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Zusammenfassung der Entscheidung Die Klägerin, eine österreichische Gesellschaft, war Eigentümerin eines Flugzeugs der Marke Cessna, welches sie an einen Flugclub verleast hatte. Dieser gab das Flugzeug bei der deutschen Beklagten zur Jahreswartung. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Verlusts des Flugzeugs. Die Beklagte habe seine Flugtauglichkeit bestätigt, obgleich sie erkannt habe, dass die Kraftstoffpumpe defekt war. Auf dem Rückflug zur Leasingnehmerin sei das Flugzeug infolge unzureichender Benzinversorgung abgestürzt. Ihre Schadensersatzforderung berechnet die Klägerin mit dem Einnahmeausfall aus dem Leasingvertrag, der von ihr vorzeitig gekündigt werden musste. Die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte stützt sie auf Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO. Das Rekursgericht bejahte die internationale Zuständigkeit. Die Beklagte legte Rechtsmittel zum OGH (AT) ein.
Der OGH stellt die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte fest. Der Klägerin stehe für ihre Klage der deliktische Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO zur Verfügung. Die Schadensersatzforderung der Klägerin sei nicht vertraglicher Natur. Den Wartungsvertrag habe die Beklagte nicht mit der Klägerin sondern mit deren Leasingnehmerin geschlossen. Rechtsgrund der Schadensersatzforderung sei vielmehr die schuldhafte Verletzung ihres Eigentumsrechts an dem Flugzeug. Dass die Klägerin ihren Schaden nach dem Ausfall ihrer Einnahmen aus dem Leasingvertrag berechne, sei ohne Bedeutung. Der Ort des Schadenseintritts liege im Bezirk des Erstgerichts, da das Flugzeug dort abgestürzt sei. Der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe das Flugzeug einige Jahre zuvor von ihr durch einen Vertrag erworben, der eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines deutschen Gerichts vorsah, sei unbeachtlich. Die Gerichtsstandsvereinbarung gelte nur für diese Vertragsbeziehung, nicht jedoch für deliktische Ansprüche wegen einer späteren Zerstörung des Kaufgegenstands.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die klagende Partei bringt vor, sie sei Eigentümerin des Flugzeuges Cessna T206H mit dem Kennzeichen *****. Sie habe dieses Flugzeug mit Leasingvertrag vom 18. 12. 2001 an den *****club verleast. Am 26. 4. 2005 sei das Flugzeug von der Leasingnehmerin auf das Betriebsgelände der Beklagten in F*****, Deutschland, überstellt und ein entsprechender Wartungsauftrag erteilt worden. Dem Piloten sei schon zuvor aufgefallen, dass das Flugzeug Treibstoff verliere. Darauf habe der Pilot die zuständigen Mitarbeiter der beklagten Partei ausdrücklich aufmerksam gemacht. Am 27. 4. 2005 sei dem Piloten durch Mitarbeiter der beklagen Partei mitgeteilt worden, dass die Ursache für den Treibstoffverlust geklärt worden sei; es liege ein Defekt der Kraftstoffpumpe vor. Diese müsse ausgetauscht werden, wobei die Lieferung einer neuen Kraftstoffpumpe aus den USA bis zu sechs Wochen dauern könne. Ein Mitarbeiter der beklagten Partei habe dem Obmann der Leasingnehmerin mitgeteilt, dass die defekte Pumpe genauestens überprüft worden sei und der Pilot das Flugzeug wieder abholen könne. Der Einbau der neuen Kraftstoffpumpe werde anlässlich der nächsten Wartung vorgenommen werden. Auf Frage des Piloten, ob trotz des festgestellten Defekts der Kraftstoffpumpe das Flugzeug von der Beklagten freigegeben werde, habe ein Mitarbeiter der beklagten Partei wörtlich mitgeteilt: „Da kann nichts passieren, das Flugzeug ist sicher“.
