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Zusammenfassung der Entscheidung Die Klägerin begehrte, in einer wohl grenzüberschreitenden Streitigkeit, von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz mit der Begründung, sie sei Eigentümerin einer Liegenschaft in Alpbach (AT), auf welcher ein Pensionsgebäude errichtet sei. Mit Zustimmung der Klägerin habe die Beklagte den Betrieb der Pension bis zu einem beabsichtigten Verkauf weitergeführt. Da sich die Beklagte aber geweigert habe, das Objekt besichtigen zu lassen, sei es nicht zum Verkauf gekommen. Die Beklagte habe die Räumung der Liegenschaft verweigert. Sie rügte die örtliche Zuständigkeit. Das Erstgericht hat die Einreden verworfen. Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Rekurs ein.
Das OLG Innsbruck (AT) stellt fest, dass Verschulden kein Tatbestandselement des Art. 5 Nr. 3 LugÜ ist. Einbezogen sind somit alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht vertraglich im Sinne des Art. 5 Nr. 1 sind. Art. 5 Nr. 1 LugÜ sei anwendbar, da von einer vertraglichen Verpflichtung der Beklagten auszugehen sei, den Betrieb der Klägerin nur so lange weiterzuführen, bis die Liegenschaft verkauft werden konnte. Das Verhalten der Beklagten stelle einen Verstoß gegen die vertragliche Verpflichtung dar. Wollte man aber davon ausgehen, dass das Vertragsverhältnis beendet gewesen wäre, läge der Zuständigkeitstatbestand des Art. 5 Nr. 3 ebenfalls vor.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die klagende Partei begehrt in diesem Verfahren von der beklagten Partei die Zahlung von ATS 223.100,‑ s.A. mit der Begründung, sie sei grundbücherliche Eigentümerin der Liegenschaft EZ 382 GB 83101 Alpbach, auf welcher ein Pensionsgebäude errichtet sei. Mit Zustimmung der klagenden Partei habe die Beklagte den Betrieb der Pension bis zu einem beabsichtigten Verkauf weitergeführt, weil mit einem „lebenden Betrieb“ ein höherer Kaufpreis erzielt werden habe sollen. Es sei aber zwischen den Streitteilen ausdrücklich vereinbart worden, dass die Beklagte nur so lange den Betrieb führe, bis die Liegenschaft verkauft werden könne. Die Firma D.“ aus M. habe ein Kaufanbot gestellt, wobei als Verhandlungsbasis ein Betrag von DM 900.000,‑ vereinbart gewesen sei. Da sich die Beklagte aber beharrlich geweigert habe, das Objekt besichtigen zu lassen, sei es schließlich nicht zu einem Verkauf an diese Firma gekommen. Die Beklagte habe die Räumung der Liegenschaft verweigert, habe auf Räumung geklagt werden müssen und habe schließlich, nachdem ihr ein Räumungsaufschub bis zur Entscheidung über die von der Beklagten im Räumungsprozess erhobene außerordentliche Revision bewilligt worden sei, erst am 11.8.1997 (auf Grund einer Räumungsexekution) geräumt. Das Exekutionsgericht habe mit rechtskräftigem Beschluss einen Antrag der Beklagten, die ihr auferlegte Sicherheitsleistung von ATS 100.000,-auszufolgen, abgewiesen. Ein Antrag der klagenden Partei auf Ausfolgung sei wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen worden. Die Beklagte hätte spätestens im Feber 1996, nach Vorliegen des Räumungstitels, die Liegenschaft räumen müssen und hafte, da sie dies nicht getan habe, für die daraus resultierenden Schäden. Geltend gemacht werde ein Schaden von durchschnittlich 4,85 % Zinsen aus dem zu erzielenden Verkaufspreis von ATS 4,6 Mio (offenbar für ein Jahr, für welches die Räumungsexekution aufgeschoben wurde). Hilfsweise werde die Klagsforderung aber auch auf einen Entgang einer monatlichen Miete von ATS 12.000,‑ zuzüglich 20 % Umsatzsteuer, insgesamt ATS 172.800,‑ pro Jahr, gestützt, weil die Liegenschaft um diesen Preis (zuzüglich der Betriebskosten) vermietet hätte werden können. Hilfsweise werde auch ein Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB geltend gemacht; die Beklagte habe kein Benützungsentgelt für ihre rechtswidrige Benützung bezahlt.
Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts führte die klagende Partei aus, die Beklagte habe die Liegenschaft vereinbarungswidrig und schuldhaft nicht geräumt, sodass der klagenden Partei ein Schadenersatzanspruch ex delicto zustehe. Das Erstgericht sei daher gemäß Art. 5 Nr. 1 bzw. Nr. 3 LGVÜ örtlich und sachlich zuständig (zudem wurde der Vermögensgerichtsstand nach § 99 JN im Hinblick auf die zu 4 E 2454/96 des BG Rattenberg eingeforderte Sicherheitsleistung geltend gemacht).
Die beklagte Partei hat die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit und fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit erhoben und ausgeführt, eine vertragliche Beziehung, aus der die Klagsansprüche abgeleitet würden, werde seitens der Klägerin nicht einmal behauptet. Art. 5 Z 1 LGVÜ komme daher nicht zum Tragen. Auch Art. 5 Z 3 LGVÜ begründe nicht die geltend gemachte Zuständigkeit, da keine Schadenersatzpflicht der beklagten Partei bestehen könne. Eine solche setzte Verschulden voraus, nach ständiger Rechtsprechung aber mache das Verbleiben in einer Wohnung auf Grund eines gerichtlichen Räumungsaufschubes für die Dauer des Aufschubes nicht schadenersatzpflichtig (unter Berufung auf SZ 23/191, SZ 24/8, JBI 1956/258). Somit liege keine unerlaubte Handlung oder eine einer unerlaubten Handlung gleichgestellte Handlung im Sinne von Art. 5 Z 3 LGVÜ vor.
Außer Streit gestellt wurde (verkürzt wiedergegeben), dass die Beklagte früher auf der Liegenschaft in A. gewohnt hat, dass sie im Verfahren 4 C 1339/94z des BG Rattenberg zur Räumung dieser Liegenschaft verpflichtet wurde und dass die Räumungsexekution schließlich am 11.8.1997 durchgeführt worden ist. Weiters, dass bis zur Entscheidung über die von der Beklagten gegen das Räumungsurteil eingebrachte außerordentliche Revision (die mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 19.6.1995 in Form einer Zurückweisung erfolgt ist) der Beklagten gegen Erlag einer Sicherheitsleistung von ATS 100.000,‑ Räumungsaufschub bewilligt und dass diese Sicherheitsleistung bislang nicht an die Beklagte ausgefolgt worden ist.
Das Erstgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss, nachdem es die Verhandlung auf die Frage der Zuständigkeit bzw. des Vorliegens der inländischen Gerichtsbarkeit eingeschränkt hatte, die Einreden der örtlichen Unzuständigkeit und der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit verworfen. Es hat rechtlich ausgeführt, dass die Klägerin eine Vereinbarung mit der Beklagten, nach welcher diese den Betrieb der Pension nur bis zum Verkauf der Liegenschaft hätte weiterführen dürfen, sowie den Verstoß der Beklagten gegen diese Vereinbarung als Grundlage für den Klagsanspruch vorgebracht habe. Daher seien nach den Klagsbehauptungen (die für die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage nach dem LGVÜ zunächst allein maßgeblich seien) die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Nr. 1 LGVÜ erfüllt (der Begriff des Vertrages im Sinne dieser Bestimmung sei vertragsautonom auszulegen und werde durch den EuGH dahin ausgelegt, dass insbesondere Ansprüche auf Schadenersatz aus einem Vertrag sowie Ansprüche aus der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines Vertrages dadurch gedeckt seien). Selbst wenn dies aber nicht zuträfe, ergäbe sich die Zuständigkeit des Landesgerichtes Innsbruck aus der Bestimmung des Art. 5 Nr. 3 LGVÜ, unter welche Bestimmung alle Ansprüche aus einem schädigenden Ereignis fielen, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem kein Vertrag bestehe. Die Einrede der Unzuständigkeit des Erstgerichts sei daher zu verwerfen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der rechtzeitige und zulässige Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss dahin abzuändern, dass den Einreden der örtlichen Unzuständigkeit und der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit stattgegeben werde.
