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Zusammenfassung der Entscheidung Der Kläger begehrt vom ursprünglichen Erstbeklagten mit Wohnsitz in Österreich sowie der Zweitbeklagten mit Sitz in Deutschland Zahlung aus der Haftung für an ihn abgetretene Forderungen eines Dritten vor einem österreichischen Gericht. Er beruft sich für die internationale Zuständigkeit auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 6 Nr. 1 EuGVO. Das Erstgericht hat die Klage gegen den Erstbeklagten jedoch zurückgewiesen, da über diesen bereits Monate vor Einbringung der Klage das Konkursverfahren eröffnet worden war. Daraufhin bestritt die nunmehr alleinige Beklagte die Zuständigkeit in Österreich. Das Erstgericht folgte dem, weil die nach Art. 6 Nr. 1 EuGVO geforderte gleichzeitige Klageeinbringung aufgrund unzulässiger Klageerhebung gegen den in Konkurs gefallenen Erstbeklagten nicht möglich gewesen sei. Das Zweitgericht hielt dagegen den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft für gegeben.
Der OGH (AT) folgte der von ihm veranlassten Vorabentscheidung des EuGH (13.7.2006, C-103/05), der die Unzulässigkeit der Klage gegen den Erstbeklagten bereits zum Zeitpunkt ihrer Erhebung für unbeachtlich hielt. Art. 6 Nr. 1 EuGVO könne nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass seine Anwendung von Wirkungen nationaler Vorschriften abhänge. Die Unzulässigkeit einer Klage nach nationalem Recht dürfe daher keine Beachtung finden. Anders sei dies nur, wenn die Klage gegen mehrere Beklagte allein zu dem Zweck erhoben würde, um einen von diesen der Zuständigkeit der Gerichte seines Wohnsitzstaats zu entziehen. Einen derartigen Missbrauch lehnt der OGH im konkreten Fall jedoch ab, da nicht behauptet worden sei, der Kläger habe von der Eröffnung des Konkurses gewusst. Selbst wenn er es hätte wissen müssen, reiche dies als bloße Fahrlässigkeit nicht aus. Der Gerichtsstand in Österreich sei daher gegeben.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Mit ihrer am 30. 1. 2004 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin vom ursprünglichen Erstbeklagten und von der damals Zweitbeklagten EUR 8.689,22. Der Erstbeklagte hat seinen Wohnsitz in Österreich; die Zweit- (und nunmehr alleinige) Beklagte hat ihren Sitz in Deutschland.
Die Klägerin stützt sich auf eine (in der Klage nicht näher spezifizierte) Vereinbarung der beiden Beklagten mit einem Dritten, aus der die Beklagten zur ungeteilten Hand hafteten. Der Dritte habe die ihm zustehende Forderung an die Klägerin abgetreten. Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes berief sich die Klägerin auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 Abs. 1 JN.
Über das Vermögen des vormaligen Erstbeklagten (in der Folge: Gemeinschuldner) war bereits Monate vor der Einbringung der Klage – nämlich am 23. 7. 2003 – das Konkursverfahren eröffnet worden. Mit Beschluss vom 24. 2. 2004 wies daher das Erstgericht die Klage – soweit sie gegen den Gemeinschuldner gerichtet ist – unter Hinweis auf § 6 Abs. 1 KO zurück. Dieser Beschluss ist rechtskräftig. Die (zunächst zweit- und nunmehr allein) beklagte Partei bestritt die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Der in Betracht kommende Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO komme nicht zum Tragen, weil die Klage gegen den in Österreich ansässigen Gemeinschuldner zurückgewiesen worden sei. Die Behauptung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft diene der Klägerin nur dazu, der Beklagten die Gerichtsbarkeit ihres Wohnsitzstaates zu entziehen. Der Klägerin habe die Insolvenz des Gemeinschuldners bekannt sein müssen; daher sei die Klage gegen ihn wider besseren Wissens erhoben worden.