Aufgrund dieser Zusicherung habe sich der Pilot schließlich bereit erklärt, das Flugzeug in F***** wieder abzuholen. Mit Prüfschein Nr. 016/2005 vom 28. 4. 2005 habe die beklagte Partei ausdrücklich bestätigt, dass eine umfassende Jahresnachprüfung durchgeführt worden und das Luftfahrzeug lufttüchtig sei.
Beim Rückflug sei es zum Absturz des Flugzeugs gekommen. Die Ursache für diesen Absturz liege darin, dass aufgrund der defekten Treibstoffpumpe der Motor mit zu wenig Treibstoff versorgt worden sei; dies habe zu einer drastisch verminderten Motorleistung und damit zum Absturz des Flugzeugs geführt.
Dadurch sei der Klägerin als Eigentümerin und Leasinggeberin ein Schaden wegen der Notwendigkeit der vorzeitigen Auflösung des Leasingvertrags in Höhe des Klagsbetrags entstanden. Der Anspruch werde nicht auf den Kaufvertrag bzw den Auftrag vom 26. 4. 2005 gestützt; anspruchsbegründend sei vielmehr eine „unerlaubte Handlung“ im Sinne eines deliktischen Verhaltens gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO.
Die beklagte Partei erhob die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit und der örtlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts und beantragte die Zurückweisung der Klage. Dem Klagsvorbringen könne nicht entnommen werden, auf welchen konkreten außervertraglichen Verstoß die deliktische Haftung der Beklagten gestützt werden solle.
Das Erstgericht wies die Klage „mangels inländischer Gerichtsbarkeit sowie örtlicher Unzuständigkeit“ zurück. Grundlage der inkriminierten Zusicherungen der Beklagten sowie der Freigabe des Flugzeugs sei der von der Leasingnehmerin der Klägerin erteilte Wartungsauftrag gewesen, sodass vom Vorliegen einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung der Beklagten als Anlass für das von der Klägerin behauptete schadensstiftende Verhalten auszugehen sei. Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahingehend ab, dass die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit und mangelnden örtlichen Zuständigkeit verworfen werde.
Gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO könne eine Person, die ihren Wohnsitz in einem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats habe, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sei, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bildeten, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei. Der Begriff der „unerlaubten Handlung“ sei autonom zu interpretieren (RIS-Justiz RS0109078). Entscheidend sei daher nicht, ob der fragliche Anspruch nach österreichischem Recht deliktischer Natur sei, sondern ob der Anspruch nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in seiner Auslegung durch den EuGH erfasst werde. Klagen, die auf Verletzungen von vertraglichen Pflichten gestützt würden, fielen nicht unter Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Der EuGH stelle darauf ab, ob die Pflichten, aus deren Verletzung der deliktische Schadenersatzanspruch hergeleitet werde, in einem so engen Zusammenhang mit einem Vertrag stünden, dass dieses vertragliche Element ganz im Vordergrund stehe und auch den Charakter des deliktischen Rechtsverhältnisses ganz entscheidend präge. In solchen Fällen sei Art. 5 Nr. 3 EuGVVO unanwendbar.
Die von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO vorausgesetzte vertragliche Beziehung müsse zwischen den Streitteilen bestehen. Ein Vertrag, der lediglich Schutzwirkungen zugunsten eines Dritten entfaltet, könne zur Annahme einer vertraglichen Beziehung im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO in Ansehung dieses Dritten nicht genügen und falle daher nicht unter diese Zuständigkeitsbestimmung (RIS-Justiz RS0117398; SZ 2003/11 ua). Für Distanzdelikte habe der EuGH festgehalten, dass unter dem Wort „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ sowohl der Ort zu verstehen sei, an dem das schadenbegründende Verhalten (Ereignis) stattgefunden habe, also auch jener, an dem der (unmittelbare) Schaden eingetreten ist (EuGH 30. 11. 1976, Slg 1976, 1735 – Mines de Potasse; 1 Ob 319/97m; 7 Ob 127/01d; RIS-Justiz RS0109739 [T11]). Dies könne auch ein reiner Vermögensschaden sein (4 Ob 110/01g; 1 Ob 219/97m). Als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, könne nur der Ort bezeichnet werden, an dem das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt habe (RIS-Justiz RS0109737). Da der Schaden durch Absturz des Flugzeugs in Klagenfurt entstanden sei, sei das angerufene Landesgericht Klagenfurt nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zuständig.