In der rechtzeitigen und zulässigen Rekursbeantwortung beantragt die klagende Partei, dem Rekurs keine Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Im Rekurs wird vorgebracht, es seien weder die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Z 1 noch die des Art. 5 Z 3 LGVÜ erfüllt. Die klagende Partei leite Schadenersatzansprüche gegenüber der beklagten Partei lediglich daraus ab, dass die Beklagte nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Gewährung eines Räumungsaufschubes zu 4 E 2454/96d des BG Rattenberg nicht geräumt habe. Damit mache sie aber keinen Verstoß gegen einen Vertrag geltend. Es könne auch nicht von der Geltendmachung eines Schadensersatz ex delicto ausgegangen werden, weil das Räumungsverfahren ja gerichtlich aufgeschoben worden sei, sodass kein Verschulden der beklagten Partei vorliege. Solches sei aber Voraussetzung für einen Anspruch im Sinne von Art. 5 Z 3 LGVÜ.
Dem ist nicht zuzustimmen.
Die Ausführungen des Erstgerichts zur autonomen Auslegung des Begriffes des Vertrages nach Art. 5 Z 1 LGVÜ sind zutreffend (§ 500a ZPO). Ebenso ist der Begriff der unerlaubten Handlung bzw. der Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne von Art. 5 Z 3 LGVÜ vertragsautonom auszulegen (Czernich-Tiefenthaler, Die Abkommen von Brüssel und Lugano, Rn. 46 zu Art. 5; Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Rn. 146 zu Art. 5). Letzteres bedeutet, dass nicht entscheidend ist, ob der fragliche Anspruch auch nach österreichischem Recht deliktischer Natur ist; insbesondere ist Verschulden kein Tatbestandselement des Art. 5 Z 3 (Czernich-Tiefenthaler aaO, Rn. 46 zu Art. 5). Einbezogen sind somit alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Z 1 anknüpfen (Geimer-Schütze aaO Rn. 56 zu Art. 5).
Dem Erstgericht ist daher darin zuzustimmen, dass der Zuständigkeitstatbestand nach Art. 5 Z 1 LGVÜ vorliegt, da nach den für die Prüfung der Zuständigkeitsvoraussetzungen entscheidenden Behauptungen der klagenden Partei (Czernich-Tiefenthaler aaO Rn. 47 zu Art. 5) von einer vertraglichen Verpflichtung der Beklagten auszugehen ist, den Betrieb der Klägerin nur so lange weiterzuführen, bis die Liegenschaft verkauft werden konnte bzw. die Liegenschaft ab der (nach den Behauptungen der klagenden Partei damals auch gegebenen) Möglichkeit eines Verkaufs geräumt zu übergeben. Auch wenn die klagende Partei nur einen Zinsschaden und einen Mietentgang für den Zeitraum des Jahres geltend macht, für welchen der Räumungsaufschub galt, stellt doch das Verhalten der beklagten Partei (schon den Antrag auf Aufschiebung der Räumungsexekution zu stellen und auch weiterhin nicht zu räumen) einen Verstoß gegen die behauptete vertragliche Verpflichtung dar, aus dem die klagende Partei somit an sich schlüssig einen Schadenersatzanspruch ableitet. Schadenersatzansprüche wegen Nichterfüllung fallen unter Art. 5 Z 1 LGVÜ (Geimer-Schütze aaO Rn. 50 zu Art. 5).
