Die am ***** 1996 geborene, damals durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger vertretene Antragstellerin stellte am 8. November 2013 den Antrag, ihren am ***** 1949 geborenen, in Polen lebenden Vater ab 1. November 2011 zu einer um 88,26 EUR erhöhten monatlichen Geldunterhaltsleistung von 190 EUR zu verpflichten (ON 75). Seit der letzten Unterhaltsbemessung seien ihre Bedürfnisse wesentlich gestiegen. Der Vater, der in Polen als Kohlebergarbeiter gearbeitet habe, sei inzwischen in Pension. Als Unterhaltsbemessungsgrundlage werde die durchschnittliche Pension eines Bergarbeiters in Höhe von 850 EUR netto monatlich herangezogen.
Das Erstgericht fasste unter anderem einen Beschluss gemäß § 17 AußStrG (Aufforderung zur Äußerung zu einem Antrag binnen 14 Tagen) und veranlasste die Übersetzung des Antrags sowie der Aufforderung zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG in die polnische Sprache (ON 77 und 78). Das um die Zustellung der Schriftstücke ersuchte polnische Bezirksgericht (sąd Rejonowy) teilte mit Schreiben vom 31. März 2014 gemäß Art. 7 Abs. 2 EuZustellVO mit, dass die Zustellung nicht binnen einem Monat nach Eingang des Schriftstücks (2. Dezember 2013) vorgenommen worden sei (ON 81), worauf das Erstgericht am 14. April 2014 die Zustellung der Sendung mit internationalem Rückschein veranlasste (ON 82). Am 20. Mai 2014 langte die Sendung samt Rückschein mit dem Vermerk „Non réclamé“ wiederum beim Erstgericht ein. Die Sendung trägt außerdem einen mit 28. April 2014 datierten Stempelvermerk „Nie zastano – Awizowano“ (Nicht anwesend – verständigt) und einen mit 13. Mai 2014 datierten Stempel „ZWROT. Nie podjęto w terminie“ (ZURÜCK. Nicht in der Frist behoben).
Mit Beschluss vom 27. Mai 2014 erhöhte das Erstgericht den vom Vater zu leistenden Geldunterhalt im Sinne des Erhöhungsantrags auf 190 EUR monatlich. Der Antrag (samt dem Beisatz nach § 17 AußStrG) sei dem Vater am 28. April 2014 durch Hinterlegung zugestellt worden. Da er innerhalb der gesetzten Frist keine Äußerung abgegeben habe, könne das Gericht annehmen, dass er dem Begehren keine Einwendungen entgegensetze. Die Antragstellerin habe Anspruch auf Geldunterhalt in Höhe von 22 % des väterlichen Nettoeinkommens, das mit 850 EUR monatlich anzunehmen sei.
Gegen diesen Beschluss erhob der Vater, vertreten durch eine polnische Rechtsanwältin, „Berufung“ mit folgenden Anträgen:
„1) Terminwiederherstellung für die Einreichung der Berufung gegen den Beschluss aus dem 27 Mai 2014, Aktenzeichen …. mit dem Beschluss auf Berichtigung gemäß §§ 419, 430 ZPO, Aktenzeichen …. und Antwort auf den Antrag;
2) Antragsabweisung/Außerachtlassung Amt für Jugend und Familie – Rechtsvertretung aus dem 8 November 2013;
3) Gesamte Kostenbefreiung für [Antragsgegner] von anfallenden Prozesskosten und Entlastung von den Kosten für die Übersetzung der Dokumente …
4) Zuerkennung von dem Antragssteller für [Antragsgegner] die Prozesskosten, einschließlich der Kosten der Rechtsvertretungsanwalt.“
Der Antrag auf „Terminwiederherstellung für die Einreichung der Berufung gegen den Beschluss aus dem 27. Mai 2014“ wurde damit begründet, dass der Vater kein Gerichtsschreiben erhalten habe, um eine Erklärung abzugeben. Von dem anhängigen Verfahren habe er keine Kenntnis erlangt. Damit seien ihm – ohne seine Schuld – seine Verteidigungsrechte genommen worden. Weiters wurde unter der Überschrift „Berufung“ darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner eine Rente in Höhe von 1.630 PLN, umgerechnet 390 EUR monatlich erhalte und der Großteil dieses Betrags für Medikamente aufgehe.
Das Erstgericht legte das Rechtsmittel dem Rekursgericht vor. Über den (möglichen) Verfahrenshilfeantrag wurde kein Beschluss gefasst.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Antragsgegners mit Beschluss vom 13. Jänner 2015 nicht Folge. Ob der Zustellvorgang in Ordnung gewesen sei, richte sich seit Inkrafttreten der EuZustellVO nach dem Verfahrensrecht des Zustellstaats, sofern von der Übermittlungsstelle – wie hier – keine besondere Form gewünscht worden sei. Nach der Aktenlage sei davon auszugehen, dass die Vorschriften des polnischen Zivilprozessrechts, die eine Zustellung durch Hinterlegung zuließen, eingehalten worden seien und die Zustellung an den Antragsgegner rechtmäßig erfolgt sei. Ein internationaler Rückschein sei eine „Bestätigung über die erfolgte Zustellung“. Der im Rekurs erhobene Einwand, dass der Vater kein Gerichtsschreiben erhalten habe, reiche für sich allein nicht aus, die Wirksamkeit der Zustellung zu entkräften, zumal nicht behauptet werde, dass es sich bei der Zustelladresse um keine taugliche Abgabestelle gehandelt habe; es würden auch keine Beweise angeboten. Ein Anlass zur Überprüfung des Zustellvorgangs bestehe nicht.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Zustellung durch Hinterlegung im Fall der Verwendung eines internationalen Rückscheins vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners aus den Revisionsrekursgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Unterhaltserhöhungsantrags. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Antragstellerin hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt (Zustellung des Revisionsrekurses an den Verfahrenshelfer am 3. November 2015).
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Antragsgegners ist zur Klarstellung zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
Das Revisionsrekursvorbringen lässt sich dahin zusammenfassen, dass gemäß § 4 AußStrG in Unterhaltsverfahren in der zweiten Instanz relative Anwaltspflicht bestehe, weshalb die polnische Anwältin nicht berechtigt gewesen sei, einen Rekurs für den Antragsgegner einzubringen; das Einschreiten wäre zu verbessern gewesen. Selbst wenn die polnische Anwältin zur Vertretung befugt gewesen wäre, wäre dem Antragsgegner – im Hinblick auf die Unklarheit des Rekursvorbringens – wie einer unvertretenen Partei ein Verbesserungsauftrag zu erteilen gewesen. Das Rekursvorbringen sei im Übrigen auch als Verfahrenshilfeantrag bzw als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu verstehen. In Bezug auf die Zustellung wird ausgeführt, dass im Fall einer Hinterlegung keinesfalls sichergestellt sei, dass die Schriftstücke tatsächlich beim Empfänger angekommen seien (was auch hier der Fall gewesen sei), weshalb eine solche Zustellung keinesfalls die Rechtsfolgen des § 17 AußStrG auslösen könne. Selbst ohne Bedachtnahme auf das Fehlen einer Äußerung des Antragsgegners wäre der Unterhaltserhöhungsantrag mangels Schlüssigkeit abzuweisen gewesen.
Dazu wurde erwogen:
1. In Unterhaltsstreitigkeiten zwischen Kindern und ihren Eltern mit einem Streitwert über 5.000 EUR besteht gemäß § 101 Abs. 1 AußStrG im Verfahren erster und zweiter Instanz relative Anwaltspflicht (4 Ob 2/09m; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 4 Rn. 6 f; Nademleinsky in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 101 Rn. 21 und 27).
Europäische Rechtsanwälte dürfen, soweit sie Dienstleistungen im Sinn des Art. 57 AEUV erbringen, grundsätzlich in Österreich vorübergehend rechtsanwaltliche Tätigkeiten wie ein in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragener Rechtsanwalt erbringen (§ 2 EIRAG). Eines österreichischen Einvernehmensrechtsanwalts bedürfen sie nur im Fall einer absoluten Anwaltspflicht (ausführlich 3 Ob 210/14z, AnwBl 2015, 427/8418 (Dittenberger) = EF-Z 2015/110, 189 (Gitschthaler); RIS-Justiz RS0130040).
Die polnische Anwältin durfte demnach wirksam für den Antragsgegner im Rekursverfahren einschreiten.
2. Es liegt auch ein wirksames Rechtsmittel vor, über das das Gericht zweiter Instanz zu entscheiden hatte. Maßgeblich für die Wirksamkeit des Rechtsmittels ist, ob es inhaltlich als den angefochtenen Beschluss inhaltlich bekämpfendes Rechtsmittel ausgeführt wird und grundsätzlich geeignet ist, die Rechte des Rechtsmittelwerbers zu wahren (7 Ob 126/07s, 4 Ob 2/09m ua; ausführlich zum Zusammenhang mit der Einmaligkeit der Rechtsmittelhandlung Zechner in Fasching/Konecny2 § 505 ZPO Rn. 4 ff). Hier käme zwar grundsätzlich in Betracht, dass tatsächlich ein unrichtig als Berufung bezeichneter Verfahrenshilfeantrag gestellt wurde; allerdings wurde keine Beigebung eines österreichischen Rechtsanwalts beantragt, sodass davon auszugehen ist, dass mit dem Schriftsatz das Rechtsmittel ausgeführt werden sollte und auch ausgeführt wurde.
3. Eine Vorgangsweise nach § 17 AußStrG setzt ein schlüssiges Begehren voraus: Der behauptete Sachverhalt muss für die notwendige rechtliche Beurteilung ausreichen (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 17 Rn. 94). Dies ist hier bei dem Unterhaltserhöhungsantrag der Fall.