Für die Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses fehle es an der Voraussetzung des § 528 Abs. 1 ZPO.
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Der Wahrnehmung einer Nichtigkeit kommt immer erhebliche Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0042743; vgl auch RIS-Justiz RS0041896; zum vergleichbaren Fall des § 399 Abs. 2 EO aF vgl 4 Ob 33/94).
2. Vom Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO betroffen ist der Ausschluss der Partei von der Verhandlung. Überall dort, wo das Gesetz eine mündliche Verhandlung zwingend vorschreibt, bedeutet die gesetzwidrige Hinderung einer Partei, daran teilzunehmen, den Nichtigkeitsgrund (E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 477 Rn. 7; Pimmer in Fasching/Konecny² § 477 ZPO Rn. 43 ff). Nach § 261 Abs. 1 ZPO hat das Gericht über die dort aufgezählten Einreden, unter welche auch jene der fehlenden internationalen Zuständigkeit fällt, nach vorgängiger mündlicher Verhandlung zu entscheiden. Die Wahrung der Verhandlungsform steht unter Nichtigkeitssanktion, weil das Gesetz hier zwingend eine mündliche Verhandlung vorschreibt (G. Kodek in Fasching/Konency² § 261 ZPO Rn. 20; 4 Ob 193/01p; SZ 11/60; RZ 1995/66 [§ 393 Abs. 2 EO]; EvBl 2000/17 [zu § 230 Abs. 1 AußStrG]). Das Rekursgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die Nichtigkeit des erstgerichtlichen Beschlusses – auch ohne diesbezügliche Parteienrüge – von Amts wegen wahrzunehmen und diesen aus Anlass des Rekurses der klagenden Partei als nichtig aufzuheben (4 Ob 193/01p; 4 Ob 33/94 [zu § 399 Abs. 2 EO aF]). Die der erstgerichtlichen Entscheidung anhaftende Nichtigkeit führt demnach nicht nur zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Rekursgerichts, sondern auch zur Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses. Hierbei war dem Erstgericht aufzutragen, über die Prozesseinrede der beklagten Partei nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 261 Abs. 1 ZPO neuerlich zu entscheiden.
3.1. Zur Vermeidung von weiteren Verfahrensverzögerungen ist jedoch auf Folgendes hinzuweisen:
Entgegen der Rechtsansicht der beklagten Partei handelt es sich nicht um einen bloßen Folgeschaden, der zur Begründung des Gerichtsstands des Schadensorts nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht ausreichte, sondern um einen unmittelbaren Schaden. Durch den nach den Klagsbehauptungen von der beklagten Partei verschuldeten Flugzeugabsturz wurde in das Eigentumsrecht der klagenden Partei, mithin ein absolut geschütztes Rechtsgut, eingegriffen. Dass die klagende Partei zur Schadensberechnung auf den Entgang an Einnahmen aus dem Leasingvertrag abstellt, ändert nichts daran, dass es sich um einen deliktischen Schadenersatzanspruch handelt. Der zwischen der beklagten Partei und der Leasingnehmerin abgeschlossene Wartungsvertrag vermag einen vertraglichen Anspruch der klagenden Partei gegen die beklagte Partei im Sinne des Art. 5 EuGVVO nicht zu begründen (vgl Schmaranzer, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter [2007] 240 ff, 244).
3.2. Eine in einem Kaufvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung gilt zumindest im Zweifel nur für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag, nicht auch für spätere deliktische Ansprüche wegen der Zerstörung des Kaufgegenstands.