Wollte man aber davon ausgehen, dass ab dem Zeitpunkt, zu welchem nach der behaupteten Vereinbarung zwischen den Streitteilen das Vertragsverhältnis beendet gewesen wäre, ein vertragsloser Zustand herrschte, läge der Zuständigkeitstatbestand des Art. 5 Z 3 LGVO vor. Die Argumentation der beklagten Partei, dass dies mangels denkbaren Verschuldens der Beklagten unzutreffend wäre, ist verfehlt. Zum einen kommt es nur nach österreichischem Recht, wenn Schadenersatz im Sinne der §§ 1295 ff ABGB geltend gemacht wird, auf Verschulden als Haftungsvoraussetzung an. Wie oben dargelegt, kommt es hierauf angesichts der vertragsautonomen Auslegung des Begriffes der unerlaubten Handlung auf Verschulden für die Begründung dieses Zuständigkeitstatbestandes aber nicht an. Gerade aus dem Umstand, dass der beklagten Partei über deren Antrag ein Aufschub der Räumungsexekution gegen Sicherheitsleistung bewilligt worden ist, schließt aber auch nach österreichischem Recht nicht etwa einen Schadenersatzanspruch für diese Zeit überhaupt aus, sondern gibt dem betreibenden Gläubiger vielmehr umgekehrt einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch, zu dessen Deckung eben die Sicherheitsleistung dient (siehe etwa 3 Ob 97/95 mwN; MietSlg 48.705; Heller-Berger-Stix, Kommentar zur E0, 555). Der betreibende Gläubiger erwirbt an der Sicherheitsleistung für die Aufschiebung der Exekution gemäß §§ 56 ZPO und 78 EO ein Pfandrecht für seinen Anspruch auf Ersatz des durch die Aufschiebung verursachten Schadens (3 Ob 97/95). Sämtliche in der Klagebeantwortung für den Beleg der gegenteiligen Auffassung zitierten Entscheidungen betreffen einen Räumungsaufschub nach der seinerzeitigen Schutzverordnung bzw. nach dem Mietengesetz, somit nach nicht vergleichbaren gesetzlichen Bestimmungen (zum Unterschied siehe gerade die in der Klagebeantwortung zitierte Entscheidung SZ 24/8). Die Aufschiebung der Räumungsexekution, wie sie zu 2 R 503/96a des Landesgerichtes Innsbruck bewilligt wurde, ist hingegen eine Aufschiebung der Exekution nach §§ 42 Abs. 1 Z 2a, 44 EO gewesen (was als gerichtsbekannt festgestellt wird).
Mit der gegenständlichen Klage wird daher nichts anderes als (bis zum Betrag der Sicherheit) ein Anspruch auf Ausfolgung der Sicherheit, gegen welche der Räumungsaufschub bewilligt wurde, geltend gemacht. Dieser Anspruch ist nämlich nach herrschender Rechtsprechung (E 125 zu § 44 EO in MGA 13. Aufl. ) im Rechtsweg geltend zu machen. Dabei muss nicht auf Zustimmung zur Ausfolgung geklagt werden, es genügt offenkundig (siehe SZ 7/85 und SZ 12/66) die bloße Klage auf Zahlung, was in Anbetracht der Auffassung des Obersten Gerichtshofes, dass der betreibende Gläubiger ein Pfandrecht an der Sicherstellung erworben hat, auch folgerichtig erscheint.
Sämtliche Argumente also, mit denen im Rekurs darzulegen versucht wird, dass die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts unzutreffend wäre, sind verfehlt. Dem Rekurs ist daher keine Folge zu geben, sondern der angefochtene Beschluss zu bestätigen.
Gemäß § 528 Abs. 2 Z 2 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig.