-
Zusammenfassung der Entscheidung Der in Österreich ansässige Antragsteller sah sich durch die Veröffentlichung eines deutschen Medienunternehmens gekränkt und beantragte, dieses wegen übler Nachrede zu einer Entschädigung gemäß §§ 6 ff. MedienG (AT) zu verpflichten. Zwar schließe § 50 MedienG eine solche Sanktion gegenüber ausländischen Medienunternehmen aus; diese Bestimmung werde jedoch durch das EuGVÜ verdrängt. Das österreichische Strafgericht stellte das Verfahren ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde mit der Begründung verworfen, dass § 50 MedienG keine Zuständigkeitsnorm, sondern ein materiellrechtlicher Ausschlusstatbestand sei. Gegen diese Beschlüsse richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators, mit der geltendgemacht wird, dass es sich bei Ehrverletzungen durch Medien um unerlaubte Handlungen im Sinne von Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ handle, für welche die Gerichte am Ort der Verbreitung der Veröffentlichung international zuständig seien.
Der OGH (AT) weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab. Denn ungeachtet ihrer schadensersatzrechtlichen Aspekte seien die Entschädigungsansprüche nach §§ 6 ff. MedienG (AT) keine privatrechtlichen Forderungen. Vielmehr entspreche ihre Zuerkennung einem Schuldspruch und der Entschädigungsbetrag einer Sanktion nach der österreichischen Strafprozessordnung. Daher habe das zuständige Strafgericht keine Möglichkeit, seine Entscheidung unter Berufung auf die internationale Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ abzulehnen. In der Sache sei die Entschädigung gemäß § 50 MedienG zurecht verweigert worden. Es sei nicht ersichtlich, dass das EuGVÜ durch diese Entscheidung in seinen praktischen Wirkungen beeinträchtigt werde.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Der Antragsteller Dr. Jörg H***** sah sich durch den Inhalt einer auf Seite 3 unter der Überschrift „Ein Wintermärchen“ in der Nr. 2/1999 des periodischen Druckwerkes „Powerplay“ veröffentlichten Kolumne mit „Drogenszene, Bandenkriminalität, Kindesentführung und Kindesmissbrauch“ in Verbindung gebracht und trug unter Berufung auf die solcherart geschehene Herstellung des objektiven Tatbestandes der üblen Nachrede und der Beschimpfung auf eine Entschädigung für die erlittene Kränkung an. Er räumte ein, dass es sich beim genannten Medium um das eines deutschen Medienunternehmens handle, das weder zur Gänze noch nahezu ausschließlich im Inland verbreitet werde. Da es sich bei den Entschädigungsansprüchen der §§ 6 ff. MedienG aber um solche zivilrechtlicher Natur handle, werde § 50 Z 1 MedienG – wonach ua die §§ 6 bis 8a MedienG in solchen Fällen nicht anzuwenden sind – durch das seit 1. Jänner 1999 in Geltung stehende EuGVÜ „verdrängt“. Das Landesgericht für Strafsachen Wien vertrat einen gegenteiligen Standpunkt und stellte das Verfahren mit Beschluss vom 13. April 1999, GZ 9cEVr 1.690/99-2, (gemeint:) nach § 8a Abs. 2 dritter Satz MedienG „gemäß §§ 485 Abs. 1 Z 2, 486 Abs. 3 StPO“ ein. Das Oberlandesgericht Wien gab der Beschwerde des Antragstellers am 3. Mai 1999 (Az. 24 Bs 100/99) mit dem Argument nicht Folge, dass § 50 Z 1 MedienG keine Zuständigkeitsnorm, sondern einen materiellrechtlichen Ausschlussgrund darstelle.
In dieser gegen die genannten Beschlüsse des Landesgerichtes und des Oberlandesgerichtes zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde erachtet der Generalprokurator Art. 5 Z 3 EuGVÜ mit folgender Begründung für verletzt:
Das EuGVÜ (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) trat für Österreich mit 1. Dezember 1998 in Kraft (BGBl III 1998/167) und wurde inzwischen mit Wirksamkeit vom 1. März 2002 durch die EuGVO (Verordnung [EG] Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) ersetzt.