Dem hielt die Klägerin entgegen, dass der Gemeinschuldner durch die Konkurseröffnung seinen allgemeinen Gerichtsstand in Österreich nicht verloren habe. Da mittlerweile das Konkursverfahren über sein Vermögen aufgehoben worden sei, habe die Klägerin eine neue Klage gegen ihn eingebracht, deren Verbindung mit dem vorliegenden Verfahren beantragt werde.
Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler und örtlicher Unzuständigkeit zurück.
Da zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage die Klageführung gegen den Gemeinschuldner wegen des über sein Vermögen eröffneten Konkursverfahrens unzulässig gewesen sei, sei eine von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO geforderte gleichzeitige Klageeinbringung nicht möglich gewesen. Die nachträgliche (nach Aufhebung des Konkurses zulässige) Einbringung einer weiteren Klage könne die Zuständigkeit der hier zu beurteilenden Klage nicht mehr begründen, weil die Zuständigkeit bei Einbringung der Klage gegeben sein müsse.
Das von der Klägerin angerufene Rekursgericht bejahte die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und änderte die erstgerichtliche Entscheidung im Sinne der Verwerfung der Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit und der örtlichen Unzuständigkeit ab.
Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ermögliche es dem Kläger, gegen Streitgenossen jenes Gericht eines Mitgliedstaats anzurufen, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung bestehe, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheine, um widersprechende Entscheidungen in getrennten Verfahren zu vermeiden. Die von der Rechtsprechung des EuGH geforderte enge Beziehung zwischen den Klagen sei hier gegeben, weil es sich bei den beiden von der Klägerin in Anspruch genommenen Beklagten um den Hauptschuldner und um den Bürgen handle. Die Voraussetzungen für den Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO lägen daher grundsätzlich vor.
Die Zurückweisung der Klage gegen den Gemeinschuldner stehe der Anwendbarkeit dieses Gerichtsstandes nicht entgegen. Dass die Klage gegen den im Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts wohnhaften Beklagten unzulässig oder unbegründet sei, hindere die Kompetenzbegründung nicht. Anders sei dies nur dann, wenn die Klage wegen des Fehlens der internationalen oder örtlichen Zuständigkeit unzulässig sei, was hier nicht zutreffe. Allerdings habe eine Missbrauchskontrolle stattzufinden, bei der zu prüfen sei, ob die Klage nur erhoben worden sei, um eine andere Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen. Diese Missbrauchskontrolle stelle aber vornehmlich darauf ab, ob ein behaupteter Anspruch nicht offensichtlich unbegründet sei bzw ob der notwendige Zusammenhang der Klage fehle. Hingegen könne – schon weil die Prozesssperre nach § 6 KO nicht alle Ansprüche gegen den Gemeinschuldner umfasse – nicht von vornherein gesagt werden, dass eine Prozessführung gegen den Gemeinschuldner immer unzulässig sei. Zudem habe die Klägerin noch vor der Beschlussfassung des Erstgerichts eine neuerliche Klage gegen den vormaligen Erstbeklagten eingebracht, sodass insoweit der geforderte Zusammenhang mehrerer Klagen gegeben sei. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten.
Die Klägerin beantragte, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor jenem Gericht verklagt werden, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen können.
Dass diese Voraussetzungen (einschließlich des notwendigen Zusammenhanges der Klagen) hier grundsätzlich erfüllt sind, ist nicht zweifelhaft und zwischen den Parteien auch nicht strittig. Allerdings war die Klage, soweit sie gegen den schon vor der Klageerhebung in Konkurs verfallenen Gemeinschuldner erhoben wurde, schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung wegen der durch § 6 KO normierten „Prozesssperre“ unzulässig.
Damit stellt sich die Frage, ob die Klageführung gegen den Gemeinschuldner den für die Klage gegen die in Deutschland ansässige Beklagte in Anspruch genommenen Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO begründet, obwohl die gegen den Gemeinschuldner erhobene Klage schon im Zeitpunkt ihrer Einbringung nach nationalem Recht (§ 6 KO) unzulässig war.
Der Oberste Gerichtshof hat diese Frage zu 9 ObA 95/04t dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Mit seinem Urteil vom 13. Juli 2006, C-103/05, hat der EuGH die ihm vorgelegte Frage wie folgt beantwortet:
„Artikel 6 Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass sich ein Kläger, der in einem Mitgliedstaat eine Klage gegen einen in diesem Staat wohnhaften Erstbeklagten und einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Zweitbeklagten erhebt, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auch dann auf diese Bestimmung berufen kann, wenn die Klage gegen den Erstbeklagten schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nach nationalem Recht unzulässig ist“.
In seiner Begründung verwies der EuGH auf seine Rechtsprechung, nach der die besonderen Zuständigkeitsregeln des EuGVVO, die Ausnahmen von der Grundregel des Art. 2 EuGVVO normierten, strikt auszulegen seien; eine Auslegung über die ausdrücklich in der Verordnung vorgesehenen Fälle hinaus sei unzulässig. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlange ua, dass die besonderen Zuständigkeitsregeln so ausgelegt werden, dass ein informierter, verständiger Beklagter vorhersehen kann, vor welchem Gericht er außerhalb seines Wohnsitzstaats verklagt werden könnte. Die Vorschriften der EuGVVO seien autonom unter Berücksichtigung ihrer Systematik und ihrer Zielsetzung auszulegen. Da Art. 6 Nr. 1 EuGVVO nicht zu jenen Vorschriften gehöre, die ausdrücklich die Anwendung nationaler Vorschriften vorsehen, könne diese Bestimmung nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass ihre Anwendung von Wirkungen nationaler Vorschriften abhänge. Somit könne sich ein Kläger, der in einem Mitgliedstaat eine Klage gegen einen in diesem Staat wohnhaften Erstbeklagten und einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Zweitbeklagten erhebt, auch dann auf Art. 6 Nr. 1 EuGVVO berufen, wenn die Klage gegen den Erstbeklagten schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nach nationalem Recht unzulässig ist. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO könne jedoch nicht so ausgelegt werden, dass es danach einem Kläger erlaubt wäre, eine Klage gegen mehrere Beklagte allein zu dem Zweck zu erheben, einen von diesen der Zuständigkeit der Gerichte seines Wohnsitzstaats zu entziehen. Dies scheine jedoch im Ausgangsverfahren nicht der Fall zu sein.
Der Oberste Gerichtshof hat diese Rechtsauffassung seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Danach erweist sich der angefochtene Beschluss des Rekursgerichtes als zutreffend.
Mit der Frage, ob die Klageführung hier als Verstoß gegen das „Missbrauchsverbot“ (dazu etwa Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht II, Art. 6 EuGVO Rn. 7) zu werten ist, hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in seinem Vorlagebeschluss auseinandergesetzt. Danach könnte von einer gegen dieses Verbot verstoßenden Klageführung nur dann gesprochen werden, wenn die Klägerin die Klage gegen den Gemeinschuldner eingebracht hätte, obwohl sie von der Eröffnung des Konkurses über dessen Vermögen (und damit von der Unzulässigkeit der Klageführung) gewusst hätte. Dies steht aber nicht fest und kann auch nicht ohne weiteres unterstellt werden. Insofern ist von einer Behauptungslast der Beklagten auszugehen. Diese hat aber in erster Instanz nur vorgebracht, dass die Klägerin von der Konkurseröffnung hätte wissen müssen und daher von einer Klageführung wider besseres Wissen auszugehen sei. Darin liegt aber keine Tatsachenbehauptung, die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Klageeinbringung von der Konkurseröffnung tatsächlich Kenntnis gehabt. Bloße Fahrlässigkeit der Klägerin kann aber nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs den Vorwurf der missbräuchlichen Klageführung nicht rechtfertigen.
Damit erweist sich der angefochtene Beschluss als zutreffend, sodass dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.