch es zu widersprechenden Urteilen kommen könnte, was den Bestrebungen der EuGVVO jedenfalls zuwiderläuft (Bernhard Pabst, Europäische Verkehrsrechtstage Trier 2006, Die Rechte der Sozialversicherungsträger im Rahmen der 4. KH Richtlinie).
Gegen einen Aktivgerichtsstand der Sozialversicherungsträger nach einem Forderungsübergang per legem spricht insbesondere der Grundgedanke der RL 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.5.2000, ABl. Nr. L181. Ziel ist eine wesentliche Vereinfachung und Erleichterung der Durchsetzung von Ersatzansprüchen bei Straßenverkehrsunfällen mit Auslandsbeziehung. Geschützt werden soll der europäische Bürger, die „schwächere Partei“. Die Sozialversicherung ist hingegen nicht in gleicher Weise „schwächer“ als eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und daher nicht schützenswert vor Auslandsprozessen (EuGH C-463/06). Gegen einen Aktivgerichtsstand des Sozialversicherungsträger spricht auch die Textierung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO, wo ausschließlich der Geschädigte und nicht auch ein allfälliger Legalzessionar angeführt ist. Bei einem entsprechenden Willen des Verordnungsgebers hätte dieser neben dem Geschädigten auch einen allfälligen Legalzessionar in den Text der Verordnung aufnehmen können. Schließlich ist es nicht Zweck der EuGVVO, möglichst viel Zuständigkeiten zu schaffen, indem neben dem Versicherten, dem Versicherungsnehmer, dem Begünstigten, den Geschädigten (aus womöglich mehreren Mitgliedstaaten) auch zusätzlich Sozialversicherungsträgern aktive Gerichtsstände am Sitz ihres Unternehmens eingeräumt und dadurch eine vermehrte Anzahl von nationalen Gerichten jeweils ausländisches Deliktsrecht anzuwenden hätten. Insgesamt sprechen die überwiegenden Gründe gegen die Annahme, dass auch ein Sozialversicherungsträger als Legalzessionar den Direktanspruch gegen den Versicherer vor dem Gericht seiner Niederlassung geltend machen kann.
7. Verfahrensrechtliches:
Die Entscheidung des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht kann im Hinblick auf die Höhe des Streitwertes mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechtes nicht mehr angefochten werden (§ 528 Abs. 1 Z 1 ZPO), weshalb es gemäß Art. 234 EGV zur Vorlage der im Spruch dieses Beschlusses formulierten Fragen verpflichtet ist, da weder eine einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorliegt noch die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechtes offenkundig ist. Die Aussetzung des Rechtsmittelverfahrens bis zur Beendigung des Vorabentscheidungsverfahrens beruht auf § 90a GOG.