4. Weiters muss das rechtliche Gehör des Antragsgegners sichergestellt sein, indem eine wirksame Zustellung vorgenommen wurde. Eine Zustellung der Aufforderung durch Hinterlegung wird von § 17 AußStrG nicht ausgeschlossen.
4.1. Da der Antragsgegner seinen Wohnsitz im EU-Ausland hat, hat die Zustellung der Aufforderung nach § 17 AußStrG nach den Regeln der EuZustellVO zu erfolgen. Der Regelungsbereich der EuZustellVO beschränkt sich allerdings im Wesentlichen auf den eigentlichen Vorgang der Übermittlung von Schriftstücken von einem Mitgliedstaat in einen anderen.
Weitere Fragen der internationalen Zustellung sind nach der lex fori zu beurteilen, und zwar entweder nach dem Recht des Gerichtsstaats (Übermittlungsstaats) oder des Zustellstaats (Empfangsstaats). Es lassen sich drei Phasen unterscheiden (Peer in B/N/G/S, EuZVO Einl Rn. 8):
– Das „Ob“ der Zustellung, also welche Schriftstücke überhaupt der Zustellung bedürfen und wann eine Zustellung in das Ausland erfolgen muss, obliegt der Beurteilung des Gerichtsstaats.
– Das „Wie“ der Durchführung der Auslandszustellung und die Frage nach ihrer Rechtswirksamkeit sind grundsätzlich nach dem Zustellrecht des Empfangsstaats zu beurteilen. Danach richtet sich, auf welche Weise (Ersatzzustellung, Zustellung durch Hinterlegung), an welchem Ort (Abgabestelle) und durch wen (Zustellorgan) das Schriftstück zuzustellen ist. Das Zustellrecht des Gerichtsstaats kann nur insoweit maßgeblich sein, als die Zustellung des Schriftstücks in einer besonderen Form (zB Eigenhandzustellung) gewünscht wird (Art. 7 Abs. 1 EuZustellVO).
– Die Folgen der im Ausland vorgenommenen Zustellung wie zB Fristenläufe sind wieder nach der lex fori des Gerichtsstaats zu beurteilen.
4.2. Der EuGH hat im Urteil vom 9. Februar 2006, C-473/04, in der Rechtssache Plumex/Young Sports die Gleichrangigkeit für das Verhältnis zwischen dem direkten Behördenverkehr (Art. 4 ff EuZustellVO) und der Postzustellung (Art. 14 EuZustellVO) ausgesprochen; diese Übermittlungswege können alternativ oder auch kumulativ herangezogen werden.
4.3. Polen lässt die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke durch die Post (mit Rückschein) unter der Voraussetzung zu, dass die zuzustellenden Schriftstücke in polnischer Sprache abgefasst sind oder in einer der Amtssprachen des übermittelnden Mitgliedstaats, falls der Adressat Staatsangehöriger dieses Staates ist (Sander in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österr Zustellrecht2 [2012] Art. 14 ZustellV Rn. 4).
4.4. Für die postalische Zustellung sieht das polnische Zivilverfahrensgesetzbuch in erster Linie die persönliche Zustellung an den Adressaten (Art. 135 ZVfGB) und in zweiter Linie die Ersatzzustellung an einen erwachsenen Hausbewohner, die Hausverwaltung, den Hausmeister oder den Ortsvorsteher (Dorfschulzen) vor (Art. 138 ZVfGB). Ist eine Zustellung auf diese Art nicht möglich, besteht die Möglichkeit der Hinterlegung beim Postamt oder auf der Gemeinde; darüber ist eine Benachrichtigung an der Tür der Wohnung des Empfängers oder im Briefkasten anzubringen (Art. 139 § 1 ZVfGB). Dem Empfänger wird zweimal eine 7-tägige Frist eingeräumt, innerhalb der er das Schreiben vom Postamt oder von der Gemeinde abholen kann. Mit dem Zeitpunkt der Abholung oder dem Verstreichen der angegebenen Frist gilt das Schriftstück als zugestellt (Chlebowska/Demenko, Polnisches Zivilverfahrensrecht, Band 4 [2013] Rn. 274).
4.5. Angesichts der von der polnischen Post auf dem Zustellstück, das an das Erstgericht zurückgesandt wurde, angebrachten Informationen gibt es keine Hinweise, dass die Zustellung durch Hinterlegung im vorliegenden Fall nicht wirksam geworden wäre. Es läge in diesem Fall am Antragsgegner, den Nachweis der Zustellung zu widerlegen, indem er konkretes Vorbringen zu Zustellmängeln (Ortsabwesenheit etc) erstattet und Bescheinigungsmittel vorlegt (8 Ob 31/15i), was aber nicht geschehen ist.
5. Auf dieser Grundlage ist dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Über die im Rekursschriftsatz weiters enthaltenen Anträge wird das Erstgericht zu entscheiden haben.