Der (bis auf einen – hier jedoch nicht relevanten – Nachsatz in der EuGVO) wörtlich übereinstimmende Art. 5 Z 3 der beiden Europäischen Regelungswerke lautet:
„Artikel 5
Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden: ...
3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ (nach der EuGVO ergänzt durch den Nachsatz „oder einzutreten droht“).
Damit wird nicht nur ein Gerichtsstand für außervertragliche Schadenersatzansprüche normiert, sondern durch das Merkmal der unerlaubten oder einer solchen gleichgestellten Handlung ein nicht der lex fori oder der lex causal unterfallender, sondern gemeinschaftsrechtlich autonomer Begriff geschaffen, der für alle Klagen aus einer Schadenshaftung maßgeblich ist (vgl. hiezu Mayr, EuGVÜ und LGVÜ, 38; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht/Kommentar zu EuGVO und Lugano-Übereinkommen7, Rn. 65 zu Art. 5). Unter den Begriff der unerlaubten Handlung fallen unter anderem auch Ansprüche aus Persönlichkeitsverletzungen, insbesondere Schadenersatzklagen wegen ehrverletzender Äußerungen in den Medien. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist im Falle einer grenzüberschreitenden Ehrverletzung durch ein Presseerzeugnis das Gericht des Ortes der Niederlassung des Herausgebers für die Entscheidung über den gesamten durch die unerlaubte Handlung verursachten Schaden zuständig, wogegen die Gerichte des Vertragsstaates, in dem die ehrverletzende Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen beeinträchtigt worden ist, für die Entscheidung über den dort am Ansehen des Betroffenen entstandenen Schaden zuständig sind. Damit unterliegt der Betroffene bei der Wahl des Gerichtsstandes nur hinsichtlich des Umfanges der jeweils möglichen Anspruchsdurchsetzung einer Einschränkung, jedoch lässt das EU-Recht für eine anspruchausschließende Differenzierung zwischen in- und ausländischen Medien keinen Raum. Darf doch auch ein an sich zulässiger Rückgriff auf nationale Verfahrensvorschriften und materielles Recht die Wirksamkeit „des Übereinkommens“ (nämlich der EuGVÜ) nicht beeinträchtigen (vgl. hiezu insbes. EuGH 7. 3. 1995, C 68/93/Fiona Shevill ua/Presse Alliance SA = MR 1996, 255 sowie neuerlich Kropholler aaO, Rn. 75 zu Art. 5). Demnach kann aber die Frage auf sich beruhen, ob Art. 50 Z 1 MedienG eine Zuständigkeitsnorm ist oder eine (einschränkende) Regelung des sachlichen Anwendungsbereichs (gleichsam im Sinn des negativen Tatbestandsmerkmales) zum Gegenstand hat. Denn in beiden Fällen steht der Regelungsinhalt des hier aktuellen EuGVÜ (und ebenso nunmehr jener der EuGVO) einem Ausschluss der Geltendmachung von Ansprüchen wegen ehrverletzender Angriffe ausländischer Medien in Österreich entgegen, und zwar auch dann, wenn diese weder zur Gänze noch nahezu ausschließlich im Inland verbreitet werden.
Da die Republik Österreich mit Wirksamkeit vom 1. Dezember 1998 dem EuGVÜ beigetreten ist, damit auch dessen Inhalt in das österreichische Recht transferiert hat (vgl. neuerlich BGBl III 1998/167) und EU-Recht dem nationalen Recht grundsätzlich vorgeht, wurde damit die ältere Bestimmung des § 50 Z 1 MedienG durch Art. 5, der zur Zeit der erwähnten Entscheidungen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichtes Wien in Kraft war (und seit dem 1. März 2002 durch die EuGVO ersetzt ist) – im Wege der Derogierung – verdrängt (in diesem Sinn auch Zeiler MR 1996, 224 ff. sowie MR 1999, 136 f. = Anmerkung zur Veröffentlichung der Beschwerdeentscheidung; ebenso Noll in Walter Berka/Thomas Höhne/Alfred J. Noll/Ullrich Polley MedienG Rn. 6 f. sowie Hanusch, Komm zum MedienG Rn. 1 – jeweils zu § 50; aM Hager/Zöchbauer, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht4, 35 f.). Demnach haben sowohl das Landesgericht für Strafsachen Wien als auch das Oberlandesgericht Wien in ihren eingangs angeführten Entscheidungen die Regelung des Art. 5 EuGVÜ zu Unrecht als nicht auf den gegenständlichen Entschädigungsantrag anwendbar erachtet.
Dazu wurde erwogen:
Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 14 Os 75/97 nachdrücklich betont hat, stellen Entschädigungsansprüche der §§ 6 bis 7c MedienG als solche sui generis ungeachtet ihrer schadenersatzrechtlichen Aspekte keine privatrechtlichen Ansprüche dar, über die das Strafgericht bloß in einem Adhaesionserkenntnis nach § 260 Abs. 1 Z 5 erster Fall oder § 366 Abs. 1 StPO zu entscheiden hätte (§§ 8 f., 41 MedienG). Wird ein Entschädigungsanspruch zuerkannt entspricht die Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen (hier: § 6 Abs. 1 erster Satz MedienG) bei gleichzeitiger Verneinung der Ausschlussgründe als Sanktionsanknüpfungspunkt vielmehr einem Schuldspruch (§ 260 Abs. 1 Z 2 StPO), der zuerkannte Entschädigungsbetrag aber der verhängten strafrechtlichen Sanktion (§ 260 Abs. 1 Z 3 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rn. 297, 556 f., § 283 Rn. 3). Folgerichtig kann die Entscheidung des Einzelrichters über medienrechtliche Entschädigungsansprüche der §§ 6 ff. MedienG auch nicht mit Berufung wegen des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche (§ 464 Z 3 StPO), sondern nur wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe oder wegen des Ausspruches über die Schuld oder die Strafe (§ 464 Z 1 und 2 StPO) angefochten werden. Steht ein materiellrechtlicher Sanktionsanknüpfungspunkt des österreichischen Rechtes in Geltung, gibt das Strafverfahrensrecht österreichischen Strafgerichten keine rechtliche Möglichkeit, die Entscheidung darüber unter Berufung auf die örtliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtes abzulehnen (§ 486 Abs. 1 StPO; vgl. aber § 5 Abs. 5 erster Satz des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, BGBl I 2002/135). So gesehen hat bereits das Landesgericht für Strafsachen Wien in seinem nach § 486 Abs. 3 StPO gefassten Einstellungsbeschluss im Ergebnis nicht über die Zuständigkeit österreichischer Strafgerichte, statt dessen in der Hauptsache entschieden (§ 485 Abs. 1 Z 4 oder 6 StPO; vgl. Philipp, WK-StPO § 485 Rn. 10, § 486 Rn. 2; EvBl 1997/89, 2002/154). Das Oberlandesgericht Wien aber hat seine die Verfahrenseinstellung bestätigende Entscheidung sogar ausdrücklich darauf gegründet, dass die §§ 6 bis 7c MedienG für Medien ausländischer Medienunternehmen nur nach Maßgabe der in § 50 Z 1 MedienG genannten, vorliegend indes mangelnden besonderen Voraussetzungen in Geltung stehen (vgl. Foregger/Litzka MedienG4 § 50 Anm I) und damit die materiellen Anspruchsvoraussetzungen verneint. Warum solcherart die praktischen Wirkungen des EuGVÜ beeinträchtigt sein sollten, ist der sich insoweit bloß in einer Rechtsbehauptung erschöpfenden Nichtigkeitsbeschwerde, die durch die beigesetzten Belegstellen keine Stütze erfährt, nicht zu entnehmen.